Der für den heutigen Sonntag vorgeschlagene Predigttext steht im Matthäusevangelium im 4. Kapitel.
Als nun Jesus hörte, dass Johannes gefangengesetzt worden war, zog er sich nach Galiläa zurück. Und er verließ Nazareth, kam und wohnte in Kapernaum, das am See liegt, im Gebiet von Sebulon und Naphtali, damit erfüllt würde, was durch den Propheten Jesaja gesagt ist, der spricht:
Das Land Sebulon und das Land Naphtali, das Land am Meer, das Land jenseits des Jordan, das heidnische Galiläa, das Volk, das in Finsternis saß, hat ein großes Licht gesehen; und denen, die saßen am Ort und im Schatten des Todes, ist ein Licht aufgegangen.
Seit jener Zeit fing Jesus an zu predigen:
Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!
Soweit der Predigttext.
Tut Buße. Ein ärgerliches Wort, damals wie heute. Wir Menschen stolpern darüber. Als wenn wir größere Sünder wären als die anderen. Warum sollten wir Buße tun? Sollte Gott uns gegenüber wirklich zornig sein? Gott liebt uns doch! Aber in ehrlichen Stunden erkennen wir auch: Gott hat allen Grund, uns sein „Nein!“ entgegenzuhalten, sein hartes „Nein!“. Und er hält es uns auch vor – aber ganz anders, als wir es auf dem ersten Blick am Bußruf unseres Textes erkennen können.
Gehen wir mal langsam vor, um zu verstehen, was eigentlich in unserem Text steht. Johannes der Täufer wurde gefangengenommen, weil er seinen König zur Buße aufgefordert hatte: Er hatte seine Frau weggeschickt und dafür eine andere Frau genommen. Wenig später wurde der mutige Täufer Johannes, der es gewagt hatte, seinen König zur Buße zu rufen, hingerichtet. Noch während seiner Gefangenschaft stand wieder einer auf, der mutig das tat, was Johannes begonnen hatte: Jesus forderte auf, Buße zu tun. Ohne Furcht, selbst gefangengenommen zu werden, tut er sein Werk. Sein Werk? Das Werk Gottes. Und dieses Auftreten wird wunderbar mit Worten des Alten Testaments beschrieben: Es geht ein Aufatmen durch das Volk, das in Finsternis saß: Endlich ist er da, er, der dem Volk im Finstern das Licht gibt. Endlich. Doch wieso ist er dem Volk im Finstern ein Licht? Wieso sitzt überhaupt ein Volk im Finsteren, am Ort und im Schatten des Todes? Meistens ist es Sünde eines Volkes, das es in Finsternis bringt: Ungerechtigkeit macht sich breit, Reiche werden bevorzugt, Mächtige lassen andere ihre Macht spüren, Gottes Gebote werden missachtet: du sollst nicht ehebrechen, nicht töten – auch Ungeborene nicht -, nicht stehlen, raffgierig sein, nicht falsch Zeugnis reden, Gerüchte in die Welt setzen und verbreiten – und Gott missachten. Und da steht nun dieser Jesus auf und ruft: Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen! Ihr könnt neu anfangen, kehrt um, verhaltet euch so, wie Gott es will! Damit wir verstehen, warum dieser Ruf Licht bringt, wollen wir ihn mal mit anderen Worten aussprechen:
Seid ihr bereit, der Liebe eures Gottes zu begegnen?
Der Ruf Jesu bringt darum Licht, weil er uns mit Gottes Liebe in Verbindung bringt. Sind wir bereit, der Liebe Gottes zu begegnen, um im Licht Gottes zu leben? Nur Hartgesottene unter uns werden wohl „Ja“ sagen. Doch viele unter uns dürften sagen „Nein“. Wir schämen uns dessen, was wir tun, weil es dieser Liebe Gottes so ganz und gar widerspricht. Wir sind reizbar, wir reden schlecht über andere, verbreiten Gerüchte, wir vertrauen nicht Gott, sondern niemandem und sind darum voller Angst. Streit liegt uns nicht fern: Wir wollen uns selbst behaupten. Wir vergeuden unsere Zeit, die Gott uns gegeben hat – jede und jeder weiß, wo wir nicht bereit sind, der Liebe Gottes zu begegnen. Doch manchmal merken wir selbst nicht mehr, dass wir vor Gottes Liebe ausweichen, weil das Falsche schon zu unserem Alltagsverhalten gehört, ein Teil von uns geworden ist.
