Glaubensleben

Kränkungen der Menschheit

Man spricht von den drei größten Kränkungen der Menschheit:

Die Entdeckung, dass sich nicht alle Planeten, Sonnen usw. um die Erde drehen, sondern die Erde dreht sich um die Sonne (Kopernikus).

Dass der Mensch nicht die Krone der Schöpfung ist, sondern von einem Affen ähnlichen Vorfahren abstammt (Darwin).

Dass der Mensch nicht nur ein Verstandesmensch ist, sondern auch vom Unterbewussten gesteuert wird (Freud).

Ich würde noch eine 4. Kränkung hinzufügen: Gott. Gott, der jüdisch-christliche Gott, wirft den Menschen von seinem Thron – und dass mag er überhaupt nicht. Sonst kann man sich gar nicht vorstellen

a) dass der Mensch Gott immer nach seinem Bild, seiner Vorstellung gestalten will (Götterglaube, Religionen),

b) dass man auch in der Kirche ständig gegen ihn ankämpf (Papst Johannes XXIII soll zu einem Kommunistenführer sinngemäß gesagt haben: Wir haben die Kirche in fast 2000 Jahren nicht zerstören können – so werdet ihr es auch nicht schaffen)

c) dass seit den letzten 300 Jahren eine vermehrte vehemente bewusste Ablehnung Gottes stattfindet.

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Christliche Feste + deren Verballhornungen

Weihnachten – Gott schenkt sich dem Menschen, der Mensch schenkt sich Gott. Das Fest wurde für so manchen zu einer Futter- und Geschenkeorgie.

Karfreitag – stilles Denken an Jesu Sterben für uns, damit wir leben können. Das Fest wurde für so manchen als Tag zum Kampf für das Recht auf ununterbrochenen Lärm und Trubel.

Ostern – Tag des Lebens, der Auferstehung, des Sieges über den Tod. Das Fest wurde für so manchen zu einem Ostereiersuch und -kickfest.

Himmelfahrt – das Fest, an dem Glaubenden Mut gemacht wird, angesichts all des Chaos zu sehen: Es wird von Gott regiert. Das fest wurde für so manchem zu einem Sauf- und Kotzfest.

Pfingsten – das Fest, an dem die Glaubenden fröhlich, mutig, mit Wort und Tat den Glauben bekennen, wurde für manchen Pfingstochsen zu einem reinen Frühlingswandertag.

Warum? Der Mensch will sich dem Glauben entfremden und soll dem Glauben entfremdet werden. Warum? “Glaube, dem die Tür versagt, steigt als Aberglaub durchs Fenster. Wenn die Gottheit ihr verjagt, kommen die Gespenster.” (Ich habe diese Version nach Emanuel Geibel gewählt.) Der Mensch liebt seine Angstgespenster mehr als den, der sie ihm austreiben will. Warum? Das weiß ich auch nicht. Ich ahne nur: Je ernster wir diese Feiertage nehmen, desto ernster wird der Mensch genommen. Wer diese Feiertage zum Larifari erniedrigt, wird zum Spielball anderer Mächte und Kräfte. Wie dem auch sei: Ich wünsche Euch an diesen Festen schöne Tage mit Familie und Freunden, mit einem guten Buch vor Augen und guter Musik im Ohr, einen Tag der Liebe zu Gott, zum anderen, zu sich selbst.

Pfingsten – Geburtstag

Pfingsten! Geburtstag der Kirche! Wir feiern nicht üppig – aber in der ganzen Welt freuen sich Christen darüber, dass Gott durch den Heiligen Geist in ihnen wohnt. Er gibt Mut, er gibt Freude, er gibt Kraft, im Geist Jesu zu handeln, zu sprechen. Der Geist Gottes in uns schenkt Hoffnung in aller Hoffnungslosigkeit, er schenkt Glauben im Zweifel, er richtet auf in Niedergeschlagenheit, er bringt die Kultur des Lebens in allem Sterben. Verfolgte lassen sich nicht unterkriegen, am Boden Liegende lassen sich nicht besiegen, Verspottete wissen: Jesus Christus ist Sieger. Das Herz freut sich, der Verstand hüpft, die Seele singt.

