Predigt zu dem Bild von Marc Chagall: Die Opferung Isaaks. ( Zu sehen: http://www.gaebler.info/kunst/nizza/08.htm )
Schauen wir uns einmal das Bild an. Es sieht grausam aus. Es ist aber ein Bild der Freiheit. Im Mittelpunkt sehen wir einen Mann, ganz in rot – dem Rot des Blutes, gezeichnet mit einem Messer in der Hand – vor ihm liegt ganz groß ein Kind in einer eigenartigen Körperhaltung (als sei er schon tot) – und der Körper ist im Gelb zu sehen, der Unterleib und die Oberschenkel in dem rot, des Mannes. Unter dem Kind sehen wir Holzscheite aufgerichtet. Wir ahnen Schlimmes – doch der Mann schaut nicht auf das Kind, das geopfert werden soll, sondern schaut auf einen Engel, ganz in Blau, der von einem Engel gesandt worden ist, der in weiß hinter dem Engel im Himmel zu sehen ist. Unter den beiden Engeln befindet sich ein Baum, bei diesem Baum ein Tier – wohl ein Widder – und neben dem Baum eine betende Frau.
Wir ahnen, welche Geschichte hier wiedergegeben wurde. Es ist die grausame Geschichte, die von der geforderten Opferung Isaaks spricht. Ich lese den Text:
Nach diesen Geschichten versuchte Gott Abraham und sprach zu ihm: Abraham! Und er antwortete: Hier bin ich. Und er sprach: Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde. Da stand Abraham früh am Morgen auf und gürtete seinen Esel und nahm mit sich zwei Knechte und seinen Sohn Isaak und spaltete Holz zum Brandopfer, machte sich auf und ging hin an den Ort, von dem ihm Gott gesagt hatte. Am dritten Tage hob Abraham seine Augen auf und sah die Stätte von ferne und sprach zu seinen Knechten: Bleibt ihr hier mit dem Esel. Ich und der Knabe wollen dorthin gehen, und wenn wir angebetet haben, wollen wir wieder zu euch kommen. Und Abraham nahm das Holz zum Brandopfer und legte es auf seinen Sohn Isaak. Er aber nahm das Feuer und das Messer in seine Hand; dann gingen die beiden miteinander. Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham: Mein Vater! Abraham antwortete: Hier bin ich, mein Sohn. Und er sprach: Siehe, hier ist Feuer und Holz; wo ist aber das Schaf zum Brandopfer? Abraham antwortete: Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer. Und gingen die beiden miteinander. Und als sie an die Stätte kamen, die ihm Gott gesagt hatte, baute Abraham dort einen Altar und legte das Holz darauf und band seinen Sohn Isaak, legte ihn auf den Altar oben auf das Holz und reckte seine Hand aus und fasste das Messer, dass er seinen Sohn schlachtete. Da rief ihn der Engel des HERRN vom Himmel und sprach: Abraham! Abraham! Er antwortete: Hier bin ich. Er sprach: Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts; denn nun weiß ich, dass du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen. Da hob Abraham seine Augen auf und sah einen Widder hinter sich in der Hecke mit seinen Hörnern hängen und ging hin und nahm den Widder und opferte ihn zum Brandopfer an seines Sohnes statt. Und Abraham nannte die Stätte »Der HERR sieht«. Daher man noch heute sagt: Auf dem Berge, da der HERR sieht. Und der Engel des HERRN rief Abraham abermals vom Himmel her und sprach: Ich habe bei mir selbst geschworen, spricht der HERR: Weil du solches getan hast und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont, will ich dein Geschlecht segnen und mehren wie die Sterne am Himmel und wie den Sand am Ufer des Meeres, und deine Nachkommen sollen die Tore ihrer Feinde besitzen; und durch dein Geschlecht sollen alle Völker auf Erden gesegnet werden, weil du meiner Stimme gehorcht hast. So kehrte Abraham zurück zu seinen Knechten. Und sie machten sich auf und zogen miteinander nach Beerscheba und Abraham blieb daselbst.
Soweit der Predigttext.
Uns kommt diese Geschichte grausam und absurd vor. Abraham soll seinen Sohn opfern – und er will es bereitwillig auch tun, weil Gott es ihm befohlen hat. Kann ein Vater seinen Sohn opfern wollen – selbst dann, wenn er meint, Gott befehle es? Empört wollen wir aufschreien! Nein, das kann doch nicht wahr sein! Und doch – und doch wurden unzählige Erstgeborene den Göttern geopfert. Götter forderten in dieser Zeit Abrahams bis in neuere Zeit Kinderopfer, und die Menschen gaben ihnen die Kinder. Überall gab es Menschenopfer – und eben auch Kinderopfer bei den Völkern in archaischen Zeiten – in so manchen Stämmen Europas, Afrikas, Asiens, und auch bei den Mayas und Inkas, Azteken, den Völkern Süd- und Mittelamerikas. Und wer weiß denn wirklich, was es heute noch alles an finsteren Riten in vielen Völkern dieser Erde in unserer Zeit gibt.
