Micha 5: Gott spricht in Rätseln

Der für den heutigen Weihnachtsfeiertag vorgeschlagene Predigttext steht im Buch des Propheten Micha im 5. Kapitel:

Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Städten in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist. Indes lässt er sie plagen bis auf die Zeit, dass die, welche gebären soll, geboren hat. Da wird dann der Rest seiner Brüder wiederkommen zu den Söhnen Israel. Er aber wird auftreten und weiden in der Kraft des HERRN und in der Macht des Namens des HERRN, seines Gottes. Und sie werden sicher wohnen; denn er wird zur selben Zeit herrlich werden, so weit die Welt ist. Und er wird der Friede sein.

Soweit der Predigttext.

Was für ein rätselhafter Text! Ob der Prophet Micha selbst gewusst hat, was er da prophezeit, was er von Gott in den Mund gelegt bekommen hat? Aus der kleinen Stadt Bethlehem wird einer hervorgehen. Wer wird hervorgehen? Einer – einer, der Herr sein wird. Aber was ist das für – einer? Es ist einer, der von Anfang an ist – einer, der von Ewigkeit her gewesen ist. Kann einer, der von Anfang an und ewig ist – ein Mensch sein? Ja, sicher, sagt der Prophet: Er wird ja schließlich zu der Zeit, die Gott bestimmt hat, von einer Frau geboren werden! Aber was ist das für ein eigenartiger Mensch, der schon immer gewesen ist – und dennoch geboren wird? Ja, was ist das für ein Mensch – oder ist er gar Gott? Darüber rätseln die Gelehrten und die Scheingelehrten bis zum heutigen Tag. Das sind auch alles rätselhafte Worte. Und dann gehen diese Sätze auch noch weiter!: Der Prophet spricht von einem Rest an Brüdern, der zu den Kindern Israel kommen wird. Wer sind die Brüder des Volkes Israel – sind es gar Menschen aus den Heiden? Diese Brüder werden gemeinsam von dem Einen geweidet werden wie Schafe, in Sicherheit, in Ruhe, mit Nahrung und Schutz – in der Macht Gottes. Aber damit ist immer noch nicht Schluss – mit diesen eigenartigen Worten! Denn: Auf der ganzen Welt wird der Eine herrlich werden! Und: Er wird der Friede sein!

Es sind rätselhafte Worte. Wie wir rätselnd die Predigt begonnen haben, so mögen auch die Hörer des Propheten die Worte aufgenommen haben: Prophet, du sprichst in Rätseln! Und wenn Menschen vor einem großen Rätsel stehen, versuchen sie es zu knacken. Und wenn sie es nicht lösen können, dann beginnen die Einen zu lachen und zu spotten, die anderen zu resignieren, aufzugeben.

Die Spötter rufen dem Propheten zu: Prophet, Prophet, was redest du für irres Zeug! Bethlehem? Gott-Mensch? Heiden-Jude? Ein Mensch als Friede und Herrlichkeit? Spinner!

Die Resignierten werden sagen: Schön wäre es, wenn irgendwie so einer kommen würde, einer der uns schützt, der von Gott gesandt wird: Prophet, Prophet, was für ein schöner Traum!

Und dann gibt es noch eine dritte Gruppe von Menschen. Diese Menschen spüren ein großes Wort in diesem Rätsel. Sie ahnen, dass es Gott sein kann, der durch den Propheten in diesen Rätseln spricht. Sie verstehen nichts, wie die anderen auch nicht, aber sie sehen einen Lichtstreifen in der dunklen Gegenwart, einen Lichtstreifen, der aus der Zukunft zu ihnen herüberglimmt.

Der Prophet Micha selbst weiß nicht so recht, was er mit diesen Worten anfangen soll, die Gott zu ihm gesprochen hat, und er versucht sie in seiner Zeit politisch zu deuten. Und wir? Nun wir sind geschichtlich gesehen ein ganzes Stück weiter gekommen. Der Evangelist Matthäus und die frühe Gemeinde erkennen, dass diese Worte, die Gott durch den Propheten Micha gesprochen hat, in Jesus Christus wahr geworden sind. – In Jesus, dem Menschen Jesus von damals, vor 2000 Jahren? Nun, da melden auch bei uns ganz schlaue Menschen Zweifel an: Jesus – in Bethlehem geboren? Kommt er nicht aus Nazareth? Jesus – von Gott vorherbestimmt, um seine Menschen zu schützen und zu führen? Jesus war von Anfang an und wird ewig sein? Geht das denn überhaupt? Was soll das sein, dass eine Frau einen gebiert, der schon ewig gewesen ist, also Gott? Und so kommen auch wir zu drei unterschiedlichen Gruppen. Die einen spotten, weil sie das alles albern finden, die anderen sind traurig, weil sie ihre Hoffnungen und Sehnsüchte nicht erfüllt sehen – und die dritten sind glücklich, weil sie nicht nur ein Lichtstreifen am Horizont sehen, sondern schon im Licht selber stehen.