Himmelfahrt

Was ist Himmelfahrt – Christi Himmelfahrt? Es bedeutet die Erhöhung Jesu Christi, die in Macht-Setzung Jesu Christi. Sie ist laut Überlieferungen des Neuen Testaments nicht unbedingt mit der Schilderung der Apostelgeschichte verbunden, die heute die Vorstellungen prägt: Jesus wurde vor den Augen der Jünger in den Himmel emporgehoben. Damit ist bildhaft das formuliert, was Christen bekennen: Jesus Christus lebt und herrscht als dreieiniger Gott mit Gott-Vater und Gott-Heiliger Geist. Wesentlich für Christen ist dieser Tag, weil sie auch an das denken, was im Matthäusevangelium geschrieben steht: Jesus spricht: Ich bin bei Euch alle Tage bis an das Ende der Welt. Jesus Christus in Macht bedeutet: Die Weltgeschichte hat einen Inhalt – trotz und gegen alle Grausamkeiten und trotz und gegen allen Widersinn: Im Geist und der Gegenwart Jesu die Liebe weiter zu geben. Die Weltgeschichte hat ein Ziel: Nicht das kalte, gottlose, grausame Ende, das Sterben der Erde und der Welt, sondern: Am Ende der Welt steht der liebende und in seiner Liebe bergende Gott. Himmelfahrt ist also ein Mutmachtag gegen alle Resignation angesichts politischer, gesellschaftlicher Dummheiten, Missständen und Katastrophen.

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Glaube in Deutschland: 2011

56% glauben in Deutschland an einen Gott – 38% nicht. In Westdeutschland glauben 67% im Osten 25%. Die kommunistische Indoktrination hat also eine gewisse Langzeitwirkung. 66% der Frauen glauben an Gott und 49% der Männer. 91% der Westdeutschen halten christliche Werte für sehr wichtig bzw. wichtig.

Zu dem Ergebnis, dass mehr Frauen glauben, noch folgender Hinweis. Einer soll sich gegenüber Johannes XXIII. despektierlich darüber geäußert haben, dass hauptsächlich Frauen in der Kirche zu finden sind – und nicht Männer. Der Papst soll sinngemäß geantwortet haben: Darum sitzen auch viel viel mehr Männer im Gefängnis.

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Christlicher Glaube durchdringt Gesellschaft

Christliche Religion ist nicht reduzierbar auf Logik, nicht auf Moral, nicht auf Kunst… – sie greift die kulturellen Errungenschaften der Völker auf, in der sie Fuß fasst und versucht sie auf eine höhere Ebene zu bringen, versucht, sie an Gott, die Transzendenz anzubinden. Christliche Religion ist natürlich auf Logik aus – schließlich hat sie großartige Denker hervorgebracht auf denen gegenwärtige Denker noch basieren; sie ist natürlich auf die Beeinflussung der Moral aus – christliche Moral hat die Menschheit – allein durch das in den Evangelien geäußerte Ideal eines Menschen – auf eine Stufe gebracht, die vorher so nicht erklommen worden ist; natürlich ist Religion auf Kunst aus: Bilder, Gedichte und andere Texte, Musik hat sie intensivst mit beeinflusst. Aber sie ist mehr. Der Mensch, der logisch denkt, moralisch und künstlerisch handelt, zieht das Vorhandene immer höher, lässt den Menschen nie ausruhen, weil er von der Schöpfermacht gefordert wird, weil er eine andere Weltsicht hat, eine, die sich nicht am realen erniedrigten und sich erniedrigenden Menschen genügt, sondern von der Zukunftsmacht in die Zukunft gezogen weiß. Nicht allein in die Zukunft gezogen weiß, sondern auch in der Gegenwart trotz aller Rückschläge, allen Versagens, allen Sterbens von der liebenden Macht getragen weiß. Diese Macht nennen wir Gott. Gott, den Jesus Christus Vater nennt, den wir Vater nennen dürfen. Es handelt sich also um eine ansprechbare Macht, eine Macht mit Willen, eine kommunikative Macht. Nicht einfach um eine Lebens- oder Weltenergie.

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Christliches Geschwurbel

Eine philosophisch denkende Frau sagte mir einmal: Immer die Theologen mit ihrem Geschwurbel. Manche Texte schwurbeln ohne Ende – keine Frage.

Die Sprache, mit denen über Götter gesprochen wurde, war die Sprache des Gebets: Hymnen, Klage, Opfertexte. Hinzu kam die Gattung der Mythen, der Welterklärungen, der Göttergeschichten. Dann: Vor allem die jüdische Tradition sprach von Gott in seinem geschichtlichen Handeln: Gott befreite, Gott begleitete, Gott wird begleiten. Die theologische Sprache war erfahrungsbezogen, Geschichte ging unmittelbar an: Wer sich nicht gottgemäß verhält, der muss geschichtliches Leiden ertragen: Hunger, Krieg…. Dann kamen die Philosophen in die Theologie. Götter wurden verbunden mit Ideen. Ideen, die wahrer sind als die Realität, die hinter der Realität stehen. Gedankenwelten wurden immer größer und setzten sich vor die Realität. Gott wurde in diese Gedankenwelten eingewoben. Freilich: Die Sprache blieb an Hymnen, Mythen, Geschichte rückgekoppelt. Dann kamen die “Realisten”. Gedankenwelten zählen nicht, es zählt das, was ich sehe, spüre, höre – ach, so: auch denke. Ich denke Gott nicht, sehe, spüre, höre ihn nicht. Also gibts ihn nicht. Und nun versuchen Theologen ihn sichtbar, hörbar, spürbar, denkbar zu machen. Dabei können sie auf die Sprache der Hymnen, Mythen, Geschichte nicht verzichten.

