Unverständliche Gottes-Worte (Hebräer 4)

Der Predigttext, der für den heutigen Sonntag vorgeschlagen wurde, steht im Brief an die Hebräer im 4. Kapitel. Ein großartiger Text. Wir spüren seine Größe, auch wenn wir inhaltlich so gut wie gar nichts verstehen:

Weil wir denn einen großen Hohen Priester haben,
Jesus, den Sohn Gottes, der die Himmel durchschritten hat,
darum lasst uns festhalten an dem Bekenntnis.
Denn wir haben nicht einen Hohen Priester,
der nicht könnte mit leiden mit unserer Schwachheit,
sondern der versucht worden ist in allem wie wir, doch ohne Sünde.
Darum lasst uns hinzutreten mit Zuversicht zu dem Thron der Gnade,
damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu der Zeit,
wenn wir Hilfe nötig haben.

Soweit der Predigttext.

Ja, ein großartiger Text. Ja, wir spüren seine Größe, auch wenn wir so gut wie gar nichts verstehen. Es ist von etwas die Rede, von dem wir keine Ahnung haben: Der Sohn Gottes hat den Himmel durchschritten; Jesus ist Hoher Priester, der mit uns leidet, Hingehen zum Thron der Gnade, damit wir Gnade finden.

Was sind das für Worte? Was bedeuten sie? Es ist mit dem zu vergleichen, was wir über das Weltall hören. Es sind großartige Welten! Materiemassen, die umeinander kreisen, Gase, die sich verfestigen, Feuerbälle, die andere in ihre Massen hineinziehen, Schwarze Löcher, weiße Zwerge – wir hören von Pulsaren, wir hören und hören. Wir hören von den unendlichen Weiten, die doch begrenzt sind. Von einem Urknall, der nicht knallt, aber dessen Auswirkungen Menschen heute noch zu erkennen meinen! Ist das alles wirklich großartig, unverständlich? Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können es doch errechnen! Sicher können sie es errechnen – aber verstehen wir das alles auch? Außerdem: Kaum glauben wir etwas von diesem Weltall verstanden zu haben – und dann wird alles wieder neu errechnet und sie kommen zu ganz anderen wissenschaftlichen Schlussfolgerungen. Aber warum ins Weltall gehen? Wir verstehen schon so viel von dem nicht, was auf der Erde geschieht. Im Internet können wir viele wissenschaftliche Rätsel entdecken: Wie entstand Leben aus Materie? Wie entstand Bewusstsein? Warum gibt es Sexualität? Selbst Kopfschmerzen sind nicht unbedingt alle erklärbar. Und: Verstehen wir – den Menschen?

Mit dem Predigttext haben wir einen Text vor uns, der Gottes Dimensionen beschreibt. Es wird nicht das geschildert, das wir Menschen einfach so beobachten oder errechnen könnten, wenn wir die entsprechenden Geräte dazu hätten. In ihm wird Göttliches beschrieben.

Hören wir diese Worte, achten wir auf das Bild, das sie in uns malen.

Wir betreten einen Raum. Einen großen, hellen Raum. Alles ist feierlich. Alles ist still, obgleich die Sterne, Planeten, Galaxien, die ganze Weltgeschichte, die Mächte und Gewalten in ihm in Bewegung sind. Alles Laute der Welt ebbt in diesem Raum aus in einen stillen Ton. Ein wunderbares Licht leuchtet um einen goldschimmernden, durchsichtigen Thron herum und durchdringt ihn. Und auf dem Thron spüren wir jemanden. Wir können ihn nicht beschreiben. Wir spüren nur seine Kraft auf uns zukommen. Wir spüren seine große Gnade, die uns umfängt. Wir empfinden eine große Liebe, die uns öffnet und uns auf ihn hin strömen lässt. Unsere von unserem Leiden gequälten Körper, unsere von unseren Versuchungen erregten Gedanken schweigen sich zu diesem Thron der Gnade und Liebe hin. Wir gehen ganz in dem Wesen, das auf dem Thron der Gnade ist, ein und gehen in ihm auf. Unser Herz pocht in Einklang mit ihm. Unser Geist ist er, ich bin er und er ist ich. Jener, der die Himmel durchschritten hat, der gibt uns den Zugang zu diesem Raum, Zugang zu dem Raum, in dem die Welten bei Gott ihren Ursprung haben, ihr Leben und ihr Ende. Er ist unser Zugang, unsere Einheit mit diesem Gott der Gnade und Liebe.

