1. Korinther 1,26-31: Er nimmt den angetatschten Apfel

Der für den heutigen Sonntag vorgeschlagene Predigttext steht im ersten Brief des Paulus an die Korinther im ersten Kapitel:

Seht doch, liebe Brüder, auf eure Berufung.
Nicht viele Weise nach dem Fleisch,
nicht viele Mächtige,
nicht viele Angesehene sind berufen.
Sondern was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt,
damit er die Weisen zuschanden mache;
und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt,
damit er zuschanden mache, was stark ist;
und das Geringe vor der Welt, und das Verachtete hat Gott erwählt,
das, was nichts ist, damit er zunichte mache, was etwas ist,
damit sich kein Mensch vor Gott rühme.
Durch ihn aber seid ihr in Christus Jesus,
der uns von Gott gemacht ist
zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung,
damit, wie geschrieben steht:
Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn.

Soweit der Predigttext.

Einer kommt auf Sie zu und sagt:

„Herzlichen Glückwunsch! Sie haben gewonnen und können wählen zwischen: einer Weltreise, einem Haus, einem Auto und einem etwas angedatschten Apfel!“ Was würden Sie wählen? Sicherlich nicht den Apfel – und das unterscheidet uns Menschen von Gott. Gott wählt den Apfel, und indem er den Apfel wählt, degradiert er alles andere, er sieht es als nicht so wichtig an, wie wir Menschen es tun. Mit anderen Worten: Gott erwählt Menschen, die vor den Augen der anderen Menschen nichts gelten – und mit dieser Wahl zeigt er allen Mächtigen, Hochgestellten, Weisen, dass sie bei Gott nicht an erster Stelle stehen. Das ist schon unerhört. Das gilt aber nicht nur für die großen Mächtigen. Wie viele Menschen spielen sich in unserem kleinen Bereich auf. In den Familien, an den Arbeitsplätzen, überall gibt es Menschen, die sich groß wähnen und als solche herumhantieren. Um sie dreht sich alles, sie lassen alles um sich drehen – und Gott sagt: Ich nehme die Menschen an, die du, Gernegroß, klein machst. Was für ein eigenartiger Gott! Und da muss es uns nicht wundern, wenn viele große und kleine Mächtige, Hochgestellte, Weise diesen unseren Gott ablehnen, ihn für töricht erklären, bekämpfen. Sie müssen schlicht und ergreifend behaupten, dass es diesen Gott nicht gibt. Sie müssen mit allen Mitteln ihres Verstandes zu beweisen suchen, dass er menschlicher Phantasie entsprungen ist. Wenn sie nämlich sagen würden: diesen Gott, der Schwache, Törichte, Geringe erwählt, den gibt es, dann müssen sie sich selbst mit ganz anderen Augen ansehen: ich bin mächtig – aber was zählt das schon? Ich habe in der Gesellschaft großen Einfluss – aber was zählt das schon? Ich bin weise, klug und schlau – aber was zählt das schon? Was allein zählt ist Gott, der mir Jesus Christus zur Weisheit, zur Gerechtigkeit, zur Heiligung und zur Erlösung gemacht hat. Ich kann mich nicht mehr rühmen, ich kann mich nur noch des Herrn rühmen. Wenn Gott Mächtige anspricht, bekommen sie einen ganz anderen Blick, sie ordnen sich ganz anders ein. Wie zum Beispiel unser Bundespräsident, der dafür von neunmalklugen Journalisten – wie man in Bayern sagen würde – abgewatscht wird. Aber nicht nur die Mächtigen, Angesehenen, Weisen bekommen durch Gott einen anderen Blick, sondern auch die Schwachen, Törichten, Geringen. Sie schauen normalerweise nach denen da oben. Schon immer werden sie getreten, beiseite geschoben, man kennt sie nicht, sie haben nichts zu sagen, doch sie schauen bewundernd nach denen da oben. Und so schauen sie nach oben: die da oben sehen sie mit glänzenden Augen an. Die da oben: Sie sagen etwas – alle Welt hält die Mikrophone auf ihre Münder; zeigen sie dezent ihre Reichtümer – alle Welt bewundert das und spricht darüber; und die Weisheit der Weisen ist erwerbbar in vielen wissenschaftlichen und philosophischen Werken. Nachahmenswert, bewundernswert, ohne Zweifel. Doch dann kommt Gott, unser Gott, als Kind auf die Welt. Er kommt in armen Verhältnissen auf die Welt; er wird in ungeklärten familiären Verhältnissen hineingeboren, so sehen es die Menschen. Und er bleibt dabei. Er strebt nicht hinauf in die lichten Höhen der damaligen Gesellschaft, paktiert nicht mit der römischen Besatzungsmacht, kämpft nicht in den Reihen der Widerstandskämpfer, setzt seine Zimmermannskenntnisse nicht ein, um preiswerte Zimmermanns-Handelsketten zu gründen, sondern er geht seinen Weg durch den Staub Galiläas, ein bis höchstens drei Jahre lang. Er erwählt sich keine Könige, Amtsleute, Offiziere als Nachfolger, sondern irgendwelche namenlosen Fischer, so namenlos wie er selber ist und Frauen und Kinder folgen ihm. Und dann wird er verfolgt – doch flieht nicht – und wird hingerichtet. All seine menschlichen Hoffnungen, Bestrebungen, Ziele werden grausam beendet. Das wars in den Augen der Menschen. Eine wirkungslose Eintagsfliege. Kaum einer bemerkt sie im Winkel der Welt.

