Markus 9,17-27: Sich in den Glauben Jesu betten

Predigttext Mk 9,17-27

Und sie kamen zu den Jüngern und sahen eine große Menge um sie herum und Schriftgelehrte, die mit ihnen stritten. Und sobald die Menge ihn sah, entsetzten sich alle, liefen herbei und grüßten ihn. Und er fragte sie: Was streitet ihr mit ihnen? Einer aber aus der Menge antwortete: Meister, ich habe meinen Sohn hergebracht zu dir, der hat einen sprachlosen Geist. Und wo er ihn erwischt, reißt er ihn; und er hat Schaum vor dem Mund und knirscht mit den Zähnen und wird starr. Und ich habe mit deinen Jüngern geredet, dass sie ihn austreiben sollen, und sie konnten’s nicht. Er aber antwortete ihnen und sprach: O du ungläubiges Geschlecht, wie lange soll ich bei euch sein? Wie lange soll ich euch ertragen? Bringt ihn her zu mir!
Und sie brachten ihn zu ihm. Und sogleich, als ihn der Geist sah, riss er ihn. Und er fiel auf die Erde, wälzte sich und hatte Schaum vor dem Mund. Und Jesus fragte seinen Vater: Wie lange ist’s, dass ihm das widerfährt? Er sprach: Von Kind auf. Und oft hat er ihn ins Feuer und ins Wasser geworfen, dass er ihn umbrächte. Wenn du aber etwas kannst, so erbarme dich unser und hilf uns! Jesus aber sprach zu ihm: Du sagst: Wenn du kannst – alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt. Sogleich schrie der Vater des Kindes: Ich glaube; hilf meinem Unglauben!
Als nun Jesus sah, dass das Volk herbeilief, bedrohte er den unreinen Geist und sprach zu ihm: Du sprachloser und tauber Geist, ich gebiete dir: Fahre von ihm aus und fahre nicht mehr in ihn hinein! Da schrie er und riss ihn sehr und fuhr aus. Und der Knabe lag da wie tot, sodass die Menge sagte: Er ist tot. Jesus aber ergriff ihn bei der Hand und richtete ihn auf, und er stand auf.
Und als er heimkam, fragten ihn seine Jünger für sich allein: Warum konnten wir ihn nicht austreiben? Und er sprach: Diese Art kann durch nichts ausfahren als durch Beten.

Soweit der Predigttext.

Säuglinge vertragen noch keine feste Nahrung. Erst größere Kinder können sie ohne Schwierigkeiten zu sich nehmen. Schon seit Paulus wird diese Alltagserfahrung genutzt, um über den Glauben der Menschen in der Gemeinde Wichtiges zu sagen. Manche Christen, vor allem dann, wenn sie erst kurz zum Glauben gekommen sind, vertragen nur Glaubensmilch. Andere, wenn sie schon länger glauben und einen großen Teil ihres Lebens mit Gott gelebt haben, vertragen schon härtere Speise. Was wir mit unserem Text vor uns liegen haben, ist härtere Speise. Das wird allein schon durch das schwer zu verstehende Wort des Vaters gezeigt: Ich glaube, hilf meinem Unglauben. Auch Jesu Antwort ist schwer zu verstehen: Alles kann, wer glaubt.