Und diese Geschichte erzählt von einer so finsteren Zeit. Auch Abraham, musste seinen Sohn opfern, wie es die Menschen seiner Zeit getan haben, er hörte diese Forderung, wie alle Menschen seiner Zeit sogar von Gott – und er zog los, um seinen Sohn auf dem Altar zu opfern. Aber im letzten Augenblick lässt Gott diesem grausamen Treiben Einhalt gebieten.
Wir schauen hier auf ein ganz, ganz wichtiges Ereignis in der Menschheitsgeschichte: Anders als die Götter im Umfeld Israels will der Gott Israels keine Menschenopfer. Unser Gott will nicht, dass Menschen ihre Kinder opfern. Gott will nicht, dass Menschen in seinem Namen eine Menschenblutspur hinterlassen. Gott will nicht das sinnlose Leiden, den Aberglauben. Gott will, dass der Mensch frei wird von Menschen vernichtenden Taten. Und weil der Mensch in seiner Sünde, seiner Grausamkeit ohne Opfer jedoch nicht auskommt, bietet Gott ihm einen Widder als Ersatzopfer.
Und wir schauen uns das Bild von Chagall weiter an. Die rote Farbe, das Blut, geht noch weiter, über den Mann, über Abraham hinaus und endet bei einer Menschengruppe. In dieser Menschengruppe sehen wir Jesus sein Kreuz tragen. Und damit greift der Maler den Glauben der frühen Christen auf: Gott, der Vater Jesu, Gott opfert sich in seinen Sohn selbst. Was er Abraham, was er uns Menschen verboten hat, das tut Gott nun selbst. Wir fragen erschrocken! Warum? Ist Gott so ein grausamer Gott, dass er seinen eigenen Sohn nicht verschont?
Haben Sie schon einmal überlegt, warum so gut wie alle Menschen und Völker Tiere opfern – aber wir Christen nicht? Das hängt damit zusammen: Das Opfer, das wir vollziehen müssten, wurde schon gebracht. Viele Menschen der Antike haben das blutrünstige Tierabschlachten zugunsten der Götter abgelehnt – und haben dennoch geopfert, weil man daran einfach nicht vorbei kam. In uns Menschen steckt das archaische Denken drin: Wir meinen, wir müssen die Götter mit irgendeinem Opfer versöhnen, wir müssen mit einem Blutopfer die Götter gnädig stimmen. Und sei es, dass wir uns selbst in asketischen Riten zu Tode hungern, selbst blutig verletzen. Dieses uralte, archaische Denken in uns konnte Gott nur überwinden, indem er in seinem Sohn seine große Liebe zu uns zeigte. Anders sind wir Menschen nicht zu befrieden als mit dem Opfer, das Gott in seinem Sohn gab.
Nun mögen wir denken: Das stimmt doch gar nicht. Ich brauche solche alten blutrünstigen Rituale nicht. Wirklich nicht? In uns Menschen schlummern dunkelste, finsterste Seiten. Wir sind wie Vulkane, die ständig brodeln, vor denen man sich hüten sollte – denn sie könnten immer ausbrechen. Glauben wir wirklich, dass all die schlimmen Nachrichten, die wir von den Ermordungen hören, so gar nichts mehr mit dem Thema Opfer zu tun haben? Wie viel wird heute noch den Göttern geopfert – weil Menschen selbst die Opfer brauchen? Glaubt wirklich jemand, dass das keine Menschenopfer sind, wenn Menschen, die sich gegen einen selbst gebastelten Gott wenden, geschlachtet werden wie Tiere? Selbstmordattentäter opfern andere. Menschen geraten wie in einen Tötungsrausch hin und her. Sie werden den Religionen und Ideologien geopfert – damit die Menschen ihre grausame Seele besänftigen können. Warum benötigten und benötigen selbst so moderne Ideologien, wie der Nationalsozialismus und der Kommunismus, all diese Menschenopfer?
Wir sehen auf unserem Bild in der Nähe des Kreuzes auch einen Juden mit der Torarolle, in fast dergleichen Haltung wie der leidende Jesus, eine Frau, die ein Kind zu retten versucht, eine, die mit erhobenen Händen betet, zusammengebrochen fleht. Der Mensch, der sich zum Gott erhebt, der sein Volk oder eine Gruppe, seine Religion zum Gott erhebt, braucht Blutopfer. Die große Blutspur, der Blutstrom, die wir Menschen hinterlassen, zeigen: Wir Menschen können nur durch Opfer befriedigt werden.
Doch warum opfern wir Christen nicht mehr? Weil wir das Abendmahl haben. Das Abendmahl, an dem wir der Selbstopferung Gottes in seinem Sohn gedenken, in dem wir es quasi nachvollziehen, ist ein tief in uns eingewurzelter archaischer Akt. Wir schmecken im Brot und dem Getränk des Weinstocks wie freundlich, wie liebevoll Gott ist. Liebe geht durch den Magen – wer Gottes Liebe geschmeckt hat, der benötigt keine Blutopfer mehr.
