1. Korinther 1,26-31: Wettrennen der Christen

Der für den heutigen Sonntag vorgeschlagene Predigttext steht im 1. Brief des Paulus an die Korinther im ersten Kapitel:

Seht doch, liebe Brüder, auf eure Berufung. Nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Mächtige, nicht viele Angesehene sind berufen. Sondern was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er die Weisen zuschanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er zuschanden mache, was stark ist; und das Geringe vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt, das, was nichts ist, damit er zunichte mache, was etwas ist, damit sich kein Mensch vor Gott rühme. Durch ihn aber seid ihr in Christus Jesus, der uns von Gott gemacht ist zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung, damit, wie geschrieben steht: »Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn!«

Soweit der Bibeltext.

Das ist ein Wort! Dieses Wort hat schon so manchen zur Verzweiflung gebracht. So den Philosophen Nietzsche, der beklagt, dass der christliche Glaube die Dummen, die Unterklassigen, die Schlechtweggekommenen, Schwachen, Ohnmächtigen hofiere und hoffähig mache. Er sei eine Religion der Sklaven. Auf der anderen Seite hat dieser Glaube Menschen geprägt, die zu den Bedeutendsten zählen: Mahatma Gandhi und Martin Luther King. Denn mit diesem Glauben, der in dem Bibeltext ausgesprochen wird, wird die Welt auf den Kopf gestellt. Man kann es erweitert so sagen: Nicht die Elite ist Elite, nicht die Klügsten aller Klugen sind die Klugen, nicht die Reichsten aller Reichen sind die Reichen, nicht die Gesündesten aller Gesunden sind die Gesunden. Wir haben in unserer Menschenwelt ein Wettrennen aller gegen alle: Wer ist reicher, wer ist angesehener, wer ist gesünder, wer ist schöner, wer ist der bessere Mensch, wer ist adliger, wer hat mehr Internetclicks, wer hat die meisten Erfindungen, wer hat die schönsten Schäfchen, wer hat die weißere Wäsche und wer kann bessere Kuchen backen, besser Esel zeichnen, die meisten Kartoffelklöße futtern… Ein riesen Wettrennen um alles Mögliche findet statt. Und Gott? Gott macht da nicht mit. Gott kehrt die Welt um. Mit diesen Worten des Paulus wird etwas gesagt, das vollkommen neuartig ist.

Normalerweise ist das ja so, wenn einer einen Menschen als Dummkopf beschimpft, dann schimpft der andere zurück: Du bist ein größerer Dummkopf. Was macht Paulus? Wenn einer einen als Dummkopf beschimpft – dann sagt der Beschimpfte: Du hast Recht! So eine Reaktion hat die Welt vorher wahrscheinlich noch nicht gesehen. Aber: Indem Paulus sagt: Du hast Recht, predigt er nicht die Unterwürfigkeit, sondern derjenige, der nicht zurückschimpft, gehört ja Gott, vollbringt den Willen des Schöpfers und Erhalters der Welt. Er bringt den anderen dazu, erst einmal verblüfft innezuhalten, dann nachzudenken, dann, wenn es gut geht, neue Wege, Gottes Wege zu gehen. Und das war es auch, was den Kämpfern für Gewaltlosigkeit, dem Hindu Mahatma Gandhi und Martin Luther King so sehr beeindruckte, dass sie es in die Tat umzusetzen versuchten – und wie wir wissen: mit weitreichender Bedeutung. Ein anderer großartiger Mensch, Dietrich Bonhoeffer, besuchte einmal Bethel. Dort kümmern sich Menschen liebevoll um Menschen, die von anderen verachtet werden, misshandelt, beiseite geschoben werden. Hier war er beeindruckt davon, wie liebevoll Schwache, Hilflose, Behinderte versorgt und umsorgt werden. Man nimmt sie ernst, achtet sie als Kinder Gottes, wahrt ihre Würde. Auch das ist Folge des Pauluswortes: Christen dürfen sich nicht über andere erheben. Christen haben für andere da zu sein, das auch mit Tätigkeiten, die von anderen gering geschätzt werden, die von anderen übersehen werden. Bonhoeffer hat diese liebevolle Zuwendung zu Behinderten auch deswegen so überrascht, weil Nationalsozialisten zum Teil auch in der Nachfolge Nietzsches und anderer sich selbst erhebender Menschen, diese Menschen zur selben Zeit verhöhnt und verachtet haben.

