Der für den heutigen Sonntag vorgeschlagene Predigttext steht im Johannesevangelium im 1. Kapitel:
Am nächsten Tag sieht Johannes, dass Jesus zu ihm kommt, und spricht: Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt! Dieser ist’s, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der vor mir gewesen ist, denn er war eher als ich. Und ich kannte ihn nicht. Aber damit er Israel offenbart werde, darum bin ich gekommen zu taufen mit Wasser. Und Johannes bezeugte und sprach: Ich sah, dass der Geist herabfuhr wie eine Taube vom Himmel und blieb auf ihm. Und ich kannte ihn nicht. Aber der mich sandte zu taufen mit Wasser, der sprach zu mir: Auf wen du siehst den Geist herabfahren und auf ihm bleiben, der ist’s, der mit dem Heiligen Geist tauft. Und ich habe es gesehen und bezeugt: Dieser ist Gottes Sohn.
Soweit der Predigttext.
Dieser ist Gottes Sohn, sagt der Mann, der Jesus getauft hat, Johannes der Täufer. Was bedeutet das „Gottes Sohn“? Darüber wollen wir in der Predigt ein wenig nachdenken. Mit der Bezeichnung „Gottes Sohn“ haben wir einen der so genannten Hoheitstitel vorliegen. Nachdem Jesus gestorben war, nachdem er sich als der Auferstandene den Seinen gezeigt hatte, haben sie ihm Hoheitstiel zugelegt, wie König, Sohn Gottes, Christus/Messias, Sohn Davids. Manche dieser Titel, die die Besonderheit, die Hoheit, Majestät Jesu aussprechen sollten, haben einzelne Menschen ihm auch schon vor seinem Tod zugeeignet. Einer dieser Titel ist „Sohn Gottes“ bzw. „Gottes Sohn“. In der Zeit Jesu verstand man darunter nicht, dass Gott Jesus gezeugt hat. Das gehört nicht zur jüdischen Tradition. Die Griechen sprachen mit zwinkernden Augen von dem liebestollen Zeus – aber unser Gott, der Gott von Juden und Christen ist kein Mann, der unter den schönen Menschenfrauen auf Brautschau geht. Der Hoheitstitel hat also nichts mit Zeugung zu tun. Er wurde auch verwendet, um Herrscher in die enge Beziehung zu Göttern zu bringen. Ein ägyptischer Herrscher wurde als Gottes Sohn bezeichnet. Im Psalm finden wir die Bezeichnung „Sohn Gottes“ für David. Und Jesus, als Nachkomme Davids, wurde als König bezeichnet bzw. entsprechend auch als Gottes Sohn. Doch war Jesus ein König?
Jesus erzählt uns das Gleichnis vom verlorenen Sohn. In diesem Gleichnis wird erzählt, dass der jüngere Sohn eines Vaters sein Erbe ausgezahlt bekommen möchte. Er verschleudert als jüdischer junger Mann sein Geld bei den Heiden, er sinkt so tief, dass er sogar bei den unreinen Schweinen leben muss. Dieser vollkommen verlotterte Sohn geht zu seinem Vater heim, nachdem er eingesehen hat, dass es ihm schlecht geht. Der Vater sieht den verlotterten Sohn kommen, rennt los und fällt ihm um den Hals, nimmt ihn in seine Arme. Das macht ein Patriarch, ein Vater, der etwas auf sich hält, in der damaligen Zeit nicht. Das heißt: Jesus spricht zwar von einem Vater – aber er hat ein ganz anderes Vaterbild vor Augen, als Väter so sind. Er will, dass die Väter so werden wie dieser Vater. Und so haben wir Christen alles verändert: Jesus wird König genannt – aber was für ein König ist er! Die Karikatur eines Königs! Er trägt eine Dornenkrone und wird mit einem Purpurmantel bekleidet, damit man ihn verspotten kann. Aber so soll ein König sein, wie Jesus als Herrscher ist: Er geht den Menschen nach, er sorgt für sie. Er sorgt so sehr für sie, dass er als Herrscher gar die Sünden der Menschen trägt. Er ist König, aber was für ein König! Ein Lamm – er ist das Lamm Gottes! Kein Adler, kein Tiger, kein Elefant, kein Löwe! Und so ist auch die Bezeichnung Gottes Sohn eine, die keinem bis dahin realen Gottes Sohn entspricht. So wie Jesus soll einer sein, der Gottes Sohn genannt wird – und siehe da, so werden dann Menschen, die Jesus Christus nachfolgen, als „Gottes Söhne“ bezeichnet. Ihr Christen, die ihr auch weiterhin Sklaven und Sklavinnen, Tagelöhner und Tagelöhnerinnen seid, ihr seid, so der Petrusbrief Könige, Priester, Propheten. Christen verändern diese Hoheitstitel, weil sie diese an Jesus anpassen – und Jesus Christus verändert sie, weil an ihm die Könige, Priester, Propheten gemessen werden.
