Römer 3: Heilig und gerecht mit dunklen Nischen

Der für diesen Reformationstag vorgeschlagene Predigttext steht im Brief des Paulus an die Römer im 3. Kapitel:

Nun ist aber ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart,
bezeugt durch das Gesetz und die Propheten.
Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben.
Denn es ist hier kein Unterschied:
Sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten,
und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Jesus Christus geschehen ist.
Den hat Gott für den Glauben hingestellt als Sühne in seinem Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit,
indem er die Sünden vergibt, die früher begangen wurden in der Zeit seiner Geduld,
um nun in dieser Zeit seine Gerechtigkeit zu erweisen,
dass er selbst gerecht ist und gerecht macht den, der da ist aus dem Glauben an Jesus.
Wo bleibt nun das Rühmen? Es ist ausgeschlossen.
Durch welches Gesetz?
Durch das Gesetz der Werke?
Nein, sondern durch das Gesetz des Glaubens.
So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.

Soweit der Predigttext.

Er ist für unseren Glauben zentral – aber sehr schwer zu verstehen. Darum wiederhole ich ihn mit eigenen Worten:

  • Vor Gott sind wir Menschen alle Versager, wir alle sind Sünder.
  • Wir können tun was wir wollen, wir können vor dem heiligen Gott keine tollen Menschen werden.
  • Er müsste uns also von sich wegstoßen, er müsste uns strafen, denn Unheiliges passt mit Heiligem nicht zusammen. Wie Wasser und Feuer nicht zusammenpassen.
  • Gott liebt uns und möchte, dass wir bei ihm sind. Er möchte uns nicht strafen, sondern er will unser Gutes, unser Leben, er will, dass wir wie er heilig werden.
  • Darum hat er den Tod Jesu als unsere Strafe anerkannt und hat uns durch Jesus Christus angenommen, zu einem Heiligen gemacht. Doch er zwingt uns das nicht auf. Wir können weiterhin Sünder sein, wir können selbst versuchen, zu einem Heiligen zu werden – aber all das hilft nicht. Was hilft ist: Erkenne an, dass Jesus Christus deine Strafe ertragen hat, dass du durch ihn heiliges Feuer geworden bist. Das anzuerkennen heißt: Glauben. Und das Gesetz des Glaubens ist: heilig Handeln, wie Gott handelt.

Soweit meine Wiedergabe des Predigttextes.

Meistens weiß man nicht so genau, was man eigentlich an seinem Glauben hat. Das Besondere erkennen wir erst, wenn wir ihn mit dem Glauben anderer Menschen vergleichen. Dieser Paulus-Text ist Menschen aus den östlichen Religionen ein großer Anstoß: Menschen werden aus Glauben gerecht – sie müssen nichts dazutun, um ein besserer Mensch, ein Heiliger zu werden? Die Grundlage des Buddhismus besteht darin, dass Menschen mit Hilfe des Weges, den Buddha vorgeschlagen hat, lernen, ihr Ich, ihr Selbst abzutöten. Wenn sie es abgetötet haben, dann kann sie kein irdisches Leiden mehr treffen. Und dieser Weg ist lang, entbehrungsreich – und in unserem Predigttext wird gesagt: Durch den Tod Jesu ist der Mensch heilig, wie Gott heilig ist!

Im Hinduismus muss die Seele der Lebewesen nach ihrem Sterben Wanderungen durchmachen. Je nachdem wie sie sich im Leben verhält, ist der Mann im anderen Leben kein Mann mehr, sondern vielleicht Frau oder ein Mann in niedriger oder hoher Kaste, Angehöriger einer niedrigen oder hohen Gesellschaftsschicht, oder ein Ungläubiger. Wahrscheinlicher ist aber, dass die Seele ein Tier, ein Geist usw. wird. Doch wie muss sich die Seele in einem Menschen verhalten, damit sie in einer höheren Kaste wiedergeboren wird? Was ist der Maßstab? Sie muss die Kastenordnung aufrecht erhalten, die die Götter aufgestellt haben. Und in unserem Predigttext wird gesagt: Gott hat alle Schranken durchbrochen. Nicht der Brahmane ist reiner als der Kastenlose – sondern alle Menschen sind Sünder. In Christus sind alle Menschen rein, befreit von der Sünde, sie sind heilig wie Gott.

Der Islam wirft christlichem Glauben vor, dass Jesus Christus nicht allein als Lehrer und Prophet vorgestellt wird. Für Christen ist er einer, durch den Glaubenden das ewige Leben sicher ist. Christinnen und Christen müssen keine Angst mehr vor dem Tod haben, da sie in Christus leben und durch ihn schon gerettet sind. Das letzte Gericht hat im Grunde keine Bedeutung mehr. Im Islam rechnet man auch mit der Gnade Allahs, aber es ist ungewiß, wie Allah in seiner Gnade entscheiden wird. Bei Christen ist durch Jesus Christus die Sache schon längst entschieden: Glaubende sind heilig.

