Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht im Buch des Propheten Jesaja im 40 Kapitel:
Tröstet, tröstet mein Volk!, spricht euer Gott. Redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat, dass ihre Schuld vergeben ist; denn sie hat die volle Strafe empfangen von der Hand des HERRN für alle ihre Sünden.
Es ruft eine Stimme: In der Wüste bereitet dem HERRN den Weg, macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott! Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, soll eben werden; 5 denn die Herrlichkeit des HERRN soll offenbart werden, und alles Fleisch miteinander wird es sehen; denn des HERRN Mund hat’s geredet.
Es spricht eine Stimme: Predige!, und ich sprach: Was soll ich predigen? Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde. Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt; denn des HERRN Odem bläst darein. Ja, Gras ist das Volk! Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich.
Zion, du Freudenbotin, steig auf einen hohen Berg; Jerusalem, du Freudenbotin, erhebe deine Stimme mit Macht; erhebe sie und fürchte dich nicht! Sage den Städten Judas: Siehe, da ist euer Gott; siehe, da ist Gott der HERR! Er kommt gewaltig, und sein Arm wird herrschen. Siehe, was er gewann, ist bei ihm, und was er sich erwarb, geht vor ihm her. Er wird seine Herde weiden wie ein Hirte. Er wird die Lämmer in seinen Arm sammeln und im Bausch seines Gewandes tragen und die Mutterschafe führen.
Soweit der Predigttext.
Israel war im Exil. Die Menschen lebten unter fremder Herrschaft, unter fremden Herren. Das Volk gehörte anderen, gehörte Fremden, war abhängig von der Willkür der jeweiligen Menschen, mit denen es zu tun hatte. Grausam war es. Erniedrigend. In diese finstere Zeit hinein bekam der Prophet, den wir als Deuterojesaja kennen, einen wunderschönen Auftrag. Gott beauftragte ihn zu sagen:
Tröstet, tröstet mein Volk!, spricht euer Gott. Redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat.
Gott wird sein Volk aus der Knechtschaft heimführen, heim in die Freiheit. Wie ein Heer auf einer geraden Straße marschiert, so wird das Volk Gottes zurück wandern, zurück in die Heimat, zurück nach Jerusalem. Gott selbst wird der gute Hirte sein, der die Schwachen im Bausch seines Gewandes aufnimmt, sie dicht am Körper trägt, damit sie die Strapazen der Wanderung gut überstehen.
Und das Volk wurde wieder zurückgeführt wie der Prophet es gesagt hat, denn:
Das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich.
Ein wunderschöner Text. Christen haben ihn aufgenommen. Gott kommt in Jesus Christus auf die Erde, er ist der gute Hirte, der die verlorenen Schafe sucht, sie im Bausch seines Gewandes birgt, sie ganz dicht am Körper trägt, damit sie in den Schwierigkeiten des Lebens überleben können. Das Wort Gottes, das dem Volk Israel galt, gilt weiterhin, gilt auch der christlichen Gemeinde. Ja,
das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich.
Wir Christen sind noch nicht am Ziel angelangt. Wir sind auf dem Weg in die Heimat, auf dem Weg nach Hause, dem Weg zur Vereinigung mit Gott in Jesus Christus. Wir sind auf dem Weg. Christen nannten sich in der Anfangszeit nicht „Christen“. Das ist eine Fremdbezeichnung von anderen gewesen. Das wäre auch eine große Arroganz gewesen, sich selbst als Christen, das heißt, als Messias, als Gesalbte, als Könige zu bezeichnen. Christen nannten sich anders. Sie nannten sich selbst: Diejenigen, die auf dem Weg sind. Auf dem Weg hinter Jesus Christus her. Auf dem Weg – wohin? Nach Hause. Zu Gott. In das ewige Leben. Und uns, die wir auf dem Weg sind, gilt das Wort Gottes, das der Prophet seinem Volk zugerufen hat. Denn das Wort bleibt ewig. Das Wort Gottes ist nicht durch einzelne politischen Ereignisse der Vergangenheit aufgehoben. Es handelt sich nicht um Etappenerfüllungen. Wenn der Prophet im Auftrag Gottes sagt:
Tröstet, tröstet mein Volk!,
Und:
Er wird seine Herde weiden wie ein Hirte. Er wird die Lämmer in seinen Arm sammeln und im Bausch seines Gewandes tragen und die Mutterschafe führen.
dann galt es dem Volk, dann gilt es aber auch alle Zeit. Das Wort Gottes gilt, so lange es Menschheitsgeschichte gibt. Dass Gott seine Herde auf dem Weg führt, dass er Menschen, die kraftlos, müde, schwach sind, im Bausch seines Gewandes trägt, das sehen wir bis heute im Leben mancher Christen, haben es vielleicht auch in unserem Leben erfahren.
Wenn wir meinen, dass wir die Hilfe unseres Gottes noch nicht erfahren haben, dann hören wir in die schwere Lebenszeit hinein auf das ermunternde Wort des Propheten. Das Wort, das mir Kraft gibt, in die Zukunft zu schauen; auf das zu schauen, was Gott mit mir vor hat, statt auf die Dunkelheit, in der ich lebe – die Dunkelheit, in die hinein ich mich vielleicht selbst eingesponnen habe. Das Volk lebte versklavt, sah nur seine Versklavung, die Niederlage und Niedertracht – der Prophet sieht weiter, er sieht in der Dunkelheit das Licht:
Gott kommt!
