Für Jesus zum Affen machen (Lukas 19)

Der für den heutigen Sonntag vorgeschlagene Predigttext steht im Lukasevangelium im 19. Kapitel:

Und Jesus ging nach Jericho hinein und zog hindurch. Siehe, da war ein Mann mit Namen Zachäus, der war ein Oberer der Zöllner und war reich. Er begehrte, Jesus zu sehen, wer er wäre, und konnte es nicht wegen der Menge; denn er war klein von Gestalt. Er lief voraus und stieg auf einen Maulbeerfeigenbaum, um ihn zu sehen; denn dort sollte er durchkommen. Als Jesus an die Stelle kam, sah er auf und sprach zu ihm: Zachäus, steig eilend herunter; denn ich muss heute in deinem Haus einkehren. Er stieg eilend herunter und nahm ihn auf mit Freuden. Da sie das sahen, murrten sie alle und sprachen: Bei einem Sünder ist er eingekehrt. Zachäus aber trat herzu und sprach zu dem Herrn: Siehe, Herr, die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen, und wenn ich jemanden betrogen habe, so gebe ich es vierfach zurück. Jesus aber sprach zu ihm: Heute ist diesem Hause Heil widerfahren, denn auch er ist ein Sohn Abrahams. Denn der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.

Warum berichtet uns der Evangelist Lukas von dieser Geschichte, diesem kleinen Ereignis am Straßenrand? Weil hier etwas geschieht, was seit 2000 Jahren immer wieder geschieht und vielleicht auch bei Euch, bei Ihnen geschehen ist: Ich will unbedingt Jesus sehen, will ihn hören, will ihm nahe sein, will wissen, wer er ist. Und ich unternehme eine Menge, um das zu bewerkstelligen – und mache mich sogar zum Affen der Menschen – im wahrsten Sinn des Wortes. Wie Zachäus zum Gelächter vieler auf den Baum geklettert ist, der stolze, Sünder Zachäus, so machten unzählig viele Menschen seit 2000 Jahren alles Mögliche, vor dem die Umwelt nur kopfschüttelnd da steht: Der macht sich zum Affen! Zum Affen für Jesus!

Und all das – warum? Mein Leben läuft nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe. Was hatte ich für Pläne, dies und das wollte ich werden, wollte Karriere machen, groß rauskommen oder anerkannt sein von Freundinnen und Freunden – und manchmal dachte ich gar nicht an die Zukunft, war nur irgendwie da. Und nun hocke ich in meinem Zimmerchen, in meinem Haus, ein Häufchen Elend, und mich packt der Moralische. Einsamkeit, Müdigkeit, Lustlosigkeit – und wir brummeln in uns hinein: o kommt süße Melancholie und einsame Traurigkeit und ergreift mich! Aber dann, wenn sie mich ergriffen haben, möchte ich schnell wieder raus, damit sie mich nicht ganz runter ziehen. Vielleicht bin ich auch wie Zachäus einsam unter vielen Menschen. Ich möchte lieben – aber meine Liebe hat keinen Anhaltspunkt an einem anderen Menschen.

Kennen sie das wunderschöne Gedicht von Christian Morgenstern? Ich habe es in meiner Jugend einmal auswendig gelernt:

Ein Lächeln irrt verflogen
durch einen lauten Saal,
bis es auf einem Bogen
von schillerndem Opal
sein kleines Leben endet,
den letzten Blick noch matt
zu der herabgewendet,
die es verloren hat.

Man lächelt jemanden an – doch das Lächeln findet kein Ziel, und so stirbt es. Aber nicht nur mein Lächeln finden kein Ziel – auch mein Gefühl findet es nicht. Und so irrt es in mir herum, spukt in mir herum, macht mich unruhig – und muss notwendiger Weise verebben, verkümmern, sterben.

So geht es uns männliche und weibliche Zachäusse nicht erst seit 2000 Jahren.

Und dann – dann hören wir von einem – von Jesus Christus – wir versprechen uns von ihm ganz, ganz viel. Wir rennen hin, mit der Menge, wir denken: Was für eine Menge! Wie viel Fans Jesus hat! Und dann sollte er mich beachten? Dann mache ich mich zum Affen – und was noch peinlicher ist: Jesus kommt zu mir, wie ich da auf meinem peinlichen Lebensbaum hocke. Und dann bleibt er stehen. Alle schauen mich an. Ich möchte am liebsten vom Baum fallen vor lauter Peinlichkeit. Doch dann sagt er: Ich will bei dir essen. Ich lade mich bei dir ein.

An diesem Punkt möchte jede Hausfrau und jeder Hausmann laut aufschreien! Das geht doch nicht! Ich habe nicht aufgeräumt! Ich habe nichts zu essen hergerichtet. Und für so viele! Meine Töpfe sind ja nicht groß genug! Meine Kleidung ist vom Lebens-Baum ganz dreckig geworden! Mein Kopf ist nicht frei für einen so hohen Besuch! Ich will in meinem Mief ganz unberührt weiterleben!

