1. Mose 18: Gottes Herrschaft, Liebe, Weggeleit

Der für den heutigen Sonntag vorgeschlagene Predigttext steht im 1. Buch Mose im 18. Kapitel:

Und der HERR sprach: Es ist ein großes Geschrei über Sodom und Gomorra, dass ihre Sünden sehr schwer sind. Darum will ich hinabfahren und sehen, ob sie alles getan haben nach dem Geschrei, das vor mich gekommen ist, oder ob’s nicht so sei, damit ich’s wisse. Und die Männer wandten ihr Angesicht und gingen nach Sodom.

Aber Abraham blieb stehen vor dem HERRN und trat zu ihm und sprach: Willst du denn den Gerechten mit dem Gottlosen umbringen? Es könnten vielleicht fünfzig Gerechte in der Stadt sein; wolltest du die umbringen und dem Ort nicht vergeben um fünfzig Gerechter willen, die darin wären? Das sei ferne von dir, dass du das tust und tötest den Gerechten mit dem Gottlosen, sodass der Gerechte wäre gleich wie der Gottlose! Das sei ferne von dir! Sollte der Richter aller Welt nicht gerecht richten?

Der HERR sprach: Finde ich fünfzig Gerechte zu Sodom in der Stadt, so will ich um ihretwillen dem ganzen Ort vergeben.  Abraham antwortete und sprach: Ach siehe, ich habe mich unterwunden, zu reden mit dem Herrn, wiewohl ich Erde und Asche bin. Es könnten vielleicht fünf weniger als fünfzig Gerechte darin sein; wolltest du denn die ganze Stadt verderben um der fünf willen? Er sprach: Finde ich darin fünfundvierzig, so will ich sie nicht verderben. Und er fuhr fort mit ihm zu reden und sprach: Man könnte vielleicht vierzig darin finden. Er aber sprach: Ich will ihnen nichts tun um der vierzig willen.  Abraham sprach: Zürne nicht, Herr, dass ich noch mehr rede. Man könnte vielleicht dreißig darin finden. Er aber sprach: Finde ich dreißig darin, so will ich ihnen nichts tun. Und er sprach: Ach siehe, ich habe mich unterwunden, mit dem Herrn zu reden. Man könnte vielleicht zwanzig darin finden. Er antwortete: Ich will sie nicht verderben um der zwanzig willen. Und er sprach: Ach, zürne nicht, Herr, dass ich nur noch einmal rede. Man könnte vielleicht zehn darin finden. Er aber sprach: Ich will sie nicht verderben um der zehn willen.

Und der HERR ging weg, nachdem er aufgehört hatte, mit Abraham zu reden; und Abraham kehrte wieder um an seinen Ort.

Soweit der Predigttext.

Abraham bittet für die Städte Sodom und Gomorra. In ihnen geht es übel zu, sehr übel. Und wenn es in Städten schlimm zugeht, dann haben Menschen zu leiden: Menschenrechte werden mit Füßen getreten, Schwache kommen unter die Räder, Menschen werden verachtet und missbraucht, ausgenutzt. Ob Abraham wirklich geglaubt hat, er findet so viele Gerechte in diesen verrohten Städten? Nein. Darum geht er selbst immer weiter runter mit der Zahl – und selbst der einzige Gerechte, sein Verwandter Lot, war wohl so gerecht auch nicht. Er war, kurz gesagt, ein Schlitzohr. Aber dennoch: Gott ist ihm gnädig – vielleicht, weil er versuchte, in diesen verrohten Städten als Gerechter zu leben? Weil selbst Lot ein Schlitzohr war, sehen Psalmenbeter und auch Paulus den Menschen viel realistischer: Alle Menschen sind Sünder. Da ist keiner, der gerecht ist, keiner der Gerechtes tut. Alle Menschen? Alle! Der Maßstab für dieses vernichtende Urteil ist nicht meine vermeintliche Guttat, nicht, dass Menschen mal etwas Schönes und Liebevolles hinbekommt. Der Maßstab, an dem wir gemessen werden, der Maßstab für unsere Gerechtigkeit ist Gott selbst.

