Apostelgeschichte 16: Engagement

Der für den heutigen Sonntag vorgeschlagene Predigttext steht in der Apostelgeschichte im 16. Kapitel (der Predigt ging eine Präsentation voran: Wie das Christentum nach Europa kam):

 Und Paulus sah eine Erscheinung bei Nacht: Ein Mann aus Mazedonien (in Europa) stand da und bat ihn: Komm herüber nach Mazedonien (nach Europa) und hilf uns! Als er aber die Erscheinung gesehen hatte, da suchten wir sogleich nach Mazedonien zu reisen, gewiss, dass uns Gott dahin berufen hatte, ihnen das Evangelium zu predigen.

Da fuhren wir von Troas ab und kamen geradewegs nach Samothrake, am nächsten Tag nach Neapolis und von da nach Philippi, das ist eine Stadt des ersten Bezirks von Mazedonien, eine römische Kolonie. Wir blieben aber einige Tage in dieser Stadt. Am Sabbattag gingen wir hinaus vor die Stadt an den Fluss, wo wir dachten, dass man zu beten pflegte, und wir setzten uns und redeten mit den Frauen, die dort zusammenkamen.

Und eine gottesfürchtige Frau mit Namen Lydia, eine Purpurhändlerin aus der Stadt Thyatira, hörte zu; der tat der Herr das Herz auf, sodass sie darauf Acht hatte, was von Paulus geredet wurde. Als sie aber mit ihrem Hause getauft war, bat sie uns und sprach: Wenn ihr anerkennt, dass ich an den Herrn glaube, so kommt in mein Haus und bleibt da. Und sie nötigte uns.

Es geschah aber, als wir zum Gebet gingen, da begegnete uns eine Magd, die hatte einen Wahrsagegeist und brachte ihren Herren viel Gewinn ein mit ihrem Wahrsagen. Die folgte Paulus und uns überall hin und schrie: Diese Menschen sind Knechte des allerhöchsten Gottes, die euch den Weg des Heils verkündigen. Das tat sie viele Tage lang. Paulus war darüber so aufgebracht, dass er sich umwandte und zu dem Geist sprach: Ich gebiete dir im Namen Jesu Christi, dass du von ihr ausfährst. Und er fuhr aus zu derselben Stunde. Als aber ihre Herren sahen, dass damit ihre Hoffnung auf Gewinn ausgefahren war, ergriffen sie Paulus und Silas, schleppten sie auf den Markt vor die Oberen und führten sie den Stadtrichtern vor und sprachen: Diese Menschen bringen unsre Stadt in Aufruhr; sie sind Juden und verkünden Ordnungen, die wir weder annehmen noch einhalten dürfen, weil wir Römer sind. Und das Volk wandte sich gegen sie; und die Stadtrichter ließen ihnen die Kleider herunterreißen und befahlen, sie mit Stöcken zu schlagen.

Soweit der Predigttext.

Wir hören hier von einem der Anfänge der christlichen Verkündigung in Europa.

Überall in unseren Breiten kam es – wie in der Präsentation gesehen – also dazu, dass Menschen von ihrem heidnischen Glauben abließen und Christen wurden.

Der christliche Glaube durchdrang alle Ebenen des Zusammenlebens:

  • Bildung-Wissenschaft, Universitäten wurden erfunden,
  • unser Recht wurde auf dem Boden des römischen Rechts und germanischer Traditionen christlich geprägt,
  • soziale Einrichtungen wurden eingerichtet und dann in der Neuzeit wieder verstärkt entwickelt: Krankenhäuser, Waisenhäuser, Schulen, Armenhilfe usw. usw. – vieles von dem, was Christen begonnen haben, hat dann der Staat übernommen. Christen haben es überwiegend abgegeben – aber sich dann auf Neues gestürzt, Tafel, Hospize und, und, und – was dann wieder vom Staat übernommen werden wird.

Und wenn wir das alles so sehen – wenn wir daran denken, was Paulus für eine Intention hatte, wenn er in Städten missionierte, damit die kleinen neu gegründeten Gemeinden in ihrem Umfeld neue Gemeinden gründen – wie sieht das dann mit uns aus?

