1. Thessalonicher 4: Gott Freude bereiten

Meine Predigt hat heute zwei Teile. Der erste Teil besteht aus einer kurzen Darstellung von Moral in der Antike. Der zweite Teil besteht aus der eigentlichen Predigt. Warum diese Vorgehensweise? Wir verstehen manches in den Paulusbriefen erst, wenn wir wissen, wie es sonst in der Umwelt des Paulus aussah.

Der für den heutigen Sonntag vorgeschlagene Predigttext steht im 1. Brief des Paulus an die Thessalonicher:

 Um eins möchte ich euch noch bitten, liebe Brüder und Schwestern. Wir haben euch bereits gesagt, wie ihr leben sollt, damit Gott Freude an euch hat. Wir wissen auch, dass ihr unseren Anweisungen folgt. Doch nun bitten wir euch eindringlich im Namen unseres Herrn Jesus: Gebt euch mit dem Erreichten nicht zufrieden, sondern macht noch mehr Fortschritte! Ihr kennt ja die Gebote, die wir euch in seinem Auftrag gegeben haben. Gott will, dass ihr ganz und gar ihm gehört. Deshalb soll niemand unerlaubte sexuelle Beziehungen eingehen. Jeder soll mit seiner Ehefrau so zusammenleben, wie es Gott gefällt, und auf sie Rücksicht nehmen. Ungezügelte Leidenschaft ist ein Kennzeichen der Menschen, die Gott nicht kennen. Keiner von euch darf seinen Mitmenschen betrügen oder auf irgendeine Weise übervorteilen. Denn wir haben es euch bereits mit allem Nachdruck gesagt: Wer so etwas tut, wird in Gott einen unbestechlichen Richter finden. Gott hat uns nicht zu einem ausschweifenden Leben berufen, sondern wir sollen ihn mit unserem Leben ehren. Wer sich darüber hinwegsetzt, der verachtet nicht Menschen; er verachtet Gott, dessen Heiliger Geist in euch wohnt.

In der Antike gab es keine einheitlichen Moralvorstellungen. Es gab Menschen, die Moral einforderten, so beklagte Cato, dass die alte Moral sinke, der Kaiser Augustus wollte hier und da die Sexual-Moral stärken, die alten Philosophen Platon und Aristoteles dachten über Tugenden nach. Platon meinte, dass die guten Verhaltensweisen vorgegeben seien, Aristoteles meinte, Moral komme aus dem Menschen und müsse darum dem Menschen einsichtig sein. Philosophen der Stoa hatten eine weit entwickelte Moralvorstellung, hervorzuheben ist Seneca.

Das gab es alles. Doch die breite Masse der Bevölkerung verhielt sich so wie sie wollte. Mächtige Einzelne oder Gruppen hatten das Sagen. Normale Menschen waren anderen ausgeliefert. Entführungen, Kindesaussetzungen, Vergewaltigungen, Selbstjustiz – es kam wie es kam. Und auf einen Menschen mehr oder weniger kam es dann auch nicht mehr an. Sklaverei, Menschenverachtung – all das war gang und gäbe. Von fester Moral war nicht viel zu sehen.

Anders im Judentum. Juden hatten, wenn wir uns auf die 10 Gebote konzentrieren, eine hohe Moral: du sollst nicht töten, nicht ehebrechen, nicht den Besitz des Nächsten begehren, nicht rauben, nichts Falsches gegen den Nächsten sagen, Eltern achten – aber auch: An einem Tag nicht arbeiten, was Mensch und Tier schützte. Die hohe Moral der Juden führte dazu, dass sich manche Heiden dem Judentum angliederten, ohne allerdings selbst Juden zu werden.

Der Jude Jesus von Nazareth hat manche dieser Moralvorstellungen verschärft: Nicht den anderen beschimpfen, Frauen nicht begehrlich ansehen, den Nächsten und den Feind lieben, das heißt: ihnen wohltun, Menschen sollen sich auf das Wort, das man sagt, verlassen können, Notleidenden gilt es zu helfen über die Stammesgrenzen hinaus. Diese Moralvorstellungen wurden von Juden und Heiden aufgegriffen, die Christen genannt wurden.

Wissenschaft fragt sich, wie es dazu kommen konnte, dass das Christentum so schnell in der damaligen Welt Fuß fassen konnte. Es hat sich nicht mit Gewalt durchgesetzt, sondern war im Grunde eine Religion der Unterschichten und auch der Sklaven. Man geht davon aus, dass es unter anderem die hohe Moral war, die Menschen zum Nachdenken brachte: Bei uns Heiden geht es moralisch drunter und drüber, jeder macht was er will, erniedrigt und überhebt sich. Man kann sich auf niemanden verlassen, Geschäftspartner nicht auf den anderen, Ehepartner nicht aufeinander, Reiche leben auf Kosten der Armen, Ausbeutung, wohin man blickt. Hier kommt auf einmal eine Gruppe daher, die ganz andere Werte und ganz andere Moral lebt. Und viele empfanden das für die Gesellschaft und sich selbst als sehr gut.