Wer diesen Maßstab nicht hat, ihn nicht in Christus findet, der mag alle Menschen als gut ansehen, soweit sie ihm nicht zu nahe treten, er mag sie als gut ansehen – und wenn etwas falsch läuft, mag er die Gesellschaft für dessen Fehlverhalten verantwortlich machen. Doch wer ist die Gesellschaft? Er mag die Eltern oder das nahe Umfeld für Böses verantwortlich machen. Er mag das Christentum, den Kapitalismus usw. usw. dafür verantwortlichen machen.  Wenn bei mir etwas falsch läuft, und ich mich als besonders gut ansehe, dann mache ich die anderen bösen Menschen um mich herum verantwortlich. Und darin, andere für mein Fehlverhalten verantwortlich zu machen – darin sind wir Weltmeister! Aber der Mensch, der sich vorbehaltlos unter die Augen Jesu Christi stellt, sieht ein: Ich bin ein sündiger Mensch. Wenn wir uns nur in unserem eigenen Dämmerlicht bespiegeln, dann sehen wir uns immer als gut und hilfreich an. Als große Helden. Man muss uns nur einmal zuhören, wie sehr wir uns selbst herauskehren: Und dann habe ich gesagt …; dann habe ich ihm vorgehalten …; dann war ich der Einzige, der es so und so gemacht hat … Doch wenn wir uns im Licht Jesu Christi bespiegeln, uns mit Jesus vergleichen, dann vergeht unser Hochmut ganz schnell, wir werden bescheiden und kleinlaut. Manche Helden werden nicht bescheiden und kleinlaut, wenn man ihre vermeintliche Heldenhaftigkeit ankratzt. Im Gegenteil, sie werden immer lauter, aggressiver und fordernder. Manche dieser kleinen selbsternannten Helden werden gar gewalttätig. Und damit entlarven sie sich selbst. Man kann sich aber auch ganz anders entlarven, ganz dezent: Wer sich als einen darstellt, der besonders hilfsbereit ist, der großmütig und Recht habend ist, der tut damit genau das, was er eigentlich gar nicht tun will: Er erniedrigt den anderen. Warum? Indem er zeigt, was für ein toller Hecht er ist, sagt er gleichzeitig: Du bist aber ein kleines Fischchen. Wir kommen aus unserer Rolle als Sünder, gemessen an Jesus Christus als Maßstab, nur sehr schlecht heraus.

Was ist das eigentlich, sich „gerecht“ verhalten? „Gerecht sein“ bedeutet, dass man sich gemeinschaftlich verhält, sich so verhält, wie es der Gemeinschaft gut tut. Jesus würde sagen: Liebe Gott und liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Verhalte dich selbst deinem Feind gegenüber menschlich, vergebend, gib ihm eine Chance, neu anzufangen. Gib auch Gott eine Chance, und wende dich ihm immer wieder zu, auch dann, wenn du sein Tun nicht verstehst. Gerecht sein, das heißt: Miteinander und mit Gott freundlich, fröhlich, annehmend umzugehen. Nun, wenn wir das so genau ansehen, dann merken wir, dass wir gar nicht mehr als so heldenhaft, gerecht und gut sind.

Und so zerplatzt auch dem Abraham seine große Zahl Gerechter wie Seifenblasen. Da sind die drei Männer, die ihn besuchen kamen, realistischer. Wer sind denn diese drei Männer? Die frühe Kirche sah in diesen drei Wanderern, die zu Abraham kamen, Gott Vater, Gott Sohn und Gott Heiliger Geist. In dieser alten Geschichte fand die frühe Kirche einen wertvollen Gedanken wieder: Gott ist und bleibt der Richter. Gott hört das Schreien derer, denen Unrecht getan wird. Gott schreitet zu seiner Zeit ein, wenn die Menschen ihr Handeln überhaupt nicht mehr in den Griff bekommen. Dann schreitet er massiv ein – und bereitet dem Elend ein Ende. Aber: Seit Jesus Christus sehen wir, dass Gott nicht das Verderben des sündigen Menschen will, sondern dessen Rettung. Gott will die Rettung des Menschen: Gott wird im Sohn, in Jesus Christus, Mensch, um Menschen vom Fluch der Sünde und des Todes zu befreien. Gott kommt im Heiligen Geist in die Herzen der Menschen, um sie neu werden zu lassen, um ihnen beistehen, um zu helfen, den neuen Weg zu gehen: den neuen Weg der Gerechtigkeit, des gemeinschaftlichen, vergebenden Verhaltens. Gott geht im Vater, im Sohn und im Geist den Weg unserer Rettung.

