Matthäus 15: Die Kämpferin

Der für den heutigen Sonntag vorgeschlagene Predigttext steht im Matthäusevangelium im Kapitel 15.

Und Jesus ging weg von dort und zog sich zurück in die Gegend von Tyrus und Sidon. Und siehe, eine kanaanäische Frau kam aus diesem Gebiet und schrie: Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Meine Tochter wird von einem bösen Geist übel geplagt. Und er antwortete ihr kein Wort. Da traten seine Jünger zu ihm, baten ihn und sprachen: Lass sie doch gehen1, denn sie schreit uns nach. Er antwortete aber und sprach: Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel. Sie aber kam und fiel vor ihm nieder und sprach: Herr, hilf mir! Aber er antwortete und sprach: Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde. Sie sprach: Ja, Herr; aber doch fressen die Hunde von den Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen. Da antwortete Jesus und sprach zu ihr: Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst! Und ihre Tochter wurde gesund zu derselben Stunde.

Soweit der Predigttext. In der folgenden Predigt mische ich diesen Text mit der Situation, wie sie uns das Markusevangelium vorgibt.

Das ist ein harter Text. Jesus reagiert ganz und gar nicht so, wie wir es von ihm erwarten. Da kommt eine Frau zu ihm, sie bittet darum, dass er ihr Kind heilen möge und er weist sie ab mit dem Hinweis, dass erst die Kinder Israel satt werden sollen und es nicht angehe, dass man den Hunden das Brot gebe. Auf diese Erniedrigung hin gibt die Frau jedoch nicht klein bei, sondern reagiert schlau – und Jesus? Und jetzt ist Jesus wieder der, den wir kennen: Er lobt die Frau und erfüllt ihre Bitte, er hilft ihrem Kind.

Was soll das Ganze? Der Geschichte voran geht eine äußerst gefährliche Situation. Jesus diskutiert mit den Machthabern über ein religiöses Problem – und es wird für ihn gefährlich. Sie könnten ihn aufgrund seiner Worte steinigen. Und was macht er? Er flieht in das heidnische Ausland, in das Gebiet um Tyrus, damit ihn die jüdischen Machthaber und die frommen Extremisten nicht ergreifen können. In dieses Gebiet zieht er sich zurück und will seine Ruhe haben, um nachdenken zu können. Wie soll es nun weiter gehen? Wie kann er seine Botschaft seinem Volk vermitteln, wie kann er es satt machen? Sie sind hungrig nach Gottes Wort, nach den guten Worten, die von Gottes Liebe sprechen, davon, dass Gott sich um die Armen, Benachteiligten, Erniedrigten kümmert. Er hat kaum Möglichkeiten, die großen Erwartungen der Menschen zu erfüllen. Er will ihnen dieses Sehnsuchts-Brot des Lebens geben – aber wie soll er es machen? Schon jetzt kommt er kaum zur Ruhe! Und zudem kommt zu allem Überfluss noch der Widerstand der Mächtigen und frommen Extremisten dazu. Er muss also ins Reine kommen. Und in diese Situation der Gefahr, der Flucht, des Nachdenkens hinein kommt nun diese Frau und schreit ständig hinter ihm her: Sie gefährdet ihn, sie macht ihm deutlich, dass auch die Heiden, die Menschen aus den Völkern, Hunger nach dem Wort und der Hilfe Gottes haben, dass auch sie Sehnsucht haben nach dem Brot des Lebens, das ihre Seele sättigt. Aber wie soll er diese Arbeit schaffen? Das kann er nicht. Und so weist er sie scharf zurecht, er will sie wegschicken. Doch Sie bittet weiter. Und er reagiert und hilft ihr.

Hiermit macht Jesus das, was er von Gott gelehrt hat. Wir haben dazu zwei Gleichnisse. Mit den Gleichnissen erzählt Jesus zwei Geschichten, die sagen, dass wenn man Gott um etwas bittet, dann wird er es auch geben. Und wenn Gott es nicht sofort gibt, dann soll man ihn bestürmen und heftiger bitten – dann wird er sich nicht abwenden, er wird die Bitten erhören. Diese Frau ist also ein reales Musterbeispiel für Jesu Lehre: Bittet, so wird euch gegeben. Bittet – und Gott wird euch geben! Und er gibt der Frau, das, was sie erbeten hat, so wir er es über Gott lehrt.

