Jesus gegen Machtgier (Markus 10,35-45)

In Bearbeitung!

Der für den heutigen Sonntag vorgeschlagene Predigttext steht im Markusevangelium im 10. Kapitel:

Zwei Schüler / Jünger Jesu, Jakobus und Johannes, sprachen zu ihm:
Gib uns, dass wir sitzen einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit.
Jesus aber sprach zu ihnen:
Ihr wisst nicht, was ihr bittet.
Könnt ihr den Trinkbecher trinken, den ich trinke,
oder euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde?

Sie sprachen zu ihm:
Ja, das können wir.
Jesus aber sprach zu ihnen:
Ihr werdet zwar den Trinkbecher trinken, den ich trinke,
und getauft werden mit der Taufe, mit der ich getauft werde;
zu sitzen aber zu meiner Rechten oder zu meiner Linken, das zu geben steht mir nicht zu, sondern das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist.

Und als das die Zehn hörten, wurden sie unwillig über Jakobus und Johannes. 
Da rief Jesus sie zu sich und sprach zu ihnen:
Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder,
und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an.
Aber so ist es unter euch nicht;
wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein;
und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein.

Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen,
dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene

und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.

Soweit der Predigttext. Ein sehr poetischer und kunstvoller Text.

Wir haben einen Text vor uns, der im griechischen noch deutlicher Alliterationen zeigt, das heißt, Worte mit gleichem Buchstaben werden hintereinander ausgesprochen. Ich habe das an einer Stelle versucht im Deutschen wiederzugeben. Statt Kelch trinken, habe ich Trinkbecher verwendet: Könnt ihr den Trinkbecher trinken, den ich trinke? Wir finden in ihm auch die hebräische poetische Form des Parallelismus Membrorum, der Parallelen Satzglieder. Da wird zum Beispiel das, was im Satz zuvor gesagt wurde, noch einmal mit anderen Worten – manchmal vertiefend wiederholt. Zum Beispiel: die als Herrscher gelten, unterdrücken ihre Völker und dann: ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. Oder der erste Teil: Wer unter euch groß sein will, soll euer Diener sein – und dann der zweite Teil: Wer unter euch der erste sein will, der soll aller Knecht sein. Auch hier wieder im griechischen: Diener – diakonos, Knecht – doulos – also „D“ und „D“. Der Höhepunkt ist dann der letzte Satz. Der erste Teil lautet: der Menschensohn lässt sich nicht bedienen, er dient und dann der zweite Teil: er gibt sein Leben als Lösegeld für viele.

Warum weise ich auf die sprachlichen Besonderheiten hin? Sie zeigen, dass diese Sätze äußerst wichtig, äußerst bedeutsam sind. Der damit verbundene Inhalt, der Schatz, wird in ein kunstvolles Schmuckkästchen gelegt. Und wenn Menschen in einer Kultur aufwachsen, in denen diese sprachlichen Muster eingängig sind, dann bleiben die Sätze besser haften. Wie bei uns der Reim: Wenn ein kurzer Sinnspruch gereimt ist, dann geht er uns nicht mehr aus dem Ohr.

Was soll bei uns hängen bleiben?

Menschen sind machthungrig. Das ist nicht neu – sondern wie es im Text heißt: Ihr wisst! Macht, Macht, Macht! Und auch die Nachfolger Jesu sind da nicht anders: sie wollen Macht. Darum folgen sie Jesus, weil sie insgeheim denken: Wenn er seine Herrschaft ausüben wird, dann bekommen wir Macht. Doch Jesus sagt ihnen: Nicht Macht werdet ihr bekommen, sondern Erniedrigung. Ihr werdet keine Menschen bedrängen, ihr werdet selbst bedrängt werden. Den Kelch des Leids werdet ihr trinken, die Todestaufe werdet ihr ertragen. Hochgemut sagen sie dann noch: Das machen wir doch, klar! Wir werden leiden, sterben! Wenn etwas nur als Wort im Raum steht, dann ist es im Grunde weit weg. Aber nur vierzehn Jahre später, dann wird Jakobus ermordet – Johannes bleibt lange am Leben, aber Leiden um des Evangeliums willen ist auch ihm nicht fremd geblieben.

