Der für den heutigen Sonntag vorgeschlagene Predigttext steht im Matthäusevangelium im 17. Kapitel. Ein Text, der Leiden nicht verschweigt, aber die Herrlichkeit Jesu ist seine großartige Botschaft:
Der Evangelist Matthäus schreibt:
Und nach sechs Tagen nahm Jesus mit sich Petrus, Jakobus und Johannes, dessen Bruder,
und führte sie allein auf einen hohen Berg.
Und er wurde verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie die Sanne, und seine Kleider wurden weiß wie das Licht.
Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia; die redeten mit ihm.
Petrus aber fing an und sprach zu Jesus: Herr, hier ist gut sein! Willst du, so wollen wir hier drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia eine.
Als er noch so redete, siehe. da überschattete sie eine lichte Wolke. Und siehe. eine Stimme aus der Wolke sprach:
Dies ist mein lieber Sohn. an dem ich Wohlgefallen habe: den sollt ihr hören.
Als das die Jünger hörten, fielen sie auf ihr Angesicht und erschraken sehr.
Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach: Steht auf, fürchtet euch nicht!
Als sie aber die Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesus allein.
Und als sie vom Berge hinabgingen, gebot ihnen Jesus und sprach: ihr sollt von dieser Erscheinung niemandem sagen, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist.
Und seine Jünger fragten ihn und sprachen: Warum sagen denn die Schriftgelehrten, zuerst müsse Elia kommen?
Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Elia soll freilich kommen und alles zurechtbringen. Doch ich sage euch: Elia ist schon gekommen, aber sie haben ihn nicht erkannt, sondern haben mit ihm getan, was sie wollten. So wird auch der Menschensohn durch sie leiden müssen.
Soweit der Predigttext.
Was geschah damals auf diesem Berg der Verklärung, dem Hermon, dem höchsten Berg der an der Grenze der drei Länder: Israel, Syrien, Libanon steht? Oder war es auf dem Tabor? Ist auch nicht wichtig. Wichtig ist: Es ist etwas Außerordentliches geschehen. Mit anderen als mit diesen Worten können wir es nicht sagen, ohne das Wunder, das Geheimnis zu zerstören. Viele Bücher wurden darüber geschrieben, viele gute Gedanken gesagt – aber das Geheimnis bleibt, wie viele andere Geheimnisse in unserem Neuen Testament, gerade im Umfeld Jesu. Seine wunderbare Empfängnis, das Geschehen im Zusammenhang mit seiner Geburt – der Engelgesang und die Botschaft der Engel vom Himmel her, seine Wunder, sein vollmächtiges Wort, seine Auferstehung – wir können versuchen es mit all unserem Verstand zu verstehen, verstehen es aber nicht, bis uns Gott selber die Augen für die Berichte der Evangelisten und sein Handeln öffnet. Aber das ist dann ein Verstehen, das über den Verstand hinausgeht. Wie die Jünger angesichts des Gotteslichtes und der Gottesworte auf ihr Angesicht fallen, und selbst Petrus verstummt, möchte ich als Ausleger verstummen, weil ich das Wunder nicht verstehe. Will nur still hören, was der Evangelist uns berichtet – und mich wundern, will staunen.
Aber wie wir Menschen so sind: Wir können nur einen Augenblick still sein. So auch die Jünger: Soeben noch vor Schreck verstummt – und schon beginnen sie zu fragen. Und auch ich beginne zu fragen: Warum kann uns diese Geschichte heute noch wichtig sein?