Aber es lässt sich freilich noch mehr sagen. In der Ankündigung der Geburt Jesu hörten wir, dass Jesus als „Sohn des Höchsten“ bezeichnet wird. Jesus ist Gottes Sohn, einmaliger Sohn Gottes, einziggeborener Sohn Gottes, weil Gott in der Maria diesen einmaligen Menschen geschaffen hat. Der Heilige Geist als Schöpferkraft Gottes erschuf, so Lukas in seinem Evangelium, diesen Menschen – das heißt, Jesus war in einer ganz besonderen Art und Weise Sohn Gottes – eine bis dahin noch nie gesehene und in einer seit dem noch nie geschehenen Art und Weise. Wir sind zwar alle Söhne und Töchter, also Kinder Gottes – aber Jesus ist etwas Besonderes. Er hat eine sehr innige Beziehung zu Gott ausgesprochen, indem er ihn als Vater, gar als Väterchen angeredet hat; er hat gewusst, was Gott von uns Menschen erwartet, fordert. Er wusste, dass Gott uns zugewendet ist, uns liebt, um uns besorgt ist. Jesus und Gott waren eine Einheit, waren geistesverwandt, sie gehörten untrennbar zusammen, denn der Geist Gottes steht an seinem Ursprung, der Geist Gottes kam auf ihn herab, der Geist Gottes ruhte in ihm, der Geist Gottes ging von ihm aus auf andere Menschen über.
Und dass er etwas Besonderes ist, das wird heute vielfach diskutiert. War er wirklich etwas Besonderes? So brachte das ZDF vor Weihnachten einen Film über Jesus. Alles, was über ihn in den Evangelien geschrieben steht, sind Legenden und bunte Märchen. In vielen Zeitschriften wurde wieder Jesus als Mensch seiner Zeit dargestellt. Es wurde dies und jenes erklärt, es wurde dies und jenes spannend, interessant und mit Bildern dargestellt. Allein die Tatsache, dass seit 2000 Jahren über diesen Menschen gesprochen wird, über den Sohn Gottes, zeigt, dass er etwas Besonderes war. War?
Und hier wird es nun für uns heute spannend. Jesus war mehr als die großen Philosophen Sokrates, Plato, Aristoteles. Er war mehr als die großen Krieger und Herrscher Alexander, Cäsar, Augustus. Er war mehr als die großen Dichter Aristophanes, Catull und Lucian. Er war mehr als die Redner Gorgias, Isokrates und Cicero. Er ist mehr als Buddha, Konfuzius und Mohammed. All diese großen und zu ihrer und anderer Zeiten hinaus berühmten Menschen sind gestorben. Jesus Christus – lebt – und er war nicht Sohn Gottes, sondern er ist Sohn Gottes. Und was bedeutet das? Das bedeutet, dass er nicht nur ein Vorbild ist, sondern er ist der Herr derer, die an ihn glauben. Das bedeutet, dass er nicht einfach übergangen werden kann, sondern dass sein Wort, das wir in den Evangelien hören, Gottes Worte sind. Er ist nicht nur ein toller, wunderbarer Mensch gewesen, er ist nicht nur ein freundlicher Redner gewesen, sondern in seinen Worten und Taten wird Gott sichtbar – und es wird auch deutlich, was Gott von uns verlangt.
