Der für den heutigen Weihnachtstag vorgeschlagene Predigttext steht im Johannesevangelium im 3. Kapitel, die Verse 31-36:
Der von oben her kommt, ist über allen.
Wer von der Erde ist,
der ist von der Erde und redet von der Erde.
Der vom Himmel kommt,
der ist über allen und bezeugt, was er gesehen und gehört hat.
Und sein Zeugnis nimmt niemand an.
Wer es aber annimmt, der besiegelt, dass Gott wahrhaftig ist.
Denn der, den Gott gesandt hat, redet Gottes Worte;
Denn Gott gibt den Geist ohne Maß.
Der Vater hat den Sohn lieb und hat ihm alles in seine Hand gegeben.
Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben.
Wer aber dem Sohn nicht gehorsam ist, der wird das Leben nicht sehen,
sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm.
Soweit der Predigttext.
Das ist ein komplizierter Predigttext – und das am Weihnachtstag. Kein Kind liegt in der Krippe, kein Stern weist den Königen den Weg zum Stall, kein Engel weist den Hirten den Weg zum Kind und kein Engelheer singt am Himmel im himmlischen Licht. Ochs und Esel sind nicht da, selbst die singende Maria und der still betrachtende Josef – alles Gewohnte ist weg.
Doch ist das der Weihnachtstext. Nur mit anderen Worten ausgesprochen: Wir Menschen verstehen nichts von dem, was in der Heiligen Nacht geschehen ist. Wir verstehen nicht, was es wirklich mit der Krippe und dem Jesus-Kind auf sich hat. Wir verstehen nicht, weil wir nur das kapieren, was für uns Menschen gewohnt ist. Nur das können wir begreifen, was wir auch auf der Erde im Alltag kennenlernen. Das haben wir mit den Tieren gemeinsam: Ein Delphin ist sehr klug – aber nur in seinem Element. Ein Affe, ein Elephant sind sehr klug – aber auch nur in ihrer Umgebung. Dinge, die Gott betreffen und von Gott kommen, die sind uns fremd. Es muss jemand von Gott selbst kommen, von Außen, der uns zeigt, wer Gott ist, was er will. Nur so können wir erfahren, was es mit Gott auf sich hat. Und dieses Kind, das in der Krippe liegt, das gekommen ist, ist der Sohn Gottes. Das verstehen wir nicht: Dieses Kind ist der Sohn Gottes, es wird vom himmlischen Vater geliebt, dieser Mensch Jesus Christus herrscht über die Welt, er gibt Leben, ewiges Leben. Aber selbst dann, wenn wir das wissen sollten, hilft es uns nicht, wenn wir Menschen Gott nicht gehorsam sind. Der schönste Weihnachtstext, die schönste Weihnachtsstimmung hilft nicht zum ewigen Leben – dazu hilft nur: dem Sohn Gottes gehorsam zu sein.
Es muss jemand von Gott selbst kommen, Gott selbst muss kommen damit wir Menschen ihn erkennen?
Menschen haben viele Gottesvorstellungen. Wie viele, viele Religionen und religiöse Strömungen gibt es. Es gibt Götter für die Völker, ein Inder ist Hindu, ein Hindu ist Inder, lautet die Parole. Vor kurzem war im Fernsehen zu hören: Ein Türke ist Moslem – sonst ist er kein Türke. Vor hundert Jahren konnten wir in Deutschland hören: Ein deutscher ist arischer Christ – sonst ist er kein Deutscher. Es gibt zornige Götter, die man mit Opfer besänftigen muss. Diese Götter sind Abbilder eines schweren Lebens, das Menschen führen müssen. Es gibt eine alles durchwehende liebe göttliche Macht. Diese Vorstellung ist Abbild eines Luxuslebens, das Schlimme möchte man beiseite drängen, Göttliches ist nur freundlich, wohlfühlig, angenehm. Es gibt grausame Götter, in deren Namen Menschen andere Menschen unterwerfen und zertreten. Es gibt soviel Götter wie Menschen. Doch all diese Menschen mit ihren vielen Göttern können häufig friedlich nebeneinander her leben. Doch sie alle haben etwas gegen diesen einen wahren Gott, der in Jesus Christus Mensch geworden ist. Viele Religionen und Philosophien sind tolerant. Kein Humanist und Atheist und kein moderner Mensch sieht sich als intolerant an – aber wenn dieser Gott handelt, dann hört alle Toleranz auf, und es beginnt ein Hauen und Stechen, ein Niederschreien und Verspotten. Gott, so lautet die Parole seit Alters: Gott wird nicht Mensch.
