Johannes 21: Liebst du mich?

Der für den heutigen Sonntag vorgeschlagenen Predigttext steht im Johannesevangelium im 21. Kapitel.

Jesus ist auferstanden und zeigt sich seinen Jüngern am See Genezareth. Als er mit seinen Jüngern das Mahl gehalten hatte, spricht Jesus zu Simon Petrus: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieber, als mich diese anderen Jünger haben? Petrus spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich gern habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Lämmer! Spricht er zum zweiten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Petrus spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich gern habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe! Spricht er zum dritten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich gern? Petrus wurde traurig, weil er zum dritten Mal zu ihm sagte: Hast du mich lieb?, und sprach zu ihm: Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, dass ich dich gern habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe!

Amen, Amen, ich sage dir: Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wo du hin wolltest; wenn du aber alt wirst, wirst du die Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hin willst. Das sagte er aber, um anzuzeigen, mit welchem Tod er Gott preisen würde. Und als er das gesagt hatte, spricht er zu ihm: Folge mir nach!

Soweit der Predigttext.

Wir dürfen hier Zeugen eines ganz intimen Augenblicks sein, der zwischen zwei Menschen stattfindet. Der auferstandene Jesus Christus fragt seinem ausgewählten  Jünger Petrus eindringlich: „Hast du mich lieb?“ Dreimal fragt er das. Warum dreimal? Warum genügt es Jesus nicht, dass Petrus ihm einmal seine Liebe bekennt?

Diesen Fragen ging die Verleugnung des Petrus voraus. Der Mensch Jesus von Nazareth war vor wenigen Tagen festgenommen, gefoltert und hingerichtet worden. Als Petrus gefragt worden war, ob er diesen Jesus kenne, sagte er: „Nein, ich kenne ihn nicht.“ Dreimal wurde er gefragt, dreimal hat er verleugnet, ihn zu kennen. Und dreimal fragt Jesus nun: „Petrus liebst du mich?“ Dreimal sagt Petrus: „Ja, ich habe dich gern.“ Warum fragt Jesus? Jesus möchte es dem Petrus leicht machen: Jede einzelne Frage löscht jede einzelne Verleugnung aus. Die Verleugnung soll Petrus nicht mehr beschäftigen. Manche Leute, die gerne Sensationen in die Welt setzen, meinen, Petrus habe die Auferstehung Jesu erfunden, weil er nicht damit zurechtgekommen sei, seinen geliebten Jesus verleugnet zu haben. Das ist Quatsch. Petrus hat die Vergebung durch Jesus kennen gelernt. Seine Verleugnung ist Vergangenheit – doch nun gilt Neues, ein Neuanfang mit seinem Herrn Jesus. Jesus vergibt seinem Apostel. Wie großartig ist Jesus Christus, dass er den übelsten Verrat an sich selbst, nicht nachträgt, sondern vergibt.

Doch: Merken sie etwas? Jesus fragt den Petrus: „Liebst du mich?“ Petrus sagt nicht: „Ja, ich liebe dich.“ Er schwächt ab. Er sagt: „Ich habe dich gern.“ Petrus kennt sich. Er ist vorsichtig geworden. Er weiß, wie wankelmütig er ist. Darum ist er nicht bereit, sich ganz auf Jesus einzulassen. Und so fragt Jesus dann in seiner dritten Frage auch nicht mehr: „Liebst du mich?“ – sondern er stellt sich auf Petrus ein: „Hast du mich gern?“ Auch wenn Petrus nicht bereit ist, zu sagen: „Ich liebe dich“ – gibt Jesus ihm doch einen Auftrag. Petrus soll Menschen, die zu ihm kommen, pflegen und leiten. Jesus kennt Petrus besser als dieser sich selbst. Und so sagt er dem Petrus: „Ich brauche dich. Du zögerst. Du meinst das alles sei zu groß für dich. Lass das. Du bist der Hirte. Führe und pflege die Herde.“

Diese Frage, die Jesus seinem Jünger stellt, hören Menschen, die zu Jesus gehören, durch die Jahrtausende. Wenn wir nicht abgestumpft sind, dann hören wir an jedem Tag auf vielfältige Weise die Frage Jesu: „Hast du mich lieb?“ Wie antworten wir? Wir müssen wohl gestehen, dass wir gegenüber der Stimme Jesu vielfach taub geworden sind.

Wie antworten wir? Wahrscheinlich mögen viele von uns diese Frage gar nicht hören. Denn einen Menschen zu lieben – und das gilt auch für die Liebe zu Jesus Christus – heißt: sich ganz auf ihn einstellen. Sein Leben neu zu orientieren. Und davor scheuen wir zurück. Vielleicht mögen einige von uns die Frage hören und auch antworten wie Petrus: „Dich, Jesus, lieben, das ist wohl zu viel gesagt, aber ich mag dich ganz gern.“ Eine solche Antwort lässt uns Freiraum. Wir entscheiden selbst, wo es in unserem Leben lang geht, wo Jesus mit entscheiden darf, wo er es nicht darf; wir entscheiden wo wir ihn fragen, in welchen Dingen wir ihn außen vor lassen, in welchen wir ihn einbeziehen. „Hast du mich lieb?“ fragt mich Jesus. „Ja, ich mag dich“, sagen wir. Mehr wollen wir uns nicht zumuten. Doch was heißt es: Jesus lieben? Wenn wir einen Menschen lieben, dann versuchen wir ihn kennenzulernen – das gilt auch für die Liebe zu Jesus: Wir wollen wissen, was im Neuen Testament über ihn erzählt wird. Wir versuchen mit dem geliebten Menschen zu reden – das gilt auch für die Liebe zu Jesus: Wir reden mit ihm im Alltag, im Gebet, wenn wir uns freuen und uns ärgern. Wir versuchen, dem geliebten Menschen zu gefallen – auch das gilt für die Liebe zu Jesus: Er möchte, dass wir dem Nächsten mit Liebe begegnen. „Hast du mich lieb?“ fragt Jesus. „Ja, wir haben dich gern!“ antworten wir. Von Liebe zu Jesus trauen wir uns nicht zu sprechen.

