Apostelgeschichte 2,41-47: Fundament der Kirche

Der für den heutigen Sonntag vorgeschlagene Predigttext steht in der Apostelgeschichte des Lukas 2,41-47. Er schildert den Beginn der christlichen Gemeinde:

Die nun sein Wort annahmen, ließen sich taufen; und an diesem Tage wurden hinzugefügt etwa dreitausend Menschen. Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet. Es kam aber Furcht über alle, und es geschahen viele Wunder und Zeichen durch die Apostel. Alle aber, die gläubig geworden waren, waren beieinander und hatten alle Dinge gemeinsam. Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie aus unter alle, je nachdem es einer nötig hatte. Und sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel und brachen das Brot hier und dort in den Häusern, hielten die Mahlzeiten mit Freude und lauterem Herzen und lobten Gott und fanden Wohlwollen beim ganzen Volk. Der Herr aber fügte täglich zur Gemeinde hinzu, die gerettet wurden.

Soweit der Predigttext.

Ich war froh, als ich diesen Predigttext vor mir liegen sah. In letzter Zeit hatte ich immer inhaltlich recht schwere Predigttexte. Heute, so dachte ich, kann ich endlich mal heiter, munter reden. Es ist ja ein schöner Predigttext. Er schildert, wie Menschen fröhlich sind, wie sie Gemeinschaft haben, wie diese Gemeinschaft entstanden ist – durch den neuen Glauben – und wie diese nun ihr Leben prägt. Sie sind nicht mehr einsam, schauen nicht mehr nur auf Besitz aus, sie teilen, essen gemeinsam – also hier geschieht das, was man sich ersehnt.

Und dann habe ich mir überlegt: Wie kann ich daraus eine muntere Predigt machen. Soll ich ein paar tiefsinnige Scherze erzählen? – Und dann fragte ich mich: Warum sind die Menschen fröhlich, warum teilen sie, warum haben sie Gemeinschaft – sie haben sie nicht, weil da einer steht und Witze erzählt, weil einer sagt: es ist alles nicht so schlimm, man muss positiv denken, ihr müsst Spass suchen, dann habt ihr ihn auch – nein, so klappt das nicht. Es klappt auch nicht dadurch, dass ich nun alle auffordere, zu klatschen und zu tanzen. Was ist denn der Grund für dieses neue Leben dieser Menschen?

Der Grund der Freude dieser Menschen liegt in einem Menschen begründet – liegt in dem begründet, was dieser Mensch für uns Menschen getan hat. Das kennen wir auch sonst. Aus Erzählungen kennen wir, dass ein ganzes Volk aus dem Häuschen geraten konnte, wenn einer eine sieghafte Heldentat vollbracht hat. Kam er nach Hause, wurde gejubelt und gefeiert. Heute kennen wir das im Grunde nur noch vom Fussball: Kommen siegreiche Mannschaften heim, dann wird gejubelt und gefeiert, Menschen geraten aus dem Häuschen, fremde Menschen trinken miteinander ein Bierchen nach dem anderen. Ähnliches finden wir auch hier: Ein Mensch, Jesus Christus, hat etwas Wunderbares getan, etwas, worüber die Menschen aus dem Häuschen geraten. Sie erzählen davon, jeder sagt, was er von dieser Tat weiß. Was hat er Großartiges getan? Er hat Befreiung gebracht, Sieg – aber nicht über Menschen, sondern, wie es vorher heißt, er hat die Sünde besiegt, er hat den Tod besiegt. Er hat Vergebung erwirkt, er hat ewiges Leben geschaffen, er hat die Trennung zwischen Menschen aufgehoben. Wie kann man nur darüber so vollkommen aus dem Häuschen sein?

Wir Menschen sind schon komisch: Wir leben, wenn´s hoch kommt hundert und ein paar Jahre – und doch gibt es danach die Ewigkeit. Doch worum kümmern wir uns? Wir kümmern uns darum, dass wir neue Rezepte für leckere Mahlzeiten bekommen, wir kümmern uns darum, dass wir nur ja arbeiten, um im Alter möglichst gut ausgestattet zu sein. Wir leben ganz für diese paar Jahre – und vergessen dabei die Ewigkeit. Man soll sich ja kümmern, und sei es um neue Essensrezepte – aber mal darüber nachdenken, auch, gerade in jungen Jahren, dass es eine Ewigkeit gibt, das wird vergessen. Man ackert und rackert, spart und überlegt, wie man Geld möglichst gewinnbringend anlegt – alles schön und gut: Nur: was kommt danach? Hab ich mich auch darum mit genau so einem Eifer gekümmert? Und dann kommt das Erschrecken, wenn das Ende aufeinmal da ist. Menschen wollen schnell sterben, ohne Leiden, ohne Altersschmerzen – doch stirbt mal einer schnell, ohne dass sich Entsprechendes angekündigt hat, dann ist das Entsetzen sehr groß. Die Vorwürfe an Gott sind sehr groß. Die Vorwürfe an Menschen, die dieses vielleicht mitverschuldet haben, sind sehr groß.