Warum werden unsere Hände schweißig, wenn wir aufgeregt sind? In der Zeit, als unsere Vorfahren zur Flucht auf die Bäume klettern mussten, da war es von Vorteil, wenn die Hände schweißig wurden, weil man sich besser festhalten konnte. Wie der Körper noch diese uralten Reaktionen kennt, so auch unsere Seele. Ob wir es wollen oder nicht: Gott ging diesen Weg, den er Abraham verboten hatte, damit wir Frieden hätten. Damit wir als freie Menschen mit uns selbst, mit Menschen und mit Gott Frieden hätten.
Christen sind danach jedoch noch sehr oft schuldig geworden, indem auch unter ihrer Herrschaft Menschen getötet wurden. Interessanterweise hatte sich die Argumentation aber umgekehrt: Nicht Gott benötigte das Opfer, das Verbrennen der Ketzer und Hexen, sondern diese Menschen sollten durch das Feuer gereinigt werden, um später ins Paradies zu gelangen. Das macht die schlimmen Taten nicht besser – im Gegenteil. Denn wer denkt, er müsse Menschen opfern, damit sie Gnade finden bei Gott, macht Gott zum Teufel. Sie glauben in ihrem Wahn, sie müssten der Liebe Gottes nachhelfen. Sie sind Sklaven des Bösen.
Christen benötigen keine Opfer mehr – und werden heute selbst zu Opfern. Überall auf der Welt finden wir die Verfolgung von Christen: In islamischen und kommunistischen Ländern. Es wurde errechnet, dass weltweit alle paar Minuten ein Christ wegen seines Glaubens ermordet wird. Wie Gott sich den Christen aus Liebe hingegeben hat, geben viele Christen sich selbst aus Liebe hin. Das aber nicht nur in der Christenverfolgung, sondern auch im aufopferungsvollen Dienst. Viele Christen geben sich anderen Menschen hin, indem sie sie pflegen, indem sie keine Angst vor Ansteckungen haben. Denken wir an Elisabeth von Thüringen, denken wir an die vielen Christen, die sich in Afrika dem Dienst an den HIV- den Aids-Kranken verschrieben haben. Erst im letzten Jahr starb ein Priester an der schrecklichen Leprakrankheit, die er sich zugezogen hatte in seinem aufopferungsvollen Dienst an den Leprakranken. Der Dienst am anderen Menschen kann zu unserem freiwilligen Opfer werden. Christen opfern nicht mehr anderes, nicht mehr Tiere und Menschen, sondern geben sich häufig selbst in Liebe hin – und so denken wir gerade in diesen Tagen daran, dass vor einem Jahr ein pakistanischer Minister, der Christ war, wegen seines Glaubens ermordet wurde. Er wusste um die Gefahr und sagte: Ich kenne die Bedeutung des Kreuzes – und folge ihm. Weil Jesus Christus am Kreuz als Opfer gestorben ist, ist das Wort „Opfer“ kein Schimpfwort, sondern eine Ehre.
Aber Christen haben über all das Gesagte hinaus in ruhigeren Zeiten ein Mini-Opferersatz. Christen geben Geld als Opfer für andere. Haben Sie schon einmal daran gedacht, warum im Zusammenhang des Gottesdienstes Geld eingesammelt wird? Das Geld dient seit alters her als Opfer, das dafür verwendet wurde, anderen Menschen in der Gesellschaft zu helfen. Früher gab es keine Krankenkassen – und Christen finanzierten die Krankenhäuser, wie auch die Nahrungsmittelbeschaffung für Notleidende mit ihrem finanziellen Opfer. Die Geldgabe ist ein Opfer – aber nicht, um Gott gnädig zu stimmen, sondern aus Dankbarkeit dafür, dass Gott uns so große Liebe erwiesen hat – darum erweisen wir nun auch anderen Menschen unsere Liebe. Mit Geld. Aber wenn es sein muss – wie die Geschichte und unsere Zeit zeigt – auch mit dem Einsatz des Lebens. Warum? Weil wir Jesus Christus folgen, der uns durch sein Opfer Frieden mit Gott und uns selbst geschenkt hat. Und er schenkte uns Freiheit, den Grausamkeiten, dem, was Leiden verursacht, entgegenzustellen.
Wenn wir nun dieses Bild ansehen, das uns die Opferung Isaaks zeigt, dann sehen wir in diesem Bild das Leiden der Welt: Menschen und Mächte lechzen nach Opfer. Wir sehen Gottes Einsatz gegen das Leiden in der Welt, indem er sich selbst als Opfer in Jesus Christus schenkt. Wir sehen in dem Bild ein Bekenntnis zur Freiheit, zu einer Freiheit, die Gott uns schenkt. Und Christen können sich in der Nachfolge Jesu durch ihre Liebe hingeben, gar aufopfern. Können wir das auch? Wahrscheinlich kaum einer von uns. Aber wir können lernen, in den Spuren Jesu die große Liebe einzuüben.