Kind, steh auf (Johannes 16,17-23)

Der für den heutigen Sonntag vorgeschlagene Predigttext steht im Johannesevangelium im 16. Kapitel, die Verse 17-23:

Jesus sagt: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen.

Da sprachen einige seiner Jünger untereinander: Was bedeutet das, was er zu uns sagt: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen; und: Ich gehe zum Vater? Da sprachen sie: Was bedeutet das, was er sagt: Noch eine kleine Weile? Wir wissen nicht, was er redet.

Da merkte Jesus, dass sie ihn fragen wollten, und sprach zu ihnen: Danach fragt ihr euch untereinander, dass ich gesagt habe: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen? Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen; ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll in Freude verwandelt werden. Eine Frau, wenn sie gebiert, so hat sie Schmerzen, denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist. Und auch ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen. An dem Tag werdet ihr mich nichts fragen.

Soweit der Predigttext.

Der Herr ist auferstanden – er ist wahrhaftig auferstanden! – lautete es an den vergangenen Sonntagen. Heute heißt es: Wir werden auferstehen! Wir werden wahrhaftig auferstehen.

Der Mensch kann sich nicht vorstellen, dass mit dem Sterben alles aus ist. Er kann sich zwar gar nichts vorstellen – aber das, dass mit dem Tod alles weg ist, das will er sich schlicht und ergreifend nicht vorstellen – er kann es sich nicht vorstellen. Sicher, es gibt so Mutige, die damit kokettieren: Was soll ich an die Auferstehung glauben – wenn ich tot bin, dann ist halt alles aus! Dann bin ich Futter für die Bäume – was soll´s! Aber sobald einer es wagt wirklich nachzudenken, dann denkt er weiter, dann ahnt er, dass es weitergeht. All unsere Vorfahren, soweit schriftliche Zeugnisse aus aller Welt vorliegen, vermuten, dass es irgendwie weitergeht. Die alten Ägypter glauben das genauso wie die alten Chinesen und die Naturvölker. Es geht weiter. Muslime glauben an ein Paradies, in dem es kristallklares Wasser gibt und köstliche Weintrauben und Weiteres mehr. Es geht weiter. Doch das wie ist umstritten. Es steckt in uns Menschen drin, an die Auferstehung zu glauben, die Auferstehung zu einem Leben in der Unterwelt, zu einem Leben als Geistwesen. Doch man weiß es nicht. Und das ist der Stachel: Man weiß nichts. Das macht unruhig, das macht uns Menschen zu den größten Egoisten, die es gibt, das macht unsere Raffgier, unser Ich, Ich, Ich. Weil ich schon nichts Genaues weiß, dann muss ich wenigstens so lange auf der Erde leben, wie es irgendwie geht, dann muss ich überleben – alles andere zählt nicht, jeder andere zählt nicht. Das gilt für Junge und für Alte. Man klammert sich an die paar Jahre fest, ja, an Tage, an Minuten. Wir ahnen zwar, dass es weitergeht – aber wissen es nicht.

Dann gibt es großartige Nachrichten in der Regenbogenpresse, von Menschen, die so gut wie tot waren, aber wieder ins Leben zurückgekommen sind, dass ein wunderschönes Licht erscheint – man in das Licht hineintaucht und gerne sterben möchte. Freilich gibt es auch Nachrichten von grausamen Sterbeerfahrungen, aber das möchte man dann doch nicht so gerne veröffentlichen. Das schöne Licht, das einen beim Sterben umgibt, wird es wohl wirklich geben – aber sagt nichts aus über die Auferstehung, sondern nur, dass im Körper Stoffe freigesetzt werden, die dem menschlichen Geist das Sterben erleichtern können. So sagt das zumindest die Wissenschaft – Menschen, die das erlebt haben und wiederbelebt wurden, sehen das anders. Wir Menschen ahnen etwas, ja gewiss, auch wegen solcher Erfahrungen, aber wissen nichts.

Um Menschen zu trösten, arbeiten wir auch mit sehr schönen Bildern: Das Bild von der Raupe sei genannt. Sie stirbt im Kokon – aber nein, sie stirbt nicht, sondern verwandelt sich nur in einen schönen Schmetterling. So wird es auch mit uns Menschen sein – wir vergehen – aber das Vergehen ist Verwandlung. Oder wir verwenden das Bild von dem kahlen Winterzweig, man denkt, er ist tot, doch im Frühjahr beginnt er zu treiben. Das sind alles schöne Trostworte – aber wir wissen gar nichts.

Ein Gedicht sagt:

Freunde,
glaubt nicht an die Raupe,
die zum Schmetterling mutiert,
glaubt nicht an den kahlen Zweig,
der zur Frühlingsblüte wird.
Der Schlaf ist der Bruder des Todes:
Am Morgen steht Jesus um uns
und sagt liebevoll: Kind, steh auf!

Hier haben wir eine ganz andere Perspektive, eine ganz andere Blickrichtung! Nach dem Sterben wird uns jemand erwarten – und zwar jemand, der uns kennt! Wie das? Woher wollen Christen das denn wissen? Und so fragen wir ganz verdutzt, wie die Jünger:

Was bedeutet das, was er zu uns sagt: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen; und: Ich gehe zum Vater?