Und hier sind wir auf einmal mitten drin in dem, was diese Menschen so froh macht: Sie brauchen keine Angst mehr zu haben, um die Ewigkeit, um ihre Nähe zu Gott: Jesus Christus bringt sie Gott nah. Und aus dieser Freude heraus wird ihr Leben umgekrempelt, neu, fröhlich. Sie haben nun das bekommen, was Menschen ersehnen: Gemeinschaft. Sie haben Gemeinschaft mit Gott bekommen. Ausdruck dieser Gemeinschaft ist das Brotbrechen, das Abendmahl: Gott ist anwesend, wenn sie miteinander speisen. Ausdruck der Gemeinschaft mit Gott ist auch das Gebet: Gemeinsam sprechen sie mit Gott. Und der Gemeinschaft im Brotbrechen und im Gebet geht etwas voraus: die Lehre der Apostel. Das bedeutet: Sie hören gemeinsam auf das, was Gott durch die Apostel über Jesus Christus gesprochen hat. Und diese Gemeinschaft mit Gott, die Jesus Christus bewirkt hat, die führt zu einer ewigen Gemeinschaft: Was hier auf der Erde mit Gott beginnt, geht weiter, auch wenn der Mensch stirbt. Paulus kann ausrufen: Tod, wo ist dein Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg? Das ist der befreite Ruf eines Menschen, der das empfindet, erfahren hat, was Jesus Christus getan hat.

Diese Gemeinschaft mit Gott führt aber auch zur Gemeinschaft der Menschen untereinander, führt heraus aus der Einsamkeit. Sie führt auch nicht in die Einsamkeit der Massen. Ich habe neulich gelesen, dass es in esoterischen Kreisen nicht mehr modern ist, irgendwelche Duftlämpchen zu Hause anzuzünden, private Meditationen zu veranstalten, und sich Wohlfühl-Edelsteine anzuschmiegen oder Ähnliches, sondern es geschieht in Massen: In großen Hallen sitzen Meditationsjünger und –jüngerinnen und meditieren. In der Masse werden sie auf sich selbst geworfen. Jeder meditiert inmitten anderer einsam vor sich hin. Denn was geht mich der andere Meditierende an? Jeder und jede muss sich selbst finden. Was hier in der frühen Christenheit geschieht, ist anders: Es handelt sich um Gemeinschaft. Um wahre Gemeinschaft. Gemeinsam stehen Menschen vor Gott, gemeinsam finden sie seine Nähe im Abendmahl, im Gebet, im Hören seines Wortes. Und wo Menschen miteinander auskommen müssen, gibt es Reibereien, Reibungspunkte. Und darum ist die Sündenvergebung so wichtig. Jesus Christus hat bewirkt, dass wir Menschen ohne Groll anderen die Schuld vergeben können. All das kleinliche Gezeter hat keinen Raum mehr. Zu sagen: der hat blöd über mich geredet, der hat mir gegen das Schienbein getreten, der hat nicht zurückgegrüßt – mit dem will ich nichts zu tun haben – mit solchen Kindermätzchen ist es in der Gemeinde Schluss, seit wir einander vergeben können. Hier ist Gemeinschaft da, Gemeinschaft, die aus der Vergebung Jesu lebt. Hier ist keine Einsamkeit mehr da in der Masse anderer Menschen.

