Der Predigttext am Sonntag Trinitatis steht im 2 Korintherbrief, Kapitel 13. Der Apostel Paulus schließt seinen Brief mit den folgenden Worten:
Zuletzt liebe Schwestern und Brüder, freut euch,
lasst euch zurechtbringen,
lasst euch mahnen,
habt einerlei Sinn,
haltet Frieden!
So wird der Gott der Liebe und des Friedens mit euch sein.
Grüßt euch untereinander mit dem heiligen Kuss.
Es grüßen euch die Heiligen
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus
und die Liebe Gottes
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
sei mit euch allen!
Soweit der Predigttext.
Die kleinen Gemeinden in der ersten Zeit, in der sich der christliche Glaube verbreitete, waren untereinander intensiv vernetzt. Und so grüßen die Heiligen, also die Christen aus Mazedonien, in dem Gebiet in dem Paulus den Brief gerade schreibt, die Heiligen in Korinth, also die Christen, die im heutigen Süden von Griechenland lebten. Sie würden die Christen in Korinth auch mit dem heiligen Kuss grüßen, wie sich alle Christen mit diesem grüßen, aber sie sind nun einmal nicht in Korinth und so muss es bei den geschriebenen Gruß-Worten bleiben.
Der heilige Kuss – was verbirgt sich dahinter? Wir wissen es nicht. Es kann das Küsschen links-rechts bedeuten, es kann einen Kuss auf die Stirn oder auf die Hand bedeuten – wir wissen es nicht, wir erkennen aber: Paulus spricht von einem heiligen Kuss, also von einem reinen, ungeheuchelten, einander ehrenden Kuss. Es muss sich also um einen besonderen Kuss gehandelt haben. In diesem Predigttext geht es aber nicht um den Kuss, sondern: Der heilige Kuss ist Zeichen für die Einheit der Gemeinde in Korinth. Diese Einheit war durch viele Streitigkeiten gestört. Die Menschen waren ja noch nicht lange Christen, und so brachten die früheren Heiden ihre verschiedenen Verhaltensweisen, ihre verschiedenen Traditionen in die christliche Gemeinde hinein, wie auch die Juden ihre Traditionen. Es kam zu Konflikten. Und Paulus mahnt:
Zuletzt freut euch,
lasst euch zurechtbringen,
lasst euch mahnen,
habt einerlei Sinn,
haltet Frieden!
So wird der Gott der Liebe und des Friedens mit euch sein.
Zeichen, Siegel für dieses friedvolle Verhalten trotz der unterschiedlichen Meinungen, ist der heilige Kuss. Wenn die Gemeinde diese Einheit im Glauben nicht lebt, kann der Gott des Friedens auch nicht in die Herzen einziehen, wenn die Glaubenden sich weigern, einander in Liebe zu begegnen, kann auch die Liebe Gottes nicht in den Herzen, den Hirnen, der Seele der Glaubenden wirken. Gott will Frieden und Liebe – erst dann kann er durch die Seinen so wirken, dass es zum Guten der Gemeinde und der Welt dient.
Und so schließt der Apostel den Brief mit dem Segensgruß:
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus
und die Liebe Gottes
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
sei mit euch allen!
Jesus Christus – Gott – Heiliger Geist – sie sind eine Einheit in der Verschiedenheit. Und weil sie verschieden sind, weil sie in der Verschiedenheit eine Einheit sind, gilt dieser Gruß allen! Also allen, auch den jeweiligen Auseinandersetzungsgegnern. Die Gnade von Jesus Christus, die Liebe Gottes, die Gemeinschaft, die der Heilige Geist wirkt, gilt allen! Die Auseinandersetzungen, die gegenseitigen Verächtlichmachungen, das Ausgrenzen, all das hat in der Gemeinschaft der Glaubenden keinen Platz! Sie sind in ihrer Verschiedenheit eine Einheit. Wie der dreieinige Gott in Verschiedenheit eine Einheit ist.
Und nun? Lang, lang ist´s her? Was ist lang, lang her? Der Streit in der Gemeinde oder die Versöhnung?
