Der für den heutigen Sonntag vorgeschlagene Predigttext steht im Buch des Propheten Jesaja im 12. Kapitel:
Zu der Zeit wirst du sagen: Ich danke dir, HERR, dass du bist zornig gewesen über mich und dein Zorn sich gewendet hat und du mich tröstest.
Siehe, Gott ist mein Heil, ich bin sicher und fürchte mich nicht; denn Gott der HERR ist meine Stärke und mein Psalm und ist mein Heil.
Ihr werdet mit Freuden Wasser schöpfen aus den Heilsbrunnen.
Und ihr werdet sagen zu der Zeit: Danket dem HERRN, rufet an seinen Namen! Machet kund unter den Völkern sein Tun, verkündiget, wie sein Name so hoch ist!
Lobsinget dem HERRN, denn er hat sich herrlich bewiesen. Solches sei kund in allen Landen!
Jauchze und rühme, du Tochter Zion; denn der Heilige Israels ist groß bei dir!
Soweit der Predigttext.
In einer dunklen, schweren Zeit ruft der Prophet Jesaja hinein: Es wird eine Zeit kommen, in der alles anders sein wird. Unsere Zeit ist schlimm, sie steht unter dem Zorn Gottes, weil wir uns Gott entzogen haben. Gewalttäter herrschen über uns, Unrecht und Willkür knechten das Volk. Gott hat – so ist der Glaube des Volkes Israel und der Glaube der Christen – die Menschen, die mit ihm nichts zu tun haben wollen, sich selbst überlassen. Und wenn Menschen einander ausgeliefert sind, dann ist kein Funken Liebe mehr vorhanden, Vertrauen, Güte, Vergebung, Treue, Wahrheit sind nicht mehr da. Der Mensch wird dem Menschen zum Wolf. Gott wird dieser barbarischen Zeit aber ein Ende bereiten – und die Heilszeit beginnt. Eine Zeit, in der man keine Angst mehr haben muss, in der Gott die Stärke ist, das Lied auf den Lippen, das Heil, die Errettung, das Licht ist. Diese Zeit wird so gewiss kommen – dass der Prophet sie schon den Hörern als Gebet in den Mund legt:
Siehe, Gott ist mein Heil, ich bin sicher und fürchte mich nicht; denn Gott der HERR ist meine Stärke und mein Psalm und ist mein Heil.
Dann beschreibt der Prophet Jesaja wieder, was sein wird:
Ihr werdet mit Freuden Wasser schöpfen aus den Heilsbrunnen.
Und das Gebet wird weiter geführt:
Danket dem HERRN, rufet an seinen Namen! Machet kund unter den Völkern sein Tun, verkündiget, wie sein Name so hoch ist!
Lobsinget dem HERRN, denn er hat sich herrlich bewiesen. Solches sei kund in allen Landen!
Jauchze und rühme, du Tochter Zion; denn der Heilige Israels ist groß bei dir!
Diese Zeit ist angebrochen. Wie bitte? – mag jemand fragen: Diese Zeit ist angebrochen? Und die gesamte frühe Christenheit und Millionen Menschen seitdem antworten in einem großen Chor: Ja, in Jesus Christus ist sie angebrochen!
Siehe, Gott ist mein Heil, ich bin sicher und fürchte mich nicht; denn Gott der HERR ist meine Stärke und mein Psalm und ist mein Heil. Ihr werdet mit Freuden Wasser schöpfen aus den Heilsbrunnen. Und ihr werdet sagen zu der Zeit: Danket dem HERRN, rufet an seinen Namen! Machet kund unter den Völkern sein Tun, verkündiget, wie sein Name so hoch ist! Lobsinget dem HERRN, denn er hat sich herrlich bewiesen. Solches sei kund in allen Landen! Jauchze und rühme, du Tochter Zion; denn der Heilige Israels ist groß bei dir!
Wie konnten diese Menschen das denken? In den Zeiten der Bedrängnisse, der Verfolgungen, der Krankheiten, der Seuchen, der Erniedrigungen, den Zeiten, in denen Christen abgeschlachtet werden wie die Schafe? Nicht nur zurzeit der Verfolgungen im Römischen Reich, in China, sondern auch in der Gegenwart – wie konnten sie das nur denken?
Das ist das Große an unserem christlichen Glauben: Wir sind frei – weil wir Gott gehören. Wir sind frei, weil wir jemanden haben, auf den wir schauen können.
