♫ ʘ Gott, mein Erlöser (Hiob 19,19-27)

Der für den heutigen Sonntag vorgeschlagene Predigttext steht im Buch Hiob, im 19. Kapitel:

Hiob klagt: 19 Alle meine Getreuen verabscheuen mich, und die ich lieb hatte, haben sich gegen mich gewandt. 20 Mein Gebein hängt nur noch an Haut und Fleisch, und nur das nackte Leben brachte ich davon. 21 Erbarmt euch über mich, erbarmt euch, ihr meine Freunde; denn die Hand Gottes hat mich getroffen! 22 Warum verfolgt ihr mich wie Gott und könnt nicht satt werden von meinem Fleisch? 23 Ach dass meine Reden aufgeschrieben würden! Ach dass sie aufgezeichnet würden als Inschrift, 24 mit einem eisernen Griffel und mit Blei für immer in einen Felsen gehauen! 25 Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der Letzte wird er über dem Staub sich erheben. 26 Nachdem meine Haut noch so zerschlagen ist, werde ich doch ohne mein Fleisch Gott sehen. 27 Ich selbst werde ihn sehen, meine Augen werden ihn schauen und kein Fremder. Danach sehnt sich mein Herz in meiner Brust.

Soweit der Predigttext.

Was für eine Geschichte – die Geschichte von Hiob!

Gott und der Satan planen, Hiob zu prüfen. Der arme Mensch ist diesen Mächten ausgeliefert. Die Kinder sterben, der Besitz wird ihm genommen, er selbst wird mit allen möglichen Krankheiten geplagt. Der fromme Hiob versteht Gott und die Welt nicht mehr. Gott, dem er fromm diente, dieser Gott wird fern, immer ferner. Und so hat er Fragen – nicht nur Fragen, er schreit Klagen und Anklagen nicht gegen de Satan, er schreit sie Gott entgegen. Er weiß, ohne Gott kann der Satan nichts machen. Freunde kommen und wollen ihm helfen. Sie geben viele und kluge Tipps, die helfen sollen zu verstehen, helfen sollen, dem Übel zu entgehen. Aber Hiob steckt wie in einem Tunnel, nein, wie in einer Höhle, in die kein Licht mehr hineindringen kann. Gott zermürbt ihn, Gott zerstört ihn, Gott ist ein Fallensteller, der ihn in die Falle laufen lässt, um ihn dann zu töten. Und die Menschen verstehen nicht, sie meinen es gut, wollen helfen, aber Hiob kann in diesen Menschen nur Verfolger sehen, Menschen, die ihn zu Boden stoßen mit ihren Weisheiten, so wie Gott ihn zu Boden gestoßen hat. Sie entblößen ihn, nehmen ihm seine Ehre – Gott und Mensch – sie alle fallen über ihn her, zertreten ihn.

Endlose Klagen. Endlos wie das Leiden.

Und mitten in dieser Klage, von der ich ein paar Sätze vorgelesen habe, mitten hinein in diese Klage kommen diese sonderbaren Worte. Worte, die Hiob selbst wohl kaum richtig verstanden haben dürfte. Sie sind so sonderbar, dass man einfach staunt. Erst einmal – ein harmloser Satz:

23 Ach dass meine Reden aufgeschrieben würden! Ach dass sie aufgezeichnet würden als Inschrift, 24 mit einem eisernen Griffel und mit Blei für immer in einen Felsen gehauen!    

Hiob will, dass seine Klagen aufgeschrieben werden, seine Angriffe gegen Gott. Sie sollen ewig bleiben – in Felsen gehauen! Und was ist passiert? Das wurde aufgeschrieben, als noch kein Mensch daran dachte, die Texte zu sammeln und zu einem Teil der Bibel zusammenzustellen. Und es geschah – was Hiob sich gewünscht, ja, was Hiob gefordert hatte: Sie wurden aufgeschrieben – sie werden so lange bleiben, wie die Bibel bleiben wird. Also aus menschlicher Perspektive: ewig. Hiob, Hiob der Prophet.

Und noch ein Satz wird angeschlossen, dessen Dimension damals auch noch keiner ahnen konnte. Ein prophetischer Satz, der in Erfüllung ging – allen Menschen sichtbar, verkündet – ob sie es glauben oder nicht:

Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der Letzte wird er über dem Staub sich erheben. 26 Nachdem meine Haut noch so zerschlagen ist, werde ich doch ohne mein Fleisch Gott sehen. 27 Ich selbst werde ihn sehen, meine Augen werden ihn schauen und kein Fremder. Danach sehnt sich mein Herz in meiner Brust.

