Jesaja 60: Sie leuchten, weil sie Christus widerspiegeln

Als Predigttext habe ich heute nicht den Text genommen, der für den heutigen Sonntag vorgeschlagen worden ist, sondern den Text, der für den gestrigen Epiphaniastag vorgesehen war. Er steht im Buch des Propheten Jesaja im 60. Kapitel:

Mache dich auf, werde licht,
denn dein Licht kommt,
und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir.
Denn siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker.
Aber über dir geht auf der Herr
und seine Herrlichkeit erscheint über dir.
Und die Heiden werden zu deinem Lichte ziehen,
und die Könige zum Glanz, der über dir aufgeht.
Hebe deine Augen auf und sieh umher:
Diese alle sind versammelt und kommen zu dir.

Soweit der Predigttext.

Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker. Kriege und Terrorismus bedecken die Länder. Menschen sind auf der Flucht, Menschen leben im Elend, in Lagern, zusammengepfercht in Baracken, erniedrigt und in Einsamkeit. Korruption, Vergewaltigungen, Willkür zerbrechen Menschen und ganze Völker. Das Dunkel beherrscht die Völker. Vulkanausbrüche, Dürre, Überschwemmungen, Erdrutsche, Unfälle fordern Todesopfer und verbreiten Elend. Finsternis bedeckt das Erdreich. Jahraus, jahrein. Das Böse senkt sich wie eine riesige schwarze Wolke auf alle Menschen, hält sie durch all das Schlimme davon ab, auf Gott zu blicken. Es ist Nacht in dieser Welt. Doch der Prophet Jesaja lässt sich von dieser schwarzen Wolke des Bösen nicht verfinstern. Sein Volk lebt in der finstersten Finsternis, entführt unter fremde Völkern, anderen Menschen ausgeliefert, versklavt, ermordet. Er sieht durch diese große Finsternis der Welt hindurch. Er sieht ein Licht, er sieht Gott in seinem Licht. Gott wird kommen, Gott wird das Dunkel und die Finsternis erhellen: denn wie die Sonne am Morgen aufgeht und die Nacht vertreibt, so wird Gott aufgehen und die Nacht der Völker vertreiben. Er wird aufgehen und alles Dunkle ausleuchten. Dann gibt es nichts Böses mehr. Gott wird herrschen, Gott wird herrschen. Auf der Erde gibt es keine Sicherheiten, alles vergeht, alles. Aber eines ist sicher: Gottes Licht geht auf – und weil das so sehr sicher ist, können Menschen schon jetzt dieses Licht widerstrahlen: Mache dich auf, werde licht, denn dein Licht kommt. Das Licht wird kommen, Menschen können schon hell werden, weil das Licht Gottes sie schon erhellt. Waren sie schon mal in den Bergen? Morgens ist es noch dunkel. Doch die Sonne erhellt schon die Bergspitzen. Oder in unserem Flachland. Dunkel herrscht, doch Wolken haben schon kleine Lichtspitzen. Genauso ist es mit uns Menschen: Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker, doch Gottes Licht strahlt schon einzelne Menschen an. Durch Menschen, die das Licht Gottes, Jesus Christus, in ihre Herzen aufgenommen haben.

