Matthäus 6,1ff.: Pass auf deinen Glauben auf!

Der für den heutigen Sonntag vorgeschlagene Predigttext steht im Matthäusevangelium im 6. Kapitel:

Habt Acht auf eure Frömmigkeit, dass ihr die nicht übt vor den Leuten,

um von ihnen gesehen zu werden; ihr habt sonst keinen Lohn bei eurem Vater im Himmel.

Wenn du nun Almosen gibst, sollst du es nicht vor dir ausposaunen lassen, wie es die Heuchler tun in den Synagogen und auf den Gassen, damit sie von den Leuten gepriesen werden. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt.

Wenn du aber Almosen gibst, so lass deine linke Hand nicht wissen, was die rechte tut,

damit dein Almosen verborgen bleibe; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir’s vergelten.

Soweit der Predigttext.

Habt Acht auf eure Frömmigkeit. Schon dieser erste Satz ist wie ein Hammer: Habt Acht auf Eure Frömmigkeit. Frömmigkeit ist etwas, das wir pflegen müssen. Denn auch Frömmigkeit kann verwildern. Frömmigkeit kann hart und bitter werden, sie kann sich gegen andere wenden, sie kann eigen- und ruhmsüchtig werden, sie kann Heuchelei bedeuten und hartherzig sein. Und das ist bei Frömmigkeit besonders schlimm. Warum? Weil das schönste, das es auf der Welt gibt, eben den Glauben an Gott, den Schöpfer, an Gott, der aus Liebe die Welt erhält – dieser Glaube, diese wunderbare Frömmigkeit kann bösartig werden. Darum müssen wir immer wieder auf unsere Frömmigkeit achthaben, müssen sie pflegen, damit sie nicht verwildert.

Jesus zielt mit diesem Hammersatz auf ein ganz bestimmtes Fehlverhalten: Unsere Frömmigkeit kann dazu dienen, dass nicht Gott und der Hilfebedürftige im Mittelpunkt stehen, sondern unser Ansehen.

Was hat Gott damit zu tun, wenn ich anderen helfe – und wie ich anderen helfe?

Jesus betont mit den alttestamentlichen Propheten, dass es sich um Gottesdienst handelt, wenn man anderen Menschen hilft. Um das zu unterstreichen erzählt er das berühmte Gleichnis von den Schafen und Böcken. Ich gebe es kurz wieder:

Am Ende der Zeit kommt der König – Gott – und fordert Rechenschaft von den Menschen. Den einen, die sich als Schafe, als gute Menschen erwiesen haben, sagt er: Kommt zu mir, bleibt bei mir. Und sie fragen: Warum? Er sagt, weil ihr mir Gutes getan habt. Und sie fragen den König: Wann haben wir dir Gutes getan? Und er antwortet: als ihr Hungernden zu essen, Durstigen zu trinken gegeben habt, als ihr Fremde aufgenommen habt, Nackte gekleidet, Kranke und Gefangene besucht habt. Denn was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.

Wenn Menschen anderen Menschen helfen, ohne überhaupt die Besonderheit zu erkennen, dann haben sie gleichzeitig Gott eine gute Tat getan. Ungeheuchelte, von Herzen kommende Liebe zu anderen Menschen – das ist Gottesdienst.

Es geht Jesus also um das reine Herz, um ungeheuchelte Liebe, um den helfenden Menschen selbst, denn er soll ja nicht falsch werden, sondern im Herzen rein bleiben. Wer aus falscher Gesinnung hilft, der signalisiert dem Menschen, dem geholfen wurde viel mehr: „Ich bin mehr wert als du, darum kann ich dir helfen!“ Ich gebe also herablassend etwas von dem ab, was ich habe. Ich signalisiere dem Hilfebedürftigen: „Gott liebt mich mehr als dich, darum hat er mich mit Gaben gesegnet – aber auch du sollst ein wenig davon abhaben!“ Die Gesinnung kann erniedrigen, Hilfe kann den anderen demütigen, wenn Liebe keine Liebe ist, sondern Hochmut. Mitleid ist dann kein Mitleid mehr, sondern hinterhältiger Hinweis: „Du kommst mir gerade recht, dass ich zeigen kann, was für ein wunderbarer Mensch ich bin!“