Für Jesus zählt etwas anderes: Gemeinschaft, Gemeinschaft, Gemeinschaft, statt Macht, Macht, Macht. Dieser Text ist eine massive Kritik an die, die – wie es heißt – als mächtig gelten, die als solche angesehen werden, man wähnt, sie seien mächtig. Wahn – Macht und Wahn hängen eng zusammen. Der Mensch wähnt in seinem Wahn mächtig zu sein, so mächtig, dass er selbst Gottes Sohn, den Menschensohn beherrschen kann, indem er in ermordet. Der Mensch wähnt sich mächtig über Natur und Gewalten, meint in friedlichen Zeiten, Frieden mit einem Fingerschnips herstellen zu können. Aber dieser Wahn ist nur ein Wahn. Ein Wahn, der Gemeinschaft zerstört, Menschen erniedrigt, vernichtet. Für Jesus zählt etwas anders: Es gilt, die Gemeinschaft der Kinder Gottes zu leben. Und das ist schwer, ist anstrengend, bringt Leiden mit sich, bringt sogar gewaltsamen Tod mit sich. Und Jesus – er zeigt es mit seinem Leben: Er wird sterben, erniedrigt, ermordet. Er wird nicht die Macht an sich reißen – er wird in den Tod gehen. Er wird dienen, sich unterwerfen. Und wir? Wir erwarten noch immer, dass er sich die Mächtigen, die Brutalen mit Gewalttaten unterwirft.

Warum das? Dienend, unterwerfend, sterbend wird er viele erlösen, befreien, zu Gott führen, zu einem Leben als Kinder Gottes. Warum heißt es aber: Lösegeld für viele? Nicht für alle? Er starb für alle – aber nicht alle wollen, dass das Lösegeld für sie bezahlt wird, auch hier ist Jesus Realist. Nicht alle wollen die Freiheit der Kinder Gottes, sie wollen lieber Sklaven bleiben, Sklaven der Sünde, Sklaven der Macht, Slaven der Sucht, andere zu erniedrigen, der Sucht, sich zu erheben.

Er bezahlt das Lösegeld, aber nur manche lassen sich befreien. Dieses Befreiungswort ist der große funkelnde Schatz in diesem kunstvoll errichteten Schatzkasten. Befreiung. Freiheit – Freiheit selbst unter der Peitsche und den Drohungen der Mächtigen. Was für eine widersinnige Freiheit in den Augen der Mächtigen, ihrer Steigbügelhalter, der mächtigen Gruppen und Individuen: Da lehrt ein Mensch Freiheit in der Erniedrigung, Freiheit im Angesicht des gewaltsamen Todes, Freiheit obgleich furchtbar entehrt. Die Welt wird auf den Kopf gestellt, selbst die Welt der Nachfolger Jesu. Wie sehr hat die Kirche angesichts dieses wunderbaren Wortes versagt! Ein ganz, ganz großer Teil der Kirchengeschichte steht mit diesem anklagenden Wort vor dem Gericht Gottes: Nicht das, was Gott wollte, habt ihr gemacht. Ihr habt nur nach eigner, kleiner Macht gegiert.

Ja, aber Anklage ist nicht der Schatz des Wortes. Der Schatz ist: Befreiung durch Jesus. Wenn wir anklagend auf die Kirche und viele Kirchen- und Glaubensmenschen zeigen – vergessen wir uns. Dann übersehen wir unsere Befreiung. Wir sind noch immer gefesselt von der Macht der Bösen – nur eben andersherum. Wir fühlen uns als die Guten, die nun anklagend mit dem Finger zeigen.

Nein! So Jesus, so soll es nicht unter euch sein. Ihr sollt dienen, einander helfen, beistehen, nicht nach Macht gieren. So wie Jesus sollt ihr füreinander befreiend da sein. Wir werden nicht mehr das Lösegeld bezahlen müssen. Er hat die Sklaven schon längst freigekauft. Das hat Jesus wirklich längst getan. Nicht, dass wir uns das nun anmaßen. Aber als die von Sünde, Tod, Machtgier befreiten Sklaven sind wir füreinander da, indem wir einander die frohe Botschaft aussprechen und leben, indem wir einander die Hoffnungsbotschaft mitteilen, die Hoffnung von der Befreiung vom Tod zum ewigen Leben bei Gott. Indem wir einander jede und jeder mit der ihr und ihm eigenen Gabe hilft und stärkt, stützt und führt, tröstet und beisteht. Indem wir nicht kleinlich auf unsere Vorteile schauen.

Auch wir befreite Menschen sind in vielerlei Hinsicht noch wie Sklaven. Menschen, die ihr Leben lang Sklaven waren, tun sich schwer, diese in ihr Wesen übergegangene Sklavenschaft abzulegen. Aber wir helfen einander dabei, wir bemühen uns, wir lassen nicht nach, Jesus Christus dem Befreier zu folgen. Er will uns erneuern. Er will uns auch in unserem tiefsten Wesen zu freien, fröhlichen und freudigen Menschen verändern, umwandeln, neu gestalten.

Was für einen Schatz finden wir in dem Schatzkästchen dieses Textes.