So langsam hat sich dann im Mittelalter mit vielen Rückschlägen und kleinen Fortschritten diese hohe christliche Moral immer stärker in Europa durchgesetzt. Dazu haben vor allem die Mönche und Klöster beigetragen. Natürlich nicht überall. Wenn in einem Dorf oder in einem Kloster ein übler Mensch das Sagen hatte, dann verlodderte die ganze Gemeinschaft. Aber im Wesentlichen wurde es immer besser. Diese Moralvorstellungen wurden von Rittern übernommen (Rittertugenden), später von Bürgern (Bürgertugenden). Auch wenn sich immer wieder Individuen anders verhielten, es war doch Konsens, dass diese Verhaltensweisen gut sind für die Gesellschaft.

Im 19. Jahrhundert begann etwas Neues. Individuen haben sich nicht nur mit mehr oder weniger schlechtem Gewissen über die christliche Moralvorstellung hinweggesetzt, sondern Menschen traten auf, die diese öffentlich verspottet haben. Man machte sich über die Moralin gesäuerten Christen lustig, man begann kuriose Auswüchse als das Normale auf den Podest zu heben, um deren Moral zu karikieren. Es gab andere Lebensentwürfe, die sich von christlicher Moral vollkommen lösten und eben Gegenentwürfe anboten. Diese bestimmten das beginnende 20. Jahrhundert und wurde von großen Weltanschauungen (Nationalsozialismus, Kommunismus) aufgegriffen, aber auch von vielen Intellektuellen.

Nachdem die Human-Katastrophe des Nationalsozialismus in Deutschland vorbei war, besann man sich wieder auf christliche Werte, die dann Eingang ins Grundgesetz fanden.

Heute stellt sich die Situation wieder so dar wie Ende des 19. Jahrhunderts: Jeder macht sich seine eigene Moral, weiß aber insgeheim, ganz kantianisch, dass es nicht gut wäre, wenn das jeder so machen würde. Zudem hat der Mensch Sehnsucht nach bestimmten Werten, nach einer Moral, die Sicherheit vermittelt, die Vertrauen zwischen den Menschen stärkt, die Einzelne nicht anderen oder Gruppen ausliefern, Rücksichtnahme, Respekt wünscht man sich. Man möchte nicht von negativen Moralvorstellungen überrannt werden, sondern das, was sich im Laufe der Jahrhunderte mühsam an Gutem durchgesetzt hat, das wollen viele nicht aufs Spiel setzen, weil sie ahnen, das kann den nachkommenden Generationen nicht gut tun.

Wir leben in einer Übergangszeit: Was wird sich durchsetzen? Werden sich die jüdisch-christlichen Moralvorstellungen durchsetzen oder diejenigen, die Gegenentwürfe bieten? Was wird auf längere Sicht die Folge für den einzelnen Menschen und für die Gesellschaft als Ganze sein? Es ist im Augenblick ein riesen Sozial-Experiment im Gange. Ausgang offen.

Lied

Ich lese noch einmal den Predigttext:

Um eins möchte ich euch noch bitten, liebe Brüder und Schwestern. Wir haben euch bereits gesagt, wie ihr leben sollt, damit Gott Freude an euch hat. Wir wissen auch, dass ihr unseren Anweisungen folgt. Doch nun bitten wir euch eindringlich im Namen unseres Herrn Jesus: Gebt euch mit dem Erreichten nicht zufrieden, sondern macht noch mehr Fortschritte! Ihr kennt ja die Gebote, die wir euch in seinem Auftrag gegeben haben. Gott will, dass ihr ganz und gar ihm gehört. Deshalb soll niemand unerlaubte sexuelle Beziehungen eingehen. Jeder soll mit seiner Ehefrau so zusammenleben, wie es Gott gefällt, und auf sie Rücksicht nehmen. Ungezügelte Leidenschaft ist ein Kennzeichen der Menschen, die Gott nicht kennen. Keiner von euch darf seinen Mitmenschen betrügen oder auf irgendeine Weise übervorteilen. Denn wir haben es euch bereits mit allem Nachdruck gesagt: Wer so etwas tut, wird in Gott einen unbestechlichen Richter finden. Gott hat uns nicht zu einem ausschweifenden Leben berufen, sondern wir sollen ihn mit unserem Leben ehren. Wer sich darüber hinwegsetzt, der verachtet nicht Menschen; er verachtet Gott, dessen Heiliger Geist in euch wohnt.

Soweit der Predigttext.

So einfach ist der Maßstab unseres christlichen Verhaltens, unserer christlichen Moral: Lebt so, dass Ihr Gott Freude macht. Betrübt nicht Gott, der in seinem Heiligen Geist in Euch wohnt. Und werdet immer vollkommener darin, macht Fortschritte!