Denn wie möchte man Gott zur Sprache bringen? Wie möchte man Erfahrungen zur Sprache bringen, wenn nicht unter Aufnahme der Sprache, die in den Jahrtausenden zuvor für die göttliche Welt entwickelt wurde? Und was dann dabei herauskommt ist für Menschen, die an ihrer eigenen zeitgemäßen Welt kleben, eben Geschwurbel. Theologisches Reden ist im Grunde stottern, Suchen nach passenden, zeitgemäßen Worten. Selbst philosophisch Geschulte verstehen das nicht immer – manchmal auch darum, weil sie die Schriften der Philosophen nicht lesen, sondern nur handliche und verständliche Zusammenfassungen.

Apropos: Philosophen und Theologen haben da etwas gemeinsam: Demjenigen, der nicht in diesen geschult ist, versteht auch unter philosophischem Reden nur Geschwurbel.

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Glaube und Heiliges

Das merkt man schon, dass Heiliges bei vielen Menschen keine Rolle spielt – oder doch? Sie gehen gegen Heiliges, Erhabenes an, weil sie nicht gelernt haben, damit umzugehen. Diese Gefühle sind ihnen fremd, darum bekämpfen sie dasjenige und diejenigen, die ihnen solche “eigenartigen” Gefühle machen.

In einem ganz anderen Rahmen ist mir das einmal deutlich geworden. In einem Kindergottesdienst war ich ich, ganz normal gekleidet usw. Kinder gingen ganz normal mit mir um. Dann sollte ich einen König spielen. Ich zog ein weißes Laken über, eine Krone auf den Kopf – und begegnete dann den Kindern. Erst waren sie ein wenig scheu. Dann wurde eines aggressiv – und viele der Kinder legten eine verbale Aggressivität an den Tag, das mich sehr nachdenklich gemacht hat. Diese verbale Aggressivität, die sich auf ihren Körper übertrug, kannte ich von einem Film her, der zeigte, wie Affen gegen eine Schlange kämpfen. So in etwa waren die Kids. Es war ihnen nicht geheuer – und weil es ihnen nicht geheuer war, wussten sie sich nicht anders gegen das Gefühl zu wehren, als mit einer bestimmten Aggressivität. Entsprechend beobachtete ich das häufig: Diese aggressive Scheu gegen Heiliges, etwas, das nicht vulgär, entsakralisiert ist, scheint – so interpretiere ich es – als ein Versuch, mit einem unbekannten Gefühl umzugehen. Wie das Gelächter, wenn alles still ist, mucksmäuschenstill. Irgendeiner hält es nicht aus und fängt an, irgendetwas Albernes zu sagen – und es entlädt sich ein nicht schönes Gelächter.

Der Mensch verarmt, was diese Gefühlslage betrifft. Weil es ihnen nicht mehr vermittelt wird. Kein Gebet – kein Gefühl für das Transzendente. Abendmahl – Anwesenheit Jesu Christi – wird profanisiert: Wird zu Essen und Trinken und menschliche Gemeinschaft. Bibel – ein Buch, das man einfach so in den Papierkorb schmeißen kann, wenn sie billig war. Leben in Wahrheit und Tugend – wird lächerlich gemacht und erniedrigt. Leben in Reinheit – versteht einer überhaupt noch diesen Begriff, geschweige denn das, was er aussagt? Begegnung mit dem Wunderbaren, dem Wunder – das wird heruntergezogen: Gibts nicht, Zufall, ich bins Wert. Man sage nicht, das habe keine Auswirkung auf die Gesellschaft. Dem Menschen wird die Würde genommen, wenn das Heilige keinen Raum mehr hat.

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Glaube und Sünde

Neulich hatte ich im Blog erwähnt, dass ein Pfarrer eine Frau in der Kirche missbraucht hat. Die Gemeinde meinte, wie ich las, dass sich der Pfarrer auch in Predigten als Sünder angesehen habe, der von der Gnade Gottes abhängig sei. (So ähnlich gelesen.) Grundsätzlich dazu: Wir Menschen, auch wir Christen, sündigen. Nur macht es einen Unterschied, ob wir mit unserer Sünde kokettieren, auf unsere Unvollkommenheit schauen – oder ob wir auf das Wesentliche schauen: Seid vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist (Jesus), ob wir auf unsere Entfremdung schauen oder auf unsere Heilung. Jesus ist nicht so naiv, zu sehen, dass der Mensch als sein Nachfolger wirklich vollkommen ist – aber er treibt ihn an, sich im Licht seines Ideals zu sehen und sich dadurch diesem anzugleichen und nicht, sich selbst immer in der Dämmerung der Sünde zu betrachten.