Wie kommt Paulus dazu, so etwas Neues in die Welt zu setzen?

In Korinth hat sich die Gemeinde zerstritten. Ein paar meinten, sie seien besser als die anderen, würdiger, klüger, hätten mehr Durchsicht. Und diese Schlauberger verbanden damit natürlich auch mehr Macht. Darauf reagiert Paulus und schreibt: Unter euch gibt es nicht viele – nach menschlichen Maßstäben gesehen – Kluge. Doch was soll´s? Gott hat Nichtkluge zu seinen Kindern gemacht. Und was bedeutet das für diejenigen, die sich mit weltlichen Augen als besonders klug ansehen? Gott hat sie deklassiert. Indem Gott die Menschen aus der Fußkrankenliga in die erste Gottesliga gehoben hat, hat er die aus der ersten Menschenliga in die zweite Gottesliga hineingestellt.

Wie kommt Paulus dazu, so etwas Revolutionäres, Ungehöriges zu machen?

Wir haben vor kurzem Weihnachten gefeiert. Was bedeutet Weihnachten? Der unermesslich erhabene Gott wird kleines, hilfloses Menschenkindchen.

Er, so schreibt Paulus im Philipperbrief, der Gottes Gestalt hatte, blieb nicht im Himmel, er ging aus dieser Machtposition heraus und wurde Knecht, wurde Mensch.

Und noch ein Ereignis wurde für Paulus von größter Bedeutung: Jesus Christus starb am Kreuz. Gottes Sohn, derjenige, in dem Gott Mensch wurde, er ließ sich von Menschen foltern und hinrichten, er machte sich klein wie ein Würmchen, das unter den Füßen der Menschen zertreten wird. Damit hat Gott aller Welt gezeigt, was er von den Folterknechten der Welt, von den Machtmenschen der Welt hält: Nichts. Sie mögen sich noch so mächtig, so klug, so elitär, so genial, so irgendwas verhalten: In Gottes Augen macht sie dieses Verhalten, diese Selbsteinschätzung nicht wertvoller als andere. Im Gegenteil. Wie Jesus sagt: Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden.

In der Gemeinde von Korinth hatten wir ein solches Wettrennen, das in Gottes Augen nichts zählt. Wer ist der Klügste, der Schönste, der Gesündeste, der Älteste, der Jüngste, wer kennt den berühmtesten Menschen… – ein Wettrennen in die Nichtigkeit ins Nichts, ins Vergehen, in den Tod. Durch Selbstruhm und dadurch, dass man im Guinessbuch der Rekorde eingestellt wird, kommt man nicht zu Gott.

Sollen wir Menschen uns denn verkriechen? Wenn ich klug bin, soll ich mich dümmer machen als ich bin? Wenn ich schön bin, soll ich mich verwahrlosen lassen? Wenn ich gesund bin, soll ich mich krank machen? Wenn ich von Adel bin, soll ich meine Herkunft leugnen? Wenn ich reich bin, muss ich all mein Geld auf den Kopf hauen? Nein, darum geht es wirklich nicht. Wir haben von Gott unsere Gaben bekommen – und diese Gaben sollen wir auch einsetzen. Aber es kommt darauf an, dass wir nicht mit unseren Gaben prahlen, dass wir meinen, wir seien bessere Menschen und hätten unter den Menschen mehr Ansehen verdient, wenn wir diese Gaben haben. Und wie wir Menschen so sind: Wenn man nicht mit seinen Gaben prahlt, dann prahlt man eben damit, dass man nicht prahlt. Bin ich nicht ein toller Mensch, weil ich nicht prahle? Bin ich nicht ein toller Mensch, weil ich Gaben habe, sie aber nicht einsetze? Paulus kennt uns, weil er sich selbst kennt. Und darum geht er einen anderen Weg: Du, Mensch, sollst nun auch nicht prahlen, dass du nicht prahlst, sondern:

Durch Gott aber seid ihr in Christus Jesus, der uns von Gott gemacht ist zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung, damit, wie geschrieben steht: »Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn!«

Er lenkt unseren Blick von uns weg auf Gott in Jesus Christus. Schau überhaupt nicht mehr auf dich. Schau auf Jesus Christus, er allein ist es, auf den es ankommt. Und rühme Gott, preise den Herrn, lobe ihn – und tue das deine so, wie Gott es von dir möchte. Und was ist das, was Gott von mir möchte? Paulus schreibt das im Korintherbrief später besonders deutlich:

Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, sodass ich Berge versetzen könnte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib verbrenne und hätte die Liebe nicht, so wäre mir’s nichts nütze. Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit…

Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.