Die Evangelisten berichten von Jesus und seinen Jüngern, um ihren Gemeinden Jesus zu verkündigen. Sie verkündigen aber auch, um ihren Zeitgenossen einen Spiegel vorzuhalten. Immer wieder werden in den Evangelien die Jünger getadelt, weil sie einfach nicht erkennen, nicht verstehen. Sie gehen mit Jesus, erleben seine eindrucksvollen Worte und sein wunderbares Tun Tage, Wochen, Monatelang und sehen nicht das Wahre. Sie sehen zwar etwas: Er ist Wunderheiler, hat Macht über Dämonen, hat einmalig gute Worte, aber sie sehen nicht, dass Jesus der Sohn Gottes ist. Sie sehen nicht, dass er der ist, der in der Kraft des Schöpfers des Himmels und der Erde unter ihnen wirkt; sie sehen nicht, dass die Herrlichkeit Gottes ihn umgibt. Gerade in seinem irdischen Leben können sie das nicht sehen. Sie sehen nur ihr eigenes Jesusbild, ihre eigene Vorstellung von Jesus. Sie sehen nur das, was sie als Menschen verstehen können. Aber wer er wirklich ist – das verstehen sie nicht. Und weil sie es nicht verstehen, nehmen sie es auch nicht wahr.
Wie die Jünger Jesu wahres Wesen nicht erkannten, erkennt die Gemeinde des Matthäus Jesus nicht. Sie hat das Wort über Jesus, sie hat die Apostel – und weil sie nicht den wahren Jesus sieht, überschlägt sich der Evangelist Matthäus förmlich und schreibt 3x: „und siehe“, als wolle er die Leser aufwecken: Mach doch die Augen auf, siehe! – sieh doch, was geschah! – sieh doch!, wer dieser Jesus wirklich ist!
Wir als Gemeinde hören das Wort, aber die Herrlichkeit von Jesus Christus sehen nur wenige von uns. Wie auch damals: Jesus wählte nur drei Jünger aus, die seine Herrlichkeit sehen sollten, seine Herrlichkeit, die in seinem irdischen Alltag noch bei Gott verborgen ist. So gibt es immer wieder Menschen – auch unter uns -, die die Gnade erfahren dürfen, die Herrlichkeit Jesu schon in ihrem irdischen Leben zu sehen.
Auch aus der Kirchen-Geschichte und aus dem Neuen Testament kennen wir solche Menschen. Wir kennen Menschen, die die göttliche Herrlichkeit Jesu sehen konnten. Neben den soeben genannten Jüngern hat auch Paulus nicht nur vor Damaskus das herrliche Licht des auferstandenen Jesus Christus sehen können, das so groß war, dass er kurzzeitig erblindete. Auch im Zusammenhang seiner Krankheit berichtet er im Korintherbrief davon, dass der Herr, also Jesus Christus, seine Krankheit nicht wegnehmen möchte; im Gegenteil: der Auferstandene sagt ihm: Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist im Schwachen mächtig. Stephanus sah den Herrn der Herrlichkeit auf den Thron neben seinem Vater sitzen, bevor er getötet wurde, und der Seher Johannes berichtet von der Herrlichkeit im Himmel, die schon gegenwärtig ist – trotz des großen Verfolgungsleidens der Gemeinde. Und in unserem Evangelienwort spricht Jesus auf dem Weg hinunter vom Berg der Verklärung hinein in den Alltag, mit dem gewaltsamen Tod vor Augen davon, dass er leiden werde. Die Herrlichkeit Jesu sehen ist oft ganz eng verknüpft mit Leiden.
Vielleicht hat der ein oder die andere die Herrlichkeit des auferstandenen Jesus schon sehen dürfen – die aber nicht unbedingt sanft war, sondern uns erschreckt hat. So erschreckt, dass wir das Erlebnis gar nicht mit Jesus Christus verbunden haben. Mehrere von uns haben wohl eher Jesu Nähe erfahren, haben seine Gegenwart besonders nah spüren dürfen. Und wann war das? Meist in den Zeiten der Not, wie sie auch immer aussah: Von kleinen Nöten, die in ihrem Augenblick für uns übergroß schienen, aber auch in großen Nöten: d.h. es gibt nicht nur das Sehen Jesu in den Visionen der Visionäre. Sondern in unserem Alltag haben wir schon oft erfahren können, dass wir getragen und behütet werden, dass wir getröstet und gestärkt werden. Auch hier sehen wir: Wie eng miteinander die Erfahrung der Nähe Gottes mit dem Leiden verbunden ist.