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Realitätsbewusstsein

Als ich aufgewachsen bin, gab es in unseren Breiten kaum jemand, der für Ernst genommen werden wollte, der sagte, es würde Engel geben. Heute hat sich das umgekehrt. Wie viel Jugendliche sagen, dass es Engel geben würde. Das Realitätsbewusstsein hat sich verschoben. Da kann man natürlich sagen: Entweder ist etwas real oder es ist nicht real. Nur: Dieses Schwarz-Weiß-Denken liegt dem Menschen nicht so sehr. Er ist da filigraner. Die Welt ist für die meisten Menschen nicht so eindeutig, nicht so mathematisch porentief rein, es gibt für sie auch Gärten, die nicht abgezirkelt und umzäunt und mit Mäher und Schere bearbeitet sind, sondern wilder, chaotischer, undurchschaubarer. Manche Menschen lieben das Abgegrenzte: Hier sichtbare Welt – anderes gibt es nicht. Der Raum innerhalb von meinem Zaun ist meine Welt, eine andere gibt es nicht. Manche sind hingegen offener für alle Überraschungen des Lebens und der Welt.

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Wissenschaftler + Glaube

Die Aussage, dass Wissenschaft und Glaube sich ausschließen, gehört sicher zur Propaganda. Die meisten Wissenschaftler der Vergangenheit (vermutlich auch der Gegenwart) waren Glaubende – auch wenn sie ihren Glauben nicht an die große Glocke gehängt haben. Auch andere Berufszweige haben ihren Glauben nicht an die große Glocke gehängt: Sie haben ihre Arbeit gemacht.

Psychologie

Psychologie ist ein Blockiersystem, um den Anspruch des Glaubens zurückweisen zu können. Glaube = alles psychisch bedingt. Sicher. Gott kommuniziert mit uns nicht außerhalb unserer Psyche, unseres Wesens. Wie sollte das auch gehen. Die Zurückweisung des Glaubens mit Gründen der Psychologie ist übrigens auch psychisch bedingt.

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Glaube + Parteipolitik

Das ist schon interessant, wie sehr Menschen heute Sozial mit Links verbinden. Wer sozial engagiert ist, muss links sein. Wer links ist – ist freilich nicht immer sozial engagiert, hat aber unterstellte Tendenzen dazu. Dabei sind die eigentlichen sozialen Institutionen des Landes christlichen Ursprungs und stehen auch unter christlicher Trägerschaft: Diakonie + Caritas. (Wer es mir mal wieder nicht glauben will, schau mal nach, wer die größten Arbeitgeber in Deutschland sind.) Die aus Glauben sozial Engagierten fanden dann jedoch in der linken politischen Szene ihre politische Heimat – und so mancher hat dabei seine christlichen Wurzeln gekappt oder versucht, christliche Tradition mit Sozialismus zu verbinden. Wie wäre es, die Heimat mal wieder im christlichen Glauben zu suchen – und nicht sein Heil in der Politik zu finden? Sucht man sein Heil in der Politik, wird man heillos verstrickt. Hat man seine Wurzeln im christlichen Glauben, dann kann man eben wirklich mal politisch links sein, dann politisch rechts, beides gleichzeitig, je nach Thema. Denn es geht um den Menschen und nicht um Programme. Freilich heißt das nicht, dass man als Christ nicht parteipolitisch engagiert sein kann – es heißt aber: Wenn ich parteipolitisch engagiert bin, dann versuche ich meine christlichen Werte in der Nachfolge Jesu durchzusetzen. Und dann kann ich auch als Parteipolitiker mal mit dem Parteipolitiker der anderen Partei kluge Politik treiben.

