Glaubende sind sehr reich (Markus 8)

Der Predigttext steht im Markusevangelium im 8. Kapitel:

Und Jesus fing an, seine Jünger zu belehren: Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen. Und er redete das Wort frei und offen. Und Petrus nahm ihn beiseite und fing an, ihm zu wehren. Er aber wandte sich um, sah seine Jünger an und bedrohte Petrus und sprach: Geh weg von mir, Satan! Denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.

Und er rief zu sich das Volk samt seinen Jüngern und sprach zu ihnen: Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.

Denn wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird’s erhalten. Denn was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme an seiner Seele Schaden? Denn was kann der Mensch geben, womit er seine Seele auslöse?

Wer sich aber meiner und meiner Worte schämt unter diesem abtrünnigen und sündigen Geschlecht, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln.

Soweit der Predigttext. Der Titel eines Buches heißt: „Ich habe dir nie einen Rosengarten versprochen“ – Jesus verspricht denen, die ihm folgen, keinen Rosengarten – im Gegenteil: Er verspricht ihnen Dornen. Aber erst einmal geht es nicht um die Jünger, die ihm nachfolgen, sondern um Jesus selbst: Jesus geht den Weg des Leidens – er muss ihn gehen. Und das ist unvorstellbar. Der Mensch, der so eng zu Gott gehört wie sonst kein Mensch auf der Erde – der Mensch, der andere Menschen so liebt wie kein Mensch sonst auf der Erde – der Mensch, der nicht nur mit Worten liebt, sondern auch mit Taten und mit Worten, mit Worten, die Menschen aufrichten, die kraftvoll sind und Mut machen – dieser Mensch soll den Leidensweg gehen? Das kann doch nicht Gottes Weg sein! Da denken wir immer noch wie Petrus: „Nein, das kann einfach nicht Gottes Weg sein. Gott liebt, Gott muss schützen, Gott muss bewahren, Gott muss seine Engel schicken, dass sie ihn verteidigen – Gott muss das alles ganz einfach tun, sonst wäre er doch nicht Gott, sonst wäre er nicht stark, kräftig, nicht liebevoll zu den Seinen!“ Ja, so denken wir landauf, landab – und du, lieber Petrus, sagst deutlich, was wir denken.

Doch was sagt Jesus? Das, was du denkst, das ist nicht der Wille Gottes! Das ist der Weg Satans. Satan lässt nicht nur so denken, sondern er verwirrt uns auch auf diesem Weg! Wenn wir denken, dass Gott uns immer bewahren müsste, und uns dann Schlimmes, Dunkles passiert, dann sind wir verwirrt; dann verstehen wir Gott nicht mehr, dann fragen wir ihn: „Warum – warum hilfst du uns nicht, Gott, wir gehören doch dir, wir loben und lieben dich – und dennoch führst du uns diesen Weg?“ Dieses an Gott Irre werden, das ist menschlich – oder hier in der Sprache Jesu: das ist das Handeln Satans, des Verwirrers, der Menschen durcheinander bringen und von Gott abbringen will.

Und das ist das einmalig Neue in der Religionsgeschichte, das uns hier begegnet: Das Leiden, das Jesus erleiden muss, widerspricht nicht dem Weg und Willen Gottes, im Gegenteil – es ist im Wille Gottes eingebettet! Bisher dachte die Menschheit immer wie Petrus: „Kommt Leiden – dann ist Gott weg.“ Und was haben Menschen nicht alles gemacht, dass Gott und Götter ihnen wieder gut und gnädig sind. Sie haben geopfert in Massen, sie haben gebetet, was es nur zu beten gab, sie haben sehr, sehr viele Unterwerfungsriten erdacht, um Gott und die Götter zum Mitleid zu bewegen. Zaubersprüche haben sie erdacht, um mit magischen Worten die Götter und Gott zu zwingen. Manche haben sich auch von Gott abgewendet und gesagt: „Es kann doch kein Gott sein, wenn ich und andere leiden müssen!“ Ja, so denken und handeln wir verwirrte Menschen. Aber Jesus denkt so nicht. Er wird an Gott nicht irre. Er wird an Gott nicht irre, weil er Gottes Sohn ist, weil er weiß, wie Gott tickt, was Gott denkt und will. Darum weiß Jesus: „Ich muss den bitteren Kelch des Leidens trinken, den Kelch des Spotts, des Hohns, den Kelch, der alle an mir und Gott irre werden lässt – ich muss den Weg des Todes gehen.“ Hart sagt er das seinem Jünger – sehr hart. Auch Jesus war Mensch, der nur allzu gern einen anderen Weg gegangen wäre – doch dieser Leidensweg ist der Weg, den Gott mit ihm gehen wollte.

