Menschen Gottes sind wie Heilpflanzen, wie Heilkräuter – sie wachsen überall ungefragt, man reißt sie aus – aber sie kommen wieder und wieder. Sie duften in ihrer Zeit, sie heilen die Gesellschaft, aber nicht jeder mag das und bekämpft sie, mancher beachtet sie in seiner Unwissenheit und Gleichgültigkeit gar nicht, manche benutzen sie für egoistische Zwecke. Wie dem allem auch sei: Meine Tante sagte immer, Heilkräuter sind die Apotheke Gottes für die Menschen. Und so sind auch Menschen Gottes Heilkräuter, die Gott der Menschheit schickt.
Ein solches menschliches Heilkraut sehen wir auch in dem heutigen Predigttext im Propheten Nathan:
Und der HERR sandte Nathan zu David. Als der zu ihm kam, sprach er zu ihm: Es waren zwei Männer in einer Stadt, der eine reich, der andere arm. Der Reiche hatte sehr viele Schafe und Rinder; aber der Arme hatte nichts als ein einziges kleines Schäflein, das er gekauft hatte. Und er nährte es, dass es groß wurde bei ihm zugleich mit seinen Kindern. Es aß von seinem Bissen und trank aus seinem Becher und schlief in seinem Schoß und er hielt’s wie eine Tochter. Als aber zu dem reichen Mann ein Gast kam, brachte er’s nicht über sich, von seinen Schafen und Rindern zu nehmen, um dem Gast etwas zuzurichten, der zu ihm gekommen war, sondern er nahm das Schaf des armen Mannes und richtete es dem Mann zu, der zu ihm gekommen war. Da geriet David in großen Zorn über den Mann und sprach zu Nathan: So wahr der HERR lebt: Der Mann ist ein Kind des Todes, der das getan hat! Dazu soll er das Schaf vierfach bezahlen, weil er das getan und sein eigenes geschont hat. Da sprach Nathan zu David: Du bist der Mann! So spricht der HERR, der Gott Israels: Ich habe dich zum König gesalbt über Israel und habe dich errettet aus der Hand Sauls und habe dir deines Herrn Haus gegeben, dazu seine Frauen, und habe dir das Haus Israel und Juda gegeben; und ist das zu wenig, will ich noch dies und das dazutun. Warum hast du denn das Wort des HERRN verachtet, dass du getan hast, was ihm missfiel? Uria, den Hetiter, hast du erschlagen mit dem Schwert, seine Frau hast du dir zur Frau genommen, ihn aber hast du umgebracht durchs Schwert der Ammoniter. Nun, so soll von deinem Hause das Schwert nimmermehr lassen, weil du mich verachtet und die Frau Urias, des Hetiters, genommen hast, dass sie deine Frau sei. So spricht der HERR: Siehe, ich will Unheil über dich kommen lassen aus deinem eigenen Hause … Denn du hast’s heimlich getan, ich aber will dies tun vor ganz Israel und im Licht der Sonne. Da sprach David zu Nathan: Ich habe gesündigt gegen den HERRN. Nathan sprach zu David: So hat auch der HERR deine Sünde weggenommen; du wirst nicht sterben.
Soweit der Predigttext aus dem 2. Buch Samuel dem 12. Kapitel.
Der große König David hat schlimmes Unrecht begangen. Er sah vom Fenster seines Schlosses die Frau Bathseba baden, deren Mann, Uria, im Krieg an der Front war. Sein Herz wurde voller Begierde, er ließ Bathseba zu sich kommen. Dann schlief er mit ihr. Als sie daraufhin ein Kind erwartete, wollte er es verheimlichen, ließ ihren Ehemann aus dem Krieg zurückkommen, damit dieser mit seiner Frau schlafe. Auf diese Weise wollte er ihm das Kind unterschieben. Aber der Mann von Bathseba war so ehrenhaft, dass er sagte: Während meine Kameraden kämpfen, kann ich doch nicht mit meiner Frau schlafen! Und das war sein Todesurteil. Der König David ließ ihn in der vordersten Front eine Stadtmauer erstürmen und dabei starb Uria dann. Und so konnte dann David die Witwe als seine Frau zu sich nehmen.
David, der große David, der Mann Gottes, tut ein so großes Unrecht.
Und das ist das Großartige an der Bibel: Sie verschweigt nicht die schlimmen Taten der Großen. Sie nennt sie beim Namen, sie zeigt: Auch diese Großen sind nur Menschen – sie sind zwar Menschen, die Großartiges geleistet haben, die sehr viel von Gott geschenkt bekommen haben – die aber auch sehr, sehr tief fallen konnten.