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Glaube + Ideologie

Kann der christliche Glaube Ideologie werden? Ja. Und zwar dann, wenn er vergisst, dass der christliche Mensch – also der von Gott angenommene und gerechtfertigte Mensch – nun in der Lage ist, die heile Welt, die Utopie, das Reich Gottes, das Paradies auf Erden durchzusetzen. Auch der Mensch, der zu Gott gehört, ist noch Mensch. Er ist der Mensch, der erkennt, dass sein ganzes Tun und Denken nur vorläufig ist, dass er auf Vollkommenheit zustrebt, aber diese immer gebrochen, angefochten ist. Er ist angewiesen auf das Gespräch, das Miteinander der Menschen. Die Kirche ist eine vielfältige Kirche. Sie weiß aber um Maßstäbe, die verhindern sollen, dass sie sich den jeweils zeitgeistigen Vorstellungen der Ideologien, Weltanschauungen usw. anpasst. Dass sie als vielfältige Kirche versucht, sich von solchen Ansinnen freizuhalten, macht sie noch nicht zur Ideologie, zum Innerweltlichen. Denn Gott fordert sie immer wieder dazu heraus, sich selbst in Frage zu stellen, sich auf ihn hin zu orientieren. Die Barmer Theologische Erklärung hat schon ideologische Züge, wenn sie auf wesentliche Aspekte des Glaubens beharrt. Sie setzt einer Ideologie den eigenen christlichen Standpunkt entgegen und sagt: Finger weg! Aber dadurch, dass sie sagt, dass sie Jesus Christus gehört, ist der Standpunkt kein menschlicher mehr, sondern einer, der von Jesus Christus gesetzt wurde. Freilich mögen Leute, die den gegenwärtig wirksamen Jesus Christus-Gott-Heiliger Geist für Phantasien halten, keinen Unterschied zwischen Ideologien und christlicher Religion erkennen. Und?

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Sünde

Christen wissen viel über Sünde zu sagen – über eigene, über die anderer, über den Menschen als Sünder – das heißt den Menschen als einen, der sich von Gott entfernt hat und dadurch den Menschen schadet. Wir Christen reden nicht einfach so hin vom Menschen als Sünder, sondern darin spiegeln sich Erfahrungen vieler Generationen wieder. In Zeiten wie die unsre, in denen doch alles verhältnismäßig geordnet zugeht – zumindest in großen Teilen unseres Landes – hört man solche Worte gar nicht gern. Sünde wird verharmlost. Man will nicht ein so negatives Menschenbild. Aber unsere Generationen vor uns – und man täusche sich nicht: viele Zeitgenossen auch in unserem Land, haben den Menschen in seiner ganzen Fratze der Sünde kennen gelernt (Frauen, Kinder, Alte, Behinderte, Menschen, die sich nicht wehren können) – wieviel mehr Menschen anderer Länder, mein Blog weist immer wieder in kleinen Bröckchen darauf hin. Der Mensch ist durch und durch Lebensfeindlich eingestellt. Wir sahen an Deutschen Nazikollaborateuren, an Menschenschändern in den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens, an Kriegsverbrechen wie dünn die Schicht der Menschlichkeit ist, wie schnell diese zerreißen kann. All unser Stolz über die zivilisatorischen Errungenschaften – ist in einem Nu weggeflogen. Wir könnten es sehen, wenn wir uns nicht ständig wieder selbst betrügen und uns selbst rosarot zeichnen. Wobei mir bewusst ist, dass ein Mensch, der keinen Umgang mit Sünde kennt, sie lieber ignoriert oder zum Zyniker wird. Der Mensch als von Gott und Mensch Entfremdeter ist sich und anderen immer eine Gefahr – Gott kann er zum Glück keine Gefahr sein. (Der Hochmut des Menschen gegenüber Gott wird Gott nicht gefährlich, sondern zeigt nur die Armseligkeit, die Begrenztheit des Hochmütigen.) Und weil wir die Tiefe der Sünde nicht mehr kennen wollen, sind wir ihr hilflos ausgeliefert, wenn sie sich in ihrer Brutalität zeigt. Und diese Hilflosigkeit der Sünde gegenüber kann sich in unterschiedlichen Reaktionen äußern: Wie konnte ein Mensch bloß diese Tat tun, er war doch immer so friedlich? (Können friedliche Menschen nicht Böses tun?) Wer ist dafür verantwortlich? (Warum nicht er selbst?) Warum wurde seine Tat nicht verhindert? (Andere sind Schuld: Polizei… – warum nicht der Täter?) Christen, die den Menschen als Sünder kennen, wissen, dass mitmenschliches Handeln immer mit Mühe der Unmenschlichkeit abgerungen werden muss – vor allem gesellschaftspolitisch gesehen. Der Täter darf nicht vorschnell ent-schuldet werden. Er ist für seine Untat verantwortlich. Er allein. Freilich kann man bei manchen Taten nach der gewalttätigen Struktur der Gesellschaft und ihrer Grundlage fragen, muss sie auch benennen – aber verantwortlich ist zunächst einmal der Täter. Der Mensch hat Sehnsucht nach dem friedlichen Zusammenleben, nach Harmonie, nach Liebe, nach Geborgenheit, nach Gleichgesinntheit. Und diese Sehnsucht muss immer wieder Mühsam in die Tat umgesetzt werden – und man darf sich dabei nicht auf Dauer durch Sünder (und die eigene Sünde) entmutigen lassen. Das gilt auch angesichts “struktureller Schuld” – aber die bekommen viele ja gar nicht mit, sonst würde der eine oder andere schlaflose Nächte bekommen.