Jesus möchte also zweierlei vermeiden: Einmal, dass der Geholfene erniedrigt wird – und er möchte den Helfer davor bewahren, eine üble Gesinnung zu haben. Darum: Habt Acht auf eure Frömmigkeit! Passt auf, dass die Frömmigkeit nicht zum Hochmut wird, zum Eigennutz. Ihr habt Gaben bekommen – und die gebt weiter, ohne auf Anerkennung durch Menschen zu schielen, ohne darauf zu schielen, ob nun etwas fotografisch festgehalten wird und in die Presse kommt, ohne Ruhmsucht, ohne Anerkennung zu erwarten, gar einen Dank und zuvorkommende Erwähnung. Eure linke Hand soll nicht wissen, was die rechte tut.

Aber was macht nun Jesus? Er sagt, dass Gott unser gutes Handeln sieht und unser Tun belohnen wird. Fordert er nun nicht gerade das, was soeben abgelehnt wurde? Soll man nun nicht Anerkennung bei Menschen erheischen, sondern – viel mehr – Anerkennung durch Gott?

Nein. Jesus warnt immer wieder vor Heuchelei. Der Mensch, dem ich geholfen habe, der kann nicht erkennen, ob ich heuchle oder nicht. Er kann meine wahre Gesinnung nicht sehen, er spürt sie vielleicht manchmal, er spürt vielleicht meine Arroganz, meinen Hochmut, aber er kann sie nicht richtig fassen. Doch Gott sieht das Herz des Menschen. Gott weiß, wie es der Mensch wirklich meint, ob eine reine Gesinnung, ein freies, fröhliches, gebebereites Herz im Hintergrund steht oder das Erhaschen von Lohn das Handeln bestimmt. Gott, der Feind der Heuchelei, er sieht das Herz und er wird, wenn er das Herz als ein freundliches Herz sieht, eins, das von Hinterlist frei ist, belohnen. Darum geht es Jesus, nicht darum, dass wir nun auf Gottes Lohn schielen sollen. Das wäre nun eine unerträgliche religiöse Heuchelei, die schlimmer ist als Heuchelei, wie wir sie unter den Menschen kennen, das wäre böse Frömmigkeit.

Aber bei Jesus schwingt sicher auch noch etwas anderes mit. Er kennt uns Menschen. Denn wie wir so sind, ohne Ruhmsucht, Anerkennung, klappt es nicht so ganz. Wir werden vielfach nur von diesem Motor angetrieben: Sieht es der Nachbar? Hört es die Nachbarin? Klasse, dann hat sich der Einsatz gelohnt. Wie sagt man so schön: Klappern gehört zum Geschäft. Und ich bin sicher: In den Fernsehsendungen, in denen für Menschen gesammelt wird, die unter Katastrophen leiden, würden weit weniger Menschen spenden, wenn nicht in einem Band der jeweilige Spender eingeblendet wird. Die Fernsehsender wissen, wie man diese Sucht nach Anerkennung, nach Gesehen werden, die Ruhmsucht ausnützt. Und wir lassen uns ausnützen – zum Wohl anderer Menschen. Tausende spenden – aber da, mein Name, mein Name in aller Öffentlichkeit, da steht er im Fernsehen! Vielfach ist gerade die Ruhmsucht, die Ehrsucht der Ausschlag dafür, dass sehr viel mehr Menschen geholfen werden kann. Ist das also nur schlecht?

So stehen wir vor einem Dilemma: Müssen wir nicht sagen: Hauptsache Menschen wird geholfen, ob nun aus guten oder schlechten Motiven?

Wenige Verse vor diesem Text finden wir einen, der auf den ersten Blick genau das Gegenteil sagt:

Ihr seid das Licht der Welt…
Man zündet keine Lampe an und deckt sie dann zu.
Im Gegenteil, man stellt sie so auf, dass sie allen Licht gibt.
Genauso soll euer Licht leuchten.
An euren Taten sollen sie den Vater im Himmel erkennen und ihn ehren.