Jesus geht zurück nach Israel, um seinem Volk die Brote zu schenken, es mit Gottes Wort und Liebe satt zu machen, um die Sehnsucht der Menschen nach einem guten Leben so gut er kann zu erfüllen. Doch wenig später werden seine Befürchtungen wahr: Die Auseinandersetzungen mit den Mächtigen und den frommen Extremisten werden so hart, dass seine Verhaftung im Blick ist. Er weiß, dass er gefoltert werden und getötet werden wird. In den letzten Stunden seines Lebens, im Garten Gethsemane, bittet er Gott darum, dass er ihm das Leiden ersparen möge. Jesus betet immer heftiger, so sehr, dass der Schweiß wie Blut von seinem Gesicht herabtropft – aber Gott wird das Gebet nicht erhören, Jesus weiß es, dass sein Weg ein anderer sein muss, als er es sich so sehr in seiner Todesangst wünscht. Er wird den gewaltsamen Tod erleiden müssen.

Und so sehen wir dann, dass Jesus in Gottes Willen einstimmt. Er betet heftig, sehr heftig – doch dann stimmt er dem Willen Gottes, dem Weg Gottes zu. Und so geht er den Weg der Folter, des Leidens, der Erniedrigung und des Sterbens.

Diese Geschichte von der Frau aus Syrophönizien reiht sich ein in die komplexe Gebetslehre Jesu, reiht sich ein in das Erleben der Wirklichkeit Gottes, der Beziehung von uns Menschen zu Gott: Wir sollen beten, sollen, wenn es uns danach ist, äußerst heftig beten – aber wir sollen gleichzeitig auch bereit sein, den Willen Gottes anzunehmen.

Und das kann sehr schwer sein. Aber Menschen, die sich Gott in Jesus Christus zuordnen, die zu Gott sagen: Ich gehöre zu dir – diese Menschen müssen dazu bereit sein, sich nicht so wichtig zu nehmen, sondern eben auch harte Lebenswege zu gehen und anzunehmen.

Wir verstehen vieles in unserem Leben nicht. Und wir sollen um unsere Pläne und Wünsche kämpfen – aber eben auch bereit sein, Gottes Weg mit uns zu gehen. Und das nennt man Nachfolge: Christen gehen hinter Jesus her – sie gehen ihm nicht voran. Sie können bitten, einen anderen Weg mit ihnen einzuschlagen, aber sie müssen bereit sein, den Weg zu gehen, den er ihnen vorspurt.

Wenn wir einen kostbaren Teppich anschauen, sieht er wunderschön aus. Wenn wir ihn jedoch umdrehen, dann ist die Schönheit schnell verschwunden. Es ist ein Wirrnis an Fäden, an Farben, an Mustern. Wir können unser Leben nur von der Rückseite des Teppichs aus betrachten. Es sieht wirr und durcheinander aus. Es sieht nicht immer schön und geordnet aus, sondern manchmal erleben wir Hässliches, Gemeines, Hinterlistiges, Liebloses. Wenn wir dann jedoch aus der Perspektive Gottes einmal die Oberseite des Teppichs sehen werden, dann wird der Teppich wunderschön sein, weil Gott ihn gewebt hat. Nicht wir.