Wir Menschen beten normalerweise: Gott, ich danke dir für dies und das …; Gott, ich bitte dich für dies und das … So wollte auch der Vater Jesus um seinen kranken Sohn bitten: Jesus, heile ihn. Doch das kann er nicht mehr. Die Zweifel haben sich eingestellt. Er kann nicht mehr so naiv und voller Vertrauen bitten. Was soll er machen? Soll er weggehen, weil seine Zweifel an die Macht Jesu übergroß geworden sind? Soll er weggehen, weil seine Hoffnungslosigkeit die Überhand gewonnen hat? Nein, er ist so voller Zweifel, so hoffnungslos, dass er nicht einmal mehr die Kraft hat, von Jesus wegzugehen. Wie sein Junge zusammenbricht, so bricht auch der Vater vor Jesus zusammen, wenn er ruft: Ich glaube! Hilf meinem Unglauben! Er kann nicht mehr. Er weiß nicht, was er tut, glauben, nicht glauben, was ist mit ihm, was geschieht in ihm? Er kennt sich selbst nicht mehr. Nichts ist mehr in ihm, nur der Schrei: Ich glaube, hilf meinem Unglauben. Der Vater bettet sich mit seinem Unglauben im Glauben, mit seiner Hoffnungslosigkeit in Hoffnung, mit seiner Angst in Zuversicht ganz in Jesus Christus ein. Es geht auf einmal nicht mehr um ihn, sondern nur noch um Jesus Christus, auf ihn schaut er in seiner Glaubenslosigkeit, Hoffnungslosigkeit und Angst. Er erwartet nicht mehr von seinem Glauben etwas, von seiner Hoffnung und Zuversicht, sondern er erwartet alles, aber auch alles von Jesus. Und das zu hören ist schwer. Zu hören, wie ein Mensch sich ganz Jesus Christus ausliefert, ist für manche unvorstellbar und nicht zu akzeptieren. Das ist feste Speise für Menschen, die schon länger im Glauben stehen: Man muss sich ganz aufgeben lernen, sich ganz Jesus Christus ausliefern lernen. Wir behalten immer gerne noch die Oberhand: Ich bin immer gerne ein wenig stark – auch vor Gott. Ich fordere von ihm dies und das, das heißt, ich weiß mich als Herr meines Lebens. Ich klage ihm dies und das, das heißt: Ich stelle mich ins Zentrum. Sich vor Jesus Christus ganz gehen lassen, los lassen können: das ist hart. Das ist ein Stückchen Sterben lernen, um dann mit Jesus Christus aufzuerstehen ins ewige Leben.

Und wie reagiert Jesus auf den Zweifel des Vaters? Er sagt: Alles kann, wer glaubt. Was ist das für eine Antwort, alles kann, wer glaubt. Macht er dem Vater des Kindes einen Vorwurf, dass dieser nicht genug glaubt? So können wir ihn verstehen. Lesen wir jedoch einmal genauer: Der Vater sagt zu Jesus: Wenn du kannst, dann … Und Jesus sagt: Alles kann, wer glaubt – und er heilt. Das heißt, er, Jesus, glaubt. Sein Glaube ist es, auf den sich der Vater werfen soll. Er soll sich in den Glauben Jesu hineinnehmen lassen, allein auf diesen bauen, von ihm seine Kraft empfangen. Es kommt nicht einmal mehr auf den Glauben des Menschen an, sondern allein darauf, dass er sich ganz, selbst seinen Glauben, von Jesus Christus empfängt, sich in den Glauben Jesu hineinbettet.

Aber was heißt das, dass auch Jesus glaubt? Ist es nicht selbstverständlich, dass er an Gott glaubt? Was meint eigentlich das Wörtchen „Glaube“? Das Wörtchen bedeutet in den Evangelien: Sich auf den Weg machen, um zu Jesus zu kommen, trotz aller möglichen Hindernisse, die auftreten. Und das geschieht auch hier: Der Vater hat sich aufgemacht, trotz Hindernisse aufgemacht, um zu Jesus zu gelangen. Unbeirrt. Damit steht er in der Reihe all derer, die sich trotz Hindernisse auf den Weg zu Jesus machen. Bei den einen Menschen hindern andere Menschen, zu Jesus zu kommen, bei wieder anderen die Konventionen und religiösen Vorstellungen. Und hier waren die Jünger das Hindernis. Ihr Unvermögen, den Jungen zu heilen, lässt an Jesus zweifeln. Sie sind Jünger dieses großen Lehrers und Arztes – und wenn sie nicht helfen können, dann kann es ihr Herr wohl auch nicht. Jeder hätte so gedacht und kehrt gemacht, als er sah, dass Jesus nicht da war und die Jünger dilettantisch, hilflos waren. Doch der Vater blieb und wartete auf Jesus.

