2. Korinther 3,17: Frei in der Duftwolke Gottes

Der Predigttext, den ich für die heutige Pfingstpredigt ausgesucht habe, steht im 2. Brief des Paulus an die Korinther im 3. Kapitel:

Der Herr ist der Geist. Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit. (3,17)

Soweit der Predigttext.

Wenn wir an das Wort Freiheit denken – woran denken wir da? Manche denken an Urlaub, an Sonne, Strand und Meer. Manche leben in ihrer Erinnerung, fühlen sich in der Erinnerung oder in Träumen frei. Wenn wir die Schwalben sehen oder hören – das ist Freiheit, sich in die Lüfte schwingen, dahin zu jagen. Oder wenn wir einen Greifvogel in höchster Höhe am blauen Himmel kreisen sehen: Freiheit. Manche denken daran, dass Menschen frei sind, wenn sie tun und lassen können, was sie wollen.

Das große Wort Freiheit setzt ganz viele Assoziationen und Gedanken frei. Menschen, die unter Diktaturen von Einzelnen oder von Gruppen leben – die denken eher an Freiheit in dem Sinne, endlich einmal sagen zu dürfen, was man denkt, endlich einmal ausgehen zu dürfen wann und wohin man möchte, endlich sich mit Menschen treffen, die man sehen mag! Freiheit – was für ein großes Wort! Ein Wort auch gefüllt mit Sehnsucht.

Wir Menschen sind sozial eingebunden. Wir können ohne andere Menschen nicht leben. Wir sind Geschöpfe – und als solche abhängig von unseren Gefühlen, von Gesundheit, Krankheit, von psychischen Problemen. Wir sind wie alle Geschöpfe vom Sterben bestimmt, vom Vergehen. Wie schnell geht Freiheit dahin, wenn man sich schlaflos im Bett wälzt. Wie schnell fühlt man sich unfrei, weil die Gedanken an dunklen Erlebnissen kleben, wie Honig an der Hand. Und selbst Menschen, die mit anderen umgehen wie verantwortungslose Vandalen – auch sie sind nicht frei. Eingesponnen in ihrem Wahn gehen sie über Menschen hinweg – auch über sich selbst und können ihrem Wahn nicht entfliehen. Freiheit – ein großer, schöner Traum?

Der Herr ist der Geist. Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.

Paulus bindet das große Wort Freiheit an ein anderes Wort: an „Geist des Herrn“. Bei diesem Wort geraten unsere Gedanken nicht so sehr in Bewegung. Wir beginnen nicht zu träumen, wir erheben uns nicht in unserer Sehnsucht. Das Wort „Geist“ ist zu sperrig. Wir Deutsche haben damit ein Wort, das uns eher an Gespenster, an Dämonen, an Mitternachtswesen denken lässt. An Geister der Verstorbenen, die irgendwo böse herumspuken. Und von daher spielt der Heilige Geist Gottes eben keine große Rolle in unserem Denken, in unseren Träumen. Aber im Griechischen heißt Pneuma – Geist: Hauch, Wind, Wehen, Duft, Klang, Feuerlohe, Leben, Gesinnung, Sinn, Seele. Ähnlich das hebräische Wort für Geist: Ruach – Geist: Es ist die schöpferische Kraft Gottes, die über die Wasser weht und die Welt erschafft mit all ihren Schönheiten. Ruach ist Lebensodem, das, was uns am Leben erhält. Es handelt sich also nicht um irgendwelche Gespenster, sondern um Gottes Wesen, das Menschen und der gesamten Welt Glück bringt, Leben, das die Welt mit ihrem Duft und Klang durchdringt. Es ist der Geist des Herrn, die Feuerlohe, das leichte Wehen, das uns Menschen am Leben erhält und die Kraft, der Klang, der uns in Gang setzt.

Und diese wunderbare Anwesenheit Gottes wird mit dem großen Wort Freiheit verbunden: Wer in der Duftwolke Gottes lebt, wer in seinem Weltenklang und aus dem Frühlingswehen Gottes heraus lebt, der ist frei.

Der Herr ist der Geist. Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.

Paulus ist jedoch kein Träumer. Er steht mit beiden Beinen fest im Leben. Er wird mit üblen Erlebnissen konfrontiert: Er erleidet Schiffbruch, er erlebt vielfach den Hass des Pöbels, den schreienden Mob, der ihn zu lynchen droht, der ihn vor die damaligen Gerichte zerrt, die ihn dann zu Peitschenhieben verurteilen. Er erlebt Verfolgungen. In dunkler Nacht muss er hinaus, fliehen, muss die Gemeinden, die er gegründet hat ihrem Schicksal überlassen – gelegt in die Hände dieses Herrn der Freiheit. Nicht wenige mussten dann als junge Christen das erleiden, was auch Paulus erlitten hat. Er erlebte, wie Menschen aus seinem Umfeld bedrängt, verspottet und verletzt wurden – Paulus war kein Träumer. Doch er erlebte sich als einen freien Menschen. Nicht nur er selbst ist frei, sondern alle Menschen, die von diesem Klang Gottes, dem Duft, dem Geist Gottes ergriffen worden sind. Wie kommt er darauf?