Und der moderne ungläubige kapitalorientierte Mensch, der nur nach seinem eigenen Wohl, seiner Macht aus ist? Auch für ihn ist dieser Text ein Ärgernis: Ich bin vor Gott ein Sünder? Ich bin nicht wertvoller als diese gesellschaftlichen Nichtsnutze?

Und alle werfen dem Christentum vor, es wäre schwach, keine Religion für die tatkräftige Frau, den starken Mann, weil es die Schwachen bestätigt, ihnen auch noch die Gnade hinterherwirft. Selbst ist der Mann, selbst ist die Frau, der Starke setzt sich durch, jeder ist seines eigenen Glückes Schmied, man muss nur wollen, dann kann man auch, Du hast alle Chancen – also bist du schuld, wenn´s in deinem Leben nicht klappt! Und wie die Sprüche alle heißen.

Doch schauen wir genauer hin: Wer ist in der Weltgeschichte der Motor in Sachen Menschenrechte, wenn es gilt, die Liebe gegenüber den Schwachen zu leben? Wer sucht die Freiheit des Individuums, den Einzelmenschen zu stärken gegen die Übermacht der Starken und der Gesellschaften? Überall sieht man in der Weltgeschichte, sehen wir heute noch Christinnen und Christen einen gewaltsamen Tod sterben, weil sie Jesus Christus nachfolgen. Wir sehen, dass Christen andere dazu anreizen, so zu leben, wie Jesus Christus gelebt hat: Liebe nicht nur dich selbst, deine Familie, deinen Stamm, dein Volk, deine Rasse oder Klasse, deine Religionsgenossen, sondern liebe den Menschen, dem du begegnest! Liebe nicht nur den Menschen, der wieder in die Produktion eingegliedert werden kann, sondern jeden, ob er nun sterbend ist, behindert, alt, krank – der Mensch gilt als Mensch in seinem Hier und Jetzt, weil Jesus Christus auch ihn heilig gemacht hat. Wir müssen nicht auf uns schauen, uns durchsetzen und um uns selbst kreisen, um unser Ich zu töten oder zu finden; wir müssen uns nicht von unserem Streben nach Seelenheil fesseln lassen oder von der Angst davor – wir sind befreit, wir haben unser Heil schon in Jesus Christus bekommen. Die christliche Religion ist die der großen Befreiung des Menschen von sich selbst zu sich selbst und zu den anderen. Und das hat Martin Luther in der Tradition vieler Christen vor ihm wieder betont, öffentlich betont. Christen müssen sich nicht mehr um ihr Seelenheil kümmern – sie sind in Jesus Christus schon heilig, sie sind bei Gott, ob in diesem Leben oder im Leben nach dem Tod. Christen müssen sich nicht ihr Heil erkaufen, erarbeiten oder sonstwas: Sie sind von diesen Bemühungen frei. Und das gilt nicht nur für den Mönch und die Nonne oder für den Priester, das gilt für die Magd, die gerade die Küche putzt genauso wie für den Knecht, der das Pferd versorgt, das gilt genauso für den Menschen, der keine Zeit hat, sich intensiv mit christlicher Tradition zu beschäftigen wie für den, der betend und meditierend Gott nachspürt. Reformation bedeutet: die große Befreiung des Menschen von seinen Ängsten, vom falschen Streben danach, Gott durch großartige Taten gefallen zu müssen.