Gott gefällt das Handeln Davids nicht, und so schickt er seinen Mann, den Propheten Nathan, zu David, um ihm mitzuteilen, dass er dieses Unrecht zwar vor Menschen verheimlichen kann, aber nicht vor Gott. Das ist für den Mann Gottes eine heikle Aufgabe. Wer heute der Bundeskanzlerin Merkel oder dem Bundespräsidenten Gauck die Meinung sagt, wird von ihnen weggehen wie er zu ihnen gekommen ist, es passiert ihm nichts. Doch damals war das eine äußerst heikle Angelegenheit, weil Könige sich als Herren über Leben und Tod aufspielten. So hätte der König David den Mann Gottes ermorden lassen können – und keiner hätte danach irgendwas gesagt. Keiner hätte protestiert, weil er Angst gehabt hätte, selbst ermordet zu werden. Und der Prophet Nathan, der von Gott geschickt wurde, geht sehr klug vor. Er verwendet ein berühmt gewordenes Gleichnis, um David den Spiegel vorzuhalten: Ein armer Mann hatte nur ein Schäfchen – ein reicher Mann hatte unzählig viel Vieh. Doch als Besuch kam, schlachtete er nicht von seinem Vieh, um dem Besucher Nahrung zu bieten, sondern raubte das Schaf des Armen. David war ein gerechter Mann und reagierte äußerst empört darüber! Der Mann muss sterben! Er ist ein Kind des Todes! Und dann, nachdem der König David gezeigt hat, dass in ihm noch ein Funke Gerechtigkeit existiert, sagt ihm der Mann Gottes: Du bist der Mann! Du bist es! David hat damit sein eigenes Todesurteil gesprochen.
Selbsterkenntnis ist äußerst hart. Über andere schimpfen und herziehen, das fällt uns leicht – aber das, was dem König David hier zugemutet wird: Du bist es!, das ist für viele, vor allem auch für viele Herrscher der Welt, schwer zu ertragen. Und das macht die Größe Davids aus: Er ermordet nicht den Mann Gottes, sondern er erkennt: Ja, ich bin es! Ich habe eine schwere Schuld begangen! Ich habe Ehebruch getrieben, ich habe einen unschuldigen Mann töten lassen! Ich bin auf ganzer Linie schuldig!
Du bist es! Das sagen die großen Propheten, die großen Menschen Gottes ihren Herrschern, ihren Mitmenschen, ihren Zeitgenossen immer wieder. Wir kennen die großen biblischen Vorbilder: Elia, wir wissen von Jesaja, Jeremia, Amos, Hosea – alle sind solche großartigen Menschen, die von Gott den Auftrag bekommen haben, den Menschen zu sagen: Du bist es, der sich gegen Gott und Menschen vergeht! Du missachtest Gott und deine Nächsten! Und es gab seither unzählige Menschen, die das gewagt haben, aus der frühen Christenheit bis heute, auch durch Menschen, die nicht so bekannt geworden sind wie die großen Propheten.
Und so zeigt uns diese David-Geschichte nicht nur, dass Menschen Gottes die Herrscher kritisieren und kritisierten, sondern auch, dass Menschen Gottes selbst große Fehler machen können. David, der von Gott auserwählt und äußerst begabt wurde, begeht eine schwere Sünde – und so ist keiner auch kein Mensch Gottes davor gefeit, schuldig zu werden.
Es ist nicht nur so, dass Menschen Gottes andere kritisieren, sondern dass sie sich auch von anderen sagen lassen müssen, was sie falsch machen, wo sie sich gegen Gott und Menschen vergehen: Du bist es!
Und da gibt es kein: Ja, aber, ich wollte doch nur… Da gibt es kein: Aber andere machen es doch auch! Da gibt es keine noch so gewitzte Ausrede. Auch die beliebteste aller Ausreden zählt nicht: Der oder die war es! Wenn Menschen Gottes schuldig werden, dann haben sie es sich sagen zu lassen und müssen in sich gehen und um Vergebung bitten und entsprechend richtig handeln.
Und das gilt selbstverständlich auch uns.
David wusste, dass er falsch gehandelt hat, sonst hätte er seinen Ehebruch nicht verheimlichen wollen. Und so wissen auch wir, jeder und jede Einzelne von uns, wo wir falsch gehandelt haben, auch wenn kein Mann Gottes kommt, und es uns sagen muss. Wir wissen es. Und wie gehen wir damit um?