Und dann bringt Paulus, wie gehört, Beispiele, die das Sexualverhalten betreffen, im weiteren Textverlauf bringt er Beispiele dafür, dass man arbeiten soll, um nicht auf andere angewiesen zu sein. Paulus führt in all seinen Briefen immer wieder ganz konkrete Beispiele an, von denen er weiß, dass sie in der jeweiligen Gemeinde virulent sind und Spannungen verursachen. Wir können heute sagen: Ach, das ist für mein Leben wirklich nicht wichtig – was geht es mich an?

Aber Paulus spricht auch allgemeiner, wenn er so genannte Lasterkataloge anführt. So nennt Paulus zum Beispiel im Galaterbrief als Taten und Gesinnungen, die nicht zu einem Christen passen, weil eine solche Verhaltensweise Gott keine Freude macht:

Ausschweifendes Leben, Götzendienst, Zauberei, Feindschaften, Streit, Eifersucht, Jähzorn, Eigennutz, Spaltungen, Parteiungen, Neid und Missgunst, Trink- und Essgelage und ähnliches mehr.

Vielleicht erkennen wir uns hier in dem einen oder anderen wieder. Gott hat wenig Freude an asozialem Handeln der Menschen. Diese sind nicht nur gegen Menschen gerichtet, wie der Apostel schreibt, sondern sie sind auch gegen Gott selbst gerichtet. Wenn ich ein Streithansel bin – dann leiden andere Menschen darunter – dieses Verhalten richtet sich aber auch gegen Gott. Wenn ich eigensüchtig, egoistisch bin: Damit schade ich Menschen – aber damit mache ich auch Gott keine Freude. Wenn ich neidisch und missgünstig bin – damit drangsaliere ich andere – aber nicht nur, sondern ich betrübe den Geist Gottes, der in mir ist. So einfach ist der Maßstab christlicher Moral: Ich darf mich nicht so verhalten, dass ich anderen Menschen schade – und damit auch Gott keine Freude mache, ihn betrübe.

Christen verhalten sich anders als Nichtchristen. Denn wir können nicht mehr sagen: Ich will mich jetzt so verhalten wie ich es für richtig finde. Christen gehören Gott, und zwar, wie der Apostel Paulus formuliert: Ganz und gar. Sie sind „Heilige“. So redet er die Christen immer an: Jeder Christ ist ein „Heiliger“ jede Christin ist eine „Heilige“.

Wir sind es gewohnt, dass man sich darüber leicht lustig macht: Bin ich etwa ein Heiliger? – sagen wir, wenn wir ein Fehlverhalten entschuldigen wollen. Ja, wir sind Heilige – das heißt: Wir sind als Christen Menschen, die zu Gott gehören. Und als solche haben wir den Maßstab Gottes an uns anzulegen. Und als solche, die zu Gott gehören, sind Christen Gesandte Gottes, sie sind, wie Jesus sagt: Salz, das die Welt erhält, haltbar macht, und Licht, das die Welt erhellt und den Weg weist. Können wir das sein, wenn wir unser Verhalten nicht am Maßstab „Gott“ ausrichten?

Wir gehören ganz und gar Gott! Aber dennoch sind wir nicht vollkommen, wir können den Geist Gottes in uns, Gott in uns betrüben. Und darum werden auch Christen in Gott den Richter finden. Aber es ist kein kalter, Menschen verachtender Richter, der Spaß darin findet, andere zu erniedrigen und zu verurteilen, der seine Macht und Hoheit zur Schau stellt – es ist ein Richter, der uns zugewandt ist, menschlich ist, liebend. Und darum werden wir, wie Paulus in einem anderen Brief sagt: Wir werden gerettet im Gericht – aber wie durch das Feuer hindurch. Gott wird uns dann ganz deutlich sagen, was ihm keine Freude an unserem Leben bereitet hat, er wird uns deutlich machen, wie sehr wir ihn mit unserem Leben betrübt haben. Aber seine Liebe wird größer sein als seine Kritik. Aber damit Gott möglichst wenig an uns auszusetzen hat, sollen wir immer besser werden in unserem Verhalten, damit es Gott Freude bereitet, ihn nicht traurig macht und dem Menschen nicht schadet.

Wir gehören ganz und gar Gott – was für eine einmalige, wunderbare Zuweisung. Ich gehöre dem Schöpfer des Himmels und der Erde. Ich bin nicht ein denkender Zufallswurm in der Evolution. Ich bin Kind des Königs, bin wertvoll, bin geachtet, bin erhoben! Und so kann ich mich auch verhalten, wie es sich für ein Kind Gottes gehört.

So bleibt es unsere Lebensaufgabe, uns immer zu fragen: Bereiten wir Gott eine Freude mit unserem Verhalten oder betrüben wir ihn?