Römer 8,18-25: Erniedrigte Menschen

Predigt am 14. November 2010 (Gedenktag zur Verfolgung der Christen)

Der für den heutigen Sonntag vorgeschlagene Predigttext steht im Brief des Paulus an die Römer im 8. Kapitel. Es sind die Verse 18-25 – ich werde aber die weiteren Verse auch (gekürzt) vorlesen:

Denn ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll. Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden. Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit – ohne ihren Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat –, doch auf Hoffnung; denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet.

Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir den Geist als Erstlingsgabe haben, seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes. Denn wir sind zwar gerettet, doch auf Hoffnung. Die Hoffnung aber, die man sieht, ist nicht Hoffnung; denn wie kann man auf das hoffen, was man sieht? Wenn wir aber auf das hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir darauf in Geduld.

Desgleichen hilft auch der Geist Gottes unsrer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich’s gebührt; sondern der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen. Der aber die Herzen erforscht, der weiß, worauf der Sinn des Geistes gerichtet ist; denn er vertritt die Heiligen, wie es Gott gefällt.

Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind. … Was wollen wir nun hierzu sagen? Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein? … Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht. Wer will verdammen? Christus Jesus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist, der zur Rechten Gottes ist und uns vertritt. Wer will uns scheiden von der Liebe Christi? Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert? Wie geschrieben steht: »Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag; wir sind geachtet wie Schlachtschafe.« Aber in dem allen überwinden wir weit durch den, der uns geliebt hat. Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.

Soweit der Predigttext.

Dieser Text gehört zu den Perlen in den Briefen des Apostels. Wir spüren alle, warum dieser Text zu den Perlen gehört: Er schreibt aus dem Leben – er gibt wieder, was wir denken und fühlen. Das Leben ist fröhlich, ist freudig, besteht aus Gesundheit und Gemeinschaft, aus Anerkannt sein – und es kennt viele, viele Momente, viele lange Stunden, in denen es gerade anders ist: Seufzen, klagen, man versteht nichts mehr vom Leben, von Gott und von der Welt. Wir verstehen dann so wenig, dass wir nicht einmal mehr beten können, weil wir von Gott nichts wissen oder wissen wollen, weil wir einfach durch die Erfahrungen des Schmerzes, des körperlichen und seelischen Schmerzes, weil wir einfach leer sind, sprachlos sind. Und das können wir überall beobachten: Wenn wir Naturfilme sehen, dann sehen wir: Es geht vielfach um fressen und gefressen werden. Und wir sehen, dass wir Menschen Tiere bis zum Geht nicht mehr ausnutzen. Neulich kam das Gespräch auf Hühner. Einer sagte sofort: Hm, Hühnerschenkel! Hühner sind mehr als Hühnerschenkel, es sind Lebewesen. Ich finde die kleinsten, kaum sichtbaren Fliegen besonders faszinierend: So ein kleines Etwas, kann fliegen! Es kann sich vermehren! Es kann fressen! Und weil wir Menschen jedoch nicht die Geschöpfe bewundern, sondern eher ihren Schaden und Nutzen, darum klagt auch die Schöpfung insgesamt. Nicht allein der Mensch klagt. Doch – vor allem der Mensch. Er spürt nicht nur den Schmerz, den körperlichen und seelischen Schmerz – er hat zu all dem auch noch das Denken. Er kann über kommenden Schmerz nachdenken – und kann ihn schon einmal vorerleben. Wie viel schlimme Situationen leben wir schon vorher durch – und dann kommen sie gar nicht? Der Mensch kann über erlebte Schmerzen nachdenken und sie darum noch einmal erleben. Es geht ein großes Seufzen und Klagen durch die Menschheitsgeschichte und durch unsere Zeit. Die großen Leiden, in denen ganze Völker mit Krieg überzogen werden, in denen sie versklavt werden, Menschen werden voneinander getrennt – aber auch die vielen Leiden, die den Menschen als Individuum treffen. Und wir alle klagen und seufzen. Und, wie Paulus sagt: auch die Christen. Warum denn die Christen? Weil wir Menschen sind. Weil wir Menschen sind, sind wir nicht schmerzlos. Wir erleben körperlichen und seelischen Schmerz wie andere auch – freilich zeigen viele wissenschaftliche Untersuchungen inzwischen, dass Glaubende Menschen schneller wieder herauskommen aus dem Leiden, dass sie Leiden häufig besser seelisch verkraften können als andere Menschen. Aber das bedeutet nichts, wenn man mitten in der dunklen Situation steckt. Das weiß Paulus. Er schreibt im 2. Brief an die Korinther, was er alles erleiden musste:

Von den Juden habe ich fünfmal erhalten vierzig Geißelhiebe weniger einen; ich bin dreimal mit Stöcken geschlagen, einmal gesteinigt worden; dreimal habe ich Schiffbruch erlitten, einen Tag und eine Nacht trieb ich auf dem tiefen Meer. Ich bin oft gereist, ich bin in Gefahr gewesen durch Flüsse, in Gefahr unter Räubern, in Gefahr unter Juden, in Gefahr unter Heiden, in Gefahr in Städten, in Gefahr in Wüsten, in Gefahr auf dem Meer, in Gefahr unter falschen Brüdern; in Mühe und Arbeit, in viel Wachen, in Hunger und Durst, in viel Fasten, in Frost und Blöße; und außer all dem noch das, was täglich auf mich einstürmt, und die Sorge für alle Gemeinden. Wer ist schwach, und ich werde nicht schwach? Wer wird zu Fall gebracht, und ich brenne nicht?