Was ist an dem Glauben, dass Gott Mensch wurde, so schlimm? Schon die frühe Gemeinde sah, dass das Kind in der Krippe die mächtigsten Herrscher in Unruhe versetzt. Maria besingt den Umbruch der Gesellschaft in ihrem wunderbaren Lied, Herodes lässt es suchen, er will es umbringen. Pilatus lässt Jesus als Vertreter der römischen Staatsmacht hinrichten. Was ist denn los mit den Menschen, dass sie Bücher gegen dieses Kind in der Krippe schreiben, schlaue, witzige, ernsthafte Bücher. Sie verteilen Handzettel gegen diesen Jesus, verspotten ihn, dass sich die Balken biegen – bis heute. Oder sie tun so, als ginge das Kind sie gar nichts an. Erinnerungen an dieses Kind sollen ausgelöscht werden: Krippen sollen aus der Öffentlichkeit verschwinden – und Kreuze, die Weihnachtslieder, die Gottes große Tat in diesem Kind besingen, sollen verboten werden. Kindergärten sollen nichts Christliches mehr basteln, der Adventskranz bekommt fünf und mehr Kerzen. Journalisten dürfen, so die neue Forderung in einem soeben erschienenen Buch – keine Christen mehr sein, sie sind ja nicht neutral, und christliche Verfassungen und Politiker sind es sowieso nicht. Mensch, was hat die Welt eine Angst vor diesem Kind! Warum?
Das Kind ist nicht so ein liebes Kind, das allen nur große Freude bereitet. Es kommt aus einer anderen Welt, der Welt Gottes. Und es sagt, was vor Gott richtig ist. Es sagt, was vor Gott falsch ist. Es sagt, was Leben, ewiges Leben bringt, und was dieses Leben verhindert. Es fordert Gehorsam gegenüber Gott. Das geht allen gegen den Strich. Und wenn wir ehrlich sind: Auch uns. Was für eine Arroganz, was für ein Anspruch steckt dahinter: Jesus Christus kommt von Gott, dem Schöpfer des Himmels, des weiten Weltalls und der Erde, er ist eine Einheit mit diesem Gott und will uns sagen, was wir auf der Erde tun sollen, um Gott zu gefallen? Ist Gott denn noch zu retten? Wir wissen doch selbst, was gut ist. Wir wissen selbst, was dem Menschen gut tut. Wir brauchen keinen Gott.
- Herrscher werden in Unruhe versetzt. Ihre Machtgeilheit – die wird von diesem Kind eingerissen: Auch du, Herrscher, bist Gott untergeordnet, tue, was Gott will!
- Der Forscher, der Menschen als sein Forschungsobjekt betrachten möchte – er wird vom Kind zur Raison gerufen: Die Menschen gehören nicht dir! Du darfst mit ihnen nicht machen, was du willst!
- Die reichsten der reichen Geschäftsleute – auch sie werden von diesem Kind an den Ohren gepackt: Du glaubst, du bist so mächtig? Nein, Gott will von dir ein anderes Leben, ein gehorsames Leben, ein Leben, das für die anderen da ist!
- Und diejenigen, die alles rational und rechnerisch systematisieren wollen – die bekommen gesagt: Du armer Mensch, das Geschrei eines Kindes lässt sich nicht berechnen, das Kind ist quirlig, es wächst und rennt, hierhin, dorthin – und so ist Gott: für dich nicht berechenbar.
- Dem Menschen, der die Meinungen beherrschen möchte, wird gesagt: Du dienst in deiner Klugheit nur dem Zeitgeist und Ideologien. Die Wahrheit findest du allein bei dem Kind Gottes.