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Befreiungstheologie

Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich einmal vor langer Zeit eine Seminararbeit zur Befreiungstheologie geschrieben habe. (Mit viel Engagement geschrieben – heute finde ich sie nicht mehr.) Der sogenannten Theologie der Befreiung geht es in neutestamentlicher Tradition darum, Ungerechtigkeiten zu beseitigen und nicht nur ausgebildete Theologen wichtig zu nehmen, sondern jeden Christen wie er leibt und lebt. Basisgemeinden enstanden, die wie in der frühen Christenheit über biblische Texte diskutierten und in der Gesellschaft umzusetzen versuchten. Was ich damals schon kritisierte, das ist, dass traditionelle Begriffe einfach uminterpretiert werden. Befreiung – ein wichtiger Begriff für Paulus – Befreiung des Glaubenden aus Tod wird innerweltlich verkürzt zur Befreiung von Unrechtszuständen usw. Die Fokussierung auf Veränderung der Welt brachte eine Verkürzung der traditionellen Spiritualität mit sich. Öffnete freilich neue spirituelle Wege, die ich jedoch für ungenügend befand. Diese Kritik bedeutet freilich nicht, dass sie nicht immenses geleistet hat: Sie hat den Blick für die sozialen Aussagen des Neuen Testaments geöffnet. Die Hinwendung vieler Menschen Südamerikas zu Pfingstgemeinden zeigt jedoch, dass dem spirituelle Hunger zu wenig Beachtung geschenkt wurde. Und wenn die Pfingstgemeinden gegenwärtig das soziale Engagement zu kurz kommen lassen, kann es sein, dass die Menschen dann bald wieder soziale Ketten sprengen wollen.

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Kommunismus

Neulich habe ich geschrieben, dass die Weltanschauung des National-Sozialismus/der Rechtsradikalen mit dem christlichen Glauben nicht kompatibel ist. Ist der Kommunismus mit dem christlichen Glauben kompatibel?

Ich vermute, dass der Kommunismus ein Versuch ist, das Urchristentum, so wie es die Apostelgeschichte schildert, in die Realität umzusetzen: Alle Menschen leben in einem fröhlichen Miteinander, diejenigen, die viel haben, geben denen, die nichts haben – damit alle haben: sie verkaufen ihren Besitz und teilen untereinander das Geld (Apostelgeschichte 4,32-35). Dieses Ideal teilen Christen und Kommunisten. Voran geht aber der Satz: Sie waren ein Herz und eine Seele – dieser ihrer Tat ging nämlich etwas voraus: Sie waren ergriffen von Gottes Geist, von Gottes Handeln in Jesus Christus. Und weil sie im Geist Gottes handelten – machten sie alles freiwillig. Und das ist der große, große Unterschied zu den Kommunisten sowjetischer (leninistischer…) und chinesischer (maoistischer) Coleur: Diese wollen die heile Welt herbeizwingen, indem sie die Reichen berauben, indem sie sie zwingen, alles abzugeben. Und da können Christen nicht mit. Diese Weltanschauung ist zutiefst irreal und Menschen verachtend, weil eine Gruppe aus ideologischen Gründen über andere herfällt, sie zwingt, in dem Schlachtgesang mitzuheulen. Und weil Kommunisten das bemerkt haben, dass Entscheidendes an Gemeinsamkeiten fehlt, haben sie sich auch von Christen getrennt, sie bis aufs Blut bekämpft und tun es bis in die Gegenwart. Christen sagen: Gott muss das Herz erneuern – alles andere ist wirkungslos. Kommunisten sagen: Das müssen wir selber machen, dann geht es schneller, Schüsse fallen oder Umerziehungslager drohen.

Nichts desto trotz findet Kommunismus bei vielen Christen Anklang, weil das Elend der Armut zum Teil uneträglich ist. Man muss doch irgendetwas dagegen tun können, dass die einen an ihrer Armut krepieren, während andere sich den Bauch vollschlagen. Die große prophetische Kritik an den ungerechten gesellschaftlichen Zuständen treibt auch Christen immer wieder in die Nähe des Kommunismus – weil der Kommunismus eben aus dieser prophetischen und frühchristlcihen Tradition kommt. Freilich sind Kommunisten überwiegend auch softer geworden – das sieht man an den Sozialisten zum Beispiel unseres Landes. Sie denken realistischer, gesellschaftspolitisch in praktikableren Bahnen. Von daher sind Sozialisten und Christen, was den gemeinsamen Kampf gegen Ungerechtigkeiten und Menschenerniedrigungen betrifft, vielfach Hand in Hand zu sehen.

