Der für den heutigen Sonntag vorgeschlagene Predigttext steht im Matthäusevangelium im 8. Kapitel:
Als aber Jesus nach Kapernaum hineinging, trat ein Hauptmann zu ihm; der bat ihn und sprach: Herr, mein Knecht liegt zu Hause und ist gelähmt und leidet große Qualen. Jesus sprach zu ihm: Ich will kommen und ihn gesund machen. Der Hauptmann antwortete und sprach: Herr, ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehst, sondern sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund. Denn auch ich bin ein Mensch, der Obrigkeit untertan, und habe Soldaten unter mir; und wenn ich zu einem sage: Geh hin!, so geht er; und zu einem andern: Komm her!, so kommt er; und zu meinem Knecht: Tu das!, so tut er’s.
Als das Jesus hörte, wunderte er sich und sprach zu denen, die ihm nachfolgten: Wahrlich, ich sage euch: Solchen Glauben habe ich in Israel bei keinem gefunden! Aber ich sage euch: Viele werden kommen von Osten und von Westen und mit Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen; aber die Kinder des Reichs werden hinaus gestoßen in die Finsternis; da wird sein Heulen und Zähneklappern.
Und Jesus sprach zu dem Hauptmann: Geh hin; dir geschehe, wie du geglaubt hast. Und sein Knecht wurde gesund zu derselben Stunde.
Soweit der Predigttext.
Dass Jesus heilen konnte, das wissen wir. Dass Menschen dazu Glauben benötigen, das wissen wir auch. Dass nur manche Menschen Glauben haben, richtig festen Glauben, auch das wissen wir. – Wissen wir das alles wirklich? Und wenn wir das wissen, was bedeutet dieses Wissen? Wie kommen wir zu dem Glauben?
Der Hauptmann war Hauptmann der römischen Besatzungsmacht. Er hatte seine Spitzel, seine Informanten überall – und daher kannte er Jesus. Was hatte er – wie uns Matthäus berichtet – schon alles über Jesus hören können?
Stellen wir uns vor, der Hauptmann ruft seinen Spitzel und gibt ihm den Auftrag: Ich habe gehört, da ist ein Mann am Wirken und Reden, und er macht die Menschen, die ihm zuhören ganz verrückt – geh und sieh zu, was du über ihn in Erfahrung bringen kannst. Wer ist dieser Mann? Komm wieder und berichte es mir. Der Spitzel ging schnell weg, um seinen Auftrag auszuführen. Nach ein paar Tagen kam er wieder und berichtete:
Von Jesus war nach seiner Geburt, die von wunderbaren Ereignissen begleitet worden sein soll, lange nichts zu hören. 27 Jahre nichts, und dann trat der Zimmermann aus Nazareth auf einmal in der Öffentlichkeit auf. Er war bei Johannes dem Täufer am Jordan, ließ sich taufen – und dann geschah etwas Einmaliges. Er tauchte unter das Wasser, dann tauchte er auf, und er sah, wie sich der Himmel öffnete und der Gottes Geist auf ihn herabkam. Er hörte Gottes Stimme sagen: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Das war das Signal. Nun hatte alle Verborgenheit ein Ende, nun konnte er in Gottes Namen, öffentlich wirken, Menschen helfen, Menschen Gottes Willen verkünden. Wenn Gott einem Menschen ganz nah kommt, dann kommt jedoch noch einer ganz nah: der Widersacher Gottes. Er kann es nicht dulden, dass Gott die Herzen der Menschen erobert! Und so versucht er Jesus auf seine Seite zu ziehen. Er verspricht Jesus Macht über die Menschen – doch Jesus lehnt ab. Sein erstes Wort, das er in der Öffentlichkeit gesprochen hat, soll gewesen sein: Tut Buße, denn das Reich Gottes, die Gottesherrschaft ist nahe herbeigekommen.