Da merkte Jesus, dass sie ihn fragen wollten, und sprach zu ihnen: Danach fragt ihr euch untereinander, dass ich gesagt habe: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen?

Ja, Jesus, wir wollen wissen, was das bedeutet. Wir haben keine Ahnung, kannst Du es uns nicht deutlicher sagen? Ja, Jesus antwortet, indem er zunächst einmal nichts Neues sagt:

Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen; ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll in Freude verwandelt werden. Eine Frau, wenn sie gebiert, so hat sie Schmerzen, denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist. Und auch ihr habt nun Traurigkeit.

Das geschieht immer, wenn liebe Menschen sterben. Wir sind traurig. Wir klagen und weinen – und so klagen und weinen wir Menschen auch angesichts des Todes Jesu.

Doch nun kommt das Neue! Jesus sagt:

aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen.

Doch damit fängt unser Fragen wieder an! Was bedeutet das? Und Jesus antwortet auf diese Frage nicht mehr. Warum nicht? Weil man über die Auferstehung nicht reden kann. Wir können Bilder verwenden, Bilder vom Schmetterling, vom blühenden Zweig, von der Mutter, die geboren hat, von einem alles umfassenden Licht – aber alles sind nur Bilder, alles sagt nicht aus, was es mit der Auferstehung auf sich hat. Darum sagt Jesus auch nicht mehr dazu, weil – ja, weil das Großartige erlebt werden muss: Jesus wird hingerichtet, Jesus stirbt, Jesus wird beweint, Jesus wird bestattet – und dann ist er auf einmal wieder anwesend! Das muss man erlebt haben. Darüber kann man nicht viel sagen. Man kann fragen, wie geht das, wie ist das möglich, sind das Phantasien, sind das Vorgaukelungen des Hirns, ist das Massenhypnose – wir können fragen und fragen – doch das ist ein Erlebnis, dass den Jüngern eine große Gewissheit bringt: Jesus lebt! Und wenn er lebt, wenn er nach seinem Sterben wieder neu lebt – geht es denn, dass wir im Tode bleiben? Geht es, dass wir dann in der traurigen, finsteren, schwarzen Unterwelt bleiben? Geben wir uns damit zufrieden, dass unser Seelchen herumirrt und einen neuen Körper findet? Nein! Denn Jesus hat außerdem gesagt: Ich werde euch wiedersehen! Er hat dafür auch Worte verwendet, die bildhaft sind: Ich werde euch beim Vater Wohnungen zubereiten, ich werde mit euch essen und trinken – das sind alles Worte, die wir verstehen, die wir vielleicht schlau belächeln, denn wie können denn Tote essen und trinken und wohnen? – aber wir Menschen sind auf Bilder, auf das angewiesen, was wir kennen. Was sollte Jesus anderes gesagt haben, damit wir es verstehen können? Und hierin liegt die Wurzel des Auferstehungsglaubens: Unsere Erfahrung, dass Jesus Christus lebt, dass er der Lebendige ist – bis heute. Unser Vertrauen in ihm, der zu uns spricht, uns im schweren Leben Kraft schenkt, uns in unserer Einsamkeit Geborgenheit schenkt und uns auf unseren Irrwegen leitet. Wir müssen nicht in all den Wehs und Achs, und in den „man weiß ja sowieso nichts“ steckenbleiben. Was wir wissen ist: Jesus ist auferstanden, und – wie es das Gedicht sagt:

Am Morgen steht Jesus um uns
und sagt liebevoll: Kind, steh auf!

Weil Christen das wissen, müssen sie sich auch nicht selbst in den Mittelpunkt stellen. Sie müssen nicht ständig um sich selbst kreisen, ihr eigenes Überleben mit Zähnen und Klauen verteidigen. Christen sind Kinder der Auferstehung, sie sind Menschen, die die Kultur des Lebens verbreiten. Im Alltag. Heute. Morgen. Wir wenden uns gegen Todesgedanken, gegen Menschen, die auf Kosten anderer leben, wir schenken Hoffnung, Liebe, Freude. Mitten im Alltag stehen wir auf, weil wir auferstehen werden, und verbreiten Segen. Wir müssen nicht an unserer Schwere, Einsamkeit, Trägheit, Dunkelheit kleben, wir können unsere Auferstehung leben, anderen zum Segen werden, müssen uns nicht unterkriegen und kleinreden lassen, von nichts und niemandem. Das Wissen um die Auferstehung gibt nicht allein Mut und Trost, sondern treibt auch an, ein Leben im Licht der Auferstehung zu führen. Das freilich nicht, weil wir keine Fragen mehr haben, weil alles geklärt ist. Nein, sondern weil wir den Auferstandenen kennen und wissen, dass wir heute schon in seinem Licht leben.

Wer ist der Auferstandene? Der Auferstandene ist Jesus Christus, der Liebende, der Menschen Zugewandte, der Freund und Herr. Und wenn er uns dann am Morgen liebevoll sagen wird: Kind, steh auf!, dann werden wir in das Gesicht des geliebten Gottes schauen und dann wird es sein, dass wir nichts mehr fragen werden. Denn dann werden wir sehen, wie Jesus es uns versprochen hat:

An dem Tag werdet ihr mich nichts fragen.

Ich will euch wiedersehen,
euer Herz soll sich freuen,
eure Freude soll niemand von euch nehmen.