Ein Kind geht an der Hand des Vaters und der Mutter. Da kommt eine Situation, die das Kind als Gefahr einschätzt. Was macht es? Es schaut auf Mutter und Vater – was machen sie? Es muss keine Angst haben. Vielleicht hat es sie dennoch – aber es ist an der Hand seiner Eltern und bekommt durch sie Kraft. Gott ist meine Stärke, mein Psalm, mein Heil. – Wir können auf Jesus Christus schauen, wir müssen nicht die Gefahren über uns herrschen lassen. Wer auf Jesus Christus schaut, darf sich in allen Gefahren an seiner Hand wissen. Natürlich können wir uns auch von den Gefahren in den Bann schlagen lassen – aber wir sind dennoch an der Hand Jesu Christi. Und das Spannende an unserem Glauben ist: Diese Hand trägt uns durch das Sterben hindurch ins ewige Leben. Und darum haben die Christen zu allen Zeiten – auch in den schlimmsten Verfolgungen – im Chor gerufen: Diese Zeit ist jetzt gekommen! Sie müssen den Tod nicht mehr fürchten – weder den gewaltsamen Tod noch das friedliche Sterben, denn sie schöpfen aus dem Brunnen des Heils, dem Brunnen der Rettung, den des Schalom.
Schalom bedeutet umfassenden Frieden. Wir haben dafür ganz viele Worte: Ganzheit, in Einklang leben mit Gott, mit der Welt und mit sich selbst; in guter Ruhe und Gelassenheit leben, in Harmonie sein in sich selbst, weil Gott im Mittelpunkt des Lebens steht. Schalom – ein großes Wort, weil es die ganze Sehnsucht des in sich zerrissenen, verkrümmten in die Welt geworfenen Menschen enthält. Schalom.
Im Johannesevangelium 4,14 sagt Jesus: Wer von dem Wasser trinken wird, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt.
Christen glauben seit jeher, dass Jesus Christus dieser Brunnen des Heils ist, der Brunnen des Schalom, des Friedens, der Gelassenheit. In ihm finden sie die Einheit mit Gott, mit der Welt und mit sich selbst. Sie sind offen für die anderen Menschen, sie sind frei, können aufrecht gehen, fröhlich und mutig. In ihm finden sie ihre Sehnsucht nach Leben und ewigem Leben erfüllt. Und darum finden wir auch im Neuen Testament so gut wie kein einziges Klagelied. Das gesamte Neue Testament ist gefüllt von dem Jubel, der Freude über Jesus Christus, der sie befreit hat, der ihr Brunnen des Heils, der Brunnen des Schalom ist, aus dem sie trinken. Und darum können sie, erfrischt mit dem Wasser, das Jesus ist, das er gibt, in ihre schweren Zeiten gehen. Wer gestärkt ist, der nimmt alles leichter, wer diese Gotteskraft im Rücken und an der Hand weiß, der geht leichter in die Gefahren, in die Unsicherheiten, er überwindet leichter die Ängste, Sorgen und Nöte. Dem ist so. Das ist nicht nur aus dem Glauben heraus phantasiert, sondern auch erwiesen: Menschen, die glauben, gehen mit dem Leben ganz anders um als Menschen, die nicht glauben.
Aber ist das auch mit mir so? Ich bin kein so großer Christ wie die Menschen früher oder vielleicht andere es sind. Ich erzittere bei jeder Lebensschwankung, ich mache mir große Gedanken und Sorgen bei jeder unerwarteten Kleinigkeit, ich bekomme Schrecken, weil ich schlimme Meldungen allein schon befürchte, ich kreise um mich und meine Lieben, wie ein Nachtfalter die Kerze – und habe Angst, mich zu verbrennen, mich zu verlieren. Ich scheue zurück vor Krankheit, vor Tod, vor anderen Menschen. Ich bin nicht so, wie diese Christen, die im Schalom leben, im Frieden mit Jesus Christus.
Wenn ich all diese Bedenken habe, dann schaue ich wieder auf mich. Dann mache ich nicht das, was die vielen, vielen Christen gemacht haben: Sie laufen mit Freuden zu dem Brunnen des Schalom. Sie bleiben nicht stehen und denken an ihren Durst, philosophieren über sich und ihre Not – sie rennen los! Und wer losrennt, schaut nicht auf sich, sondern auf das Ziel, auf das er zu rennt – auf Jesus Christus.
Stellt euch vor, wir haben alle sehr großen Durst. Und auf einmal ruft einer: Ein Brunnen! Wasser! Und alle laufen voller Freude darauf zu: Wasser, Wasser, Wasser! Doch andere bleiben stehen und sagen: Fata Morgana. Stimmt nicht, Einbildung. Enttäuscht vom Leben, enttäuscht von den unerfüllten Sehnsüchten, enttäuscht von leeren Versprechungen. Abgeklärt, cool, bleiben sie stehen und haben weiterhin Durst. Leute, das ist ein Brunnen! Schaut auf den Brunnen, rennt auf ihn zu! Jesus Christus bietet das Wasser! Manche sind ganz vorsichtig geworden. Sie rennen nicht voller Freude, aber eine ganz leise Hoffnung, eine Ahnung, dass das stimmt, mit dem Brunnen, glimmt in ihnen auf, sie tasten sich heran, langsam, schleichend, aber sie kommen dem Brunnen immer näher.
Doch was heißt das konkret? Was heißt das genau, in mein Leben übertragen?
