♫ Gott ist meine Gerechtigkeit (Jeremia 23,5-8)

Der Wochenspruch ist dem Propheten Sacharja entnommen:

Siehe, dein König kommt zu dir, ein gerechter und ein Helfer.

Jesus Christus – der König. Ist es nicht verknöchert, alt, unsinnige Tradition, Jesus als König zu bezeichnen? Glaubende, die Jesus Christus als König bezeichnen, sagen damit aus, dass für sie Jesus Christus der Herrscher ist. Menschliche Herrschaften, Gesetze sind immer diesem König unterzuordnen. Glaubende sind allein diesem König verantwortlich – da können menschliche Herrscher noch so viel Autorität beanspruchen. Glaubende gehören diesem Herrscher, diesem allein. Sie haben sich nach seinem Willen auszurichten, diesen zu tun, so gut sie es können.

Gleichzeitig ist dieser Herrscher aber sanftmütig, barmherzig, heilig. Der Gott-König wurde nach seiner Geburt als Säugling in eine Futterkrippe gelegt. Er dient, er hilft, er steht bei, er hat gelitten, hat nicht das Blut seines Volkes verlangt, sondern selbst sein Blut vergossen. Menschen-Herrscher haben sich an ihm zu messen. Er stellt menschliche Herrschaften auf den Kopf. In diesem Sinn leben Glaubende unter menschlichen Herrschaften, nicht herrschend, sondern dienend. Aber sie gehören allein Jesus Christus und sind allein ihm verantwortlich.   Und sie werden einmal bei ihm sein, bei dem König der Herrlichkeit.

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1. Advent – der erste der vier Hoffnungssonntage: Hoffend gehen wir in die Zukunft, die wunderbare Zukunft, die Gott herbeiführen wird, in die Zeit des Glaubens, der Freude, des Friedens. Von dieser Hoffnung spricht auch der Text aus dem Buch des Propheten Jeremia.

Der für den heutigen Sonntag vorgeschlagene Predigttext steht im Buch des Propheten Jeremia im 23. Kapitel:

Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, dass ich dem David einen gerechten Spross erwecken will. Der soll ein König sein, der wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird. Zu seiner Zeit soll Juda geholfen werden und Israel sicher wohnen. Und dies wird sein Name sein, mit dem man ihn nennen wird: »Der HERR ist unsere Gerechtigkeit«. Darum siehe, es wird die Zeit kommen, spricht der HERR, dass man nicht mehr sagen wird: »So wahr der HERR lebt, der die Israeliten aus Ägyptenland geführt hat!«, sondern: »So wahr der HERR lebt, der die Nachkommen des Hauses Israel heraufgeführt und hergebracht hat aus dem Lande des Nordens und aus allen Landen, wohin er sie verstoßen hatte.« Und sie sollen in ihrem Lande wohnen.

Soweit der Predigttext.

Sie sollen in ihrem Lande wohnen… – was ist das Besondere an der Verheißung: Sie sollen im Lande wohnen? Israel war aus dem Land vertrieben worden, die Menschen lebten in der Fremde, sie waren abhängig von den Menschen und Herrschern, in deren Land sie wohnten. Nun verheißt Gott ihnen durch den Propheten Jeremia eine Rückkehr. Er weist sie in die gute Zukunft. Eine Zukunft in Freiheit, in Selbständigkeit, ohne Angst und ohne Einsamkeit, unbehelligt, eine Zukunft ohne Erniedrigungen, ohne anderen Menschen ausgeliefert zu sein, nicht von den Forderungen und Beurteilungen anderer abhängig zu sein, unabhängig von dem Leiden – frei! Frei! Nur dem liebenden Gott zugeordnet.

Auf Hoffnung lebt Israel – auf Hoffnung, weil Gott es dem Volk als Zukunfts-Vision als ein Zukunfts-Versprechen zugesagt hat. Noch ist das alles nicht da. Diese Zeit – sie ist noch nicht gekommen.

Ist sie noch nicht gekommen? Sie ist noch nicht da. Aber weil Gott die Gerechtigkeit ist, kann das Volk Israel mit diesem Versprechen anders durch die schmerzhaften Zeiten gehen, anders durch die Zeit der Erniedrigung und der Qualen, der Ängste. Denn

Der Herr ist unsere Gerechtigkeit.

Gott ist unsere Gerechtigkeit. Nicht erst in Zukunft. In Zukunft wird sie ganz deutlich, zweifel-los sichtbar, erfahrbar. Aber schon jetzt gilt: Gott ist meine Gerechtigkeit. Dieses Wort, diese Zusage ist das Licht Gottes, mit dem das Volk Israel in die Zukunft geht. Und über dieses Licht jubeln die Menschen Israels, die Menschen des Neuen Testaments. Wegen dieses Lichtes gibt es durch die Kirchengeschichte hindurch eine große Freude auch unter den Völkern der Heiden:

Der Herr ist meine Gerechtigkeit.

Warum die Freude? Was bedeutet das?

Menschen merken immer wieder, dass sie nicht gerecht sind. Wir tun nicht Gottes Willen. Wir nehmen Gott und den anderen Menschen, auch seine Schöpfung nicht ernst – wir nehmen darum auch uns selbst nicht ernst. Ich bin nicht gerecht, an mir ist vieles, viel, viel auszusetzen.

