Auf dem Lebensweg zu Gott (Hebräer 13)

(Eine aufgrund des Corona-Virus nicht gehaltene Predigt, da Gottesdienste abgesagt wurden.)

Der für den heutigen Sonntag Judica vorgeschlagene Predigttext steht im Hebräerbrief im 13. Kapitel:

Darum hat auch Jesus, damit er das Volk heilige durch sein eigenes Blut, gelitten draußen vor dem Tor. So lasst uns nun zu ihm hinausgehen vor das Lager und seine Schmach tragen. Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.

Soweit der Predigttext.

Jeder Mensch ist auf seinem Lebensweg:

  • Manche Menschen stellen sich ihren Lebensweg so vor: Man geht seinen Weg durch Auf und Ab von Glück und Leid hinein in den Tod, in die Auflösung, in das Nichts.
  • Manche Menschen stellen sich ihren Lebensweg so vor: Man geht seinen Weg durch Auf und Ab von Glück und Leid, hin zur Heimat, zur Vollendung, zu Gott.

Christen sehen ihren Weg als Weg zu Gott. Sie sind auf dem Weg zur künftigen Stadt Gottes, wie es unser Text ausspricht. Wunderschön märchenhaft beschreibt der Apokalyptiker Johannes in seiner Offenbarung diese künftige Stadt, in der Wasserreichtum und viel grün herrschen und die aus Edelsteinen besteht. Im Johannesevangelium sagt uns der Herr Jesus, dass er uns eine Wohnung bei Gott vorbereiten wird; im Markusevangelium heißt es, dass Jesus mit uns am Tisch sitzen wird und man in fröhlicher Gemeinschaft Mahlzeiten einnehmen wird, ganz wie zu Zeiten Jesu, als er unter den Menschen auf der Erde war. Der Apostel Paulus sieht die Zukunft bei Gott darin, dass wir Menschen neu eingekleidet werden mit einem herrlichen Gewand. Er ruft begeistert aus: Unsere Heimat ist im Himmel!

Das sind alles Bilder, Metaphern dafür, dass Gott uns Heimat bieten wird, wir werden nach dem Sterben bei ihm sein, werden in der Herrlichkeit Gottes vollendet werden. Es gibt für Christen einen Ort der Vollendung, des Glücks, der Geborgenheit: Gott selbst – die Stadt Gottes.

Manche Menschen glauben an das Vergehen, das Nichts. Das müssen wir jetzt nicht beschreiben. Das steht uns allen vor Augen. Das liegt uns Menschen nahe: Wir bestatten den Menschen und er vergeht, vergeht, wie ein Psalmdichter sagt: wie eine verdorrte Blume – sie ist bald nicht mehr zu sehen.

Wer hat Recht? Meistens hört man: Es ist eh noch keiner wiedergekommen – also weiß man von nichts. Manche werfen ein, doch, es gibt Menschen, die Nahtod-Erfahrungen haben und von diesem Augenblick ihr Leben vollkommen ändern, weil sie wissen, es geht weiter. Wie dem auch alles sei: Christen haben einen anderen Anhaltspunkt: Jesus Christus. Er wurde hingerichtet, starb, wurde begraben – und Gott hat ihn wieder auferweckt. Er wusste es und hat uns versprochen, die Menschen, die ihm folgen, nach dem Sterben zu sich, dem Lebendigen, zu holen.

Ist das wahrscheinlich? Ist das plausibel? Stellen wir uns vor, was die Wissenschaft uns sagt: Es war alles Nichts. Nichts war. Pures, pures Nichts. Dann auf einmal war etwas. Das Etwas wurde Materie. Die chaotische Materie formte sich unvorstellbar für unseren kleinen Verstand – zu einem ordentlichen Etwas, zu Galaxien, Sternen, Planeten. Und dann geschah – zumindest auf unserem Planeten können wir es beweisen – ein unaussprechliches Wunder: Materie beginnt zu leben, zu denken, zu fühlen, zu lieben. Eine kleine Samenzelle trifft eine kleine Eizelle – und das Wunder menschlichen Lebens beginnt. Kann es all das geben? Nein. Wenn wir es nicht selbst wären, wenn wir es nicht täglich erleben und spüren und im Spiegel sehen würden, würden wir all diese Wunder nicht glauben. Das ist unglaublich, dass aus Nichts etwas Liebendes entsteht.

Das ist undenkbar. Für Christen ist es auch undenkbar – aber es ist das große Wunder Gottes: Er hat in seiner Liebe dieses Universum und solche Lebewesen wie uns erschaffen – und so wird er uns auch nach dem Sterben aus dem Tod ins Leben holen, wird uns neu erschaffen. Das ist Teil des Schöpfungsplanes unseres Gottes: unsere erneuerte Seele und unseren neu erschaffenen Leib in sich selbst zusammenzuführen. Es ist sein unvorstellbarer Liebesplan, uns nicht der Verwesung zu überlassen. Auf dieses Leben in Gott, auf diese Vollendung durch Gott gehen Christen zu. Ihr Lebensweg endet nicht im Vergehen, im Nichts. Ihr Leben findet Erfüllung in der wunderbaren Herrlichkeit Gottes.