Schauen wir uns nur innerhalb der Kirchen um! Ja, überall gibt es Einheit – aber überall gibt es auch Zwiespalt. Der Zwiespalt wird heutzutage häufig von weltanschaulichen Christen in die Gemeinden hineingetragen. Ihr gehört nicht zu uns, die ihr in dieser oder jener Partei seid! Ihr gehört nicht zu uns, wenn ihr neben dem christlichen Glauben nicht auch noch diese oder jene Weltanschauung habt! Ihr gehört nicht zu uns, wenn ihr hier oder da nicht mitmacht, sondern zur Vorsicht ratet oder uns gar kritisiert! Ihr gehört nicht zu uns, weil ihr zu fromm seid, zu wenig fromm. Ihr gehört nicht zu uns, weil ihr Erwachsene oder Kinder tauft. Ihr gehört nicht zu uns, weil ihr einen Papst habt oder ihn nicht anerkennt. Ihr gehört nicht zu uns, weil euer Glaube anders ist als meiner. Der Apostel Paulus kämpfte gegen die Gesetzlichen, gegen diejenigen, die dachten, alle müssen nach einer Pfeife tanzen. Und solche haben wir heute auch vor allem in politisch-weltanschaulichen Bereichen. Sie vergessen die Freiheit des Geistes Gottes, der in den verschiedensten Glaubenden wirkt.
Überall dieses Gezeter, dieser Streit, diese politischen, diese innerchristlichen Auseinandersetzungen – und dann wundern wir uns, dass so viele Menschen aus den Kirchen austreten? Wir sind mit unserem Ausgrenzungsgehabe selbst daran schuld! Selbst intensive Christen wollen da nicht mehr mitmachen, sie suchen Gott im Glauben allein, also ohne Gemeinschaft der Glaubenden zu leben, sie treten schweren Herzens aus den Kirchen aus, weil sie dort keine Heimat mehr finden. Alles andere scheint manchen in der Kirche wichtiger zu sein als der Glaube, als die Einheit des Glaubens. Das würde Paulus heftig ablehnen, aus der Gemeinde, aus der Kirche auszutreten, aber wenn die Gemeinde so zerstritten ist, wenn sie sich von anderem leiten lässt als von Jesus Christus, wer kann es Glaubenden verdenken? Wer will schon freiwillig in Unfrieden leben?
Kirche ist nicht einfach eine vielfältige Gruppe, in der Glaubende machen können, was sie wollen. Kirche – das Wort kommt von Kyriake – dem Herrn gehörend, dem Herrn Jesus Christus gehörend. Glaubende gehören Christus. Sie müssen allesamt aus der Beziehung zu Jesus Christus leben. Diese ausgrenzende Verbissenheit ist das Übel. Was aber tun, wenn die Kirche dem Herrn Jesus Christus gehört, aber viele sie als Spielplatz für ihre Weltanschauung, ihre Ängste, ihre Hobbies missbrauchen? Was tun? Uns an Jesus Christus binden, auf ihn hören. Und sich freuen, wie der Apostel schreibt, wenn man zurechtgewiesen wird. Warum sich darüber freuen? Weil wir dadurch dem Willen von Jesus Christus näher kommen, der Einheit näher kommen.
Die Gnade, die Jesus Christus schenkt, die Liebe, die Gott gibt, die Gemeinschaft, die Gottes Geist wirkt, wer sie anderen Christen vorenthält, trägt eben nicht dazu bei, dass die Gemeinde gnädig, liebend, Gemeinschaft wird, dass Freude aufkommt, wahre Freude.
Nur an zwei Stellen in seinen Briefen erwähnt der Apostel solche trinitarischen Formeln. In diesem Text, den wir in der Predigt vertiefen, und im ersten Brief an die Korinther – auch da geht es um Auseinandersetzungen in der Gemeinde.
Warum macht Paulus das? Warum schreibt er in Zusammenhängen heftiger Auseinandersetzungen davon, dass Gott in verschiedenen Ausdrucksformen in der Gemeinde wirkt? Er will die Gemeinde in Korinth damit auffordern, selbst in Verschiedenheit eine Einheit zu werden. Wie Gott Vater – Gott Jesus Christus – Gott Heiliger Geist für uns Menschen in verschiedenen Tätigkeiten erkennbar wird, so ist er doch ein Gott. Gott Vater – Gott Sohn – Gott Geist sind eine Einheit, auch wenn sie für uns Menschen in unterschiedlichen Kräften deutlich werden.