Also doch handeln, damit alle anderen es erkennen? Wie passt das zusammen? Wir sehen schon, wenn wir die beiden Texte miteinander vergleichen: Im ersten Text geht es darum, dass der Mensch Gutes tut, damit er selbst gelobt wird, Achtung und Anerkennung erfährt. Es geht um Ruhmsucht, Eigenlob. Im zweiten Text geht es darum, dass Gott geehrt wird, nicht der Mensch als einer, der Gutes getan hat. An einer anderen Stelle sagt Jesus sinngemäß:

Wenn ihr getan habt, was ihr von Gott aus habt tun müssen,
dann empfangt nicht die Ehre, sondern sagt,
ich habe nur getan, was ich tun musste.

Wenn Christen nun nichts Gutes mehr tun, weil sie immer Angst haben, dass sie gelobt werden, dass sie gerühmt werden, dann ist das auch nichts. Dann ist das schädlich, weil keiner mehr sieht, dass Christen etwas ganz Besonderes tun – eben Gottes Willen. Wir sollen öffentlich, allen deutlich, aus voller Seele und frischer Brust Gutes tun, aber mit reinem Herzen, nicht, damit wir gelobt werden, sondern damit Gott gelobt wird. Wir sollen es tun, weil alle Menschen sehen: Gott will es gut mit dem Menschen. Gott will, dass Menschen einander mit Liebe begegnen, mit Vergebung, mit Befreiung, mit Heilung, mit Trost und Kraft, mit Gerechtigkeit. Und wenn die Menschen am christlichen Verhalten sehen: Boah, am christlichen Glauben ist doch etwas dran, die verhalten sich ja ganz anders, als wir Menschen es untereinander gewohnt sind, dann fragen sie weiter: Warum handeln sie ganz anders? Und sie kommen zu dem Schluss: Weil Gott hinter ihnen steht, weil der liebende Gott ihnen die Kraft gibt, Gutes zu tun, für den anderen da zu sein!

Aber auch das kann zu falscher Frömmigkeit führen – und auch davor ist wahrscheinlich kaum einer von uns gefeit: Vor falscher Bescheidenheit. Falsche Bescheidenheit ist immer auch Ausdruck der Ehrsucht, der Ruhmsucht. Warum? Man sagt nicht frei raus, was getan wurde, damit man selbst nicht so im Mittelpunkt steht – stellt sich aber gerade dadurch in den Mittelpunkt. Denn nun sagen alle: Oh, er hat großes geleistet – und ist dabei so bescheiden! Man muss frei raus sagen: Gott sei Dank! Ich war von Gott auserwählt, hier helfen zu dürfen.

Neulich ging eine sonderbare Meldung durch die Presse. In den USA geschah ein Autounfall. Eine junge Frau wurde eingeklemmt und die Sanitäter und Polizisten konnten sie nicht befreien. Dann war auf einmal ein Priester da, er hat mit ihnen gebetet, sie wurden voller Gottesgeist und ganz ruhig. Dann sagte er, dass bald Helfer mit anderem Material kommen würden; und als diese da waren, war er auf einmal verschwunden. Nun suchten sie diesen seltsamen Priester über die Medien, um sich bedanken zu können, sowohl die Verletzte als auch die Helfer. Der Priester meldete sich und sagte, dass alles ganz normal verlaufen sei. Dass er helfen konnte lag nur daran, dass er die Folge von Gebets-Erhörungen durch Gott gewesen sei: Viele Menschen beteten für die junge Frau – und Gott schickte ihn als Gebetserhörung. Hier haben wir diese reine Gesinnung, die von sich abweist und auf Gott hinweist.

Und so kehren wir zu dem Eingangssatz zurück. Zu dem Hammersatz: Gebt Acht auf eure Frömmigkeit. Was heißt nun, auf die Frömmigkeit Acht geben? Das heißt, die Frömmigkeit darf nicht zur Ruhmsucht werden. Wir sollen nicht heucheln und gut scheinen wollen, sondern ehrlich sein, aus reinem Herzen lieben, aus reinem, freien Herzen die Gaben, die Gott uns gegeben hat, zum Wohl der anderen Menschen einsetzen. Ohne Dank zu erwarten, ohne belobigt zu werden, einfach, weil man andere Menschen liebt, ihnen Gutes tun möchte – und weil man als Gebetserhörung durch Gott zu anderen geschickt wird. Denn ungeheuchelte, von Herzen kommende Liebe und Hilfe für den Menschen – das ist wahrer Gottesdienst.