Er hat eine neue Sichtweise bekommen – und diese Sichtweise bestimmt Christen seit jeher.

Das Sterben, der Tod – sie nehmen Freiheit, so denken wir. Doch Paulus denkt anders: Der Tod ist besiegt – wir werden sterben – aber wir sind dann nicht Nichts, sondern wir gehen heim, heim zu dem, der uns die Freiheit vom Tod geschenkt hat. Und wer den Tod als ein Heimgang, ein Nach-Hause-Kommen ansieht, wer weiß, dass dem so ist, der ist frei von der Angst vor dem Tod. Tod, wo ist dein Stachel? Tod, wo ist dein Sieg? Ruft Paulus einmal aus. Christen sind freie Menschen, weil der Tod sie nicht mehr knechten kann.

Christen sind für Paulus freie Menschen, weil sie auch kein Gesetz, keine Tradition mehr knechten kann. Das Gesetz, das straft, das fordert, Pflichten verlangt – Christen sind frei, sie haben nur ein Gesetz aus dem sie leben: Liebe üben. Und was das heißt, das müssen sie selbst aus dem Geist, dem Leben, der Liebe, dem Duft, dem Klang Gottes heraus verantwortlich entscheiden. Kein Gesetz steht über sie. Und wenn das Gesetz übles Gesetz ist, wenn es knechtet, drückt, bedrängt, einschüchtert – wie zum Beispiel in Diktaturen: Christen, die aus dem Lebenshauch Gottes leben, sind frei – und wenn sie verfolgt werden, wenn sie gar getötet werden: Sie kommen nach Hause, kommen zu Gott in Jesus Christus, der sie mit offenen Armen empfängt.

Viele Christen der damaligen Zeit waren Sklaven. Für sie müsste das Wort wie ein Hohn geklungen haben!

Der Herr ist der Geist. Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.

Hat es aber nicht. Warum nicht? Auch Sklaven, die einen harten Herrn über sich herrschen haben, die geknechtet, misshandelt, ungerecht und willkürlich behandelt werden – sie wissen: Unser wahrer Herr ist Jesus Christus. Auch er wurde misshandelt, auch er wurde getötet, auch er erlitt Ungerechtigkeiten, Peitschen- und Fausthiebe. Dieser, der mit uns gelitten hat und leidet: Der ist unser Herr. Und was sagt dieser unser Herr? Werde nicht Sklaven der Menschen, indem ihr die Übeltäter, die Sklaventreiber verflucht, sie hasst, sie mit Rachegesinnungen überhäuft – nein: Segnet, liebt, tut ihnen Gutes. Das macht Christen frei! Sie müssen ihre Seele nicht dem Menschen verkaufen, der sie schändet und schindet. Nein: Die Seele bleibt frei, weil sie aus dem Duft, dem Klang, dem Wehen Gottes lebt.

Hier öffnet sich eine ganz andere Tür. Eine unerwartete Tür. Christen sind frei – auch wenn sie scheinbar Sklaven sind: Sklaven des Todes, Sklaven der Gesetze, Sklaven irgendwelcher Menschen. Und das ist die Größe unseres Glaubens:

Der Herr ist der Geist. Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.

Doch für Paulus ist es wichtig, dass wir nicht nur frei sind von etwas – sondern wir sind frei für etwas. Wer aus dem Geist Jesu Christi lebt, ist frei, aus freien Stücken anderen Gutes zu tun, anderen eben diese Botschaft von der Freiheit zu bringen, ihrem Leben Befreiung zu bringen. Das beginnt mit Jesus Christus. Was für ein freier Mensch war er! Vorbild der Freiheit. Er ließ sich von gesetzlichen Bestimmungen nicht abhalten, Menschen Gutes zu tun. Er hielt sich schlicht und ergreifend nicht an Grenzen, die die Menschen aufgestellt hatten, die die Tradition – gar im Namen Gottes – aufgestellt hatte. Jesus setzte sich zum Wohl der Menschen ein – ohne Rücksicht auf irgendwelches Geschwätz. Er konnte im Namen Gottes vergeben, wo andere fesselten, er konnte selbst denen vergeben, die ihn ans Kreuz geschlagen, ihn verspottet, ihn gedemütigt und gefoltert hatten. Er war ein Mann, der die Freiheit lebte, die Gott gewährt. Und während er aus dieser Freiheit lebte, befreite er andere Menschen aus ihren Fesseln. Jeder, der ihm folgte, von Herzen folgte, konnte sich von den Fesseln befreien lassen. Von den Fesseln – andere verurteilen und verachten zu müssen, von den Fesseln – Krankheiten und Einsamkeiten zu akzeptieren. Menschen, die Jesus Christus folgten, wurden frei – frei dazu, andere zu befreien. Und Paulus, der in den Spuren Jesu Christi ging – ja, er ebenfalls: Er war ein freier Mann. Und seither gab es immer und überall auf der Erde, wo das Wort Jesu Christi und sein Geist Macht bekommen haben, Menschen, die aus dieser Freiheit heraus lebten. Keiner kann mir vorschreiben, wie ich leben soll: Ich gehöre Jesus Christus – aus seiner Liebe heraus lebe ich.