Diesen Weg geht Gott – und er geht diesen Weg weiter, indem er Menschen erwählt, die eben so sind wie dieser Jesus von Nazareth. Schwach in den Augen der Welt, töricht in den Augen der Welt. Was für ein Gott. Und wenn dieser Gott Menschen erwählt, die etwas gelten in der Welt, dann öffnet er ihnen die Augen und zeigt ihnen: du bist nicht besser als irgendeiner dieser Armen und Machtlosen; du bist schlauer, aber was bedeutet deine Schlauheit und Weisheit schon angesichts meiner Wahl?

Paulus spricht von diesem Gott aus einem ganz bestimmten Grund: Die Gemeinde von Korinth hat sich gespalten. Dort sind Menschen, die sich rühmen, sie hätten größere Gaben als andere bekommen. Sie können in Zungen reden und prophezeien. Menschen erheben sich über andere in der Gemeinde von Korinth über Kranke, da Menschen Gottes, so ihre Sicht, nicht krank sein können, denn sonst stimmt was mit ihrem Glauben nicht. Paulus, so diese Gemeindeglieder, ist krank und wird verfolgt – das gibt es doch gar nicht: Gott schützt die Seinen, und wenn Paulus verfolgt wird und krank ist, dann ist er kein wahrer Christ. Dieses erfolgsorientierte Christentum gab es schon damals in Korinth, es schwappt heute vor allem aus Amerika und Südkorea zu uns herüber. Ganze Gemeinden werden umgepolt und beginnen, die zu bewundern, die etwas geworden sind. Sie beginnen, deren Glauben zu bewundern, die mit ihrem sichtbaren Erfolg protzen, denn, so meinen sie, Gott habe ihnen den gegeben. Was da aber sichtbar wird, ist nichts Amerikanisches, Südkoreanisches, sondern etwas absolut Menschliches. Es liegt in uns drin. Grupies bewundern ihre Sänger und – wenn sie jung sind – kreischen sich die Seele aus dem Leib, schauen auf zu ihnen, bewundern sie, wollen ein Kind von ihnen und welcher Fußballfan mag sich nicht vor aller Welt verkriechen, wenn seine Mannschaft auf der Bundesligatabelle absteigt. Meine Großmutter erzählte immer, dass sie einen viel angeseheneren Mann hätte heiraten können als sie dann getan hat. Dieser bot ihr Zugang zu der Welt der hohen Tiere, sogar den Kaiser habe sie mal gesehen – ja, wir sind so. So sind wir – aber nicht Gott. Diesen Gott zu verstehen, das ist sehr schwer. Eher wollen wir Gottes Tun nicht akzeptieren. Wir wollen nicht dieses Bild von der Welt, in der Gott alles auf den Kopf stellt, annehmen. Wir klammern uns an die kleinsten Erfolge. Und dazu gehört manchmal auch, dass wir es geschafft haben, hier und da Gottes Willen zu tun. Vielleicht meinen wir auch, dass Gott uns einmal belohnen müsse, weil wir gute Menschen geblieben seien. Aber Paulus weist unseren Blick von uns selbst ab: Christus wurde uns zur Weisheit, zur Gerechtigkeit, zur Heiligung, zur Erlösung. Nicht ich bin weise, gerecht, heilig und trage zu meiner Erlösung bei. Nicht ich selbst trage durch ein besonderes heiliges Leben dazu bei, bei Gott Wohlgefallen zu finden. Nicht ich: Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn. Auf ihn allein sollen wir blicken, nicht auf uns selbst, nicht auf unsere guten Taten – aber auch nicht auf unser Versagen. Beides zählt nicht. Es zählt allein die Liebe Gottes, die uns mit Jesus Christus alles schenkt.

