Der für den heutigen Sonntag vorgeschlagene Predigttext steht im Buch des Propheten Amos im 5. Kapitel:
Ich hasse eure Feste, ich verabscheue sie
und kann eure Feiern nicht riechen.
Wenn ihr mir Brandopfer darbringt,
ich habe kein Gefallen an euren Gaben,
und eure fetten Heilsopfer will ich nicht sehen.
Weg mit dem Geplärr deiner Lieder!
Dein Harfenspiel will ich nicht hören,
sondern Recht ströme wie Wasser,
die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.
Soweit der Prophet Amos. Wer ist angesichts dieser Worte nicht versucht, an das Tschingderassabum zu denken, das gegenwärtig die Fernsehkanäle und die Seiten der Zeitungen füllt? Was sind das für Feste! Bunte, laute, ausgelassene Feste. Wie viele Feste werden gefeiert, in denen alle Regeln über den Haufen geworfen werden, Feste, die wohl nur zu ertragen und zu feiern sind, wenn König Alkohol regiert und die Hirne und Sinne benebelt.
In dem Musical Hair singt der Junge Claude:
Wo geh ich hin, folg ich den Wolken?
Wo ist der Weg, den ich nicht seh?
Wer weiß die Antwort auf meine Frage,
warum ich lebe – und vergeh´…
Wo geh ich hin, folg ich den Kindern?
Sehn sie den Weg, den ich nicht seh?
Gibt mir ihr Lächeln etwa Antwort,
warum ich lebe und vergeh …
Folg ich dem Winde?
Folg ich dem Donner?
Folg ich dem Neon,
das leuchtet im Blick derer, die lieben?
Tief in der Gosse, hoch unter Sternen kann Wahrheit sein!
Wo geh ich hin, folg ich dem Herzen?
Weiß meine Hand, wohin ich geh?
Warum erst leben, um dann zu sterben?
Ich weiß nicht recht, ob ich das je versteh.
Diese Sehnsucht, dieses Fragen, dieses Suchen, dieses Ergründen – das mag im Hintergrund vieler stehen, die ausgelassen ihr Fasching feiern und dann sehnsüchtig den nächsten Fasching erwarten: Endlich leben! Manche suchen das Leben im Urlaub, manche im Rausch vielfältigster Art. In den 90ger Jahren, so hat ein Psychologe herausgefunden, begann eine Revolution in unserer Gesellschaft: Menschen erwarten zu viel vom Leben. Was man früher vom Paradies erwartete, erwartet man hier und jetzt. Weil der Alltag jedoch anders aussieht, überwiegend von Kampf, Müdigkeit und Härte geprägt ist werden diese Lebenserwartungen auf Feiern gelegt, auf Urlaub. Und das muss zwangsläufig enttäuscht werden. Und vom Leben Enttäuschte suchen es gar nicht mehr und halten das Fernsehen, das Internet für das Leben selbst – und ihr Feiern erstirbt.
Der Prophet Amos findet harte Worte gegen die Feiern der Menschen. Möchte Gott, dass die Menschen nicht mehr feiern? Oh nein, wer das meint, der hat Gott gründlich missverstanden. Sehen wir Jesus an: Er hat gefeiert mit allen, mit Sündern und Gerechten – so sehr gefeiert, dass es schon sprichwörtlich geworden ist: „Der Menschensohn – also Jesus – isst und trinkt, so sagen sie: Siehe, was ist das für ein Fresser und Weinsäufer, ein Freund der Zöllner und Sünder“ (Mt 11,19). Jesus hat wirklich viel gefeiert. Wir Christen glauben, dass Jesus Gottes Willen tut, Gott widerspiegelt – und so sehen wir, dass Gott nichts gegen die Feier der Menschen hat. Nur: Was möchte er für eine Feier? Er möchte eine Feier, in der die Menschen, die Sehnsucht haben, die fragen und suchen aufgenommen werden, in der sie zur wirklichen Erfüllung kommen, weil Jesus Christus in ihrer Mitte lebt.