Paulus geht davon aus, dass die Gemeinde weiß, dass Gott Gott ist – aber um die Einheit der Gemeinde zu fördern, spricht er von unterschiedlichen Wirkungen Gottes. Und so ist das Fest Trinitatis – also unser heutiger Sonntag – ein Fest, an dem wir die Einheit der Kirche in Verschiedenheit feiern. Aber die Verschiedenheit darf nie so weit führen, dass die Einheit aus dem Blick gerät. Und leider ist das heute häufig da der Fall, wo politische und weltanschauliche Aspekte den christlichen Glauben dominieren. Der Apostel wusste wohl auch: Wenn die kleinen Gemeinden nicht zusammenhalten, haben sie gegen die bösartigen Angriffe der Menschen kaum Chancen. Sie haben stärker gegen die Wellen der gesellschaftlichen, menschlichen Katastrophen zu kämpfen, um nicht überrollt werden. Als Einheit kann die Kirche gut bestehen.
Paulus ist dagegen, dass Weltanschauungen und Politik das Verhältnis der Glaubenden zueinander prägen. Christen sind eine eigenständige Größe. Sie sind nicht politisch oder weltanschaulich gebunden. Sie sind selbständig. Sie handeln und denken so, wie sie es nach Gottes Willen für richtig halten. Sie können mal mit dieser Weltanschauung agieren, mal mit einer anderen. Sie können mal mit dieser Partei stimmen, mal mit einer anderen. Christen dürfen sich nicht in Schublädchen stecken lassen – und es sich aber auch nicht in politischen und weltanschaulichen Schublädchen bequem machen.
Und was bedeutet Trinitatis, unser Glaube an den Dreieinigen Gott, unabhängig von allen kleinen und großen menschlichen Auseinandersetzungen? Trinitatis ist ein Fest der Herrlichkeit, der Schönheit, der Gemeinschaft, des Staunens. Ein großes Staunen über den Dreieinigen Gott hören wir schon bei dem Propheten Jesaja. Er hat eine Gottesvision, in der er wunderbare Engel sieht, die Gott zurufen: Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth, sein herrlicher Glanz erfüllt die ganze Erde! Kadosh, Kadosh, Kadosh Adonai Tz’va’ot. Sie rufen – und alles erbebt.
Christen haben in diesem ehrenden Gesang der Engel den herrlichen dreieinigen Gott wieder erkannt. Der Herr, Gott Zebaoth, der Herr der himmlischen Heerscharen, ist ein dreifacher Gott. Dreifach erkennt ihn die Welt: als Vater – als Christus – als Heiliger Geist. Diese Herrlichkeit des dreieinigen Gottes, die ihre Einheit für uns Menschen in dem Wort „Heilig“ findet, das aber jeweils neu ausgesprochen wird, also auch hier: Vielfalt in Einheit. Ein und dasselbe Wort – dreimal ausgesprochen, bleibt ein und dasselbe Wort. Aber dreimal ausgesprochen ist es jedes Mal neu. Mit neuem Atem, neuer Stimme, in neue Zeit hinein gesprochen. Die Heiligkeit erkennen wir in Jesus Christus, in seinem Verhalten, in seinen wunderbaren Worten. Wir Menschen erkennen sie in dem Wirken des Heiligen Geistes, der die Schöpfung Gottes und seine Kirche erhält und den Menschen lenkt, obwohl der Mensch in seinem freien Willen ein trotziges, mit Gott fremdelndes Wesen ist. Und Jesus Christus wie der Heilige Geist weisen auf den unbeschreiblichen Gott, den Vater hin. Unser Gott ist Schönheit in seiner Vielfalt, er ist nicht der unbewegte Beweger, er ist liebende Bewegung in sich selbst und weist in seiner Bewegung in sich selbst und zu uns Menschen hin, nimmt uns in die Bewegung mit hinein – jetzt und auch nach unserem Sterben.
Wer das erkannt hat, der staunt wie Jesaja, und versucht Gottes wunderbaren Willen auf der Erde zu wirken – gegen die Kultur des Trotzes und des Streites – für die Kultur des Friedens, gegen die Kultur des Todes – für die Kultur des Lebens, gegen die Kultur der Abwendung von Gott – für die Kultur der Liebe zu Gott.
Christen sind Christen. Abhängig vom dreieinigen Gott. Und so gilt jedem Glaubenden an Jesus Christus:
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus
und die Liebe Gottes
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
sei mit euch allen! Amen.