Wir wissen selbst, dass nicht alles Gold ist, was glänzt. Wir hören die Vorwürfe anderer Religionen und derer, die versuchen an gar nichts zu glauben, die gegen Christinnen und Christen gerichtet sind – und das zu Recht. Aber nicht die Vorwürfe müssen uns beschämen, denn auch andere Menschen werden ihrem Ideal nicht gerecht. Schämen müssen wir uns, weil wir unserem Maßstab, den wir im Neuen Testament vor allem finden, nicht gerecht werden. Wir folgen Jesus Christus nach – aber tun doch was wir wollen. Wir sind heiliges Feuer, verwässern aber unser Licht. Wieviel Unrecht haben Christinnen und Christen in diese Welt gebracht! Sonntags gingen sie zur Kirche mit großem Pomp – und hatten ihre Sklavinnen und Sklaven; sie haben sie misshandelt, Menschen die Freiheit geraubt. Christinnen und Christen lasen in der Bibel – und haben andere Völker unterjocht, aus Gier nach Geld und Reichtum. Christinnen und Christen haben von der Demut Jesu Christi gehört und haben sich als Herrenmenschen gefühlt und gebärdet, die auch über Leichen gingen. Und wenn wir denken, dass das alles der Vergangenheit angehört – so täuschen wir uns. Wieviel Unrecht geht heute noch aus von Menschen, die sich als Christen bezeichnen. Das nicht nur in der großen Politik, sondern in unserem Berufs- und Familienalltag. Unsere Freiheit, die Jesus Christus uns geschenkt hat – wir haben sie missbraucht und darum stehen wir nackt und bloß vor allen Religionen und Menschen da. Viele Christinnen und Christen opfern sich auf, sie helfen wo sie können, sie leben nach dem Maßstab Jesu Christi, sie sind Menschen ein Licht geworden in Krankheit, in Unterdrückung, vor dem Tod. Sie bringen als heiliges Feuer Freiheit in den gesellschaftlichen Knechtschaften überall in der Welt, den Tod nicht scheuend, die Misshandlung nicht scheuend, Gefängnisse nicht scheuend und Verachtung nicht scheuend. Und andere, die sich als Christen darstellen, reißen das alles wieder nieder. Und da können wir den Vorwurf anderer Religionen schon verstehen: Christinnen und Christen haben keine Gesetze – darum wissen sie sich nicht zu benehmen. Christinnen und Christen haben keine Angst mehr vor dem Gottesgericht – darum nützen sie die Gottesgnade aus. Was sollen sie Menschen achten, wenn die Strafe Gottes nicht folgt?

Luther steht tief in dem, was das Neue Testament – also auch unser Predigttext – vorgezeichnet hat: Christen sind frei. Er sagt das in seiner Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan“ – und das sind wir. Aber er fügt als zweiten Satz an: „Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“ Damit sagt er das, was wir auch in unserem Predigttext finden: Menschen sind durch Jesus Christus befreit worden, sie sind gerecht – doch dann spricht Paulus vom Gesetz des Glaubens. Das gilt für Menschen, die sich Christen nennen. Das bedeutet, dass Menschen, die wirklich von Jesus Christus angezündet worden sind, dass diese Menschen nichts anderes im Sinn haben als das zu tun, was Gott in ihnen wirkt. Gott hat in ihnen ein Licht angezündet – und darum können sie Licht sein. Gott hat sie frei gemacht – darum können sie für andere Freiheit sein und ihnen ihren Freiheitsraum lassen. Gott hat in ihnen die Liebe angezündet – darum können sie lieben, ohne der Liebe irgendwelche Grenzen zu setzen. Und das ist das Leben aus dem Glauben, das Gesetz des Glaubens: das aus uns herausbrechen lassen, was Gott in uns hineingelegt hat.

Luther sagte, dass jeder Mensch ein Dom ist, ein heiliger Ort, aber wie an jedem Dom auch die Drachenköpfe, Dämonenköpfe angebracht wurden, so haben auch Christen in irgendeiner Nische ihres Lebens auch diese dunklen Seiten. Luther selbst hat neben dem vielen Guten, das er gesagt und getan hat, solche dämonischen Nischen gehabt. Politisch und menschlich hat er vielfach versagt. Und so finden auch wir in uns Räume, in denen nicht Jesus Christus herrscht, sondern das Dunkle, die Lieblosigkeit, das Harte, Zornige. Räume finden wir in uns, in denen unser Ich herrscht. Wir denken: Menschen haben sich um mich zu kümmern, auf mich Rücksicht zu nehmen! Ich bin besser als die und der! Es sind Räume, über die wir uns schämen, wenn uns deutlich wird, wie sehr sie Jesus Christus nicht entsprechen. Und das ist das Besondere an uns, dass wir diese dunklen Räume nicht vor Jesus Christus verstecken oder verleugnen müssen. Wir können sie ihm anvertrauen. Wir gehören ihm – darum können wir ihm auch diese dunklen Räume übergeben.

Dir fällt nichts ein, was in deinem Leben dunkel, gottlos ist? Etwas, das Jesus Christus nicht entspricht? Dann lies mal die Begrpredigt: Dann sehen wir unsere bösen Gedanken, schlimmen Worte, unsere Vertrauenslosigkeit – vieles, was wir an schlimmem gar nicht mehr wahrnehmen, weil es zu unserem Verhaltensalltag gehört. Nehmen wir uns für die nächste Woche einmal vor, unser Leben ins Licht der Bergpredigt zu stellen, die wir im Matthäusevangelium ab dem 5. Kapitel finden. Doch vergessen Sie nicht: Wir müssen nicht verzweifeln, weil wir so viel Gottloses in uns entdecken. Es geht darum, das heilige Feuer, das Gott durch Jesus Christus in uns gelegt hat, anzufachen. Damit wir uns als die erweisen, die wir sind: Heilige Gottes.