Doch können wir überhaupt angesichts der Flutkatastrophe überhaupt noch von Gottes Liebe sprechen? Diese Flutkatastrophe ist so furchtbar, dass wir kaum Worte dafür finden: Menschen sitzen am Ort und im Schatten des Todes. Menschen in den Medien machen sich wieder Gedanken darüber, wo der Mensch versagt hat. Sie finden die Versager in den reichen Ländern, weil sie den Armen Ländern keine Frühwarnsysteme aufgebaut haben. Sie finden die Schuldigen in den Touristen, die möglichst billig Urlaub machen wollen. Es sind Vorwürfe, die aus lauter Ohnmacht geboren sind: Wir Menschen verstehen nicht, wollen nicht verstehen, dass wir machtlos sein können. Furchtbar machtlos. Und ist es keine Flutkatastrophe, die Menschen tötet, dann ist es ein Meteor, der herunterjagt und ebenfalls aus heiterem Himmel Menschen erschlägt. Auch dann können Menschen beschuldigt werden, weil sie keine Meteor-Abwehr vorbereitet haben. Ja, es ist auch nicht zu akzeptieren, dass wir aus heiterem Himmel aus dem Leben gerissen werden können. Menschen gehen dem Alltag nach – und dann geschieht urplötzlich das Furchtbare: Menschen wurden von allem beraubt, was sie besaßen, sie atmen nicht mehr, sind kalt, verstummt, blicklos, willenlos. Wir Menschen wissen, dass wir machtlos sind, denn im Grunde geschieht nur das, was im kleinen alltäglichen Leben immer geschehen kann: Mich trifft der Schlag. Doch wir tun so, als ob wir nicht machtlos wären, reden schlau daher und suchen Schuldige oder wenden uns ab.
Neben Menschen wird auch Gott angeklagt: Gott, was machst du, warum hast du es nicht verhindert …? Andere sind geneigt, Gott zu verteidigen, ihn aus dem Spiel zu bringen, weil die Erde eben lebendig ist, sie bewegt sich, und wir alle wissen es. Wir müssen doch nicht gerade da wohnen und leben, wo es so gefährlich ist. Da bauen nach Erdbeben die Menschen doch tatsächlich ihre Häuser wieder dahin, wo sie vorher standen. Sie bauen sie tatsächlich wieder dahin, wo gerade der Fluss alles mitgerissen hat oder das Meer. Haben wir mit solchen Worten nicht die Opfer selbst zu Schuldigen gemacht, um Gott zu verteidigen? Doch wir können Gott nicht verteidigen. Wir wissen nicht, wie Gott angesichts einer Katastrophe zu verstehen ist. Wer sind wir, dass wir meinen, ihn verteidigen zu können? Wer sind wir, dass wir ihn anklagen wollen? Doch wie passt dieses Furchtbare mit der Liebe Gottes zusammen, von der wir immer hören und von der wir auch gleich sprechen werden? Gott hat Seiten, die wir nicht verstehen, die wir die dunklen Seiten Gottes nennen. Wenn wir uns an ihnen festbeißen, werden wir selbst dunkel und sitzen im Schatten des Todes. Dann hat das Böse gesiegt, weil es unseren Blick an das Dunkle Gottes fesselt; wir erstarren. Auch können wir Gott nicht verlassen, weil wir ihn manchmal nicht verstehen. Gott ist Gott – unabhängig davon, ob er mir so passt oder nicht. Es ist naiv zu meinen, Gott würde seine Existenz verlieren, wenn ich mich von ihm abwende. Auch können wir uns Gott nicht so gestalten, wie wir ihn gerne haben wollen wie andere Religionen und Philosophien es tun. Und weil wir Menschen Gott nicht verstehen, wenden wir uns enttäuscht von ihm ab – im Namen der Liebe. Wir verstehen aber auch Gott als Schöpfer nicht. Gott, der diese rumorenden Gewalten geschaffen hat, die Galaxien, Sterne, Sonnen und Planeten in ihren Weiten, in ihrem Zusammenhalt. Dieser Gott, den wir nicht verstehen, schaut uns in Jesus Christus liebend, zuwendend an. Ist denn diese Liebe Gottes zu uns Menschen begreifbar? Im riesigen Weltenraum dreht sich so ein kleiner Planet, genannt Erde – und Gott wendet sich diesen vergänglichen Menschen in Liebe zu? Auch das ist unverständlich, und so wenden wir Menschen uns nicht nur vom dunklen Gott ab, sondern auch vom majestätischen und liebenden Gott.
