Jeremia 1: Gottes Prophetinnen und Propheten heute

Der Predigttext steht im 1. Kapitel des Jeremia-Buches:

Dies sind die Worte Jeremias, des Sohnes Hilkijas, aus dem Priestergeschlecht zu Anatot im Lande Benjamin. Zu ihm geschah das Wort des HERRN …

Und des HERRN Wort geschah zu mir: Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete, und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, und bestellte dich zum Propheten für die Völker. Ich aber sprach: Ach, Herr HERR, ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung. Der HERR sprach aber zu mir: Sage nicht: Ich bin zu jung, sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende, und predigen alles, was ich dir gebiete. Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten, spricht der HERR. Und der HERR streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an und sprach zu mir: Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund. Siehe, ich setze dich heute über Völker und Königreiche, dass du ausreißen und einreißen, zerstören und verderben sollst und bauen und pflanzen. … So mache dich auf und predige ihnen alles, was ich dir gebiete. Erschrick nicht vor ihnen, auf dass ich dich nicht erschrecke vor ihnen! Denn ich will dich heute zur festen Stadt, zur eisernen Säule, zur ehernen Mauer machen wider das ganze Land: wider die Könige Judas, wider seine Großen, wider seine Priester, wider das Volk des Landes, dass, wenn sie dich auch bekämpfen, sie dir dennoch nichts anhaben können; denn ich bin bei dir, spricht der HERR, dass ich dich errette.

Wir erleben hier einen dramatischen Augenblick – nicht nur im Leben des Menschen Jeremia, sondern auch für die Menschen in Juda/Israel. Und in diesem Drama zwischen Jeremia und Gott erkennen wir auch uns selbst, uns Christen, die wir Gottes Wort sagen und leben sollen.

Jeremia lebte und wirkte im Süden des heutigen Israel um das Jahr 600 vor Christus. Ein junger Mann dessen Vater Priester war. Dieser junge Mann hat seine Lebenspläne – bis Gott ihm dazwischenfährt. Gott beruft ihn, Gott will diesen jungen Mann zu seinem Sprachrohr machen, zu einem Sprachrohr, das nicht nur fromme Worte spricht, sondern zu einem Sprachrohr, das in das gesellschaftspolitische Geschehen massiv eingreift. Er soll Könige und deren Handlanger, er soll das Volk aufrütteln, er soll die Völker mit Gottes Wort und Gottes Handeln konfrontieren.

Doch Jeremia möchte nicht. Er möchte nicht, dass Gott seine Lebensplanung durcheinanderbringt. Er will ein ganz normales Leben führen, ein Leben in Ruhe und Frieden, ohne Ärger. Er weiß: Propheten, die Gottes Wort weiter sagen, die handeln sich häufig Ärger ein – häufig? Eigentlich immer. Ärger liegt dem Jeremia nicht. Er will keinen Anstoß erregen, einfach nur in Ruhe leben – auch von Gott in Ruhe gelassen: leben. Er will heiraten, sein Land bestellen, wie alle Menschen. Und darum sagt er Gott:

Ich kann nicht dein Wort sagen – ich bin unfähig – zudem bin ich viel zu jung dazu, ich habe keine Ahnung, was ich sagen soll, zudem: Ich würde mich Gefahren aussetzen, denen ich als junger Mann nicht gewachsen bin! Ich, gegen all die weisen und erfahrenen Männer!

Er sagt also nicht, was wir heute sagen würden: Ich habe keine Lust, Gott. Sondern: Ich bin zu jung!

Gott lässt nicht locker – im Gegenteil, er duldet keine Widerrede. Gott bestätigt dem Jeremia: Ja, du wirst massiven Ärger bekommen. Du wirst in meinem Auftrag Völker und Königreiche zerstören und aufbauen. Menschen, Herrscher wie Beherrschte lassen sich nicht gerne stören. Aber du wirst zerstören – du wirst mit deinem Wort zerstören. Du wirst falsche Hoffnungen zerstören, du wirst die Selbstsicherheit zerstören. Ja, sie werden dich bekämpfen, weil sie mich bekämpfen, aber erschrick nicht. Du wirst alle zum Gegner haben, alle Großen des Landes, und diejenigen die sich als groß ansehen und die sich den Herrschern und dem Volk anbiedern – aber ich bin an deiner Seite.

Ja, und Jeremia wird nicht nur andere Menschen zum Gegner haben, sondern auch sich selbst, und auch Gott als Gegner ansehen. Menschen glauben nicht nur an Gott, weil es ihnen damit besser geht. Jeremia erfährt: Der Glaube an Gott geht über seine Kräfte. Aber er bleibt bei Gott, denn Gott ist der Mittelpunkt der Welt und des einzelnen Menschen. Gott ist Gott, Gott bleibt Gott, Gott ergreift Menschen.

