Freudenbotin – Freudenboten (Römerbrief 10,9-17) (2)

Der für den heutigen Sonntag vorgeschriebene Predigttext steht im Brief des Apostels Paulus an die Römer im 10. Kapitel. Es ist der große Abschnitt, in dem er grundsätzliche Fragen zum Verhältnis von Juden und Christen, von Israel und der Kirche klärt. In diesem Abschnitt finden wir die folgenden Verse, die ich gleich lesen werde.

Vorher habe ich aber noch eine Frage an Sie:

Was muss eigentlich ein Christ tun, damit er in diesem und in dem Leben nach dem Sterben Christus nahe kommt? Jedem und jeder von uns wird sicherlich so manches einfallen. Vermute ich richtig, dass manche von Ihnen denken: Man muss ein guter Mensch sein!? Oder denken: Man muss beten und in der Bibel lesen!? Oder denken: Man muss getauft sein, das Abendmahl zu sich nehmen!? Oder denken: Man muss in der Gemeinde tätig sein!?

Was sagt Paulus dazu? Ich lese den Predigttext.

… die Gerechtigkeit aus dem Glauben spricht so: »Sprich nicht in deinem Herzen: Wer will hinauf gen Himmel fahren?« – nämlich um Christus herab zu holen -, oder: »Wer will hinab in die Tiefe fahren?« – nämlich um Christus von den Toten heraufzuholen -, sondern was sagt sie? »Das Wort ist dir nahe, in deinem Munde und in deinem Herzen.« Dies ist das Wort vom Glauben, das wir predigen.

Denn wenn du mit deinem Munde bekennst, dass Jesus der Herr ist, und in deinem Herzen glaubst, dass ihn Gott von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet. Denn wenn man von Herzen glaubt, so wird man gerecht; und wenn man mit dem Munde bekennt, so wird man gerettet.

Denn die Schrift spricht: »Wer an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden.« Es ist hier kein Unterschied zwischen Juden und Griechen; es ist über alle derselbe Herr, reich für alle, die ihn anrufen. Denn »wer den Namen des Herrn anrufen wird, soll gerettet werden«.

Wie sollen sie aber den anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie aber an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie aber hören ohne Prediger? Wie sollen sie aber predigen, wenn sie nicht gesandt werden? Wie denn geschrieben steht: »Wie lieblich sind die Füße der Freudenboten, die das Gute verkündigen!« Aber nicht alle sind dem Evangelium gehorsam. Denn Jesaja spricht: »Herr, wer glaubt unserm Predigen?« So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Christi. Ich frage aber: Haben sie es nicht gehört? Doch, es ist ja »in alle Lande ausgegangen ihr Schall und ihr Wort bis an die Enden der Welt«.

Soweit der Predigttext.

Haben Sie die Antwort auf meine Frage von Paulus gehört?

Was muss eigentlich ein Christ tun, damit er in diesem und in dem Leben nach dem Sterben Christus nahe kommt?

Wenn du mit deinem Munde bekennst, dass Jesus der Herr ist, und in deinem Herzen glaubst, dass ihn Gott von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet. Denn wenn man von Herzen glaubt, so wird man gerecht; und wenn man mit dem Munde bekennt, so wird man gerettet.

Mehr nicht: Nur das ist nötig:

Von Herzen glauben, dass Gott Jesus von den Tote auferweckt hat und mit dem Mund diesen Glauben bekennen. Wie können wir das? Ganz einfach: Das Wort Gottes ist deinem Herzen und deinem Mund nahe. Wie ist es nahe? Durch die Predigt.

Worte können einem ganz nahe kommen. Denken wir an unwirsche Worte die ein Mensch zu uns spricht, ungerechte, tadelnde Worte – was geschieht? Sie sind uns ganz nah. So nah, dass sie uns Tag und Nacht beschäftigen können. Immer wieder wälzen wir sie hin und her, reagieren in unseren Gedanken böse drauf, sinnen uns aus, wie wir reagiert hätten, wenn wir nicht auf den Mund gefallen oder erschrocken oder ängstlich gewesen wären. Solche Worte kommen uns ganz nah, ärgerlich nah.

Dann kommen uns aber auch schöne, gute Worte ganz nah. Wenn uns ein Mensch freundliche Worte zuspricht, wenn er uns lobt, wenn er tröstende Worte zur rechten Zeit sagt – dann fühle ich mich leicht, beschwingt, die Seele ist fröhlich, alles geht leichter von der Hand, der schwerfällige Fuß könnte fast hüpfen.

Worte können uns im Bösen und Guten ganz nah kommen.