So sehen wir uns in der Regel allerdings nicht. Ich bin gerecht, ich bin gut, ich habe zwar meine kleinen Macken, aber im Grunde meines Wesens bin ich okay. Eigebtlich denke ich nicht viel darüber nach. Doch es zählt nicht unser Maßstab. Gottes Maßstab zählt. Wie sieht es aus damit – um mit Jesus zu sagen:

Beschimpfe ich andere nicht? Vergebe ich ihnen die Schuld? Helfe ich, wo ich nur helfen kann? Verurteile ich andere? Erniedrige ich sie auch in Gedanken? Ist meine Demut manchmal nur Kind des Hochmuts? Ist in meiner Liebe Lieblosigkeit verborgen?

Ich muss erkennen und zugeben: Ich bin wirklich nicht gerecht. Nicht vor Gott. Und wie sieht es mit meinem Verhältnis zu Gott aus? Vertraue ich ihm? Höre ich auf ihn? Nehme ich mir für ihn Zeit? Nehme ich seine Kraft in Anspruch, seinen Schalom, den Frieden, den nur er geben kann?

Und wie sieht es mit mir selbst aus? Zerstöre ich mich mit irgendwas, von dem ich weiß, dass es mir nicht gut tut? In Gedanken, was den Körper betrifft, meine Seele, meinen Geist? Rausch? Lasse ich mich gehen, statt mich an Gott auszurichten und aufzurichten? Sind meine Gedanken unrein? Beherrscht mich ein tiefer, unerkannter Zorn?

Der Herr ist unsere Gerechtigkeit – aber noch scheint anderes so viel, viel machtvoller als Gott: Leiden an uns selbst, an anderen, Leiden an Situationen, Leiden am körperlichen Verfall und Schmerzen, Leiden an Zweifeln, leiden an Gott.

Ich bin nicht gerecht – und ich leide. Sobald ich das erkannt habe, und mir vom Propheten, dem Boten Gottes, zusagen lasse:

Der Herr ist meine Gerechtigkeit!

fange ich an befreit zu jubeln, fröhlich zu sein. Gott ist meine Gerechtigkeit, er schafft mir Recht, er ist mein Recht. Gott ist mit seiner Liebe auf meiner Seite! Ich bin nicht allein. Es geht mir wie es Israel ergehen wird:

Ich werde sie haben: Eine Zukunft in Freiheit, in Selbständigkeit, ohne Angst und ohne Einsamkeit, unbehelligt, ohne Erniedrigung, nicht anderen Menschen ausgeliefert, nicht von den Forderungen und Beurteilungen anderer abhängig, unabhängig von dem Leiden – frei! Nur dem liebenden Gott zugeordnet.

Es ist Zukunft. Zukunft? Nein: Nur dem liebenden Gott zugeordnet können wir schon jetzt sein: auch im Leiden. Auch in unseren Ängsten. Auch in den Spannungen mit anderen und mit sich selbst. In unserer Einsamkeit. Denn Gott ist unsere Gerechtigkeit. Er gibt uns seinen Geist, damit wir in all dem Übel frei sein können. Erinnern wir uns an Gottes Zusage, damit wir innerlich frei den Blick des Herzens erheben können – auch wenn wir uns müde und zerschlagen, beschämt und verängstigt fühlen und den Blick der Augen senken.

Was andere sagen, das kann uns egal sein, wenn wir zu Gott gehören. Erniedrigungen durch unser Versagen, durch unsere Vergangenheit können uns egal sein. Wenn Gott uns frei gesprochen hat, sind wir frei. Wenn wir zu Gott heimkommen, dann ist unsere Einsamkeit anders. Sie steht im Licht Gottes. Gott schafft mir Recht, obgleich ich unrecht tue, damit anerkennt er meine Unvollkommenheit und ich muss mich nicht selbst verurteilen. Ich kann mich ganz auf Gottes wunderbares Handeln konzentrieren und mich freuen. Je mehr wir wissen, dass Gott uns gerecht spricht, obgleich wir seinen Willen missachtet haben, desto größer die Freude.

Und hier beginnt die Freude der Kinder Gottes. Sie sind auf- und angenommen. Gott ist unsere Gerechtigkeit. Er spricht mich gerecht trotz meiner Vergangenheit, trotz meines ständigen Versagens. Und weil er mich gerecht spricht, bin ich frei. Paulus nennt das Rechtfertigung. Augustinus, der große Kirchenvater, hat es aufgegriffen, weil sie ihn von Lebensüberdruss befreite; diese Aussage brachte Luther die Befreiung von der Verkrampfung in seiner Sünde. Darum der Jubel durch die Kirchengeschichte hindurch. Gott ist meine Gerechtigkeit! Er wird es nicht erst sein. Er ist es. Das haben wir durch Jesus Christus gelernt. Und weil Gott meine Gerechtigkeit ist, können wir anders in unsere Zukunft gehen.

Ich gehöre dem liebenden Gott. Ihm bin ich zugeordnet. Das müssen wir uns immer wieder verdeutlichen, in welcher Situation wir auch stecken: Ich bin Dein, Gott, ich bin Dein. In welcher Auseinandersetzung wir leben: Ich bin Dein, Jesus Christus, ich bin Dein. Welche Einsamkeit, welcher Schmerz, welche Vergangenheit mich überfällt: Ich bin Dein und gehe in Deinem Heiligen Geist, Gott. Und weil wir Gottes Kinder sind, können wir auch mit anderen Menschen neu umgehen, wie wir mit uns neu umgehen können: befreiend.

Denn der Herr ist unsere Gerechtigkeit.