Es kommt auf die Perspektive an. Es kommt darauf an, wie ich mein Leben, wie ich die Situation ansehe. Ich muss mich nicht von der Situation bedrängen lassen, so bedrängend sie auch ist, ich muss mir keine Angst machen lassen, so beängstigend manches auch ist, ich muss mich nicht klein machen lassen, so groß mir auch andere erscheinen. Warum nicht? Weil ich auf den höre, der zu mir sagt: Tröstet, tröstet mein Volk…, der sagt: Wenn Du schwach bist, werde ich dich im Bausch meines Gewandes tragen.
Haben wir Gott im Blick, dann stehen wir in den schweren Situationen – aber gleichzeitig durchstehen wir sie mit Gott, weil wir damit auch über der Situation stehen können. Wir sind nicht die Sklaven der Situation – wir sind freies Kind unseres Gottes. Dankbarkeit durchzieht die Angst und vertreibt sie in dem Augenblick. Freude erhellt die dunkle Situation wie ein kleines Licht die Finsternis. Dankbarkeit und Freude, weil ich nicht allein bin, weil Gott mich trägt.
Eine junge christliche Ägypterin wurde befragt, wie sie die schwere Zeit der Erniedrigung überstehen konnte. Sie sagte: Als ich mich ganz am Ende wusste, wandte ich mich im Gebet laut schreiend und klagend Gott zu, und auf einmal durchströmte mich eine Wärmewelle nach der anderen. Dann wusste ich: Ich bin bei Gott geborgen, geschützt, umhüllt von Gott, der mir Kraft gibt. Tränen liefen über meine Wangen, Tränen des Glücks und der Dankbarkeit: Ich bin Gott begegnet! Weil ich Gott begegnet bin, kann mich nichts mehr zur Verzweiflung treiben. Nichts. Gott ist größer als alles, auch größer als all meine Wünsche.
In dem Buch: „Hallo Mister Gott, hier spricht Anna“, sagt, (so heißt es,) eine fünfjährige ihrem Bruder:
„Ich liebe Mister Gott aufrichtig und ehrlich, aber er liebt mich nicht. – Er liebt mich nicht, wie du mich liebst. Es ist einfach anders. Seine Liebe ist Millionen Mal größer…. Mister Gott ist anders. Verstehst du? Menschen lieben äußerlich und küssen äußerlich, aber Mister Gott kann dich innen lieben und er kann dich in deinem Inneren küssen. Also ist es anders. Mister Gott ist nicht wie wir. Wir sind ein bisschen wie er, aber noch nicht so sehr.“
Diese Trost-Worte, die wir im Buch des Propheten Jesaja finden, sind solche Küsse Gottes, die uns innen treffen, die unsere Seele treffen. Worte Jesu Christi sind solche Küsse, die uns innen treffen. Worte, die in unser Herz hinein wehen, in uns ihre Kraft der Stärke, der Liebe, des Mutes, der Hoffnung entfalten. Diese Küsse der Liebe Gottes treffen uns, die wir auf unseren Wegen in die Heimat, auf dem Weg zu Gott sind.
Bis sich die Verheißung Gottes erfüllt hatte, musste Israel einen äußerst beschwerlichen Weg gehen, einen Weg durch Angst, Zweifel, Verzagtheit, des Streites – ja, auch durch die Welt des Todes, des Verlustes, durch die Wüste. Aber diese Worte des Propheten, diese Küsse Gottes, machten Mut, richteten auf, kräftigten. Und dann – dann kamen sie an in dem Land der Sehnsucht, doch es war viel zu tun. Enttäuschungen machten sich breit, alles war kaputt, zerstört, die Menschen, die zurückgelassen waren, waren verloddert. Aber man gab nicht auf. Man plante und baute, man schaute auf Gott in allem, was man tat, man ließ sich nicht entmutigen: Diese Küsse Gottes machten Mut, schenken Hoffnung.
So sind auch wir auf unseren Lebenswegen. Alleine oder mit einer Gemeinschaft von Menschen. Auf dem Lebensweg haben wir Ängste, Zweifel, unbeantwortbare Fragen, wir fühlen uns müde und schwach, verzagt – doch diese Küsse Gottes richten uns auf. Die niedergeschlagenen Augen sehen nach oben – dann nehmen wir wahr: Wir sind nicht allein. Wir sind geborgen im Bausch des Gewandes Gottes, im Bausch des Gewandes unseres guten Hirten, er trägt uns ganz dicht an sich, damit wir wieder Mut und Kraft bekommen können. Der Lebensweg ist trotz aller Schwierigkeiten ein Weg, den wir in der Geborgenheit unseres Gottes gehen, auch wenn wir ihn nicht immer wahrnehmen, oder vielleicht gar nur äußerst selten wahrnehmen, weil wir von den Schwierigkeiten gefesselt sind, von den Sorgen, die wir uns machen. Wir gehen in der Geborgenheit unseres Gottes, der uns mit solchen Worten des Trostes im Inneren, in der Seele küsst, so dass wir voller Hoffnung auf ihn zugehen können – auf ihn, der unser zu Hause ist: Jesus Christus.
In der Bibel finden wir viele Küsse Gottes. Küsse, die uns die Liebe Gottes vergewissern, die uns helfen, mit Gott in Jesus Christus in unsere Zukunft zu gehen, in unsere Zukunft, die Jesus Christus heißt. Ein ganz wesentlicher Kuss Gottes ist das Abendmahl, das wir gleich miteinander zu uns nehmen werden. Wir schmecken und spüren: Ich bin nicht allein auf dem Weg.
Und wenn es uns möglich ist, sollen wir mit guten Worten und guten Taten im Auftrag Gottes unseren Mitmenschen auch die Seele küssen – wie der Prophet es tat, wie es Menschen in der Nachfolge Jesu seit jeher tun.