Doch Christen müssen innerhalb des Sozialismus ihre eigene Position deutlich machen. Sie haben nichts zu verstecken. Ihr Glaube an Gott ist nun einmal das, was beide trennen kann. Und wenn der Glaube bestimmend ist, dann kann man auch als Christ so manches nicht mitmachen: Christen müssen immer das Individuum dem Kollektiv vorziehen, allein schon aus Gründen der Selbsterhaltung. Christen wissen, dass sie zwar für das Reich Gottes (damit verbunden: für Gerechtigkeit unter den Menschen) arbeiten können, dass sie es aber auch geschenkt bekommen werden und es letztlich nicht herbeiführen können. Das lässt Andersdenkenden immer einen größeren Raum und arbeitet in anderen zeitlichen Dimensionen. Sozialisten müssen – verständlicherweise – möglichst schnell handeln; Christen handeln tiefer, Menschen verändernder und langsamer). Christen haben auch das Wort im Ohr: Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes – die Prioritäten sind anders; und Sozialisten, die einem säkularisierten Ideal folgen, ist gerade dieser Glaube ein Hindernis auf dem Weg; und: Christen geben dem Staatsgedanken, den der Ordnung im Zusammenleben des Menschen einen größeren Stellenwert.

Kurz gesagt: Sozialisten und Christen haben einige gemeinsame gesellschaftspolitischen Ziele. Der Glaube trennt sie jedoch voneinander und lässt jeweils auch andere realpolitische Wege bevorzugen. Aber je kommunistischer Sozialisten sind, desto weniger kann eine Zusammenarbeit mit ihnen in Betracht gezogen werden. Da, wo kommunistische Gruppen faschistisch agieren (wie ihre National-Sozialistischen Konkurrenten), keinen neben sich dulden, den anderen verbal totschreien und tätlich totschlagen, ihn berauben, ihre Weltanschauung als Welterlösung vor sich hertragen, andere mit hinterhältigen Methoden (Erpressungen, Verängstigungen) in ihre Reihen zwingen, da müssen Christen: Nein! sagen. Christen sind stolz genug, sich nicht einer der beiden faschistischen Gruppen zuordnen zu müssen, sondern als eigenständige Menschen Gottes ihr Ding im Auftrag Gottes und zum Wohl der Menschen durchziehen können. Von daher dürfen Christen, die Hand in Hand mit Sozialisten einherlaufen, sich nie scheuen, diese Hand loszulassen, wenn sie Dinge tut und verlangt, was mit dem christlichen Glauben nicht kompatibel ist. Vor allem auch: Christen müssen immer auf der Hut sein. Je stärker solche Weltanschauungen werden, desto massiver wenden sie sich erfahrungsgemäß zwangsläufig gegen Christen – auch gegen Christen, mit denen sie vorher Händchen haltend durch die Gegend spazierten, weil sie sie brauchten. Sollten wir dann nicht gleich eigenständig bleiben? Christen sind frei.

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Ich habe ein paar Jugendliche gesehen. Da überlegte ich mir: Was werden diese Menschen für ein Leben haben? Wie viele von ihnen werden durch Krankheiten, Unfälle, schlimme Erlebnisse gebeutelt werden? Bei wie vielen von ihnen wird die Liebe, wird Glück, das Verwirklichen von Lebenszielen ermöglicht werden? Was können wir Erwachsene tun, damit sie durch alle Tiefen hindurch kommen? Dabei wissen wir selbst doch kaum, wie wir Tiefen erleben, wie wir sie überwinden – jedes Mal ist es neu, weil es unbekanntes Lebensland ist. Kann man Menschen helfen beim ersten Armbruch? Er muss da selbst durch. Kann man helfen bei Liebeskummer, beim Erkennen, wer man selbst ist? Da muss man selbst durch. Krankheiten, Misserfolge, Zurückweisungen, Unfälle, verantwortungsloses oder gedankenloses Handeln – bei all diesen Erlebnissen muss man selbst durch. Und doch: Wie gut ist es, jemanden zur Seite zu haben, der hilft, zumindest da ist? Was können wir mehr mitgeben als zu sagen: Steh immer wieder auf! Und du kannst es, wenn du nicht zulässt, dass du von Drogen versklavt wirst. Versuche flexibel auf alles zu reagieren, wie das Wasser, das alle Widerstände umfließt. Aber bleibe dabei du selbst… Was können wir mehr mitgeben als denen, die uns anvertraut sind, zu sagen: Hier, meine Hand!

Das Beste was einem Jugendlichen – wie uns selbst – passieren kann, ist die Begegnung mit dem lebendigen Gott. Die Kraft, die Anlaufstelle, der Halt, die Freude, das Licht, die Hoffnung, die Liebe, das Singen des Herzens, der Raum gehörter Klage, die Geborgenheit, wenn das Herz vor Kälte zittert, das Erstarken in der erlebten Erniedrigung, das leise Verebben aufwühlender Lebensrätsel… da muss man nichts allein tragen – auch wenn man sehr, sehr viel zu schleppen hat. Da dürfen wir sogar wissen, uns sagen lassen, uns selbst sagen: dass jemand (mit)trägt – auch wenn wir es nicht wahrnehmen sollten.