Wenn wir bewusst Gottes Nähe erleben, werden wir schnell verwirrt. Wir wollen nach dem ersten Schrecken wie Petrus diese Nähe Jesu Christi festhalten. Wir wollen sie immer erfahren und merken doch, dass der Alltag uns wieder erfasst. Das Gefühl der Einsamkeit, der Müdigkeit, der Leere – und diese sind besonders schwer zu ertragen, wenn die Gemeinde um die Herrlichkeit, die Nähe des Auferstandenen weiß. Aber es ergeht uns nicht anders als diesen drei Jüngern. Mit Jesus müssen wir hinunter von dem Berg der Verklärung, hinein in den schweren Alltag. Als Botschafter unseres Herrn Jesus Christus werden wir zu den Menschen um uns gesandt; den Menschen, die er liebt, denen er in ihrer Verzagtheit ebenfalls nahe sein möchte – und sei es durch uns.
Wir wissen, wie es für die Jünger weitergehen wird: Sie werden Jesus verraten, verleugnen, den Henkern und Spöttern ausliefern; und wir ahnen, wie wir reagieren werden: Anders als diese Jünger? Nein. Weil es uns wie ihnen ergeht, stehen auch wir unter der vergebenden Liebe, dürfen neu mit ihm beginnen.
Die Jünger, die Jesu Herrlichkeit gesehen haben, seine Nähe erfahren haben, verhalten sich nicht anders als die Jünger, die nicht mit auf den Berg der Verklärung hinaufgehen durften, die nicht Jesus Christus in seiner göttlichen Herrlichkeit zu sehen bekamen. D.h. es gibt Menschen unter uns, die immer nur im Alltag leben und kämpfen müssen. Und diese brauchen nicht neidisch sein, diese brauchen nicht um diese Herrlichkeit Jesu kämpfen. Warum nicht? Weil die Stimme Gottes aus den Wolken sagt: Dieser ist mein geliebter Sohn, diesen sollt ihr hören! Auf das Hören Jesu kommt es an, und nicht auf das Sehen. Dieses Wort Jesu, auf das wir hören sollen, ist uns mit der Bibel – den Evangelien vor allem – gegeben. Wenn Jesus Christus uns ganz ferne zu sein scheint, wenn wir seine Herrlichkeit nicht sehen, sondern nur das Dunkel in uns und um uns, dann dürfen wir an seinem Wort festhalten, das uns von dieser Herrlichkeit und Macht Jesu Christi berichtet.
Es ist ja nicht so, dass die Herrlichkeit Jesu Christi nicht gegenwärtig ist – sie ist, aber unsere Augen sind gehalten, sind gegenüber Gottes Nähe verschlossen, geblendet. Doch sie ist gegenwärtig, um uns, in uns, in der Gemeinde und in der Welt am Wirken – nur sehen wir sie nicht, vielleicht ahnen wir sie nur. Gottes herrliche Nähe ist heute genauso verborgen gegenwärtig, wie sie in dem irdischem Wirken von Jesus Christus verborgen gegenwärtig war. Nur ganz kurz leuchtet sie auf, wenn er uns die Augen für die Gegenwart seiner Herrlichkeit öffnet.
Dieser ist mein geliebter Sohn, diesen sollt ihr hören!
Amen
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Als Tag der Verklärung wird der 6. August gefeiert. Am 6. August wurde die gleißende Atombombe über Hiroshima abgeworfen – die zig tausenden Menschen das Leben kostete, genauso vielen das Leben zur Hölle machten, Tod und Zerstörung brachten. Die erste Kernwaffenexplosion wurde Trinity / Dreieinigkeit genannt. Gibt es etwas, das satanischer ist?