Und wir? Geknechtet von Krankheiten, Behinderungen, Stress, dem, was andere Menschen uns antun, Pflichtgefühl, Geldsorgen, Vorurteilen, Sorgen um Aufgaben, die heute oder morgen zu bewältigen sind, Partnerschaftssorgen, Angst vor unserer unbekannten Zukunft – wie gehen wir damit um?

Das Vorzeichen der Probleme und Sorgen kann sich in unserem Kopf ändern, wenn der Geist Gottes, der Klang und Duft Gottes unser Wesen bestimmt: Unangenehme Menschen sind Ansporn, Lieben zu lernen. Gott stellt sie uns ins Leben, damit sie uns eine bittere Medizin zur Gesundung und nicht zur Erkrankung dienen. Unangenehmes macht uns krank. Aber wie wäre es, sich von Gottes Geist sagen zu lassen: „Hier, schlucke diese äußerst bittere Medizin, damit du Geduld lernst!“?

Geldsorgen – wir kreisen um das Problem. Wenn das Loch im Portmonee immer größer wird, wenn wir wirklich nicht mehr ein und aus wissen – schauen wir nicht auf die gähnende Leere im Portmonee und auf dem Konto, sondern schauen wir auf den, dem wir gehören: Gott. Gott, welchen Weg rätst du mir, angesichts der Situation zu gehen? Welchen Menschen kann ich mich anvertrauen, dass sie mir helfen? Wie soll ich verantwortungsvoll mit dem Geld umgehen? Gottvertrauen fällt nicht vom Himmel. Wir haben seit Kindesbeinen gelernt: Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott. Aber mit Gott an diese Probleme herangehen, das ist Gottes bittere Medizin für uns – damit sagt er: „Kind, lerne Vertrauen!“

Menschen entfremden sich, Krankheiten und Behinderungen machen sich breit – wir haben von Jesus und Paulus gelernt, dass Glaubende davor nicht verschont werden. Warum sollte es uns besser ergehen als Jesus und Paulus? Die wahre Freiheit, die der Geist Gottes schenkt, zeigt sich darin, wie wir in diesen Notsituationen leben, wem wir die Oberhoheit über unser Leben geben: den Nöten oder Jesus Christus. Gehören wir der Angst – oder Jesus Christus? Sind wir Kinder der Sorge – oder Kinder Gottes? Mit Jesus Christus gerade in diesen unangenehmen Zeiten leben – das ist es, was wir einüben können. Der Duft Gottes, der Klang, der Wind, die Feuerlohe Gottes umgibt uns schon längst – wir liegen in seiner Hand – doch nehmen wir sie noch wahr.

Kenne Sie das? Sie haben sich mit Parfüm eingesprüht. Bald darauf riechen sie nichts mehr. Wie kommt das? Die Nase hat sich an den Geruch gewöhnt. Er ist noch da – aber man selbst riecht ihn nicht mehr. So ist das mit dem Duft Gottes: Er umgibt uns mit all seiner Herrlichkeit und Fülle – doch wir nehmen ihn häufig nicht mehr wahr, weil wir uns daran gewöhnt haben.

Wir sind Kinder des Gottesgeistes, Kinder der Freiheit. Wir müssen das nur wahrhaben und leben, was wir sind. Und wenn wir lernen, das zu leben, mühsam zuweilen, schmerzhaft zuweilen – denken Sie an die bittere Medizin Gottes, die Gottes Liebe uns zumutet – dann erfahren wir immer stärker die große Freiheit der Kinder Gottes, die der Geist Gottes antreibt.

Manchmal frage ich mich: Warum müssen Kinder Gottes, Kinder der Freiheit doch ein äußerst hartes Leben führen? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass viele leidende Christen gesagt bekommen haben, vom Geist Gottes: Ohne das äußerst tiefe Leiden, das Jesus Christus am Kreuz erlitten hat – gäbe es keine Auferstehung, kein ewiges Leben, keinen Sieg über den Tod. Und du wirst mit deinem Leiden in dieses äußerste Leiden Jesu Christi hineingezeichnet, du wirst Teil von ihm und wirst mit ihm alles bekommen, aber auch alles: Die herrliche Freiheit der Kinder Gottes, wie Paulus an anderer Stelle schreibt (Römer 8,21).

Christlicher Glaube ist kein Schönwetterglaube. In Unfreiheit frei zu sein, im Tod das Leben zu sehen, unter grausamen Herren den befreienden Herrn Jesus Christus zu dienen, in Krankheit, Angst, äußerst schmerzhaften Problemen auf den sehen, dem wir in Wirklichkeit gehören – das bedeutet: Wie andere Menschen auch zu leiden – aber ihnen im Leiden von der Freiheit der Kinder Gottes zu berichten und selbst aus ihr zu leben. Denn:

Der Herr ist der Geist. Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.