Welch einen Traum schildert uns Lukas! Und wie sieht Gemeinde heute aus? Es kommen mehr Menschen zu Vorträgen über die Kniescheibe oder über neuste Diäten – als in Vorträge, in denen es um die Ewigkeit geht, um Glauben, Gebet, Lehre der Apostel. Und solange das in Gemeinden so ist, kann keine wahre Gemeinschaft aufkommen und damit auch keine gemeinsame Freude. Die Basis fehlt, der Grund der christlichen Gemeinschaft. Was nutzt es, wunderschöne Gruppen und Grüppchen aufzubauen, wenn das Fundament fehlt? Man hat nur Gruppen, die kaum mehr von denen anderer Gruppen in der Gesellschaft zu unterscheiden sind. Warum braucht die Welt dann noch Kirche? Warum braucht die Welt Kirche, wenn sie zu gesellschaftlichen Missständen nur ja und Amen sagt und tut, was alle tun? Wohin ist es mit unserem Abendmahl gekommen! Es ist nur eine begrenzte Gemeinschaft zwischen Menschen da. Das Abendmahl ist nicht Ausdruck dieser wunderbaren Gemeinschaft der Gemeinde. Wir kommen zum Abendmahl zusammen, aber Abendmahl ist nicht Ausdruck der Freude über unseren Glauben. Und unser Gebet: Ist es nur Klage, Bitte – oder auch Ausdruck der Freude?

Was nützt die Klage darüber, dass alles anders ist, als Lukas es geschrieben hat? Nichts. Wir wissen das alles. Was lässt sich ändern? Alles! Wenn wir nur wollen. Der Motor dieser frühchristlichen Gemeinschaft ist das, was Jesus Christus getan hat.

Sitzt hier jemand unter uns, der nicht Vorschläge dafür machen könnte, was in unserer Gemeinde vor Ort fehlt, was besser gemacht werden könnte – und der dann auch vorangehen kann im Tun? Wenn Menschen sich nicht die Mühe machen, aus dem Haus zu gehen, auch wenn es gerade dort so gemütlich ist, eine gute Fernsehsendung läuft, der Tee kalt werden könnte, der Garten mehr lockt als Menschen – solange fehlt unsere christliche Grundlage.

Andererseits: Es gibt viele Menschen in unserer Gemeinde, die sich abrackern – aber zum Teil nicht wissen, warum sie das Ganze eigentlich tun sollen. Was habe ich davon, dass ich im Kirchenvorstand bis in die Puppen tage und am nächsten Tag müde bin? Was habe ich davon, dies und das zu machen und dafür noch Schelte bekomme, weil irgendwas nicht so professionell gelaufen ist, wie ich es aus dem Fernsehen kenne, oder weil es nicht so läuft, wie ich es mir vorgestellt habe? Ich habe mal gehört, dass es einen großen Unterschied zwischen Deutschland und den USA gibt. Wenn einer in der USA etwas macht, dann gratulieren ihn andere: Toll, dass du das machst! In Deutschland heißt es dann: Das ist ja ganz schön, aber das hättest du auch besser machen können. Christen packen selbst an! Es wird nicht kritisiert um des Kritisierens Willen, es wird dazu beigetragen, dass es besser wird! Wenn das nicht geschieht, fehlt auch hier die Grundlage unseres christlichen Glaubens.

Und so werden sogar Gott und Jesus Christus kritisiert, weil sie alles nicht so gemacht haben, wie wir Besserwisser es uns denken. Doch allein auf der Grundlage dessen, was Jesus Christus für uns getan hat, haben wir Gemeinschaft mit Gott. Und diese Gemeinschaft gilt es hier gemeinsam zu leben, denn wir sind die Vorboten und Boten Gottes. Gott möchte durch uns hier und heute wirken. Hier und heute und in der Umgebung in der ich lebe. Und wenn das geschieht, dann wird Menschen geholfen und neue Menschen finden Gemeinschaft. Wir gehören Gott, wir sind Heilige, und was tun Heilige? So gut sie es irgend können: Gottes Willen. Und sie tun es nicht alleine, sondern gemeinsam! Daran hat sich seit der frühen Christenheit nichts geändert.

Wir werden immer wieder erleben, dass unsere Gemeinschaft in der Gemeinde nur bruchstückhaft ist. Wir erleben an uns, dass wir mit uns kämpfen müssen, wenn wir anderen vergeben wollen. Wir erleben, dass uns unsere Gemeinschaft mit Gott nur dann und wann wirklich bewusst wird. Und wie schwach ist unsere Freude an Jesus Christus ausgeprägt. Auch wir erschrecken, wenn es um die Frage des Todes geht, sind verunsichert, wenn wir von Gottes und unsere Ewigkeit hören. Obwohl das alles so ist, dürfen wir gewiss sein: In Zeit und Ewigkeit kann uns nichts von Jesus Christus, kann uns nichts von seiner Liebe trennen.