Paulus möchte, dass ein anderes Wettrennen stattfindet: Es soll ein Wettrennen stattfinden zwischen Euch, nicht um die Frage, wer ist der Klügste, Beste, Schönste, sondern um die Frage: Wer von uns liebt am meisten? Wer von uns vergibt am meisten anderen die Schuld? Wer ist freundlich, zuvorkommend, fröhlich, geduldig, gütig? Darin soll ein Wettrennen stattfinden – aber immer mit Blick darauf: Wer sich über den anderen erhebt, weil er nun meint, er sei freundlicher als alle anderen, der hat die wahre Liebe nicht. Der schaut nicht auf den liebenden Gott, sondern nur auf seine eigenen kleinen Vorzüge und Fähigkeiten. Darum ist eben eines so wichtig: Auf Gott in Jesus Christus zu schauen und ihm nachzufolgen, Gott zu loben, ihn zu rühmen. Und das bedeutet eben, einen Gott nachzufolgen, zu loben, der die Welt auf den Kopf stellt.

Was bedeutet das nun konkret?

Es bedeutet nicht nur, dass ich meine Größe nicht ausspiele. Das bedeutet auch, dass ich nicht meine: Oh, bin ich klein, bin ich gering! Ich bin ein Nichts, ich bin dumm, ich bin hässlich! Wer bin ich schon unter all diesen großartigen Menschen? Paulus würde zurufen: Nein, nein, nein! Das ist ein ganz falsches Denken! Gott selbst macht uns groß, Gott macht uns zu seinen Kindern! Und was kann es größeres auf der Erde geben, als ein Kind Gottes zu sein? Alle vermeintlichen Minderwertigkeiten – sind dumme Hirngespinste. Gott sagt: Du bist mein Kind – was soll dann noch der alberne Gedanke: Ich bin aber nicht schön, ich bin schwach, ich bin nicht der Hellste, ich bin arm, ich bin alt, ich bin zu jung, ich bin anders – all das sind Gedanken, die nichts anderes wollen, als sich selbst zu erniedrigen. Wenn du sagst: Ich bin nicht schön, bin zu klein, zu groß, schlecht körperlich gebaut, zu dumm – welchen Maßstab legst du da an? Gottes? Wenn du sagst: Ich bin schwach und arm – welchen Maßstab legst du da an? Den Maßstab Gottes, der sagt: Du bist mein Kind!? Wenn du sagst, ich bin alt und nicht jung, oder ich bin zu jung und nicht alt genug, welchen Maßstab legst du da an? Den Maßstab Gottes? Nein, wir legen immer den Maßstab dieser vergänglichen Welt an, den Maßstab der Hochmütigen und sich selbst Überhebenden. Es sind meine eigenen Gedanken, mit denen ich mich selbst klein mache – und das können keine Gedanken Gottes sein. Gott erniedrigt uns nicht, Gott erhebt uns aus dem Staub, hebt uns empor und sagt uns: Du bist mein Kind. Lass es doch damit genug sein! Was strebst Du Hirngespinsten nach? Was strebst du den Dummheiten der Hochmütigen nach? Was ängstigst Du Dich selbst?

Freu dich daran, dass ich dich liebe, dass ich dich auf meinen Weg gestellt habe, dass ich dich so wichtig nehme, und dich sende, anderen Menschen liebend zu begegnen. Mache du anderen Menschen Mut, bete für sie, stärke sie, schenke ihnen Gemeinschaft – sei an meiner Stelle ihnen so freundlich zugewandt, wie es nur geht. Freu dich an mir und lobe mich.

Und wenn wieder diese Hirngespinste kommen und dich erniedrigen wollen, wenn andere kommen, die nichts anderes können als sich selbst groß zu quatschen, dann komm zu mir und sage: Mein Gott, ich bin dein. Hilf mir deinen Willen zu tun. Oder sage mit Paulus:

Jesus Christus, du bist meine Weisheit, meine Gerechtigkeit, meine Heiligung, meine Erlösung, Dir sei Lob und Ehre und Ruhm.