Der Brunnen lebendigen Wassers, des Schalom-Wassers, den finden wir zunächst im Wort Jesu, in den Evangelien. Wenn wir am Brunnen angelangt sind, dann hilft das ja nichts, wenn man kein Gefäß hat, mit dem man das Wasser heraufziehen kann. So ist das Wort im Neuen Testament das lebendige Wasser – aber wie kommen wir dran, so dass wir es in vollen Zügen genießen können?
Unser Predigttext spricht von Freude. Mit Freuden kommen – warum mit Freude kommen? Weil wir viel von Gott in Jesus Christus erwarten! Weil wir die Liebe des Schöpfers zu uns erfahren, weil wir sehen, dass mit ihm Leben Sinn macht! Die Freude ist ein Schöpfgefäß. Und es ist nicht leicht, einen vollen Eimer aus dem Brunnen herauszuziehen. Und wenn wir das Wasser geschöpft haben, dann müssen wir ja auch trinken, denn sonst hilft alles Wasser nichts.
Ich spreche in Rätseln, Freunde, ich will nun klar reden:
Wenn wir ahnen, dass wir in Jesus Christus wie viele, viele andere Menschen auch den Brunnen des Schalom finden, dann müssen wir sein Wort lesen. Im Neuen Testament zunächst. Dankbar, voller Vorfreude nehmen wir es in die Hand. Dann müssen wir dieses Gefäß der Freude und der Dankbarkeit in den Brunnen, das Wort Jesu, hineingleiten lassen. Es ist ein schwerer Akt, denn das Wort ist oft unverständlich, ein Becher Wasser stillt noch nicht den Durst. Wir müssen immer wieder trinken, immer wieder fröhlich und dankbar den Eimer hinabgleiten lassen – und dann werden wir immer stärker den Durst löschen können. Und während wir den Eimer in den Brunnen hinablassen – in das Wort Jesu – sprechen wir ein Herzens-Gebet. Ein Herzens-Gebet ist eines, das uns ganz lieb geworden ist, eines, das uns zu Herzen geht, weil wir es immer wieder sprechen. Ein Herzensgebet kann zum Beispiel sein:
Mit deinem Wort, oh Jesu Christ,
du meinem Herzen nahe bist.
So kann uns Jesus Christus zum Brunnen des lebendigen Wassers werden. Aber auch für Zeiten in Ängsten und Nöten können wir uns ein Herzensgebet ausdenken, zum Beispiel:
In aller Not schau ich auf dich, mein Gott.
Und wenn wir dann immer mehr von dem Brunnen Jesus Christus trinken, in seinem Wort lesen, ihn in unser alltägliches Leben einlassen, dann können wir Jesu Worte als Herzens-Gebet nehmen, so die Zusage Jesu aus dem Matthäusevangelium:
Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt.
Und wir sehen dann auf einmal, dass Jesus Christus nicht nur im Wort des Neuen Testamentes zu finden ist, sondern auch im Alten Testament – und vor allem auch in unseren Mitmenschen. Denn Jesus Christus sagte: Was ihr einem meiner geringsten Brüder, Geschwistern angetan habt, das habt ihr mir angetan. So gehen wir ganz anders mit unseren Mitmenschen um. Wir sehen in den Notleidenden Jesus Christus. Auch diejenigen, die uns das Leben schwer machen, die Sauertöpfe und Zornesgickel, Geizhälse und Gerüchtestreuer, Faulpelze und Neidhammel – wir sehen sie mit anderen Augen an. Wir gehen mit ihnen anders um, denn wer von diesem Brunnen, Jesus Christus, trinkt, von dem werden selbst nun lebendige Wasser fließen, Wasser des Schalom, des Friedens, des Heils, der Liebe und der Vergebung, der Gelassenheit, des Selbstbewusstseins. Wir müssen unsere Mitmenschen nicht verletzen – und uns von ihnen nicht verletzen lassen. Wir sind stark durch Jesus Christus und wer meint, uns zu erniedrigen, erniedrigt nur sich selbst. Christus regiert die Welt – nicht wir, wir sind Gottes Kinder und sollen nur das tun, was wir können, damit es auf unserer Welt besser wird. Wer Jesus Christus folgt, kann es sich leisten, über allem anderen zu stehen – weil wir voller Freude auf Jesus Christus sehen. Und so gehen wir mit Freuden mit ihm in unser Leben, in das Leben mit den anderen. An seiner Hand, im Wissen um seine Nähe geht es sich leichter durchs Leben.
Und wenn wir das erfahren haben, je mehr wir aus dem Brunnen des Heils – Jesus Christus – getrunken haben, desto mehr können wir wie Christen zu allen Zeiten ausrufen:
Danket dem HERRN, rufet an seinen Namen! Machet kund unter den Völkern sein Tun, verkündiget, wie sein Name so hoch ist!
Lobsinget dem HERRN, denn er hat sich herrlich bewiesen. Solches sei kund in allen Landen!
Jauchze und rühme, du Tochter Zion; denn der Heilige Israels ist groß bei dir!