Dieses alte Beispiel vom Teppich zeigt uns, dass Gott unser Leben in seiner Hand hat. Und wenn wir das wissen, dann lässt sich so manches besser ertragen und tragen. Aber unsere Geschichte zeigt uns, dass wir nicht einfach alles tragen und ertragen sollen, sondern dass wir uns auch auflehnen können gegen Gottes Weg, den Weg, den er uns zumutet. Die Frau will nicht der Zumutung stattgeben, dass sie ihr Kindchen an böse Geister verliert. Sie will, dass Gott durch Jesus Christus zeigt, dass er stärker ist als die bösen Geister. Woran soll sie sich denn  noch halten, wenn nicht an Gott? Soll sie sich dem Bösen unterordnen? Das ist unerträglich. Und so setzt sie sich ein für einen anderen Menschen. Sie setzt sich ein für die Kultur des Lebens, gegen das Böse, gegen die Zerstörung. In diesem Eifer ist sie für Christen Vorbild geworden. Wir können uns nicht abfinden damit, dass Böses die Menschheit zu beherrschen scheint. Wir gehen dagegen an, nehmen sogar Wege in Kauf, die dazu führen können, dass man selbst erniedrigt wird. Diese Frau ist eine Kämpferin. Diese Heidin zeigt der Gemeinde seit jeher: Lass dich vom Bösen nicht unterkriegen, kämpfe! Sie kämpfte Jahre lang alleine gegen dieses Böse an. Täglich sah sie es vor Augen, täglich litt sie mit ihrem Kind, das in den Fängen und Fesseln des Bösen gefangen war. Wir können uns vorstellen, dass sie litt und kämpfte. Jahre lang. Und nun hörte sie von Jesus, sie hörte, dass da einer stark ist, der das Böse bekämpfen kann, das ihrem Kind und ihr das Leben zur Hölle gemacht hat. Mit Jesus ist das Böse zu überwinden. Sie hatte nicht resigniert und sich dem Bösen ergeben und gesagt: Dagegen kann keiner helfen. Kein Gott, kein Jesus kein sonst wer. Sie ist Vorbild im Mut, im Glauben, immer wieder neu zu kämpfen, den Kampf zu wagen. Und so abgehärtet von der kämpfenden Liebe tritt sie auch unter Jesu Augen, rennt sie ihm nach, lässt sich nicht abwimmeln. Und letztendlich kommt sie zum Ziel: Mit Jesus hat sie das Böse vertrieben, das Böse bekämpft, dem Bösen widerstanden.

Mit Jesus. Dazu will auch diese Geschichte ermuntern: Mit Jesus gegen alles Böse in der Welt anzukämpfen. Sich von dem nicht unterkriegen zu lassen, was uns bedrängt, ängstigt, unsere Gedanken fesselt. Mit Jesus Christus gegen unsere Sorgen angehen. Und wie macht diese Frau das? Sie ruft: Herr, hilf mir!

Das ist unser aller Ruf, in so vielen Situationen des Lebens. Gott möge uns in Jesus Christus helfen, negative Situationen zu bestehen, helfen, dass unsere Sorgen nicht überhand nehmen. Und er hilft uns in unseren Kämpfen. So oft denken wir, wir seien allein in unserem Kampf. Kein Jesus Christus ist zu sehen. Die wirren Fäden des Teppichs scheinen uns immer wirrer und unser Leben scheint uns immer unansehnlicher zu werden. Herr, hilf mir!

Eine chinesische Christin soll diesen Text formuliert haben:

Eines Nachts hatte ich einen Traum:
Ich ging am Meer entlang mit meinem Herrn.
Vor dem dunklen Nachthimmel erstrahlten,
Streiflichtern gleich, Bilder aus meinem Leben.
Und jedesmal sah ich zwei Fußspuren im Sand,
meine eigene und die meines Herrn.
Als das letzte Bild an meinen Augen vorübergezogen
war, blickte ich zurück. Ich erschrak, als ich entdeckte,
dass an vielen Stellen meines Lebensweges nur eine Spur
zu sehen war. Und das waren gerade die schwersten
Zeiten meines Lebens.
Besorgt fragte ich den Herrn:
„Herr, als ich anfing, dir nachzufolgen, da hast du
mir versprochen, auf allen Wegen bei mir zu sein.
Aber jetzt entdecke ich, dass in den schwersten Zeiten
meines Lebens nur eine Spur im Sand zu sehen ist.
Warum hast du mich allein gelassen, als ich dich am
meisten brauchte?“
Da antwortete er:
„Mein liebes Kind, ich liebe dich und werde dich nie
allein lassen, erst recht nicht in Nöten und Schwierigkeiten.
Dort wo du nur eine Spur gesehen hast,
da habe ich dich getragen.“

Und so hat Gott Jesus Christus, dessen Schweiß wie Blut heruntertropfte, weil er den harten Weg nicht gehen wollte, durch alles hindurchgetragen bis hin zur Auferweckung. Erst vom Ende her können wir den Lebens-Teppich in seiner ganzen Schönheit sehen. Erst dann, wenn Gott uns unser Leben zurück zeigen wird, können wir erkennen, warum welche Lebensfäden wie gesponnen wurden.