Und nachdem Jesus das seinem Jünger Petrus brüsk mitgeteilt hatte, befahl er: „Petrus, geh hinter mich her! Du bist es nicht, der voran geht – du musst hinterher gehen!“ Jünger Gottes gehen hinterher – und da haben sie keine Möglichkeit, Einspruch zu erheben. Und es folgt eine Belehrung – eine Belehrung, die den Jüngern zu allen Zeiten Hören und Sehen vergehen lässt:      

Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.

Denn wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird’s erhalten. Denn was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme an seiner Seele Schaden? Denn was kann der Mensch geben, womit er seine Seele auslöse?

Wer sich aber meiner und meiner Worte schämt unter diesem abtrünnigen und sündigen Geschlecht, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln.

Das kann doch nicht wahr sein? Wir gehören doch zu Gott, dem Herrscher des Himmels und der Erde, zu Gott, dem Schöpfer – und dann das? Wir sollen das Kreuz auf uns nehmen? Wir sollen das Holz der Schmach tragen? Wer dieses Holz im Leben zu tragen bekommt, der wird verspottet: „Er gehört doch zu Gott – warum hilft er ihm nicht?“ Wer dieses Holz im Leben zu tragen hat, fällt auch seinen eigenen Gedanken zum Opfer: „Lohnt es sich denn, Gott zu folgen, wenn er mir diese Last zu tragen auferlegt?“ Wer diese Last im Leben zu tragen hat, darunter zu zerbrechen scheint, der fragt sich: „Bin ich wirklich den Menschen ein Vorbild? Schrecke ich sie nicht eher von Gott ab? Sie denken doch alle, Gott muss den Seinen helfen – und dann das? Ich bin ein abschreckendes Beispiel!“ – Und wir möchten am liebsten Rufen: „Gott, nimm das Leben von mir!“ Doch Gott denkt anders. Ganz anders. Gerade der Mensch, der seine Lebenslasten zu tragen hat, der schier zu zerbrechen scheint, der als Kind Gottes Spott und Hohn ausgesetzt ist, der sich selbst und die Welt nicht versteht – gerade der wird geadelt: „Gerade du, Kind der Last, stehst in der Nachfolge; gerade du, Kind der Not, gewinnst deine Seele; gerade du, Kind der Angst und der Schmerzen, bist es, zu dem ich mich bekennen werde!“