Jeremia bleibt somit nichts anderes übrig als sich aufzumachen und den Auftrag Gottes auszuführen. Er wird es tun. Und auch wir werden es tun, wenn wir uns nicht von Gott abwenden, ob wir Lust dazu haben oder nicht. Aber das bedeutet: Ärger. Jeremia wird körperlich gefoltert, in Eisenkäfigen in die pralle Sonne gehängt, er wird in den Brunnen geworfen, falsche Propheten werden gegen ihn auftreten und sein bzw. Gottes Wort ins Lächerliche ziehen, Könige werden ihn verspotten und als Nichts darstellen. Wenn Menschen selbstverliebt oder auch machtherrlich nur um sich selbst kreisen, statt um Gott, dann werden sie intolerant. Sie sind selbst der Maßstab für alles – auch für Gott. Gott muss zu mir passen – sonst gibt es ihn nicht oder sie denken: Ich muss ihn nach meinem Geschmack verändern. Und all das bekommt dann ein Mann Gottes von Gottes Gegnern zu spüren.

Doch Jeremias größter Kummer wird sein: Er wird Gottes Beistand nicht immer spüren. Jeremia ist der große Prophet der Klage: Er tritt für Gott ein – doch wo bleibt Gott? Gott hat ihm versprochen, ihm beizustehen – doch er, Jeremia, sieht sich ganz allein den Menschenhorden ausgeliefert. Wie kann Gott ihm zumuten, all das Leiden zu ertragen? Und wenn Jeremia zu Gott kommt und klagt, dann hat Gott nichts anderes zu tun, als ihm zu sagen: Du wirst noch mehr leiden! Gott der so nah ist – dieser Gott ist dem Jeremia fern. Gott, der mit Jeremia gesprochen hat, seinen Mund berührt hat – Gott schweigt, ist nicht zu spüren, ist fremd.

Was ist die zentrale Aussage der Botschaft des Propheten? Was soll er den Menschen sagen? Die Menschen verlassen sich auf Gott und den Tempel – aber Gott wird das Volk allein lassen. Das Volk wird von mächtigen fremden Herrschern und Völkern überrollt werden, es wird in die Verbannung geraten, es wird versklavt und erniedrigt werden, äußerst viele Grausamkeiten wird es erleiden – weil sie auf eigenwillige Art fromm sind, aber nicht auf Gott hören. Sie rennen ihren Weg fröhlich – in den Untergang. Weil sie sich in falscher Sicherheit wiegen, so tun, als würden sie für Gott sein – aber sie hören nicht auf Gott. Und weil die Herrscher wie das Volk nicht auf Gott hören, weil sie meinen, Gott zu dienen, aber im Grunde nur sich selbst dienen, sich selbst in den Mittelpunkt und als Ausgangspunkt aller Klugheit ansehen, darum werden sie alle in ihr Verderben rennen. Die scheinbar kluge Politik liefert das Volk nur dem Untergang aus. Es gibt ein falsches Vertrauen auf Gott – ein Vertrauen, das nur so tut, als würde es auf Gott bauen, aber das dann doch nur eine Art Selbstvergewisserung ist. Jeremia hat den Auftrag, dem Volk zu sagen: Ihr glaubt an Gott – aber ihr glaubt im Grunde nur euch selbst. Ihr setzt euch selbst an die Stelle Gottes. Ihr selbst seht euch als Gott an, als oberste Instanz. Ihr vertraut eurer eigenen Kraft. Selbstherrlich seid ihr, selbstverliebt in euch. Aber ihr müsst umkehren zu dem wahren Gott – und diese Umkehr zu dem wahren Gott hat auch politische Konsequenzen, hat soziale Folgen. Und dieser Ruf des Propheten hallt durch die Zeiten hindurch bis in unsere Zeit.

Herrscher und Volk kehrten nicht um, ordneten sich nicht Gott unter, und so kam es: die Feinde überrollten das Volk, führten es als Sklaven fort ins Exil, ins Elend, in großes Leiden. Den Weggeführten gibt Jeremia die Botschaft Gottes mit: Betet für eure Feinde, richtet euch ein im fremden Land. Lehnt euch nicht auf. Gott wird einen neuen Bund mit uns schließen, einen Bund, in dem wir dazu fähig sind, Gott richtig wahrzunehmen.