Es gibt unterschiedliche theologisch-philosophische Gottesbeweise. Einer davon sagt aus, dass der Mensch Sehnsucht hat nach vollkommenem Glück; Sehnsucht, nach vollkommener Erfüllung. Er will über sich hinauswachsen – in den Himmel hinein. Der Mensch ist jedoch einer, der das selbst erreichen will, Gott-los, ganz eifrig schafft und rafft er, um dieses Glück zu erlangen. Auf dem Weg zu diesem ersehnten Glück mordet er, raubt er, erniedrigt und missbraucht er Menschen, geht über Leichen, lügt und betrügt. Er sucht es im Kauf- und Liebesrausch, im Rausch der Hobbys und des Denkens, der Drogen und dem optimistischen Selbstbetrug. Er versucht es natürlich auch auf freundliche Art und Weise, fürsorglich, ermunternd, einander helfend – doch dann bricht wieder der Dämon in ihm durch und er zerstört das, was er aufgebaut hat. Aber eines bleibt: Diese Sehnsucht nach Glück, diese Sehnsucht nach vollkommener Erfüllung. Und das ist der so genannte Gottesbeweis: Gott hat als Schöpfer des Menschen dem Menschen diese Sehnsucht ins Herz gelegt. Es ist im Grunde die Sehnsucht nach Gott, die der Mensch missversteht und darum im Irdischen Erfüllung sucht. Er sucht die künftige Stadt, die Wohnung bei Gott, die Heimat in Gott – und bleibt in sich selbst und seiner kleinen Welt stecken. das ist das große Drama, die Tragödie des Menschen: Er weiß es besser – doch wendet er sich vom herrlichen Gott ab, um Besseres in seiner Vergänglichkeit zu finden.

Der Philosoph Nietzsche geht mit den Christen hart ins Gericht. Zum Teil zu Recht, und zwar dann, wenn er sieht, dass Christen von der himmlischen Heimat reden, aber für die irdische Heimat nichts tun. Nietzsche hatte jedoch anderes im Sinn, ganz im Sinne des Gott-losen Menschen: Er stellte sich selbst als Jesus Christus dar, er suchte die Selbstvollendung des Menschen. Aber darin hat er recht:

„Ich beschwöre euch, meine Brüder, bleibt der Erde treu und glaubt Denen nicht, welche euch von überirdischen Hoffnungen reden! Giftmischer sind es, ob sie es wissen oder nicht. Verächter des Lebens sind es, Absterbende und selber Vergiftete, deren die Erde müde ist: so mögen sie dahinfahren!“

Er muss Christen als Verächter des Lebens, als Giftmischer, als Absterbende und Vergiftete darstellen, denn er will sich ja selbst ganz groß machen. Aber wenn Christen nicht den anderen sehen, wenn sie nur auf ihr eigenes ewiges Glück hinstreben, sich ganz egoistisch nur selbst im Blick haben, ihr eigenes Eingehen ins Nirwana erträumen, ihre Lebenslust auf den Altar stellen, ohne den anderen Menschen zu beachten, dann sind sie das, was Nietzsche ihnen vorwirft: Giftmischer, Absterbende, Vergiftete.

Dem Predigttext, der von der kommenden Stadt Gottes spricht, geht jedoch etwas voran: Glaubende gehen vor die irdische Stadt. Sie gehen zu dem hingerichteten, verspotteten, gefolterten Jesus Christus. Indem sie draußen vor der Stadt sind, ausgeschlossen von den anderen, vertrieben und verjagt, verspottet – wie es Christen vielfach seit 2000 Jahren erfahren haben – sehen sie die Menschen, die aus der Stadt vertrieben worden sind, verjagt, verspottet, beworfen mit Steinen, einsam in ihrem Dahinvegetieren.

Es ist uns nicht erlaubt, Richter über vorangegangene Glaubensgenerationen zu sein. Aber es gab unzählige, die in ihrer jeweiligen Zeit, mit denen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln, diesen Menschen vor der Stadt geholfen haben, weil sie in ihnen den gefolterten, den leidenden Jesus Christus sahen. Wir kennen die Namen vieler, die sich unchristlich verhalten haben – kennen aber nur die Namen weniger, die sich wahrhaft christlich verhalten haben, indem sie hinausgegangen sind vor die Stadt, zu Jesus Christus, zu seinen notleidenden Brüdern und Schwestern. Aber diese Spur des Lichts, die sie hinterlassen haben, kann die Finsternis nicht verschlingen. Jedoch nicht die vergangenen Christen sind das Thema – wir sind das Thema. Wir Glaubenden heute.

Es gab einmal eine Reklame, ich weiß nicht mehr genau wofür, kann aber sein, dass es für ein Waschmittel war. Die Welt war schwarz-weiß. Durch diese schwarz-weiße Welt ging eine Frau mit einem bunten mit Blumen eingewebtem Kleid. Wo sie entlang ging, wurde die schwarz-weiße Welt bunt. So stelle ich mir ein gelingendes Christen-Leben vor: Wo Glaubende entlang gehen, verändert sich die Welt:

  • Menschen beginnen, sich zu freuen, ihr Gesicht hellt auf, die Sorgenfalten glätten sich, sie hören gute, hilfreiche Worte.
  • Menschen beginnen dankbar zu werden, dankbar darum, weil sie alles aus Gottes Hand nehmen lernen, weil sie die wohltuende Hand von Glaubenden spüren, die sie stärkt und aufrichtet.
  • Menschen beginnen, andere Menschen mit Gottes Augen sehen zu lernen, öffnen sich ihnen und helfen ihnen auf dem schweren Lebensweg so gut sie können im Geist Gottes.
  • Menschen beginnen, die ewige Stadt Gottes, ihre Heimat schon auf der Erde widerzuspiegeln – sie hinterlassen eine Lichtspur in der Menschheit und in der Natur.

Dafür hat der Herr Jesus Christus damals auf der Erde gewirkt, draußen vor der Stadt. Dafür wirkt er als Auferstandener mit seinem Geist heute durch uns. Durch mich. Durch Dich.

Amen