Das allgemeine, ausgelassene Feiern der Menschen wird in unserem sehr harten Amostext nicht angesprochen. Verurteilt wird das Feiern der Gemeinde Gottes am Tempel. Diese Feiern sind Gott ein Dorn im Auge, gegen diese Feiern wettert er. Es sind schlimme Feiern, in denen Menschen zu Gott kommen, ihm alles Mögliche an Opfern und Gesängen bieten – aber doch eines vergessen: Gottes Willen zu tun. Was sind das für Gottesdienstfeiern, wenn nicht Gottes Wille im Mittelpunkt steht? Wir können in unseren Gemeinden machen was wir wollen. Wir können Menschen herzuholen zu Feiern mit viel Tamtam, viel Zeitgeist, viel Spaß und Halligalli und Kasperletheater – aber wenn Gott nicht in der Mitte ist, wenn er nicht das Zentrum, der Mittelpunkt der Feiern, des Zusammenlebens ist, dann ist alles umsonst. Dann können wir in den Gemeinden all das haben – aber wenn er nicht dabei ist, dann sind ihm die Gottesdienste ein Abscheu. Warum, mögen wir ihm zurufen, warum sollten Dir unsere Gottesdienste nicht gefallen? Wir singen mehr oder weniger schön. Das Bibel-Wort, das wir hören, geht uns mehr oder weniger nach und die Predigt ist so ganz akzeptabel. Die Menschen sind freundlich, der Organist spielt gut, wir geben auch mehr oder weniger Kollekte – Gott, was gefällt Dir denn daran nicht? Freu dich doch, dass wir wenigstens kommen! Gott lässt sich nicht bestechen, mit noch so schönem Gesang und viel frommem Anstrich. Gott verabscheut Gottesdienste, in denen nicht erkennbar wird, dass die Menschen, die Gott loben und preisen, auch in ihrem alltäglichen Leben Recht und Gerechtigkeit wirken. So heißt es im Predigttext:
Ich hasse eure Feste, ich verabscheue sie
und kann eure Feiern nicht riechen.
Ich habe kein Gefallen an euren Gaben.
Weg mit dem Geplärr deiner Lieder!
Dein Harfenspiel will ich nicht hören!
sondern Recht ströme wie Wasser,
die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.
Es geht im Amostext nicht um die Menschen, die ihre Feste feiern, und in ihnen ihre Sehnsüchte ausleben – auch wenn sie dann noch so daneben gehen, es geht um das Feiern der Gemeinde Gottes. Nehmen wir die sonntäglichen Gottesdienste. Vielleicht gehen wir gerne hin. Vielleicht haben wir auch etwas davon. Aber immer wieder müssen wir eines tun, uns fragen: Bin ich hier im Gottesdienst, weil ich Gott in unserer Mitte weiß, oder bin ich aus ganz anderen Gründen hier? Oder die Pfarrerinnen und Pfarrer müssen sich immer wieder fragen: Mach ich mal schnell den Gottesdienst – oder lasse ich Gott durch mich wirken? Bin ich hier, um Neuigkeiten zu hören – oder um Neues von Gott zu hören oder in der Stille auf ihn zu lauschen? Bin ich hier um meinen Banknachbarn Interessantes weiterzusagen oder um mit Gott zu reden? Aber nicht genug damit: Wie sieht mein Leben außerhalb des Gottesdienstes in der Woche aus?
Paulus schreibt: Euer Leben ist ein Gottesdienst. Unser ganzes Leben sei ein Gottesdienst! Tag für Tag, Stunde für Stunde. Ist unser Alltag ein Gottesdienst? Und nehmen wir unser Leben: Ist unser Leben eine Gottes-Feier? Was sind Gottes-Feiern? Menschen loben und preisen Gott dann am meisten, nicht wenn sie den Mund aufmachen und singen, sondern wenn sie tun, was er fordert. Was fordert er? Amos spricht von Recht und Gerechtigkeit. Menschen nicht benachteiligen, Menschen nicht übervorteilen, Menschen das zugestehen, was ihnen zusteht, Menschen helfen, wenn sie benachteiligt und missachtet werden und nicht auch noch nachtreten. Amos spricht von Gerechtigkeit. Gerechtigkeit bedeutet ein Verhalten, das die Gemeinschaft der Menschen untereinander fördert. Lieblosigkeit, Zorn, alles was zu Trennungen führt, Unwahrheit, Heuchelei, Eigennutz – all das hat in einem Leben, das Gott feiern möchte, nichts zu suchen. Und wenn wir als Gemeinde und als Individuen ein Leben führen, das Gott feiert, ihn ernst nimmt, ihn in der Mitte weiß, dann werden Menschen hinzukommen, die bisher ihre Sehnsüchte, Fragen und Hoffnungen in Alkoholfeiern ertränkten. Damit das geschieht, müssen wir immer wieder an unseren Feiern arbeiten. Nicht nur Fasching ist harte Arbeit, die den Spaßigen die Schweißperlen auf die Stirn treibt, sondern auch Gottesfeiern sind harte Arbeit, weil wir uns selbst immer mit den Augen Gottes ansehen müssen, Tag für Tag, Stunde für Stunde: fördern wir als Gemeinde Recht und Gerechtigkeit – fördere ich Recht und Gerechtigkeit mit meinem Leben?
Und da ist Jesus Vorbild: Er übte Recht und Gerechtigkeit aus Liebe, wandte sich den Menschen zu ohne Ansehen der Person, zeigte Menschen, wie wichtig sie sind, so wichtig, dass er mit ihnen feiern möchte. Er feierte richtig – und sein Feiern macht unser Herz sehnsüchtig nach dem wahren Feiern untereinander und bei Gott. Es ist uns Ansporn immer mehr im Licht Gottes zu feiern – und es ist uns Verheißung, dass Gott unsere ungestillte Sehnsucht zu einem Ende führen wird, an dem er mit uns feiern wird. Wie auch immer das Fest aussehen wird: Bei Jesus Christus sein ist ein Fest. Amen.