Der für den heutigen Sonntag vorgeschlagene Predigttext steht im ersten Kapitel des Jakobusbriefes:
Selig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet; denn nachdem er bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen, die Gott verheißen hat denen, die ihn lieb haben.
Niemand sage, wenn er versucht wird, dass er von Gott versucht werde. Denn Gott kann nicht versucht werden zum Bösen, und er selbst versucht niemand. Sondern ein jeder, der versucht wird, wird von seinen eigenen Begierden gereizt und gelockt. Danach, wenn die Begierde empfangen hat, gebiert sie die Sünde; die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiert den Tod.
Irrt euch nicht, meine lieben Brüder. Alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe kommt von oben herab, von dem Vater des Lichts, bei dem keine Veränderung ist noch Wechsel des Lichts und der Finsternis. Er hat uns geboren nach seinem Willen durch das Wort der Wahrheit, damit wir Erstlinge seiner Geschöpfe seien.
Soweit der Predigttext.
Der Jakobusbrief ist der ungeliebte Brief der Evangelischen. Er ist sehr gesetzlich. Er spricht kaum über Jesus. Er reiht vielfach Sätze aneinander, deren Zusammenhänge wir heute zum Teil kaum mehr verstehen. Jakobus vertritt außerdem eine andere Meinung als Paulus. Er legt mehr Wert auf die rettende Tat als auf die Verkündigung der Gnade Gottes. Luther mochte den Jakobusbrief überhaupt nicht. Doch haben alle Kritiker des Jakobusbriefes auch immer wieder erkannt: dieser Brief enthält einige Schätze. Diese Schätze sind jedoch zum Teil nur sehr schwer zu bergen. Haben wir in unserem Predigttext auch Schätze? Sicher. Wir müssen nur die Aussagen erst ein wenig polieren, damit sie wirklich glänzen können.
Haben Sie die Schätze schon erkannt? Ich denke, wir müssen sie noch ein wenig mehr polieren, damit sie auch für uns so richtig glitzern können. Was nützen Schätze, die schon poliert sind? Sie liegen in der Schmuckschatulle. Erst dann, wenn wir merken: Ach, sie sind ja nicht mehr schön, blass, angelaufen – erst dann nehmen wir sie wieder zur Hand und sie werden liebevoll betrachtet. So geht es uns mit vielen Bibeltexten: Die Bibel erweist sich erst dann als Schatztruhe, wenn wir die unansehnlichen Schätze immer wieder liebevoll zur Hand nehmen und zu polieren anfangen. Und darum möchte ich am Beispiel dieses Textes zeigen, wie sie zu Hause unansehnliche Bibeltexte zum Glänzen bringen können.
Wir müssen unterschiedliche Reinigungsmittel nehmen. Zuerst das Mittel, das eine Grobreinigung bewirkt:
Aus den vielen Sätzen müssen wir den zentralen Gedanken, den zentralen Schatz herausputzen. Wir fragen: Was steht da eigentlich geschrieben? Und so fasse ich unseren Predigttext erst einmal mit eigenen Worten zusammen. Die erste Seite des Schmuckstücks:
- Den Menschen, die Anfechtungen erdulden und durchhalten, denen wird Großes verheißen, es wird viel versprochen: Die Menschen, die Gott lieben, werden die Krone des Lebens empfangen. Sie sind durch das schwere Leben, das sie immer wieder von Gott wegbringen wollte, als Sieger hindurchgegangen. Darum werden sie vom König, von Gott, mit der Krone belohnt werden.
Die zweite Seite:
- Nach der Verheißung kommt die Drohung: Wenn man von Gottes Weg abkommt, dann ist nicht Gott daran schuld, sondern man selbst – und man wird den Tod bekommen, die Todesstrafe wird einen ereilen.
Die dritte Seite:
- Allein Vollkommenheit kommt von Gott, von ihm kommt das Licht. Und dieser Vater des Lichts hat uns geboren. Er hat uns durch sein Wort neu geboren und darum sind wir Kinder des Worts, Kinder des Lichts.
Reißt uns das vom Hocker? Nein, denn wir sind begriffsstutzig. Wir glauben alles zu kennen und besser zu wissen. Und so fragen wir: Ist das schon alles? Wir können uns mit dem bisher erreichten matten Glanz nicht zufrieden geben. Wirklich nicht, wir müssen zu Recht feinere Mittel benutzen, um den Schatz zum Glänzen zu bringen:
Und so fragen wir: Was sagt der Text mir? Mir ganz persönlich? Damit ist eigentlich eine Predigt überfordert, weil ich nicht weiß, was der Text jeden von ihnen zu sagen vermag.
Aber ich nehme mal einen Gesichtspunkt heraus, von dem ich denke, dass er vielen von uns bedeutsam sein kann. Wir haben alle unsere Versuchungen. Ich möchte ein paar nennen: Faulheit, Bequemlichkeit und sich bedienen lassen. Über andere reden – natürlich nur wohlwollend. Störrisch dem anderen seinen Willen aufzwingen wollen, sich über sich selbst ärgern. Dann lassen wir vielen Dingen in unserem Leben häufig einen zu breiten Raum: dem Fernsehen, dem Essen, dem Computerspiel … Wir denken zu groß von uns – aber auch zu klein. Das sind so die Alltagsversuchungen. Und sie kennen alles, was mit dem Wörtchen „-sucht“ verbunden wird. Um solche Versuchungen geht es in unserem Text nicht nur. Es geht um Versuchungen, die Gott betreffen – und darum auch Auswirkungen haben auf unser Verhältnis zu den Mitmenschen – und auf das Verhältnis zu uns selbst.