Christen durch alle Zeiten hindurch kennen das: Verfolgungen, Benachteiligungen, Misshandlungen. Keine Gruppe auf der Erde wird auch zur Zeit noch so sehr verfolgt wie Christen: in kommunistischen Ländern, in China – Arbeitslager, Nordkorea – Arbeitslager bis dahin, dass sie zu Tode gequält werden, Kuba – Gefangenschaften, Eritrea – eingepfercht in Container; in fast allen islamischen Ländern leiden Christen – Ausweisungen aus Marokko, Verbote in Algerien, Entführungen christlicher Frauen in Ägypten, Vertreibung von Christen im Gaza, Christen müssen sich in Syrien prostituieren, im Irak ständig Bombenattentate fürchten, im Iran Festnahmen und Folterungen ertragen, Versklavungen und Ermordungen in Pakistan und Bangladesch, Kirchenverbrennungen in Nigeria und Indonesien, Ermordungen auf den Südphilippinen. Und, und, und. Und auch in unserem Land werden Menschen wegen unseres Glaubens verachtet, verspottet. Das können und müssen wir aushalten. Doch warum ertragen so viel Menschen in der Welt schlimmste Verfolgungen? Diese Menschen sind keine Helden, sie wollen auch keine Helden sein. Sie leben das, was wir Christen „Nachfolge“ nennen: Jesus Christus folgen. Er starb nach Folterungen am Kreuz. Wie er wurden viele bekannte Menschen der Kirche seit Anfang an verfolgt und zum Teil ermordet: Stephanus, Petrus, Paulus, und wie sie alle heißen. Warum denn das? Das können wir in unseren Breiten kaum mehr verstehen. Warum für den Glauben Qualen ertragen? Warum tun es Gewerkschafter, warum viele Journalisten? Warum manche freiheitsliebenden Politiker? Es geht um den Menschen. Glaubende werden da verfolgt, wo die Moral verroht ist, wo man grausam mit anderen Menschen umgeht – von Grund auf umgeht. In Ländern, in denen Christen verfolgt werden, werden häufig auch Oppositionelle verfolgt, Journalisten, Anwälte, Gewerkschafter. All diese setzen sich für Menschenrechte ein, für Freiheit, für Demokratie, für Menschenwürde. Christen erfüllen damit die Aufforderung Gottes: Liebe weiterzugeben, weil sie Liebe empfangen haben – und sei es auf Kosten ihres Lebens. In diesem ganzen schweren Kampf können sie sich das sagen lassen, was wir im Predigttext gehört haben:

Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein? Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht. Wer will verdammen? Christus Jesus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist, der zur Rechten Gottes ist und uns vertritt. Wer will uns scheiden von der Liebe Christi? Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert? Aber in dem allen überwinden wir weit durch den, der uns geliebt hat. Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.

In allen Völkern wird das Licht des Glaubens weitergegeben – manche Völker wollen lieber in ihrer Dunkelheit verharren. Doch ihr Widerstand kann nicht bestehen bleiben, und so ist es heute wie vor 2000 Jahren: Je größer der Kampf gegen Christen, desto mehr Menschen werden Christen – auch in kommunistischen und islamischen Ländern.

Dass uns nichts trennen kann von der Liebe Gottes, das wissen, ahnen Christen nicht nur in Verfolgung. Das gilt auch für Zeiten, in denen es politisch ruhiger zugeht. In allen Lebenslagen. In Krankheit und Schmerzen, angesichts von Selbstvorwürfen und Vorwürfen anderer, in dunklen seelischen Stunden: Mensch, Christ, du darfst wissen, dass dich nichts von Gottes Liebe in Jesus Christus trennen kann. Nicht einmal der Tod – denn du gehörst zu Christus. Du bist in den Leib Christi hineingefügt worden, du bist ein Teil seines Körpers, des Auferstehungsleibes. Jesus Christus will mit dir eins sein wie die Reben am Weinstock hängen, so hängst du an Christus, lebst von Christus, wirst durch Jesus gestärkt und ermutigt. Sicher, wenn wir Angst haben, wenn wir einsam sind, wenn wir zurückgestoßen wurden, wenn wir den erwarteten Erfolg nicht haben, wenn wir erniedrigt und missachtet werden und uns selbst nicht ausstehen können – dann können wir solche Worte nicht so recht glauben, ja, wir wollen sie manchmal nicht einmal hören, weil wir uns lieber in unsere jeweiligen Nöte vergraben, hineinspinnen wollen. Dann betet Gottes Geist in uns die Worte der Klage und die Worte der Hoffnung, des Trostes und der Zuversicht. Und ganz tief in uns dürfen wir immer wieder auf dieses Wort Gottes lauschen, es uns in Erinnerung rufen:

Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.

Und wir dürfen es uns sagen lassen: Und hiermit habe ich es Euch im Namen unseres Herrn Jesus Christus gesagt:

Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.