  • Missioniert jeder von uns an seinem Platz, an dem er steht? Nein, denn irgendwie sehen wir ja alle als Christen an, und die Pfarrer übernehmen den Rest.
  • Sind wir sozial engagiert? Vielfach nicht, denn es ist doch irgendwie alles vom Staat und den Kirchen geregelt.
  • Engagieren wir uns in der christlichen Bildung? Nein, denn die Pfarrer machen Konfirmandenunterricht und die Religionslehrer halten Reli.
  • Verhalten wir uns nach christlichen Maßstäben, damit wir werbend auf die Menschen um uns herum wirken? Nein, denn alle halten sich irgendwie an diese Maßstäbe – und wenn nicht, dann finden wir sie auch nicht gut.
  • Wir müssen uns nicht mehr um Recht kümmern, darum, dass die Würde der Menschen gewahrt bleibt, dass Gleichberechtigung herrscht – weil es im Grundgesetz schon steht und die Gerichte sich in etwa an diese christlichen Grundlagen unserer Gesellschaft halten.

Das heißt: Wir leben aus dem, was unsere christlichen Vorfahren erkämpft haben – und merken gar nicht, dass uns das langsam aber sicher wieder aus den Händen gleitet. Weil sie es erkämpft haben, können wir uns jedoch nicht gemütlich zurückziehen, die Hände zusammenfalten und Däumchen drehen. Wie schnell geht das mühsam Errungene wieder verloren – und dann muss man alles wieder erneut erkämpfen – die Glaubens-Generationen nach uns müssen es dann wieder erkämpfen, weil wir zu bequem und sicher geworden sind.

Es wird allerorten an christlichen Werten und Maßstäben gerüttelt:

  • Abtreibung – und was alles damit zusammenhängt: die Würde der Behinderten wird nicht mehr gleichermaßen geachtet.
  • Sterbehilfe: Ein großer Teil unserer Bevölkerung ist für die Sterbehilfe – und denkt dabei nur daran, dass sie selbst im Alter nicht gerne leiden wollen – übersehen aber die kriminelle Energie, die in jeder Gesellschaft steckt, um Leben, das nur teuer ist und keinen wirtschaftlichen Nutzen bringt, zu töten.
  • Wir lassen alles zu, was sich so Einzelne für ihre Lebensplanung ausdenken – wir vergessen dabei aber, dass das Individuum schlicht und ergreifend nicht nur dazu da ist, nach eigenen Werten und Normen ein spaßiges Leben zu führen, sondern dass es auch Pflichten hat, und der Gesellschaft helfen soll, gut leben zu können.
  • Wir müssen in der Frage des Rechts darum kämpfen, dass unsere Werte der Gleichberechtigung von Mann und Frau und deren Selbstbestimmung, dass die Würde des Menschen als Mensch, dass der mühsam errungene Tierschutz nicht wieder ausgehöhlt wird durch die Gesetze anderer Kulturen und durch wirtschaftlicher Gier.
  • Sicher, Christen sind nicht dafür berühmt, dass sie im Laufe der Kirchengeschichte Menschen Freiheit ermöglicht haben – aber die Freiheit, die wir bei Jesus und auch Paulus erkennen, die sich im Laufe der Jahrhunderte langsam durchgesetzt hat, die gilt es zu bewahren, denn Meinungsfreiheit ist an manchen Ecken und Enden unserer Gesellschaft bedroht, nicht unbedingt, weil der Staat sie bekämpft, sondern weil sich Gruppen anmaßen, Einzelne, die es wagen, anders zu denken als sie, zu bedrängen.
  • Freiheit ist bedroht, indem einige einen Shit-Storm auslösen über Menschen, die etwas denken oder gemacht haben, was andere nicht mögen – und das eben alles anonym.
  • Und mit der Freiheit hängt zusammen: Die Kinder dürfen nicht den Eltern entrissen und vom Staat erzogen werden. Es setzt sich immer stärker der Wahn durch, dass der Staat mit seinen ausgebildeten Pädagogen Kinder besser erziehen kann. Und zwar zu Menschen, die den Werten von bestimmten Gruppen besser entsprechen.
  • Wir müssen das Individuum vor den Kraken-Armen der Gesellschaft schützen – wie Jesus es getan hat – aber gleichzeitig das Individuum dazu anleiten, sich für die Gesellschaft einzusetzen.
  • Menschen verarmen schnell, weil sie sich verschulden, weil sie zu naiv und leichtgläubig sind, geraten sie in die Fangarme von manchen Banken, die sich nicht mehr an Normen und Werte halten. Damit sind – wie in den USA – Armut und Verelendung vorprogrammiert.
  • Wir sehen, wie sehr Drogen Menschen kaputt machen – und dass gleichzeitig Bestrebungen vorhanden sind, Drogen zu legalisieren.