Was tat David? Er hat es zugegeben – er hat um Vergebung gebeten – er hat danach richtig gehandelt. Das ist das, was auch wir tun müssen: Zugeben – um Vergebung bitten – gut handeln. Manches können wir wieder gut machen, manches nicht. David konnte nichts wieder gut machen – und dennoch war Gott gnädig und schenkte ihm einen Neuanfang. Aber das mit Bathseba gezeugte Kind starb stellvertretend für David. Wir finden das grausam, dass das unschuldige Kind sterben musste. Aber dieses Drama weist auf einen anderen hin, der unschuldig stellvertretend für die Sünder – auch für uns – gestorben ist. Es weist auf Jesus Christus.
Nun machen wir einen zeitlichen Sprung von ca. 1000 Jahren. Wenn wir nämlich das Matthäusevangelium und auch den Stammbaum Jesu lesen, dann stutzen wir: Denn dort heißt es: David zeugte mit Bathseba einen weiteren Sohn, den weisen König Salomo. Und Jesus, man höre und staune, ist einer der Nachkommen Davids eben aus dieser Ehe mit Bathseba. Das heißt: Ohne diesen schlimmen Fehltritt des David wäre Jesus als sein späterer Nachkomme nicht geboren worden.
Ob David gewusst hat, dass Gott aus seinem Fehler Gutes macht? Ob er wusste, dass durch seine Sünde die Welt gerettet werden wird? Sicher nicht. Aber wir erkennen daran, dass Gott auch trotz unserer schlimmen Taten Gutes folgen lassen kann. Auch wir haben gegen Gottes Willen gehandelt, haben Gott und die Nächsten missachtet, auch wir sind in und mit unserem Leben schuldig geworden. Aber Jesus Christus ist stellvertretend für uns gestorben. Wir dürfen trotz unserer Schuld nach unserem Sterben bei Gott leben, obwohl wir so häufig gegen Gott gehandelt haben und schuldig geworden sind.
Und so kommt zu den drei genannten Punkten noch einer hinzu: Zugeben – um Vergebung bitten – gut handeln – und als vierter Punkt: Gott bitten, dass er aus meiner Sünde Gutes machen möge. Das heißt nicht, dass Sünde nicht Sünde bleibt, das heißt nicht, dass Schuld nicht Schuld bleibt und äußerst ernst genommen werden muss und so es an uns liegt, in uns bekämpft werden muss. Aber unser Gott ist so gnädig, dass er aus unserer Schuld auch Gutes machen kann, sie wenden kann – und sie auslöschen kann. Und der Nachkomme Davids, der uns das zeigt, ist Jesus Christus. Er starb am Kreuz für unsere Sünden. Er löscht sie aus, er befreit uns. Das harte Wort gilt: Du bist es! Aber das Wort gilt auch: Dir wurde vergeben, du bist frei!
Ja, wir wissen es, wo wir in unserem Leben falsch gehandelt haben. Und manchmal fällt es uns blitzschnell und siedend heiß ein, dass wir Menschen verletzt haben, aktiv oder durch Missachtung, aus Eigensucht oder auch aus Gleichgültigkeit.
Was auch immer jedem von uns eingefallen sein mag: Es gilt die Zusage Gottes: Durch Jesus Christus wurde dir vergeben, du bist frei. Du musst dir nun keinen Kopf mehr – wie man so schön sagt – darum machen.
Wir können alles, womit wir schuldig geworden sind oder wodurch wir uns schuldig fühlen, im Gebet in Gottes Hand legen:
Gott, Du weißt, was ich in meinem Leben falsch gemacht habe.
Es tut mir auch sehr Leid, und so gut ich es kann,
habe ich versucht, es wieder gut zu machen.
Und so lege ich Dir meine Schuld in Deine Hand.
Hilf mir, sie bei Dir zu lassen, hilf mir, Dir zu vertrauen, dass Du mich befreit hast.
Und so danke ich Dir für Deine große vergebende Liebe.
Und weil Du mich liebst, darf ich jedes Mal wieder kommen
und Dir meine dunklen, kränkenden Gefühle in die Hand legen. Danke, mein Gott. Amen.
So oder ähnlich können wir beten.
Nun sind wir freilich aufgefordert, auch anderen Menschen zu vergeben, die uns Ungutes getan haben. Wenn das geschieht, dann können wir, die wir Menschen Gottes sind, wie Heilpflanzen, wie Heilkräuter wirken. Sie wachsen überall ungefragt, man reißt sie aus – aber sie kommen wieder und wieder. Sie duften in ihrer Zeit, sie sind für ihr Umfeld schmerzhaft und heilsam. So sind wir Menschen Gottes Heilkräuter, die Gott den Menschen schickt, um ihnen zu sagen: Du bist es! – damit, so die Hoffnung, unsere Gesellschaft besser wird.