- Weisen Menschen, frommen Menschen, die alles über die Mächte und Gewalten zu wissen meinen, denen wird gesagt: Was du weißt, das ist nur Innerweltliches. Kennst du Gott? Glaubst du wirklich, dass der Gott, den du dir so vorstellst der wahre Gott ist?
Und so ist dieses Kind eine ständige Herausforderung. Allen. Denn wir sind in unserem Bereich kleine Herrscher. Wir wissen am Besten Bescheid, was unserer Umwelt gut tut. Wir wissen selbst, was uns gut tut. Wir wollen Gott nicht gehorsam sein. Wir basteln uns selbst Lehren, die uns ewiges Leben geben sollen. Uns gefällt die Wiedergeburt – also glauben wir an die Wiedergeburt. Uns gefällt der Glaube an die Sterne – also vertrauen wir ihnen, statt Gott. Wir freuen uns über die Weisheit und das große technische Vermögen der Menschen – und sehen sie als der Weisheit letzten Schluss an. Wir lauschen tiefsinnig klingenden Worten, und erstarren vor Ehrfurcht. Dieses Kind, das von Gott gekommen ist, ist nur niedlich, solange es als Kind in der Krippe liegen bleibt. Aber sobald es ein Kind Gottes wird, sobald damit ein Anspruch verbunden wird, ist es aus mit der Gemütlichkeit:
Dieses Kind allein kommt aus der Welt Gottes.
Dieses Kind allein weiß, wer Gott ist,
dieses Kind allein weist uns Menschen den Weg, den Gott will,
dieses Kind fordert Gehorsam,
dieses Kind und kein anderer weiser, kluger, gerissener Mensch der Vergangenheit und der Gegenwart und auch der Zukunft weiß, worauf es wirklich ankommt. Sobald das gesagt wird, sträuben sich die Nackenhaare: Was ist mit unserer modernen klugen Zeit? Was ist mit dem Dialog der Religionen? Was ist mit der selbst auferlegten Toleranz – die nur solange gilt, solange man nicht diesen Anspruch hegt? Was ist mit meinem bisher gelebten Leben? Sobald das Kind im Licht Gottes gesehen wird, hört die Freundschaft auf.
O Kind in der Krippe, wer bist du? Was sollen wir mit dir machen? Wir mögen dich herzen, wir mögen dich tätscheln, anlächeln und dubidubidu machen. O Kind in der Krippe, wenn ich dich aber so ansehe, dann erkenne ich: Du willst mehr.
Lied: 11,1 (Wie soll ich dich empfangen)
Wie soll ich dich empfangen? Ich will dich nicht. Aber gleichzeitig spüre ich: du allein bist das Verlangen meines Herzens. Wenn ich dich sehe, dann spüre ich, es kann so mit mir nicht weiter gehen. Ich ahne, dass in dir die Welt Gottes verborgen ist, dass du die Tür, der Zugang zu Gott bist – Kind, du bist so anders als alles, was wir auf der Erde kennen. Du musst Gottes sein. Kind, Kind, ich finde die Worte nicht, aber ich spüre: Du bist mein Leben, sinnvolles, reiches Leben, du allein kannst mir ewiges Leben bei Gott geben.
Jesus, je mehr ich dich ansehe, werde ich ruhig, werde ich still, sehe ich die Herrlichkeit Gottes. Mein Schmerz an der Welt, mein Leiden an mir selbst lässt du zur Ruhe kommen. Du richtest meine Augen auf dich hin, meine Gedanken gehen zu dir, du füllst mein Herz. Kind, Weihnachtsglanz schenkst du mir in Herz und Sinn. Ich gehöre zu dir, Gott. Deine Weihnachtsfreude füllt mich aus, der finstere Raum in mir ist erhellt. Mitten in meiner Eiseskälte bricht die Gottesblume auf. Kind, ich bin dein. Du richtest meinen Sinn auf den deinen hin. Ich bin dein, ewig dein.
Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Lied 37,1-4 (Ich steh an deiner Krippen hier)