Doch es gab auch zahlreiche warnenden Hinweise für uns Menschen. Der Mensch, so sagte ein Mitarbeiter der Münchener Rückversicherung, der für Katastrophen zuständig ist, wollte vermutlich noch nie wahrhaben, dass er in Gefahr ist. Die Welle kam am Tag und nicht in der Nacht – und Menschen sahen sie, bewunderten sie, und verstanden die Warnung nicht. Das Meer zog sich warnend zurück – und Menschen suchten Muscheln – sie verstanden die Warnung nicht. Wenige verstanden, als sie fliehende Tiere sahen, und mitflohen, ein Mädchen beachtetete den warnenden Rückzug des Meeres, und rief zur Flucht, und ein katholischer Priester weiß noch immer nicht, wieso er spontan auf den Gedanken kam, den Gottesdienst ins Landesinnere zu verlegen. Menschen verstanden diese und andere Warnungen, die Stimmen Gottes nicht. Und so verstehen viele auch die Warnungen Jesu Christi nicht.
Katastrophen wurden häufig verwendet, um Menschen zur Buße aufzurufen. Doch in unserem Text wird nicht mit dieser Angst vor dem strafenden, unverständlichen Gott zur Buße aufgerufen. Matthäus geht einen ganz anderen Weg. Er sagt uns: Es ist das Licht erschienen, und das Licht erleuchtet auch die finstersten Ecken der Menschen, und angesichts des Lichts werden sie dazu gebracht, sich für Gott zu bereiten. Es ist ein Unterschied, ob einer mir mit Finsternis droht oder vom Licht spricht, das mich ausleuchtet; es ist ein Unterschied, ob mich ein anderer wegen meinen Unzulänglichkeiten beschimpft, heruntermacht, weil ich eben bin wie ich bin, oder ob er mir sagt: Ich weiß um dich, ich weiß, warum du so bist wie du bist – ich weiß aber auch: Du musst nicht so sein. Komm, ich helfe dir, anders zu werden, damit du bereit bist, der Liebe Gottes zu begegnen. Und so geht Jesus vor: Er ist das Licht, er versteht mich – und darum kann er mich ändern. Und weil er so vorgeht, leben die Menschen, die in der Finsternis saßen, auf einmal im Licht Gottes. Sie werden nicht tiefer in die Finsternis, in ihre Sünde und Schuld, ihre Selbstanklage und die Anklage hineingestürzt. Ihnen wird der Blick ausgerichtet auf die Liebe Gottes. Sie sagt „Nein!“ zur Sünde und zum Sünder. Sein Licht und seine Liebe sind Gottes „Nein!“ zu meiner Finsternis und Dunkelheit.
Bist du bereit, der Liebe Gottes zu begegnen? Sicher sind hier unter uns Menschen, die bereit sind, der Liebe Gottes zu begegnen. Doch andere nicht, weil eine Schuld sie quält, ein schlechtes Gewissen, weil in ihrem Leben etwas Dunkles ist, das nicht mit der Liebe Gottes übereinstimmt, weil sie sich nicht verstehen, weil sie innerlich zerrissen sind. Doch gerade uns gilt der Ruf: Bist du bereit, der Liebe Gottes zu begegnen? Dieser Ruf wird von dem gesprochen, der um mich in seiner vergebenden Liebe weiß, der meine Schuld und Zerrissenheit in seiner annehmenden Gnade kennt. Mich ruft er. Und weil er mich ruft – liegt es an mir, ob ich in seinem Licht stehenbleiben möchte, ich, der ich in Finsternis lebe, in der dunklen Vergangenheit meines Lebens. Mich ruft er, und darum stehe ich in seinem Licht da. Möchte ich mich wieder in das Dunkle zurückziehen, in mich selbst, wieder den Schatten des Todes auf mich fallen lassen? Durch seinen Ruf: Bist du bereit, der Liebe Gottes zu begegnen, stehe ich schon in seiner Liebe und in seinem Licht. Das Vergangene nimmt er mit seinem Licht. Das Zerrissene heilt er mit seiner Liebe. Seit Jesus begonnen hat zu wirken, hat er viele durch seine Liebe geheilt, Menschen ließen sich in das Licht der Liebe Gottes stellen und die Schatten des Todes flohen. Unzählige Menschen. Und so schauen sie auf das Licht und die Liebe Gottes in Jesus Christus – und sind irritiert angesichts der dunklen Seite Gottes, der wir in unserem Leben immer wieder begegnen. Wir verstehen sie nicht. Doch schauen wir auf Jesus Christus, dann sehen wir an seinem Leben, dass die Liebe Gottes größer ist als das Unverständliche Gottes. Seit Jesus Christus stehen wir in Gottes Liebe – was auch geschieht und können sehen, dass die Schatten des Todes erhellt sind. Und so klammern wir uns an den liebenden Gott, den wir in Jesus Christus erkennen. Wir erkennen seine Liebe auch in seinem warnenden Ruf: Bist du bereit, der Liebe Gottes zu begegnen? Bist du ihr begegnet, dann wirke im Namen Gottes, soviel du kannst, damit es in der Welt heller wird.