So ist es auch heute: Wir Jüngerinnen und Jünger Jesu, wir sind so dilettantisch und hilflos. Wenn es nur das wäre, wir sind auch lieblos, kleingläubig, undankbar – und da ist es kein Wunder, wenn Menschen, die Jesus kennenlernen wollen, wieder umkehren. Doch: Halt! möchten wir ihnen zurufen: Wartet doch auf Jesus, schaut nicht auf uns! Und dann warten sie auf Jesus, vielleicht. Der Vater des Jungen wartete auf Jesus. Er hat alle Hindernisse überwunden – und nun kommt er an sein größtes Hindernis: er traut sich selbst seinen Mut nicht mehr zu: Wenn die Jünger schon so unfähig waren, wird es auch ihr Meister sein? Er erreicht die höchste Stufe des Glaubens, das heißt: trotz Hindernisse wagt er sich an Jesus heran: Er verlässt sich ganz auf Jesus. Ganz. Er traut sich nichts mehr zu. Er merkt, dass er leer ist. Er kann nichts mehr bieten, nicht einmal mehr Zuversicht. Er ist ganz darauf angewiesen, dass Jesus Christus sich ihm zuwendet, ihn füllt, ihn stärkt. Er ist wie ein Luftballon. Alle Luft hat ihn verlassen und er ist nur noch eine schlaffe Hülle. Ein anderer muss ihn füllen: dieser Jesus von Nazareth, unser Jesus Christus. Er muss uns füllen, in uns beten – denn wir können es oft nicht mehr. Er muss uns helfen, Gott die Ehre zu geben, ihm alles zuzutrauen und uns ihm ganz anzuvertrauen. Nicht, damit es so wird, wie wir es wollen, sondern damit er allein uns füllt, wie ein Luftballon mit Luft gefüllt wird – damit er unser Herr sei.

Und damit steht der Vater am Beginn einer langen Reihe, die bis zu dir und mir reicht. Wir haben Zuversicht, wir haben Glauben, wir haben Mut und Hoffnung. Und als solche Menschen machen wir uns immer wieder auf den Weg zu Gott, zu Jesus Christus. Wir beten: Gott ich danke für dies und das und ich bitte für dies und das. Und dann kommen wir an Lebensabschnitte, an denen wir merken: Das kann es nicht sein. Vor allem sind es Lebensabschnitte, an denen es uns schlimm ergeht, wie dem Vater. Lebensabschnitte, in denen das Befürchtete über uns hereinbricht und alles für uns zusammenbricht. Dann können wir nicht mehr beten: Gott, ich danke dir für dies und das und bitte für dies und das. Dann geht es nicht mehr mit dieser leichten Nahrung. Dann zeigt uns Gott: Ich will nicht nur in deinem Mund sein, ich will dich ganz füllen. Ich will deine Kraft sein, dein Glaube, deine Zuversicht und deine Hoffnung. Verlasse dich, geh weg von dir – verlasse dich hin auf mich, geh hin zu mir. Ich will dir alles sein – und ich kann dir alles sein. Wir können in solchen schlimmen Lebenssituationen weggehen von Gott und sagen: Du gabst uns nur Milch und Wasser, du hast meine vielen Gebete nicht erhört, ich bon von dir total enttäuscht. Doch wie der Vater können wir uns dann auch ver-lassen, auf Gott hin ver-lassen, damit wir ganz Gott gehören und er ganz uns. Das Wunderbare ist, dass wir nicht auf solche Lebenssituatiuonen warten müssen. Wir können jetzt schon lernen, uns auf ihn hin zu ver-lassen. Wie geht das? Das geht, indem wir gute Worte der Bibel in unseren Herzen bewegen wie die Maria die Worte der Hirten. Es geht, indem wir uns Gott öffnen lernen: Wir beten: Gott, kehr bei uns ein – und werden dann vor Gott ganz stille. Es geht, indem wir von anderen Glaubenden lernen. Und darum möchte ich aus einem Buch vorlesen, in dem Briefe von Menschen gesammelt wurden, die sich ganz auf Gott hin verlassen haben:

Vorstellen: Joseph Müller (Jost Müller-Bohn: Siehe, ich sehe den Himmel offen. Briefe und Berichte christlicher Märtyrer, Stuttgart 2000, 157-161) Und dann unter der Melodie von EG 115 aus den Briefen vorlesen. Und die Melodie schließt nach dem Lesen laut ab.

So zu denken und so zu leben, geht nicht auf einmal. Das geht nicht von Heute auf Morgen. Es handelt sich um einen Weg, den Gott und ich miteinander gehen. Beginnen wir den Weg heute, zur Ehre Gottes und zur Hilfe der Menschen. Es gibt nichts Besseres und Großartigeres, als sich ganz von Gott, dem Schöpfer und Erhalter der Welt, bestimmen zu lassen. Ganz bestimmen zu lassen. Wir beginnen den Weg heute damit, dass wir als seine Gäste an seinem Tisch Brot und Wein zu uns nehmen. Zur Stärkung auf unserem Weg mit ihm. Und so wird unser Glaube der Sieg, der die Welt überwunden hat.

Amen.