Predigt ist Corona-Zeit bedingt sehr knapp.
Der für den heutigen Sonntag vorgeschlagene Predigttext steht im Johannesevangelium.
Johannes 13,21-30
21 Als Jesus mit seinen Jüngern gesprochen hatte, wurde er aufgeregt und sprach: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch wird mich verraten. 22 Da sahen sich die Jünger untereinander an, und ihnen wurde bange, von wem er wohl redete. 23 Es war aber einer unter seinen Jüngern, der zu Tische lag an der Brust Jesu, den hatte Jesus lieb. 24 Dem winkte Simon Petrus, dass er fragen sollte, wer es wäre, von dem er redete. 25 Da lehnte der sich an die Brust Jesu und fragte ihn: Herr, wer ist’s? 26 Jesus antwortete: Der ist’s, dem ich den Bissen eintauche und gebe. Und er nahm den Bissen, tauchte ihn ein und gab ihn Judas, dem Sohn des Simon Iskariot. 27 Und nach dem Bissen fuhr der Satan in ihn. Da sprach Jesus zu ihm: Was du tust, das tue bald! 28 Niemand am Tisch aber wusste, wozu er ihm das sagte. 29 Denn einige meinten, weil Judas den Geldbeutel verwaltete, spräche Jesus zu ihm: Kaufe, was wir zum Fest nötig haben!, oder dass er den Armen etwas geben sollte. 30 Als er nun den Bissen genommen hatte, ging er alsbald hinaus. Und es war Nacht.
Soweit der Predigttext.
Jesus hatte kurz zuvor seinen Jüngern als Sklave gedient – er hat ihnen die Füße gewaschen – Sklavenarbeit, Arbeit für Diener. Dann sagt er, dass sie einander auch dienen sollten. Die Dichterin von Onkel Toms Hütte, Harriet Beecher Stowe, schreibt einen Satz, der sich mir eingeprägt hat: Dem Bösen sind die guten Menschen widerwärtig. Darum bekämpfen böse Menschen immer wieder alles, was gut ist: Menschen, die sich gut verhalten, sie bekämpfen das Schöne, wo immer es sich zeigt, indem sie es zu zerstören suchen, sie bekämpfen gute Gedanken durch Verwirren der Menschen. So bekämpft auch hier Judas das Gute, das Jesus verkörperte. Und als Judas hinausging, ging er in die Nacht. In das Dunkel, hinein in den Verrat.
Wer von uns hat nicht auch schon Verrat erfahren? Liebes-Verrat, Verrat durch einen Freund, eine Freundin, Verrat in der Familie und der Gemeinschaft in der man lebt, Verrat – ja, Verrat durch Gott. Man fühlte sich verraten durch Gott, dem man Vertrauen entgegenbrachte, der dann aber doch nicht so reagierte, wie man es erwartet hatte. Und dann? Dann hat man selbst Gott verraten. Hat sich von ihm abgewendet. So, wie es vielleicht Judas getan hat. Jesus entsprach nicht seinen Vorstellungen. Er hatte so große Erwartungen in diesen Jesus gesetzt, Jesus wird Herrscher, er wird Massen gegen die Römer mobilisieren – und er, Judas, wird ganz groß rauskommen, er wird mit herrschen. Und dann? Im Herzen hat er Jesus schon längst verraten – dann geht er hinaus in die Nacht, um ihn den Gegnern auszuliefern.
Jesus hat gesagt, dass ihn einer verraten würde. Dann haben alle Jünger erschrocken gefragt: Bin ich es, der dich verrät? Ja, wir Menschen! Wir sind unsicher mit Blick auf Gott und Menschen. Wenn uns etwas nicht so passt – es kann leicht passieren, dass wir beginnen, zu verraten. Und so wurden wir nicht nur verraten – sondern viele haben sicher auch in ihrem Seelen-Keller den eigenen Verrat verborgen. Und wir, wir gehen in die Nacht.
Der Bericht von diesem Geschehen macht aber etwas Besonderes. Er legt nicht den Schwerpunkt auf den Verräter. Er legt den Schwerpunkt auf Jesus. Denn sofort fragen wir: Was ist da eigentlich passiert? Jesus gibt dem, der ihm verraten wird, das Brot und sagte: Was du tust, tue bald. Mit dem Brot, so wird gesagt, fuhr der Satan in Judas. Anders gesagt: Diese freundliche Gabe des Brotes brachte das Fass bei Judas zum Überlaufen. Dem Bösen sind die guten Menschen widerwärtig.
Warum sagt Jesus diese sonderbaren Worte: Was du tust, tue bald? Judas ist schon längst am Handeln, er ist mit Herz und Hirn schon längst in der dunklen Zukunft – auch wenn er noch mit Jesus am Tisch sitzt. Er verrät schon längst, auch wenn er sein Vorhaben noch nicht umgesetzt hat.
Viel wurde über diese Sätze nachgedacht und spekuliert. Wir wissen nicht, was da los war bei diesem letzten Mahl Jesu mit seinen Jüngern. Wir erkennen nur eines ganz deutlich: Unser Blick soll nicht beim Verräter hängen bleiben, sondern an der Freundlichkeit Jesu dem Verräter gegenüber. Jesus lässt ihm seinen Willen. Er zetert und schreit und brüllt nicht herum, er verweigert ihm nicht das Wort, indem er ihn anschweigt, er wirft ihn nicht in hohem Bogen aus dem Raum, hetzt seine Jünger nicht gegen diesen einsamen Mann auf, ja, auch diesem hat er wie ein Diener die Füße gewaschen. Jesus macht das – wer ist dieser Jesus? Warum macht er das?
Jesus ruht trotz allen Verrates, aller Verleugnung, allem Leidens, das die Menschen über ihn bringen in sich selbst. In sich selbst – im Willen Gottes. Jesus lebt im Einklang mit dem Willen Gottes, und dieser Einklang geht durch das Leiden hindurch. Leiden bringt keinen Missklang zwischen Gott und ihm. Dass Gott seine Bitte nicht erfüllt, ihn vor dem unendlichen Leiden zu bewahren, wendet ihn nicht von Gott ab, sondern schweißt ihn enger mit Gott zusammen. Er verrät Gott nicht.
In seinem letzten Gebet, das Jesus spricht, das wir im Johannesevangelium finden, wird genau das ausgesprochen: Jesus und Gott – Gott und Jesus: Kein Blatt Papier passt mehr dazwischen. Und er bittet Gott im Gebet darum, dass die, die ihm nachfolgen, auch so eine Einheit bilden – vor allem aber auch: Mit ihm und Gott eine Einheit bilden. Kein Blatt Papier soll mehr zwischen Jesus und uns passen. Der Verräter geht hinaus in die Nacht.
Wenn wir in unserem Leben nach dieser Einheit mit Gott in Jesus Christus streben, danach suchen, in all unseren Schicksalen in Gott zu ruhen, dann gehen wir nicht hinaus in die Nacht. Wir gehen hinaus ins Licht. In das Licht Gottes. In Gottes Herrlichkeit.