Durch die gesamte Kirchengeschichte hindurch gibt es Menschen, die ein bisschen das Licht Gottes widergestrahlt haben. Es sei an Namen erinnert, die ich willkürlich herausgreife, weil sie mir gerade in den Sinn kommen. Jesus hatte Jünger, sie waren zum Teil Fischer an einem kleinen See. Diese wenigen Menschen haben sein Licht in die Welt getragen – und heute strahlt Jesus Christus überall auf der Welt in die Herzen. Ich denke an Paulus, an Justin, an Augustin, an Elisabeth von Thüringen und Hildegard von Bingen, an Thomas von Kempten und Martin Luther. Ich denke an Tojohiko Kagawa, an Florence Nightingale, an Ma Pwa Sein und Watchmann Nee. Wir könnten tausende aufzählen – doch kennen wir nur noch ganz wenige. Wie viel unbekannte Menschen haben durch die Jahre hindurch das Licht Jesu weiter verbreitet: Omas und Opas, Väter und Mütter, Nachbarn, Kinder, Berufskollegen – und wenn ich hier in dieser Gemeinde so um mich schaue: Ich kenne so manchen, der mir zum Licht geworden ist, so manche, die mir in meinem Leben Licht gebracht hat, weil sie Licht Jesu Christi ist. Jede und jeder, wie wir hier sitzen, können Widerschein des Lichtes Jesu Christi sein. Und damit kann jeder und jede hier seine Umwelt verändern. Die Jünger, die Jesus auserwählt hat, waren nur wenige – doch welch eine Veränderung haben sie der Welt gebracht. Und diese können wir auch bringen? Ich bin doch nur ein kleines Licht in meiner Welt. Ich kenne kaum jemanden, ich bin nicht mutig, ich rede nicht gerne von Gott, von Jesus Christus, auf mich hört niemand, auch kenne ich mich in Glaubensdingen kaum aus – kurz gesagt: Wir kennen uns. Genau das haben viele Propheten und Jünger Jesu auch gesagt. Sehen wir uns Paul Schneider an. Ein normaler Pfarrer in einem Dörfchen in Deutschland. Ein Mensch wie du und ich. Eins unterschied ihn von vielen, vielen anderen zur Zeit des Dritten Reichs: Er machte nicht mit, weil er zu Jesus gehörte. Und das war anderen Menschen ein Dorn im Auge. Er wurde vor 70 Jahren inhaftiert und dann umgebracht. Ein ganz normaler Mensch – er hat nur nicht mitgemacht. Hören wir auf einen führenden Mann in der Kirche von Nigeria, auf Tokunboh Adeyemo: Er war Moslem. Ein Freund lud ihn zur Kirche ein. Neugierig ging er mit. Dann blieb er wieder fern. Dann hörte er Jahre später einen Menschen von Jesus reden – das traf ihn ins Herz, er wurde Christ, und lebt nun seinen Glauben zum Guten für viele andere. Auch er, ein ganz normaler Mensch. Er lebte sein Alltagsleben wie alle Menschen. Doch dann, auf einmal, wurde er von Jesus Christus herausgehoben – und lebt für ihn. Viele Menschen finden den Weg zu Jesus Christus – sie wissen nicht mehr, wer alles dazu beigetragen hat: Omas und Opas, Freunde, Lehrer und Kindergärtnerinnen, Eltern und Nachbarn. Sie haben ein kleines Lichtkörnchen ins Herz gesät – irgendwann hat Jesus es entfacht, und es ist groß geworden, für Menschen groß geworden. Wir müssen nicht großartige Menschen sein. Es genügt, wenn wir sind wie wir sind – wir sollten uns nur Jesus zur Verfügung stellen. Jesus möchte uns als Widerschein seines Lichtes benutzen. Ein Weihnachtsbaum ist nichts ohne Kerzen, aber das Funkeln bringen erst die Kugeln. Sie leuchten selbst nicht, aber sie strahlen das Licht der Kerze wider, der Weihnachtsbaum funkelt. So sind wir. Wir müssen keine Kerzen sein, kein Licht, es genügt, wenn wir das Licht des Herrn Jesus Christus widerspiegeln. Und dieses Licht können wir vielfältig widerspiegeln: sei es durch Gebet für andere, sei es, dass wir einfach das nicht mitmachen, was andere tun, weil wir es im Licht Jesu nicht für gut finden. Sei es, dass wir andere mitnehmen in die Kirche oder selbst biblische Geschichten erzählen. Wir strahlen das Licht Jesu wider, wenn wir Menschen, über die man herfällt, beistehen; wenn wir Menschen, über die man schimpft und spottet, verteidigen; wenn wir Menschen, die einsam sind, unsere Aufmerksamkeit zeigen. Wenn wir das tun, dann spiegeln wir automatisch das Licht wider, mit dem Jesus Christus uns anstrahlt. Auf diese Weise leuchtet Gott in Jesus Christus in diese Welt. Die Finsternis des Erdkreises wird erhellt, das Dunkel der Völker ist nicht mehr ganz so dunkel, weil überall Menschen wie du und ich Gottes Licht widerstahlen.

Und dann kommt die Zeit, in der das Licht selbst kommen wird. Es kommt. Woher wir das wissen? Wenn es dieses Licht nicht gäbe, dann könnte ja keiner das Licht widerstrahlen. Wenn wir an die Jünger, Paulus, Justin, Augustin, Martin Luther King, Mutter Theresa, Albert Schweitzer und viele andere in aller Herren Länder denken, an Randa Alea in Palästina, an Songa im Senegal, an Mirah in Indonesien, an Ye Ling in der Mongolei – und an Menschen um uns herum: Woher haben sie das Licht der Liebe in all der Lieblosigkeit um sie herum? Woher haben sie das Licht der Vergebung in all dem Hass? Woher haben sie das Licht der Ruhe in all dem Kampf, dem Zorn und dem Geschrei? Haben sie es aus sich selbst? Nein: Sie strahlen das Licht und die Kraft Jesu Christi wider, der als das Licht kommen wird, wenn Gott die Zeit für reif ansieht. Sie können nicht aus sich selbst strahlen. Sie sind zu schwach. Zu anfällig. Immer wieder sind sie niedergeschlagen, zu müde, zu kraftlos und traurig, manchmal werden sie auch schuldig und mögen sich selbst nicht mehr. Doch all das Böse, das Leid, die Gewalt, die Finsternis können das Licht nicht brechen. Sie sind hell, weil Jesus Christus ihr Licht sie erhellt. Und er wird kommen. Da können wir sicher sein. Ganz sicher. Wann? Das hat uns nicht zu interessieren – für uns ist es nur eins wichtig, dass wir das Licht Jesu Christi in unsere Umwelt hineinstrahlen, damit die Finsternis nicht das Erdreich ganz bedeckt und das Dunkel die Völker ganz verschlingt.

Amen.