Doch was sollen diese Worte schon wieder? Unverständliches wird mit Unverständlichem verdeutlicht. Ja! Ja, sicher! Unsere Worte sind nun einmal zu jämmerlich, zu kläglich, um Göttliches auszusprechen. Wir Menschen müssen uns flüchten zu Worten, wir müssen sie überhöhen, damit wenigstens etwas von Gott verständlich wird. Wir, die wir gefangen sind in unseren kleinen Worten, wir können Gott gar nicht verstehen! Verstehen wir überhaupt Worte, die wir Menschen gebildet haben? Was ist das: Liebe? Wir wissen gar nichts. Wir beginnen zu stottern, manchmal erfahren wir einen kleinen Strahl dessen, was das Wort ausspricht. Doch was ist das, Liebe? Was ist Gerechtigkeit? Was ist Würde? Manche flüchten sich dahin, und sagen: Sie gibt es nicht! Gut. Sie resignieren vor großen Worten, vor tiefen Worten. Aber Menschen, die von Jesus Christus erfahren haben, die seine Nähe gespürt haben, sie können nicht angesichts der kleinen Worte resignieren und schweigen. Sie müssen das, was sie erfahren haben mit unseren mickrigen Worten aussprechen. Und dann kommen solche Sachen heraus, von denen jeder denkende und auf sich eingebildete Mensch nur sagen kann: Absurd! Dumm! Töricht! Albern! Man kann die Himmel nicht durchschreiten, es gibt keinen Sohn Gottes, keinen großen Hohen Priester, einen Thron der Gnade gibt es schon gar nicht. Es ist töricht zu meinen, jemand sei in unserem Leiden und unseren Versuchungen so unendlich nah, näher als wir selbst uns sein können. Das ist töricht, dumm, spleenig. Aber, was sollen wir sagen? Jesus hat die Himmel durchschritten, er ist der Sohn Gottes, er ist der große Hohe Priester, er gibt uns Zugang zum Thron der Gnade, er ist uns in unserem Leiden und in unserer Versuchung näher als wir selbst – sollen wir diese Worte leugnen, weil wir sie mit unseren begrenzten Möglichkeiten zu reden, nicht verstehen? Weil wir einfach keine besseren Worte haben?

Natürlich, sagt da unsere pfiffige Schlauheit: Man versteht es nicht, man muss nur dumm genug sein, um es zu glauben. Fliehen Menschen sich also zu einem törichten Glauben? Fliehen wir, die wir das für dumm, töricht, spleenig halten, nicht viel mehr zu dem kleinen, erstarrten Verstand zurück? Fliehen wir nicht zu dem, was wir kennen, weil wir nicht bereit sind, uns vom Göttlichen stören zu lassen? Wir bauen uns unsere kleinen Verstandesburgen, wir kleistern und basteln an ihnen herum. Wir mauern uns ein und hausen in dem, was wir Menschen kennen und akzeptieren. Auch unsere Religiönchen bauen wir uns so zusammen, wie sie zu uns passen, wie sie uns gefallen. Da verwirrt uns Gott nur. Wir wollen nicht immer an etwas knabbern. Wir wollen nicht ständig in Frage gestellt werden von dem, was wir nicht verstehen, was uns unsicher macht, uns herauszieht aus unserer Burg, uns in den Regen stellt, uns den harten Stürmen Gottes aussetzen kann. Wir wollen keine Zweifel, wir wollen Gewissheit – und sei es Gewissheit, die nur in der kleinen Welt des Menschen verharrt.

Wer ein wenig von Gott erfahren hat, der kann die Menschen jedoch nicht in ihren selbstgezimmerten Burgen hausen lassen, sondern der ruft in die Menschen-Burgen solche unverständliche Worte hinein wie wir sie im Hebräerbrief gehört haben:

Weil wir denn einen großen Hohen Priester haben,
Jesus, den Sohn Gottes, der die Himmel durchschritten hat,
darum lasst uns nun festhalten an dem Bekenntnis.
Denn wir haben nicht einen Hohen Priester,
der nicht könnte mit leiden mit unserer Schwachheit,
sondern der versucht worden ist in allem wie wir, doch ohne Sünde.
Darum lasst uns hinzutreten mit Zuversicht zu dem Thron der Gnade,
damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu der Zeit,
wenn wir Hilfe nötig haben.

Und das heißt nichts anderes als: Wir kommen heraus aus unserer selbst errichteten Burg und stellen uns in das Licht Gottes. Jesus Christus, der Gott unendlich nah ist, Jesus Christus, der Mächte und Gewalten seiner Macht untergeordnet hat, dieser Jesus Christus ist uns nah, näher als wir selbst uns sind. Unser verstocktes Herz und unser kleiner Verstand verstehen das nicht. Macht nichts. Stellen wir und uns nur in Gottes Licht hinein und lassen uns von seinem Wort wärmen und erleuchten. Hier, jetzt, an jedem Tag und dann in Ewigkeit.

(Gekürzte Version der Predigt von 2004: https://predigten.wolfgangfenske.de/hebraeer-4/)