Paulus kennt das. Paulus kennt das von Gottes Wort. Auch dieses Wort kann uns ganz nahe kommen – denn das Wort Gottes bringt nicht nur Leichtigkeit, Fröhlichkeit, Trost – es bringt Gott selbst in unser Herz und Sinn. Wir wollen am liebsten in den Himmel fahren, um Gott herunter zu holen! Wir rufen: Gott, komm in unser Leiden, Gott, komm uns nah, Gott, wie kannst du das zulassen – ich will hinauf kommen zu dir, schauen, ob der Himmel leer ist, ob es dich überhaupt gibt, und ich will mit dir reden! Gott: Warum, warum mir das? Warum meinen Lieben das? Warum den Menschen das? Wir wollen am liebsten Gott in den tiefsten Tiefen suchen, sei es in den tiefsten Tiefen von uns selbst, den tiefsten Tiefen unserer Seele. Wir suchen Gott in uns wie Freud, der Psychologe, wie die Hirnforscher, sie suchen Gott im Menschen, manchmal glauben sie, ihn gefangen zu haben, doch dann entwischt Gott ihnen wieder. Wir Menschen möchten uns ganz viel Mühe mit Gott geben – hinauf fahren in den Himmel – und in die tiefsten Tiefen gleiten. Doch Gott erreichen wir nicht. Warum nicht? Weil Gott uns in seinem Wort schon unserem Herzen ganz nah ist. Er ist da, er ist greifbar!

Doch stelle ich mir die Frage: Warum kann ich ihn nicht greifen? Warum sehe ich nicht, dass er nahe ist, spür ihn nicht? Das liegt daran, dass wir Menschen sehr beschränkt sind. Wir sind nur auf uns konzentriert. Was sagt mir mein Auge? „Ich“ – was ich sehe – das sehe „Ich“. Was ich höre, das höre ich. Was ich spüre, das spüre ich. Ich, ich, ich – ich bin für mich der Mittelpunkt der Welt. Was ich denke, das ist: Ich. Meine Gedanken kreisen um mich. Alles ist, so sagen es mir meine Sinne, alles ist für mich da. Ich kann nur „Ich“ denken. Und wenn ich an andere Menschen denke, dann bin ich es, der sich die Menschen zurechtdenkt, zurechtlegt, zurechtbesinnt, zurechtschneidert. Mehr können wir nicht sehen, nicht erkennen, als uns selbst im anderen. Und dann unsere Sprache. Was sagt uns unsere Sprache? Das Notwendigste. Sie weiß was Nahrungsmittel sind – weil ich von ihnen lebe. Sie weiß zu deuten, was für den Alltag wichtig ist, weil es mir wichtig ist. Mehr kann sie nicht. Ich bin mir immer der Nächste, auch dann, wenn ich mich scheinbar um den anderen kümmere.

Und weil ich mir der Nächste bin, weil ich im Mittelpunkt der Welt stehe, darum kann ich Gott, der neben und in meinem Herzen ist, der neben und in meinem Mund ruht, nicht erkennen. Ich muss erst Gott sehen lernen, ihn hören lernen, ihn fühlen lernen – und dieses ermöglicht das Wort Gottes. Gottes Wort bringt mir Gott nahe. Dann lerne ich auf einmal die Welt mit Gottes Augen sehen, ich höre die Welt mit Gottes Ohren, ich denke Gottes Gedanken. Freilich, wir sind nur Menschen – aber ein ganz klein wenig lernen wir, das zu tun.

Wir können Gott nicht sehen, weil wir nur uns selbst sehen, den eigenen Erwartungen nachgehen. Kommt das Wort Gottes zu uns, lernen wir ganz neu sehen. Gott kommt oft im Unerwartetem nahe. So auch in seinem Wort. Wie das? Paulus spricht von Jesus Christus. Wenn Menschen das Wort von Jesus Christus wirklich hören, dann kommt er ganz nah.

Wer war eigentlich Jesus? Er hat Menschen angenommen, ihnen vergeben, sie geheilt, sie getröstet und gestärkt, ihnen Leben geschenkt, ewiges Leben. Und wenn uns Jesus in Gottes Wort ganz nahe kommt – was passiert dann? Eben dasselbe.

Da sagen wir uns: Du hörst diese Worte. Aber es fehlt noch der Gottesfunke, er ist nicht in mein Herz gesprungen, du bist noch traurig, fassungslos, niedergedrückt. Schau nicht darauf. Höre nicht darauf, sondern spüre, wie Gott deinem Herzen ganz nah ist, wie dich langsam Kraft und Stärke, Mut und Trost ergreifen. Die Zuversicht wohnt in deinem Herz, die Hoffnung trotzt den Widrigkeiten, die Angst verebbt in Gottes großer Liebe. Der lebendige Jesus Christus wird auch in mir als lebendig wahrgenommen. Ich weiß, dass das Leben nicht leicht sein wird, weil es nicht leicht ist, aber ich beginne zu ahnen, dass es in Gott seine große Liebe und Geborgenheit findet, ich erinnere mich daran, dass er mit mir ist, mich leitet, mich aufrichtet. Politische Widrigkeiten und Zukunftsängste, selbst niederwerfende Krankheit und der Tod können uns nicht erbärmlich niederdrücken, weil der lebendige Jesus Christus in uns lebendig ist, uns rettet.

Und dann, wenn ich das ahne, immer besser erkenne und bekenne, dass der lebendige Jesus Christus in mir Leben wirken möchte, dann werde auch ich aus lauter Freude darüber zur Freudenbotin, zum Freudenboten. Zum Boten und zur Botin, die in Gottes Kraft Freude lebt und Freude bringt.