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Sterbehilfe

Spricht das für welt-online, wenn sie den Fan der Sterbehilfe Peter Singer diesen Platz einräumt, ohne zu sagen, was seine Denke ist? http://www.welt.de/debatte/die-welt-in-worten/article13778465/Jeder-soll-sein-Leben-beenden-duerfen-wie-er-moechte.html Er wundert sich über die Parteien, dass sie nicht irgendwelcher ermittelter Mehrheiten des Volkes folgen, die für Sterbehilfen sein sollen. Vielleicht haben sich Menschen der Parteien (a) damit befasst, wie solche Umfragen zustande kommen, und (b) ahnen sie, welche Folgen das mit sich bringen könnte? Es hat zunächst einmal nichts mit Religion zu tun, denn weltweit ist Sterbehilfe verboten, sowohl in Ländern, in denen Religion eine Rolle spielt als auch keine Rolle spielt. Allein in den Niederland, Belgien, Luxenburg ist sie erlaubt. Viel Für und Wider finden wir hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Sterbehilfe Zu den Niederlanden: http://www.cdl-rlp.de/Unsere_Arbeit/Sterbehilfe/Sterbehilfe-in-Holland.html

Es ist nicht immer alles so einfach. Man kann einzelne Menschen sehr gut verstehen – aber es geht um gesellschaftspolitische Fragen. Und so ist es zunächst erst einmal wesentlich, die Schmerztherapie immer weiter zu entwickeln, Menschen die nötige Obhut zu geben, damit sie nicht den Drang haben, aus dem Leben scheiden zu wollen. Ich denke, es ist auch eine Frage damit verbunden: Was hat mein Leben denn noch für einen Sinn? Ist die Frage, ob ein anderer oder ich meinem Leben einen Sinn geben kann, so wichtig, dass sie über Leben und Tod entscheiden darf? Ist es nicht wichtig, dass ich bin? Einfach nur: bin? Und als einfach seiendes Wesen – bin ich. Es kommt nicht darauf an, wie andere mich sehen, ob ich ihnen zur Last falle, dem Schönheitsideal, dem Sportsgeist entspreche. Als Christ sehe ich, dass Gott den Menschen geschaffen hat, ob andere dieses Leben nun als sinnvoll ansehen oder nicht, ob ich selbst mein Leben als (für die Gemeinschaft) sinnvoll ansehe oder nicht. (Übrigens kann das alles kein Maßstab sein, denn dann stellt sich sofort die Frage: Welchen Sinn hat ein Verbrecher? Folge dieser Frage?…)

Es kommt für die Gesellschaft darauf an, welchen Wert sie diesen leidenden Menschen beimisst, wie sie mit ihnen in Liebe und Würde umgeht. Wenn einer für Sterbehilfe eintritt, dann tritt er dafür ein, dass sich Menschen anderen entziehen können, statt dafür, dass die anderen Menschen ein neues Verhältnis zu Sterbenden bekommen.

Als Angehöriger, der einen Menschen liebt, ist es manchmal kaum erträglich, den Geliebten leiden zu sehen. Aber betrifft das nur Krankheiten? Nicht auch Menschen, die Süchten verfallen sind, die seelisch zerbrechen? Von Menschen wird manchmal viel abverlangt, sehr viel. Von daher ist es gut, wenn Hospize unterstützt werden, die hier auch den Angehörigen helfen können. Es ist ja nicht nur ein Abschieben – es ist ja auch Hilfe für die Angehörigen wie für die Sterbenden und Leidenden.

Und dass diese oben genannten Umfragen wirklich solche Ergebnisse mit sich bringen können, das hängt damit zusammen, dass sich jeder vor Schmerzen fürchtet. Aber wenn es soweit ist, dann hält der Mensch mehr aus, als man so denkt, und wenn er dann noch von Menschen umgeben ist, die ihn lieben und achten, wenn ihm dann noch die Schmerzen möglichst genommen werden, dann will wahrscheinlich noch kaum einer wirklich aus dieser Welt herausgeschubst werden. Wobei ich natürlich weiß, dass es Phasen gibt, in denen der Mensch hofft, nicht mehr leben zu müssen, so gut andere ihn auch auf diesem schlimmen Lebensweg begleiten. Diese können dann aber in Phasen der Beruhigung, des Friedens eintreten.

Ich vermute, dass hier wirklich eine Diskrepanz zwischen Christen und Atheisten (mit überlappenden Rändern freilich) herrscht. Ebenso ist das eine Frage, bei der ich nie weiß, ob ich sie Morgen nicht anders beantworten würde – nicht gesellschaftspolitisch, sondern als Individuum.