Im ersten Kapitel des Johannesevangeliums steht auch, dass Jesus in seine Welt gekommen ist und die Seinen ihn nicht aufgenommen haben. Und damit zeigt es auch, was wir in unserer Zeit wiedererkennen können: Wir kennen Jesus. Wir diskutieren in der Gesellschaft über Jesus. Wir versuchen darzulegen, was das heißt, dass Jesus Gottes Sohn, Messias, König genannt wurde. Damit mögen wir Recht haben – aber all das hilft uns im Leben letztlich nicht weiter. Was hilft uns weiter?
Der auferstandene Jesus Christus sagt, so überliefert es uns das Matthäusevangelium als letzten Satz:
Und Jesus trat herzu und sprach zu ihnen: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.
Das ist es, was wir beherzigen müssen, in unserem Herzen bewegen müssen: Ihm ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Und das hat Konsequenzen. Wir gehören ihm. Und wenn wir ihm gehören, dann lesen wir auch seine Worte in den Evangelien, dann bewegen wir sie in unserem Herzen, wir hüten sie wie Schätze und versuchen, danach zu leben.
Lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Was hat er uns denn befohlen? Viele Christen wissen gar nichts mehr davon, dass Jesus auch Forderungen stellt, dass er möchte, dass wir ein ganz neues Leben führen, das Leben der Kinder Gottes, die von Gott verwandelt worden sind in neue Menschen: Vergebt einander, liebt den Nächsten und den Feind, teilt, tröstet die Trauernden, setzt euch ein für die Gerechtigkeit, die Gott so sehr am Herzen liegt. Jesus ist nicht ein Mensch von vor 2000 Jahren, er ist Gottes Sohn und als Gottes Sohn gegenwärtig wirksam und möchte es auch durch uns sein. Lest, lest, lest seine Worte. Lasst ihn ins Herz hineinkommen. Das Kindergebetchen mag in seiner Naivität belächelt werden:
Ich bin klein, mein Herz mach rein, soll niemand drin wohnen als Jesus allein.
Aber dieses Gebet sagt alles aus, worum es Christen geht, wenn sie Jesus als Sohn Gottes bekennen.
Und siehe, so sagt der auferstandene Jesus: Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt. Beherzigen wir das? vergehen wir in Ängsten und Sorgen? Verwirren wir uns in trüben Gedanken, in zornigen und ärgerlichen Fesseln? Er ist bei uns alle Tage! Was können uns da eigentlich noch andere Menschen wirklich antun? Warum grübeln wir über andere Menschen nach, statt darüber, dass er uns liebt, dass er uns an die Hand und in die Arme nimmt? Wenn wir auf ihn schauen, der unser Herr, unser Sohn Gottes ist, dann haben sich die Maßstäbe dieser Welt verschoben. Uns interessiert nicht mehr, was andere denken und sagen, wie andere schauen oder die Nase rümpfen. Uns interessiert nicht mehr unsere Sünde der Vergangenheit – denn das Lamm Gottes, Jesus Christus, hat unsere Sünde getragen – und auch die Sünde des Menschen, mit dem wir es zu tun haben, interessiert uns darum nicht mehr. Uns interessiert nur noch, ihm zu folgen, seinen Auftrag in Liebe auszuführen. Wir sind nicht mehr Ausgelieferte eines Gruppenzwangs – auch nicht eines Gruppenzwangs derer, die wie wir Christen sind. Wir gehören einzig und allein dem Gottessohn, dem Sohn Gottes Jesus Christus, denn er hat uns mit seinem Geist getauft, hat uns seinen Geist geschenkt. Liebe Kinder Gottes, liebe Brüder und Schwestern, was wollen wir denn mehr – im Jahr 2013?