Was ist das für ein Weg, der für uns Christen zählt? Auf Gott sehen und hören. Wie die Hirten auf die Engel gehört haben und die Weisen auf den Stern gesehen haben – so gilt es, auf das zu sehen, was Gott uns geschenkt hat. Und wer auf Gott sieht, sich Gott verdankt, dieses Leben und das kommende Leben aus seiner Hand nimmt, der führt ein Leben nach dem Willen Gottes, ohne dass er sich überheben muss, ohne dass er sich mit anderen vergleichen muss. Auf Gott sehen, auf Gott sehen und noch mal auf Gott sehen – das ist alles.

Welch eine Herausforderung ist dieses Handeln Gottes für die, die sich hochgearbeitet haben, die nun mächtig sind, stark, weise, bewunderungswürdig sind. Darum werden gerade Christinnen und Christen verspottet, gedemütigt, verfolgt. Täglich werden Christinnen und Christen wegen ihres Glaubens ermordet, weil ihr Gott eine ständige Herausforderung ist an alle Götter und Götzen und deren Vertreter. In Indien kommen viele Menschen, die Christen geworden sind, aus den Kastenlosen, weil sie durch Gott Würde bekommen. In den arabischen Ländern sind überwiegend Frauen und Mädchen Christinnen – weil sie durch Gott, den Vater Jesu Christi, Würde bekommen. In Vietnam ist es ein machtloser Stamm, der zum Christentum übergetreten ist: Bei Gott findet er seine Würde. In China, in dem Menschen nichts zählen, leben inzwischen fast doppelt soviel Christen wie in Deutschland, weil Gott jeden Einzelnen kennt und liebt. Vor Gott zählt jede und jeder. Nicht die Masse. Und das Leben, der Alltag all dieser Menschen verändert sich. Das alles hat nicht zuerst Nietzsche auf die Palme gebracht und Jesus und Paulus verübelt, dass sie den kleinen Leuten Flöhe ins Ohr setzen. Und das bringt auch die auf die Palme, die sich als mächtig ansehen, die kleinen und großen Potentaten in aller Herren Länder. Aber Gott geht konsequent seinen Weg. Er hat sich ein kleines Volk erwählt, er ist in dem unscheinbaren Jesus von Nazareth Mensch geworden, er erwählt sich mit seiner Gemeinde Menschen, die als gering angesehen werden – und wenn er sich Menschen erwählt, die den Angesehenen zugerechnet werden, dann bekommen sie ein neues Bild von sich selbst, sie werden demütig. So ist unser Gott. So ist er. Er nimmt den Apfel, nicht die Reise, nicht das Haus, nicht das Auto. Er nimmt uns, weil er uns liebt.

Amen.