Was für eine verrückte Welt. Da verlassen Menschen Gott wegen all des Leids in der Welt – und wegen des Leides, das sie selbst erleiden müssen – und sie verstehen nicht, dass gerade in diesem Leiden Gott so nah ist, so sehr nah ist wie niemand sonst. Aber weil sie in dem alten Denken der Menschheit stecken: „Wo Leiden ist – ist Gott weg!“ – weil sie in diesem alten Denken stecken, fühlen sie sich im Leiden so allein, so verlassen und einsam. Dabei haben wir doch gerade als Christen ein so wunderbares Symbol: das Kreuz. In diesem Symbol sehen wir: Gott und Leiden gehören zusammen, Leiden widerspricht nicht Gott. Im Leiden ist Gott uns nah, er ist im Leiden da – alle Welt kann es an unserem Symbol, dem Kreuz, sehen. Doch wir sind Traditionsblind. Wir wollen das nicht sehen, können das nicht sehen, weil der Verwirrer, weil Satan uns die Augen blendet, die Ohren verstopft, das Herz verhärtet. Darum ist Jesus so hart zu Petrus: „Satan hat von dir Besitz ergriffen, du kannst durch das Leiden hindurch Gott nicht sehen – aber schau! Geh hinter mir her, folge mir – denn wenn du das tust, dann hat auch dein kommendes Leiden eine ganz neue Qualität!“ Jesus hat das Leiden nicht geliebt, Jesus hat das Leiden bekämpft wo er nur konnte, er hat Kranke gesund gemacht, hat den Einsamen, den Verlorenen liebende Menschen gegeben; er hat Straßenkindern und erwachsenen Streunern Gemeinde, Heimat, Nähe geschenkt; er hat Menschen, die unter ihrer Sünde litten, die Schuld vergeben, sie angenommen; er hat Wege gewiesen, wie Menschen aus dem Leiden herauskommen können – durch Liebe. Jesus war kein Masochist, der das Leiden gesucht hat. Nein, er hat es bekämpft, im Auftrag Gottes und hat als Sohn Gottes bekämpft, aber er hat dem Leiden auch ein neuen Stellenwert gegeben: „Lass nicht zu, dass das Leiden dich von Gott wegbringt; lass nicht zu, dass der Satan dich durch dein Leiden verwirrt, verblendet, Ohren verstopft, das Herz verhärtet, sondern folge mir nach, geh mit mir, bekenne dich zu mir – und dann wirst du in meinem Namen handeln, die frohe Botschaft anderen weitergeben und ihnen helfen, Lasten zu tragen. Und dann werde ich mich zu dir bekennen, weil du dich nicht hast abbringen lassen vom Weg. Wie Petrus magst du verwirrt worden sein, aber wenn du dich wieder besinnst, wenn du dich zu mir wieder durchgerungen hast, wenn du wieder hinter mir hergehst, dann werde ich mich mit meinen Engeln ewig zu dir bekennen.

Wenn wir dieses Versprechen hören, dass wir Dornen bekommen, warum wollen wir dann noch Jesus folgen? Ganz einfach: Weil er unser Alles ist. Was ist er? Er ist unser Alles. Was meine ich damit? Leiden gehört vielfach zum Leben dazu. Manchen geht es besser, manchen schlechter – aber kaum ein Mensch bleibt vom Leiden verschont, von Phasen des Leidens. Von vielen wissen wir es gar nicht, weil sie es mit sich selbst ausmachen, weil sie selbst die Enttäuschungen zu überwinden suchen, mit sich selbst an den Lebensrätseln herumknabbern; sie scheinen hart zu sein, oder ihnen scheint es besser zu gehen – aber jeder hat seine Lasten zu tragen. Wir Glaubende können sie mit Jesus tragen. Wir müssen uns durch das Leiden nicht über die Maßen verwirren lassen.

Und das ist das sind unsere fünf wunderbaren Lastenträger:

(1) Wir können uns in unserem Leiden Jesus Christus, der uns liebt, anvertrauen.

(2) Wir haben Gott in Jesus Christus, mit dem wir in unserem Leiden sprechen können, dem wir  klagen können und fragen können: Warum, wozu? Und dem wir für so viel danken können.

(3) Gott in Jesus Christus ist uns nah, auch dann, wenn wir ihn vielleicht nicht spüren, aber wir dürfen uns seine Nähe zusagen lassen.

(4) Wir können im Leiden auch immer wieder kleine Momente der Freude schenken lassen: Wir haben unsere Freude nicht in uns selbst oder finden sie nicht in den materiellen Dingen – sondern in Gott, der uns liebt.

(5) Wir müssen uns nicht vom Leiden bestimmen lassen, sondern wir dürfen den Blick zu Gott hinwenden, der uns seine Hand reicht, von seiner Kraft gibt, uns mit Segen und Liebe wieder stärkt, aufrichtet, mutig macht und Hoffnung schenkt.

Wir Glaubenden haben so sehr viel, Dinge, die Menschen, die sich durch das Leiden verwirren lassen, nicht haben. Und so dürfen wir dankbar sein, unendlich dankbar sein, wenn wir in unserem Leiden auf das Kreuz schauen – weil wir dann sehen: Wir sind nicht allein. Das Kreuz ist leer, damit derjenige, der daran hing, bei uns sein kann. Weil derjenige, der geschrieen hat: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen!“, unseren Schrei nimmt und sich wie ein schützender Mantel um uns legt. Er nimmt uns zu sich – in Ewigkeit.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.