Kurz: Es gibt so viele Angelegenheiten, gegen die die Kirche, gegen die jeder einzelne Christ auch heute noch Einspruch erheben sollte. Gott will, dass Menschen menschlich miteinander umgehen und wir dürfen als Nachfolger Jesu Christi nicht zulassen, dass die Kultur des Todes Menschen ergreift und bestimmt.

Das Leben der Christen ist weltweit gesehen kein Wohlleben, weil sie die Aufgabe haben, der Gesellschaft einen Spiegel vor Augen zu halten: Sie zeigen ihr, was in der jeweiligen Gesellschaft gut ist – aber auch, was schlecht läuft.

Wie können Christen – so sehen es zumindest Glaubensfremde – so anmaßend, so arrogant sein?

Christen sehen und hören, wie Jesus sich verhalten hat. Sie glauben, dass sein Verhalten dem Willen Gottes entspricht – das heißt dem Willen dessen, der die Welt geschaffen hat und sie erhält. Und er erhält sie dadurch, dass Menschen seinen Willen tun. Und so haben sich Christen – nicht selten auch gegen die Kirchenobrigkeit – für die Menschenrechte eingesetzt, sie haben sich dafür eingesetzt, dass Gottes Wille in der Gesellschaft Fuß fasst, damit sie nicht der Kultur des Todes, der Kultur der Gewalt und der Unfreiheit in die Fänge fällt.

Viele, viele Christen sind schuldig geworden, indem sie sich zu allen Zeiten den herrschenden Meinungen und Gewalten angepasst haben. Sie haben mitgemacht, wenn es darum ging, Menschen zu jagen und zu vernichten. Der christliche Pöbel hat mitgemacht, wenn es darum ging, Minderheiten und Einzelnen die Würde zu nehmen und sie mit Füßen zu treten. Und der christliche Mob wird auch immer mitmachen. Aber zu allen Zeiten wird es Menschen geben, die in ihrer Zeit leuchten, weil sie Gottes Willen tun, weil sie Jesus Christus nachfolgen. Und so zählen in unserer Vergangenheit viele als „Heilige“, weil sie im Gehorsam gegenüber Gott, in Verantwortung vor Gott ihren Weg gegangen sind – häufig auch gegen die Mehrheit derer, die sich Christen nannten.

Und das sehen wir an Paulus – wie wir im Predigttext hörten: Man muss den bösen Geistern in der Gesellschaft die Stirn bieten – auch dann, wenn man nur ganz wenige hat, die einem beistehen.

Eine der ersten Taten des Apostels in Europa war es, eine Frau aus den Fängen der Sklavenhalter zu befreien, aus den Fängen derer, die sie wirtschaftlich ausbeuteten. Dadurch, dass er diesen bösen Geist aus der Frau austrieb, hat er die bösen Geister der Gesellschaft gegen sich entfacht. Er hat sie gegen sich aufgebracht. Aber das wird die Aufgabe jedes Menschen, der Jesus Christus nachfolgt, in Europa heute und auch in Zukunft sein: Menschen befreien. Denn Christen sollen, wie Jesus es forderte: Salz der Erde und Licht der Welt sein. Das gilt auch für Europa, ob es nun viel oder wenig Christen sind.