Im 31. Kapitel können wir es lesen:

Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen, … das soll der Bund sein, …: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein, und ich will ihr Gott sein….

Seit Jesus Christus Mensch wurde, seit der Geist Gottes Glaubende bestimmt, sind alle Glaubenden Verkündiger, Propheten Gottes. Nicht nur Prediger auf den Kanzeln. Gottes Wort ist weiterzusagen und weiter-zu-leben. Jeder, der diese Aufgabe bekommen hat, weiß, wie schwer das ist. Es sind ja nicht die eigenen Gedanken und Worte, die man den anderen mitteilen soll. Es ist das Wort des lebendigen Gottes. Gott will durch den Menschen reden. Gott will uns Menschen als Sprachrohr haben. Gottes Wort weiter zu sagen ist darum so schwer, weil sich ganz schnell unser eigenes Denken einschleichen kann. Wir werden dann nicht zum Sprachrohr Gottes, sondern zu einem Menschen, der eigene kleine Weisheiten von sich gibt, der nur das plaudert, was die Menschen hören wollen, der nur Worte plaudert, um aus eigener Selbstgefälligkeit die Menschen wie auch immer zu provozieren, der politische Aussagen macht, die nicht Gottes Willen widerspiegeln. Wir haben den Auftrag, Gottes Wort zu predigen, nicht uns selbst. Von daher predigen wir auch, wenn alles richtig ist, Gottes Wort für uns selbst. Wir stehen selbst unter dem Wort, das wir aussprechen, nicht über dem Wort. Darum ist es so wichtig, ganz eng an Gott zu bleiben, zu beten, Gottes Wort im Herzen zu bewegen. Auch wenn wir meinen, Gott sei uns fern, wenn wir ihn nicht spüren, nicht wahrnehmen, sondern voller Angst in die Stille lauschen: Gott – wo bist du? Und wenn man dann doch seinen Mund öffnet, dann weiß man: Ich soll Gottes Wort reden – aber ich kann es nicht sagen. Vielleicht bin ich zu jung, aber ich bin oft auch zu müde, das richtige Wort fällt mir nicht ein, es bleibt alles im Ungefähren stecken, ich bin unbeholfen, ich spüre Gott nicht – kurz: ich stehe mir selbst im Weg – schlimmer noch: Ich stehe Gott im Weg! Ich habe mich selbst verkündigt, nicht Gottes Wort! Ich meinte es gut – aber es kam Schlechtes dabei heraus; – aber auch: Ich wusste nicht, was ich eigentlich sagen sollte – und es kam Gutes bei heraus. Wir stecken nicht in uns selbst, wir stecken nicht in Gott. Gott ist der ganz andere – und wer bin ich als Mensch? Im Grunde bin ich einer, der nicht versteht. Der nicht zu reden versteht, der sich selbst nicht versteht, der Gott nicht versteht. Aber dennoch will Gott, der Schöpfer und Erhalter der Welt, durch uns unfähige Menschen reden. Weil wir vor diesem großen und wunderbaren Geheimnis stehen, wie das alles von statten geht, legen wir unsere Worte und unser Tun in Gottes Hand. Er selbst möge an uns arbeiten, er selbst möge durch uns reden, er möge durch uns handeln.

Dann kann es kommen, dass wir mit uns selbst unzufrieden sind – aber es war gerade das richtige Wort zur rechten Zeit, das Gott durch uns gesprochen hat. Vielleicht sind wir aber auch niedergeschlagen, weil wir das Wort, das wir reden sollten, nicht gesagt haben. Und dann erfahren wir vielleicht: Es war gut so, denn an dieser Stelle war Schweigen Gottes angesagt. Manchmal haben wir aber auch gar kein Wort, nehmen nur in den Arm, drücken die Hand, schauen, bewegen uns so, wie es der andere Mensch gerade bedarf, helfen mit einer kleinen Handreichung oder einfach nur durch unsere Gegenwart – oder indem wir Menschen mit unseren Gebeten begleiten.

Wir sind seit Jesu Christi Wirken alle Gottes Prophetinnen und Propheten. Gott will durch uns einreißen, mahnen, warnen, Gott will durch uns aufbauen, trösten, stärken. Sage nicht, ich bin zu jung, zu unfähig, zu müde, zu beschäftigt, zu ungebildet, zu glaubenslos. Gott rührt Dein Herz an – mach dich auf den Weg! Damit wir diese großen Aufgaben erfüllen können, müssen wir uns in Gottes Hand legen, ihm vertrauen, dass er selbst es ist, der durch uns wirkt – auch dann, wenn wir Gott und uns selbst nicht verstehen sollten.

Amen.