Da unterbrach der Hauptmann den Informanten: Jesus ist also ein Bußprediger. Die gab es ja auch sonst in diesem Volk. Propheten nennt man sie. Wenn ich das Wort so höre: Tut Buße – dann kann ich mir kaum vorstellen, dass er so viele Menschen hinter dem Ofen hervorlockt. Aber etwas anderes ist das mit der Aussage: die Gottesherrschaft ist herbeigekommen. Das klingt aufrührerisch. Aber auch das kann doch niemand ernstlich glauben: Ein Zimmermann sagt, die Gottesherrschaft ist herbeigekommen? Er hat doch keine Soldaten, Engel sind auch nicht aufgetaucht – wir können doch von Gottes Herrschaft gar nichts sehen? Die Welt will betrogen sein. Er ist also ein Betrüger! Geh und beobachte ihn weiter, damit er nicht Ärger macht. Und falls er das macht, müssen wir ihn rechtzeitig aus dem Verkehr ziehen. Und der Spitzel zog wieder fort zu Jesus und beobachtete weiter. Und der Spitzel sah:
Jesus ging am See Genezareth herum – und sagte zu einzelnen Fischern: Kommt mit. Und sie gingen mit ihm. Dann geschah etwas, was keiner wirklich glauben konnte: Dieser Mann heilte! Wo er hinkam, gab es freie Menschen. Wo er wirkt, gibt es fröhliche und aufgeregte Menschen, die allen die es hören wollen oder auch nicht hören wollen, von seinen Taten berichten. Es liegt knisternde Spannung in der Luft. Emsiges Hin und Her. Es liegen Geschrei und Gestank und Staub in der Luft – alles vermischt sich mit Lobrufen und Jubel, mit alten Volksgesängen: Gott ist wieder unter uns! Sogar Heiden sind aus fernen Ländern gekommen, um sich heilen zu lassen. Und: Menschen werden frei. Sie haben auf einmal keine Angst mehr vor der Zukunft, fürchten sich nicht mehr davor, bald nichts mehr zu essen zu haben, sie horten nicht, sondern sie teilen! Wildfremde Menschen sprechen, jubelen mit anderen, sie teilen ihre Habseligkeiten – es ist alles so anders! Keiner schimpft und droht, keiner – trotz dieses großen Durcheinanders, ist alles friedlich, singend, fröhlich – ein großes Miteinander. Doch er heilt nicht allein, sondern er redet Worte, Worte, bei denen die Menschenmenge ganz still wird. Worte, bei denen Menschen vor Glück zu weinen beginnen: Ja, Gott macht alles anders. In Jesus kommt uns Gott ganz nah, er öffnet unser verbittertes und verhärtetes Herz, unsere Sehnsucht kann wieder träumen, träumen von einer Welt, in der Menschen im Frieden und in Liebe miteinander leben, einer Welt, in der es keinem schlechter geht als dem anderen – oh, Gott, was für Worte!
Das berichtete der Informant schleunigst seinem Auftraggeber, dem heidnischen Hauptmann. Und dann berichtete er noch von der Rede, die schnell als Bergpredigt wie ein Lauffeuer die Menschen erreichte. Und der Informant wusste instinktiv: Diese Worte werden niemals mehr vergehen, solange es Erde und Himmel gibt, solange es Menschen gibt: das sind Worte, gesprochen aus der Ewigkeit und für die Ewigkeit. Und er sagte dem Hauptmann, was er noch wusste:
Jesus sagte: Selig sind die Menschen, die Leid tragen, die Sanftmütigen, die sich nach Gerechtigkeit sehnen. Selig sind die Menschen, die ein reines Herz haben und friedfertig sind. Selig sind die, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden.
Der Hauptmann hörte still zu. Dann sagte er: Das ist kein Träumer, das ist keiner, der den Leuten nur schöne Worte macht. Hörst du, dass er vom Leiden spricht? Hörst du, dass er seine Anhänger schon darauf vorbereitet, dass sie einmal leiden werden? Und noch etwas: Wenn er sagt, dass die Sanftmütigen das Erdreich besitzen werden, wenn er von denen spricht die angesichts all der Ungerechtigkeit nach Gerechtigkeit dürsten, wenn er von Barmherzigen spricht und Friedfertigen – dann will er Menschen dazu führen, so zu werden: gerecht, barmherzig, friedfertig, reinen Herzens – meine Güte, hat das schon mal einer gesagt? Der sagt ja gerade das Gegenteil von dem was alle Welt bisher gesagt hat!
Beobachte ihn weiter. Und der Informant zog fort – doch dann machte er sofort kehrt, weil ihm einfiel: Ich habe ja noch kaum was von der Bergpredigt berichtet! Er wurde wieder beim Hauptmann vorstellig und fand ihn in tiefem Nachdenken versunken. Da wagte der Informant zu sagen: Jesus von Nazareth hat noch mehr in der Bergpredigt erzählt. Er hat den Leuten, die da um sich herum waren, gesagt, dass sie Salz der Erde und Licht der Welt seien.