Wenn es um Gott geht, dann kommen wir so manches Mal ins schleudern: Wie kann Gott das Böse zulassen? Warum muss mein Mitmensch, warum muss ich so leiden? Warum wurde die Katastrophe nicht verhindert – warum müssen so viele Kinder verhungern? Warum sterben in Afrika Menschen ganzer Landstriche an Aids aus – wenn es einen liebenden Gott gäbe, dann würde er das doch nicht zulassen! Das sind die großen Versuchungen, Versuchungen, die hart sind. Sie sind darum besonders hart, weil sie uns von Gott abbringen wollen. Sie sind darum schwer, weil wir Menschen keine Antwort darauf finden. Diese Fragen können überhaupt erst in unserem Glauben aufbrechen, weil wir glauben, dass Gott ein liebender Gott ist. In Religionen, in denen ein Gott eher als Großwesir gesehen wird, haben Menschen es einfacher: Gott macht, was er will – Inschallah. Er ist mächtig und fragt nicht danach, was wir Menschen denken, wie es uns dabei geht. Oder im Atheismus, wo man nicht davon ausgeht, dass es einen Gott gibt, da hat man diese Probleme nicht, denn es kommt so, wie die Natur es halt mit sich bringt. Aber Gott ist Licht, er ist Liebe, er ist Barmherzigkeit, er hört auf uns – und da ist all das besonders schwer zu verstehen. Das ist die Versuchung schlechthin. Und wenn wir uns da von Gott abbringen lassen, dann hat das auch Auswirkungen auf unser Verhältnis zu den Menschen. Das Gottes- und Weltbild hat Auswirkungen auf das Verhalten. Denken Sie an den Reinkarnationsglauben der Hindus: Wenn ein Mensch leidet – dann darf man ihm nicht helfen, weil es so bestimmt ist, weil er sich das wegen seines vorigen Lebens selbst zuzuschreiben hat. Wie wir von Gott denken – das beeinflusst unser Leben mit unserem Mitmenschen und das Leben mit uns selbst. So sieht es auch der Jakobusbrief. Gott will uns nicht von sich abbringen – die Versuchung ist vom Bösen.
Was hat Jakobus dazu zu sagen? Warnt er nur oder hat er dem auch Positives entgegenzusetzen? Jakobus argumentiert nicht viel, sondern sagt: Gott hat euch wiedergeboren. Punkt aus. Wenn meine Mutter mich geboren hat, dann kann ich gar nicht viel in Zweifel ziehen. Meine Mutter hat mich geboren. Also bin ich. Wenn Gott mich geboren hat, dann gilt das auch: Gott hat mich geboren. Und darum gehöre ich zu Gott, darum bin ich sein Kind. Und wenn die Versuchung kommt, und mir einreden will: „Du bist nicht von Gott geboren!“, dann ist das genauso blödsinnig, wie wenn einer sagen würde, deine Mutter hat dich nicht geboren. Luther hat das auch begriffen: Als er versucht wurde, dann hat er sich auf seine Taufe berufen: „Ich bin getauft!“ Dagegen kann nichts und niemand mehr etwas tun. Ich gehöre zu Gott – also ist Gott. Alles Leiden in der Welt sagt uns immer wieder: „Gott ist nicht!“, oder: „Gott ist böse!“, oder: „Gott ist ein Hirngespinst!“. Das hören wir, das sagen wir vielleicht manchmal auch selbst – aber dann kommt mir wieder in den Sinn: Gott ist – er hat mich wiedergeboren. Ich bin Gottes Kind – also muss Gott sein. Und wer sich das mit Gottes Hilfe sagen lässt, der kann sich auch gegen das Leiden stemmen. Der kann sich auch gegen all die Lüge, den Betrug, die Ungerechtigkeit anstemmen. Manchmal voller Angst, manchmal ohne Mut und schwach und müde – aber als Kind Gottes.
Wir können die Frage nach dem Leiden nicht beantworten. Die Frage nach dem Warum. All unser Grübeln kann Gott weder beweisen noch widerlegen. So geht es nicht nur uns, sondern auch allen großen Denkern und Dichtern. Mit schlauesten Worten kann man Gott wie Nichtgott beweisen – zumindest so tun. Aber wir sehen, wie Jesus Christus als Sohn Gottes gegen das Leiden angegangen ist, wie er Menschen Mut gemacht hat, wie er sie gestärkt hat und Leben gebracht hat. Daher wissen wir, was Gott will: Er will nicht, dass die Versuchung gewinnt und wir mutlos werden. Er will, dass wir als Kinder Gottes leben – nicht nur leben, sondern Leben bringen.
Das nächste Mittel, unser Schatz zum Glänzen zu bringen:
Was will Gott mit diesem Text in meinem Leben bewirken?
Und damit haben Sie eine Hausaufgabe bekommen: polieren Sie selbst mal diesen Text und überlegen: Was sagt er mir? Was will Gott mir damit sagen? Warum hat er mir diesen kostbaren Schatz anvertraut?
Das Wort Gottes ist unsere Mitte, unser Zentrum, das uns stabilisiert, das uns stärkt. Das Wort der Wahrheit gebiert uns neu – und wir können uns mit diesem Wort im Herzen wissen: Du bist Kind Gottes.
Und dann, wenn alles gereinigt ist, polieren wir noch einmal mit einem weichen Tuch nach, damit der Text himmlisch glänzt: Dieses Tuch ist das Dankgebet. In ihm danken wir Gott, dass er uns so wichtig nimmt und mit uns spricht. Dieses Tuch ist auch die Bitte, das Gehörte umsetzen zu können. Dazu werde ich jetzt nichts mehr sagen, sondern wir singen gemeinsam aus dem Lied 196,1-2.5-6.