Wenn ich in den Bergen bin, dann finde ich immer ein ganz besonderes Phänomen faszinierend. Man steht am frühen Morgen unten im dunklen Tal. Dann geht langsam die Sonne auf. Während man unten im Dunklen steht, krabbelt das leuchtende Sonnenlicht von den Bergspitzen immer tiefer herunter, bis das ganze Tal durchleuchtet ist. Und manche stehen schon oben auf den Berggipfeln, um die Sonne mit ihrem wärmenden Licht zu begrüßen. Unten im Tal ist es finster, dann dämmert das Licht, und es wird langsam immer heller. Das ist ein schönes Bild für Weihnachten: Wir können schon auf dem Gipfel im Licht stehen, angeleuchtet von dem, den der Prophet hier angekündigt hat: Jesus Christus. Wir können auch im Tal bleiben in der Dunkelheit. Wir schauen vielleicht zu den leuchtenden Gipfeln auf, aber wenden den Blick wieder traurig ab – hin in die Dunkelheit. Oder wir spotten fröstelnd und sagen: das Licht ist in weiter Ferne, was haben wir hier unten im dunklen Tal davon? Und so merken wir unter der Hand: Diese drei Gruppen, die ich erwähnt habe, sind auch in uns. Wir stehen im Licht und sind froh, manchmal; wir sind traurig, weil wir noch im Dunkeln stehen, manchmal; und wir können nur spöttisch sagen, manchmal: Wo bleibt denn das Licht?

Dass sich durch Jesus Christus viel in unserer Welt verändert hat, das braucht kaum erwähnt zu werden – wir wissen das: Kranke werden nicht mehr verachtet, sondern Menschen, die aus dem Licht Jesu leben, kümmern sich mit ihrer geringen Kraft um sie. Ich möchte nur an die Christoffel Blindenmission erinnern. Gefangene, in Kriegen Verletzte werden beachtet: Das Rote Kreuz, die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte – überall sind Christen unterwegs und ziehen Nichtchristen mit, um anderen Menschen beizustehen. Seit Jesus Christus hat sich weltweit das Bild, das sich Menschen voneinander machen, massivst geändert: Der Mensch ist Ebenbild Gottes – jeder Mensch ist Ebenbild Gottes und ist darum wertvoll: ohne Ausnahme, jeder! Ja, freilich hat diese Sicht noch lange nicht alle Menschen ergriffen, das Licht krabbelt erst langsam von den Berggipfeln herunter ins Tal! Aber diejenigen, die schon im Licht gestanden haben, laufen runter ins Tal und leben aus diesem Licht heraus! Sie rufen den Menschen im Dunkeln zu: Es bleibt nicht mehr lange dunkel und finster! Leute, schaut zum Licht! Und sie handeln, weil das Licht schon da ist, weil es durch sie verbreitet wird. Was würden wir heute ohne die Krankenhäuser machen, die Christen in der Nachfolge Jesu im 3. Jahrhundert entwickelt haben? Was würden wir ohne die Institutionen machen, die Kinder weltweit aufnehmen – zuerst gegründet von Christen? Der Herrscher, den Gott gesandt hat, er weidet die Seinen in der Kraft Gottes – und überall sind sie für Menschen am Wirken. Das Licht krabbelt von den Bergspitzen langsam herunter. Manche Menschen laufen davor weg, wollen lieber im Finstern bleiben, schließen ihre Fensterläden fester zu – aber all das kann das Licht nicht mehr hindern. Und voller Sehnsucht greifen manche Menschen ein wenig von den erhaschten Lichtworten auf: Wir können sehen, wie Menschen, die nicht an Christus glauben, versuchen, Weihnachten zu feiern, weil sie ein wenig von der neuen Welt des Lichtes ahnen! Wir sehen, wie Hindus und Muslime christliche Sozialarbeit aufgreifen, weil sie ahnen, da ist ein Licht dahinter! Wir sehen, wie Atheisten zwar gegen Christen spotten und polemisieren, aber doch viele auch Sehnsucht haben nach dem Glauben, der Geborgenheit, der Liebe der Christen. Es ist ein leichter Goldschimmer in die Welt gekommen – ob die Welt ihn will oder nicht, sie ist ergriffen von ihm, er durchleuchtet sie.

Dass Jesus Christus die Welt verändert hat und weiterhin verändern wird – das liegt deutlich vor Augen. Aber wie ist es mit uns? Hat er uns verändert? Hat uns das Licht auf dem Berggipfel so durchleuchtet und durchwärmt, dass wir nun wieder hinuntersteigen können, damit wir anderen mit unserer Liebe zu einem Lichtschimmer, einem Goldschimmer werden? Leuchtet, strahlt das Morgenlicht Gottes aus unseren Augen und aus unserem Tun heraus? Oder sehen wir wie der Prophet und seine Zeitgenossen auch nur aus der Dunkelheit des Lebens sehnsuchtsvoll auf das aufgehende Licht?