Der Hauptmann unterbrach ihn: Diese Leute, diese einfachen verarmten Leute, auf die keiner hört, die keiner wirklich wahrnimmt, die von den wirklich Mächtigen verächtlich behandelt werden, die sollen Salz der Erde und Licht der Welt sein? Warum sagt er denen das? Das sind doch kleine Würmer, die alle nur zertreten! Und wenn sie sterben, dann kräht kein Hahn mehr nach ihnen. Ich verstehe das alles nicht – aber so langsam denke ich: Er hat recht. Wenn die sich wirklich so verhalten, wie er es in den Seligpreisungen sagt, wenn sie friedfertig, barmherzig sind, wenn sie ein reines Herz haben, dann sind sie anders, dann sind sie Licht, dann wird die Welt wirklich anders werden. Und wenn einer von ihnen wie ein Licht gelöscht wird, dann hat er vorher wieder zahlreiche andere Lichter hinterlassen – einfach dadurch, dass er diese wunderbaren Worte weitergesagt hat. Was für ein Mensch! Verstehst du? Die göttlichen Worte von Jesus, diesem frommen Juden, sind nie mehr aus der Weltgeschichte wegzudenken.
Aber lassen wir es nun, weiter über Jesus von Nazareth nachzudenken. Mich beschäftigt etwas mehr als alles andere. Mein Knecht ist sehr krank. Ich habe schon alle möglichen Ärzte konsultiert. Weißt du, was ihm helfen könnte? Du bist doch auch ein Jude, kennst du jemanden, der sich auf Krankheiten versteht?
Ganz schüchtern sagte der Informant: Jesus kommt nach Kapernaum. Jesus.
Als aber Jesus nach Kapernaum hineinging, trat ein Hauptmann zu ihm; der bat ihn und sprach: Herr, mein Knecht liegt zu Hause und ist gelähmt und leidet große Qualen. Jesus sprach zu ihm: Ich will kommen und ihn gesund machen. Der Hauptmann antwortete und sprach: Herr, ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehst, sondern sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund. Denn auch ich bin ein Mensch, der Obrigkeit untertan, und habe Soldaten unter mir; und wenn ich zu einem sage: Geh hin!, so geht er; und zu einem andern: Komm her!, so kommt er; und zu meinem Knecht: Tu das!, so tut er’s.
Als das Jesus hörte, wunderte er sich und sprach zu denen, die ihm nachfolgten: Wahrlich, ich sage euch: Solchen Glauben habe ich in Israel bei keinem gefunden! Und Jesus sprach zu dem Hauptmann: Geh hin; dir geschehe, wie du geglaubt hast. Und sein Knecht wurde gesund zu derselben Stunde.
Wir hören und denken immer wieder: Man muss glauben. Wie kam der Hauptmann zum Glauben? Nicht, weil er musste. Menschen kommen zum Glauben, wenn sie sich mit den Worten und Taten von Jesus beschäftigen. Denn Glauben heißt vertrauen – auch in dunklen Zeiten festhalten an Jesus. Vertrauen ist etwas Lebendiges. Vertrauen kann wachsen, Vertrauen kann abnehmen, Vertrauen kann fest werden, Vertrauen ist nichts Statisches, etwas Unverrückbares, sondern Menschen, die einander vertrauen, sind beweglich. Vertrauen nagelt den anderen nicht fest, verlangt nicht, dass er sich so verhält, wie ich es will, sondern verlässt sich vertrauensvoll auf ihn. Das Vertrauen des Hauptmanns kam nicht dadurch, dass Jesus den Knecht geheilt hat, es war schon vorher da. Es war sein Vertrauen zu Jesus, der so wunderbare Worte gesprochen hat, der Herzen öffnet und Hoffnung hineinpflanzt, der Liebe ausstrahlt und Zuversicht. Wer in Jesus seinen Anker gefunden hat, sein Zentrum, seine Kraft, die ihn leben und lieben lässt, der bleibt bei Jesus, auch wenn er unseren Willen nicht erfüllt. Der Hauptmann hat sehr wohl begriffen: Nicht er ist der Befehlshaber über Jesus, sondern er ist der, der Jesus untergeordnet ist und ihm vertrauen kann. So ordnen auch wir uns im Glauben, im Vertrauen Jesus unter, weil er unseren Herzen nahe gekommen ist. Der Hauptmann erfuhr die ganze Fülle, Kraft und Herrlichkeit Jesu durch seine Spione. Unsere Spione sind die Evangelien und die Christen, die Jesus kennen – befragen wir sie! Ich wünsche uns, dass wir der ganzen Fülle, Kraft und Herrlichkeit Jesu Christi näher kommen.