Hiob greift den unbarmherzigen Gott an. Er klagt und schreit, er macht Vorwürfe, dass Gott Ankläger und Richter gleichzeitig ist. Auf einmal bricht aus ihm ein Lichtblick hervor: Er weiß, dass sein Erlöser lebt. Gott, der so grausam mit ihm umspringt – Gott wird selbst der Erlöser sein. Wie das? Was meinte er damit? Er ahnte angerührt vom Geist Gottes in einer Zeit, in der man noch an das Schattendasein in der Unterwelt glaubte, auf jeden Fall, dass er Gott sehen werde, neu geschaffen. Welchen Gott? Gott als Erlöser.

Wir wissen nicht genau, wann das Buch geschrieben wurde, aber auf jeden Fall sieht er, lange bevor Jesus Christus in die Menschen-Welt eintrat, dass Gott selbst der Erlöser sein wird. Christen glauben, dass in Jesus Christus der undurchsichtige, der finstere, der verborgene Gott sich selbst entbirgt, greifbar, sichtbar, hell, Licht wird. Gott wird in Jesus Christus selbst den Menschen in Liebe begegnen, wird ihn von Sünde und Tod befreien.

Hiob, Hiob der Prophet. Er sieht etwas aufleuchten. In seiner Sehnsucht und Hoffnung in seiner Zerschlagenheit sieht er etwas, das unmöglich passieren kann! Und dann – es passiert doch! Gott selbst, der dem Hiob so finster erscheint, Gott selbst wird sich ihm in seiner lichten Herrlichkeit zeigen.

Und Gott zeigt sich dem Hiob auch schon ein wenig im Hiobbuch. Ein Versuch, Licht in das Dunkel zu bringen. Von dem großen Licht Jesus Christus kann er nichts wissen, nicht einmal ahnen, dass Gott selbst Mensch wird. Das liegt außerhalb jeglichen menschlichen Denkens.

Gott begegnet Hiob nicht als Mensch, sondern mit Worten. Er spricht am Ende des Buches mit dem Erniedrigten und Zerstörten.

Gott zeigt dem Hiob mit Worten Naturfilme. Alles ist so wunderbar schön. Morgenröte erscheint, Licht bricht hindurch und vertreibt die Finsternis. Die Natur lebt, viele, viele Tiere werden dem Hiob wie in einem Naturfilm vor Augen gemalt, große und kleine Tiere, sonderbare und bekannte Tiere. Landschaften, Berge, Vulkane. Das große Meer mit seinen Tieren – als würde die BBC sämtliche Naturfilme nacheinander zeigen, so zeigt Gott dem Hiob die Großartigkeit seines Handelns. Die Nacht mit den Sternen, die Himmelskörper – ja, Gott ist wunderbar groß. Gott, der Schöpfer und Erhalter.

Nachdem Hiob diese ganzen wunderbaren Wort-Filme gesehen und Gott gehört hat, erkennt er: Er als kleiner Mensch kapiert nichts. Er versteht sein Leiden nicht – aber er versteht auch die Größe Gottes nicht. Er kann sein Leiden nicht einordnen – aber Gott, Gott wird es können. Letztlich endet das Buch Hiob so ein wenig wie Hollywood-Filme: Hiob wird sehr, sehr belohnt.

Aber die Großartigkeit Gottes, wie wir sie nach Hiob zu erkennen versuchen, auf diese Idee ist der Autor des Buches nicht gekommen: Gott wurde in Jesus Christus Mensch. In Jesus zeigt er sich uns von einer über die Maßen menschlichen Seite. Hiob verstummte angesichts der Größe Gottes. Wir verstummen selten. Wir kritisieren Gott – hätte er nicht auch anders all das Leiden nehmen können? Was haben wir von Jesus Christus, davon dass Gott in Jesus Christus mitleidet? Nichts. Wir wollen dass das Leiden verschwindet, dass die heile Welt zumindest zu mir sofort kommt!

Wir wollen, wollen, wollen – obgleich wir nichts verstehen. Hiob hörte Gott zu – und erkannte die Wahrheit. Lernen wir Gott zuhören, damit wir ihn erkennen.

Wir können uns in unserem Leiden und mit unserem Leiden in Gott, dem Erlöser betten. In dem, der sich aus dem Todesstaub erhob, auferstanden ist am dritten Tage, in diesem können wir leben. Wir verstehen genauso wenig wie Hiob. Wir dürfen wie er: klagen, klagen, klagen,  Gott anklagen. Aber in diesen Klagen und Anklagen nimmt uns Gott, unser Erlöser in die Arme, sodass wir ruhiger werden, ruhiger werden, wie ein aufgewühltes Kind bei der Mutter. Denn wir werden ihn, Gott, unseren Erlöser, sehen, wir werden ihn mit eigenen neu geschaffenen Augen sehen, herausgehoben aus dem Staub des Todes. Ihn. Gott. Den Erlöser.  

Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt.

Amen.