Die Hirten, von denen uns die Weihnachtsgeschichte berichtet, saßen im Dunkeln und im kühlen Frösteln auf ihrem Feld, vielleicht hatten sie ein Feuer an, aber was ist das schon angesichts des Tageslichts? Sie lebten ihr Leben und hofften auf das, was durch den Propheten Micha verheißen worden war. Sie haben einen Hoffnungsschimmer. Dann wird es auf einmal hell um sie, die Herrlichkeit Gottes leuchtet um sie her – sie hören die Worte: Ehre sei Gott im Himmel und Frieden auf Erden – es ist alles wie bei dem Propheten Micha. Auch das ist nur ein Lichtschimmer. Eines aber ist anders geworden: Sie bekommen einen Auftrag: Geht hin – und  seht! Das kannte der Prophet noch nicht. Das ist neu: Geht hin – und seht! Die Hirten könnten auch bleiben – und alles an sich vorübergleiten lassen – aber sie gehen hin – und sehen. Und in dieser Zeit leben wir seitdem: Wir können hingehen und sehen. Wir können freilich auch bleiben und unsere Dunkelheit und Kälte genießen und auf die Zukunft hin hoffen. Wir können bleiben, weil wir uns in unserer Zeit, in unserem Alltag eingerichtet haben und denken: In der Zukunft wird vielleicht alles besser und schöner – aber, wir können auch hingehen und sehen, was Gott uns an Licht und Wärme geschenkt hat. Und zwar: Jetzt können wir das ergreifen, was Gott uns geschenkt hat.

Bei dem Propheten Micha heißt es:

Er aber, der Hirte, wird auftreten und weiden in der Kraft des HERRN und in der Macht des Namens des HERRN, seines Gottes. Und sie werden sicher wohnen; denn er wird zur selben Zeit herrlich werden, so weit die Welt ist. Und er wird der Friede sein.

Doch wir brauchen – wie die Hirten – nicht mehr nur in die Zukunft schauen, oder missmutig fragen, was tut Jesus Christus eigentlich in unserem Alltag? Hat sich etwas verändert? Was hat sich in der Welt verändert? Es hat sich viel verändert. 8 Lichtstrahlen möchte ich nennen:

1.      Lichtstrahl: Menschen, die von seinem Licht wissen, in seinem Licht leben – die werden weiden in der Kraft des Herrn. Finsternis kann euch nicht mehr beherrschen. Sie ist zwar da – aber in der Finsternis, trotz Finsternis können wir Licht sein.

2.      Lichtstrahl: Sie werden weiden in der Kraft des Herrn. Die Schwäche ist zwar da und Müdigkeit ist da – doch Schwäche und Müdigkeit werden die Menschen, die zu Jesus gehören, nicht mehr unterkriegen, denn die Kraft Gottes trägt euch durch alles Schwächeln, durch alles Straucheln und Fallen hindurch. Er wird euer Friede sein – er ist unser Friede.

3.      Lichtstrahl: Wenn wir schuldig werden, wenn wir uns selbst nicht verstehen und nicht mehr mögen, unzufrieden sind mit uns – dann sehen wir auf die Liebe des Hirten und wissen: „Ich bin dein“ – und das alleine zählt.

4.      Lichtstrahl: Wenn andere uns zurückstoßen, wir uns erniedrigt und klein fühlen, dann können wir auf den liebenden Hirten Jesus Christus schauen und ihm sagen: „Danke, danke, ich bin dein, du bist mein.“

5.      Lichtstrahl: Wenn wir ruhelos sind und daran denken, dass unsere Zeit so schnell verrinnt – dann können wir sie in seine Hand legen und werden ruhig, weil unsere Zeit in guten Händen liegt, in den Händen des guten Hirten, dem wir gehören.

6.      Lichtstrahl: Wenn sich Sorgen in uns breit machen, dann können wir sie in seine Hand legen und sagen: „Guter Hirte, ich bin dein, dafür bin ich sehr dankbar, deine Kraft und dein Licht stärken mich.“

7.      Lichtstrahl: Wenn uns Krankheit und Tod bedrücken und bedrängen, dürfen wir wissen: „Herr, du bist unser Friede, du wirst unser Licht sein über dieses kurze irdische Leben hinaus.“

8.      Lichtstrahl: Wenn uns politische Ängste bedrängen, dann wissen wir: Der gute Hirte regiert – die Völker spielen verrückt, die Herrschenden ebenso – aber „du, Hirte der Völker, führst sie durch Wüsten und Dornen hindurch zu deiner Weide“.

Seit dem Propheten Micha hat sich vieles geändert. Es ist nicht mehr nur der Lichtstreifen am Horizont zu sehen, es ist nicht mehr nur der Sonnenschein am Gipfel, der unser Herz berührt – wir stehen mitten im Licht. Und weil wir mitten im Licht unseres Herrn Jesus Christus stehen, können wir auch das Licht weitergeben, können wir ein Lichtschimmer der Liebe in unserer dunklen Welt sein. Ihr Lieben, seit Jesu Christi Geburt hat sich viel verändert. Nehmt es nur wahr – und lebt als Kinder des Lichts.