Ich habe hier drei Kerzen in unterschiedlichen Farben stehen (anzünden):

Gott-Vater, der Herrscher, der seine Welt erhält,
Gott-Sohn, unser Retter
Gott-Heiliger Geist, hilft den neuen Weg gehen.

Wenn uns die Weltgeschichte zu schwarz wird, wenn die Ungerechtigkeit zu siegen scheint, wenn alles den Bach runterzuschwemmen scheint: Gott ist Licht, Gott regiert, Gott ist im Hintergrund da, auch wenn wir ihn nicht bemerken vor lauter Dunkelheit und Ungerechtigkeit. Gott ist anwesend, wie er immer anwesend war und sein wird.

Wenn wir uns selbst nicht mögen: Gott-Sohn ist vergebende Liebe. Weil er uns liebt, dürfen wir uns auch lieben. Auch dann, wenn wir uns gar nicht liebenswert empfinden und andere Menschen uns ablehnen. Auch dann, wenn wir ungerecht geworden sind und uns über andere erhoben haben: Er vergibt uns und wir können, ja, müssen uns und den anderen auch vergeben, weil er uns vergeben hat. Jesus Christus vergibt dir deine Schuld, deine Ungerechtigkeit: Es liegt an dir: Fang neu an. Du kannst es, weil Jesus Christus dich liebt.

Wenn unser Lebensweg ein Irrweg zu sein scheint, wenn ich nicht glauben kann, dass mir vergeben worden ist, dass ich mich selbst annehmen darf: Gott-Heiliger Geist geht mit uns. Er begleitet uns, er drängt uns auch immer wieder den Weg der Gerechtigkeit, den der Vergebung und der Liebe zu gehen. Nicht blind. Nein, nicht blind. Das alles bedeutet nicht, dass wir uns zu Sklaven anderer machen dürfen. Wenn wir den Weg der Vergebung gehen, dann heißt das nicht, dass wir uns wider besseres Wissen allem und jedem unterordnen müssen. Im Gegenteil: Das heißt, dass wir dem anderen vergeben können und ihn annehmen wie er ist. Wer im Geist Gottes geht, ist frei und kann darum ganz gelassen sein und als Freie ganz gelassen mit anderen umgehen.

Und wenn wir zweifeln und ganz verzweifelt sind, über uns, über die Menschen um uns herum, über die Weltgeschichte, dann zünden wir doch auch drei Kerzen an und bedenken:

Gott-Vater: das Licht regiert.
Gott-Sohn Jesus Christus: die Liebe nimmt uns und unseren Mitmenschen an.
Gott-Heiliger Geist: leitet und lenkt uns auf dem Weg der Gerechtigkeit, dem Weg der Liebe, den Weg, der Jesus ähnlich ist.   

Soweit hat Abraham nicht gedacht. Gott denkt immer weiter als wir Menschen denken. Und wenn wir auch nicht den Weitblick Gottes haben, dann können wir uns auch drei Kerzen hinstellen – und an Gottes Herrschaft, Liebe und Weggeleit denken. Ihm dafür danken.

Das Gericht wird an Sodom und Gomorra vollzogen. Es liegt immer auch ein Stückweit an uns, dass unsere Umgebung nicht zu Sodom und Gomorra entartet. Das bedeutet, dass wir Unrecht nicht mitmachen, dass wir gegen Ungerechtigkeit angehen, dass wir in uns selbst das Licht Gottes leuchten lassen – für den Mitmenschen. Dem König aller Könige und Herrn aller Herren, der allein Unsterblichkeit hat, dem sei Ehre und Macht.

Amen.