Und das macht die Größe des kleinen Zachäus aus: Er ist kein Bedenkenträger – er ist glücklich: Jesus kommt zu mir! Irgendwie wird’s schon klappen! Er wird nicht erbost aus meinem Haus rennen, weil ihm mein irgendwie zusammen gestoppeltes Essen nicht schmeckt, weil meine Kleidung verdreckt ist. Ich habe schon viel von seiner Liebe gehört! Er wird sich mit dem, was ich ihm an unaufgeräumten Haus wie Seelenhaus anzubieten habe, zufrieden sein, er wird – er wird es sicher tun, denn er ist anders als alle, die ich kenne! Aber ist Gott so? Ist Gott so, dass er mein ganzes Unaufgeräumtes akzeptiert? Dass er meine abscheulichen Kochlebenskünste irgendwie genießt? Gott? Kann Gottes Sohn bei mir… Undenkbar! Das sehen ja auch die Leute so. Sie murren, sie knirschen mit den Zähnen, sie ärgern sich – nicht über mich, über Jesus! Das macht die Größe des Zachäus zu allen Zeiten aus: Er lässt Jesus in sein Haus kommen. Er lässt Jesus sein Seelenhaus aufräumen.

Und dann? Zu Ende ist es mit all der Einsamkeit, Traurigkeit, Lustlosigkeit, Müdigkeit, Angst, den Selbstzweifeln: Zachäus ist offen für Jesus – Jesus bringt sein Leben auf die Reihe – und Zachäus ist offen für die Menschen. Er erkennt seine Sünde, er erkennt, was er in seinem Leben falsch gemacht hat, er sehnt sich danach, die dreckigen Lebenskleider endlich zu waschen. Er bereut nicht nur mit Worten, er bereut mit der Tat. Und dann: Dann findet er die Gemeinschaft mit Jesus und denen, die sich Jesus Christus zugewendet haben.

Und so sind die Menschen, die Jesus nachfolgen: Sie sind nicht sündlos, nicht schuldlos. Sie sind Befreite. Sie sind nicht Vollkommene, sie sind Menschen, die von Jesus Christus dazu befreit wurden, sich anderen Menschen in ihrer ganzen Unvollkommenheit zuzuwenden.

Nun kommen unsere Rechenkünstler und rechnen nach: Wenn Zachäus, sagen wir mal als Beispiel, 200 Menschen übers Ohr gehauen hat. Sagen wir: Er hat allen doppelt so viel an Geld abgenommen wie er durfte. Also 200 Menschen 200 Euro statt 100 Euro, dann hat er 20.000 Euro in die eigene Tasche gewirtschaftet. Wie will er nun das Vierfache zurückgeben? Woher will er das ganze Geld 80.000 Euro nehmen? Ist Zachäus trotz Jesus ein überheblicher Schwätzer geblieben? Jesus als Zimmermann konnte sicher auch rechnen, und er sagte dem Zachäus nicht: Zachäus, schwätz nicht so viel, das klappt doch gar nicht. Sondern er sagte. Nun ist diesem Haus Heil wiederfahren. Es ist gesund, es ist gerettet, es bekommt Frieden, es hat Zukunft, helle Zukunft.

Nun denn die murrenden und schadenfrohen Rechenkünstler haben die Rechnung ohne Jesus gemacht. Jesus sieht tiefer in unsere Herzen. Er sieht, wie wir es meinen. Und er begleitet uns auf dem Weg in und durch das neue Leben. Wenn wir das geben, was wir haben – wie viele Menschen können dadurch reich werden! Das richtige Wort zur richtigen Zeit – Menschenherzen blühen auf! Die Hand halten – denken wir Corona mal weg – dann wenn es nötig ist, ein Lächeln, wie sehr kann das Menschen aufrichten! Und unser Gebet umfängt sie. Es muss nicht Geld sein, mit dem man helfen kann. Es ist Jesus Christus, der unser ganzes Leben umkrempelt, neu macht – und dann kann ganz Kleines ganz groß werden für andere Menschen. Und sei es das unscheinbare Gebet. 

Freilich hat sich vermutlich auch bei Zachäus nicht alles von jetzt auf gleich geändert, denn Zachäus bleibt Zachäus, und Gott benötigt so manche Zeit, um einen Menschen in seinem Sinn zu ändern – durch Freud und Leid, durch Kampf und Frieden, durch Angst und Freude, Krankheit und Gesundheit. Aber Zachäus hatte eine neue Lebensperspektive. Aus dem Häufchen Elend wurde ein Mensch, dem sich neue Türen öffneten – ein Mensch, der von Jesus aufgerichtet durch diese Türen gehen konnte. Ein Mensch mit Hoffnung, ein Mensch in Gemeinschaft mit anderen, ein Mensch in Frieden mit Gott und Welt – allen zum Trotz und trotz allem.

Mit Jesus Christus kommt nicht ein anderer Mensch ins Herz, sondern Gott selbst, Gottes Geist kommt in unsere Herzenswohnung. Und wenn Sie in ihr Leben zurück schauen: Erkennen sie auch, wann sie Menschen geholfen haben, sie mit ihrer Liebe groß gemacht haben? Vor Gott müssen wir, wie wir an Zachäus sehen, nicht bescheiden sein. Wir können Gott dafür danken, dass er uns immer wieder im Leben geholfen hat, anderen Menschen gut zu sein. Vielleicht haben die anderen es nicht einmal gemerkt. Aber das ist dann auch egal. Gott weiß es. Unser aufmunterndes Lächeln, das andere stärken sollte und von den Menschen gar nicht wahrgenommen wurde: Es stirbt nicht irgendwo, auch nicht in uns. Es fliegt zu Gott, und wird von Gottes Hand behutsam gefangen und aufbewahrt. Für uns. So können wir uns auch selbst freundlich zulächeln. Weil Jesus Christus uns zulächelt: Ich muss heute in deinem Haus einkehren.