Doch was macht Jesus trotz der Halbherzigkeit? Er nimmt Petrus ganz in Beschlag. Er wendet sich nicht beleidigt ab, auch wenn wir widerstreben.

Dem Petrus sagte er trotz seines Zögerns: Amen, Amen, ich sage dir: Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wo du hin wolltest; wenn du aber alt wirst, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hin willst. Bis ins Alter hinein bleibt Petrus widerspenstig. Doch je älter er wurde, hat er sich seine Hände immer mehr von Gott gürten lassen, hat er sich immer mehr Gott zur Verfügung gestellt – aber diesen letzten Weg, den wollte er dann doch nicht gehen, noch nicht. Er will Gott folgen, aber in den Tod will er für ihn nicht gehen. Es ist grausam, was Gott mit Petrus anstellt. Er will, dass Petrus ihn verkündigt – und das bedeutet den sicheren Tod. Menschen mögen nicht von Gottes Liebe und Anforderungen hören – und Petrus würde am liebsten aufhören, davon zu reden, damit es ihm gut geht, damit er nicht den Gewalttätigen ausgeliefert wird. Die Hände des Petrus sind gebunden, er weigert sich und zerrt – er will nicht in den Tod. Doch Gott führt keinen anderen Weg: Ein anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hin willst.

„So bin ich, Petrus, immer. Ich brause auf und rufe: Ich geh mit dir in den Tod – und dann kommt ein Mensch daher und fragt, ob ich auch zu Jesus gehöre, ich kriege angst und haue ab. Ich will dich mögen, Jesus – aber lieben? Ich will, dass du mich führst, Jesus – aber bis in den Tod? Nein, ich will dich, aber nicht ganz. Ich will so leben, wie du es willst – aber ich will auch meinen Freiraum, einen Raum, wo du, Jesus, nichts zu sagen hast. Ich habe meine Macken, die du nicht magst – aber lass sie mir. Ich liebe meine dunklen Punkte im Leben, ich will mein Verhalten ändern – aber nicht alles! Nein, Jesus, du kannst nicht mein gesamtes Leben beanspruchen. Ich bin immer wieder ganz traurig, weil ich zerrissen bin: Ich will dich und will dich nicht. Ich war traurig, als ich dich verleugnet habe, ich bin traurig, dass ich nicht sagen kann: Ich liebe dich. Ich bin immer nur traurig – und ich werde auch traurig sein, weil ich diesen Weg in den Tod nicht gehen mag! So mag Petrus zu Jesus gesprochen haben.

Aber dann geht Petrus diesen Weg doch. Er geht ihn tapfer. Er geht ihn fröhlich. Denn in der Erinnerung der Gemeinde heißt es: Jesus habe ihm gesagt, mit welchem Tod er Gott preisen würde. Und sagt ihm: Folge mir nach!

Folge mir nach! Das ist das letzte Wort Jesu an Petrus, das ihm allein gilt. Petrus nahm es sich zu Herzen. Es ist das Wort, das die Traurigkeit des Petrus aufhebt. Es ist das Wort, das Petrus sich zu Herzen genommen hat: Er folgte ihm nach – und er wurde dann später wohl auch am Kreuz hingerichtet.

Doch was ist das für ein eigenartiges Wort: Mit dem Tod Gott preisen, loben. Schließen sich Sterben und Loben nicht aus? Was bedeutet das?

Menschen preisen Gott dann mit dem Tod, wenn sie den Tod nicht mehr fürchten, wenn sie ihn nicht mehr höher stellen als Gott. Von Anfang an war die Liebe vieler Christen zu Gott größer als die Angst vor dem Tod. Haben Gegner ihren Tod gefordert, sie gefoltert und gemordet – sie haben sich nicht von der Angst überwältigen lassen, weil sie wussten: Jesus Christus steht jenseits des Sterbens und des Todes, und ich werde bei ihm sein. Dann werde ich ewig bei ihm sein, ihn sehen, mit ihm ganz eins sein. Darum sprechen wir von Glaubenden, die sterben, dass sie heim-gehen. Heim zu dem, dem sie gehören, der ihr Ein und Alles ist.

Viele Menschen sehen heute eine solche Einstellung mit gemischten Gefühlen, weil Selbstmordattentäter die Menschheit in Atem halten. Selbstmordattentäter fürchten auch den Tod nicht, weil sie von paradiesischen Jungfrauen oder weißen Trauben erwartet werden. Sie bringen sich um – und möglichst viele gleich mit. Aber das gab es in allen Kriegen, insofern ist diese Verhaltensweise nichts, das als Neu hervorzuheben ist. Selbst Bienen nehmen den Tod in Kauf, wenn es um den Erhalt ihres Schwarms geht. Allen Kriegern zu allen Zeiten wurde irgendetwas Großes versprochen. Man kann nicht Äpfel mit Ästen vergleichen. Christliche Märtyrer morden nicht – sie werden gemordet. Sie sehen allein auf Gott – und nicht auf eine gewalttätige Untat. Sie sehen auf Gott, der ihnen Stärke und Kraft verleiht, die Gewalt, die an ihnen verübt wird, zu bestehen – sie sehen nicht auf ihre scheinbare Heldenhaftigkeit. Jesus Christus ist ihr Leben – allein das zählt. Und darum können Christen mit ihrem Sterben Gott preisen. Wer auf diese Weise stirbt, schändet Gott nicht, indem er andere bewusst mit in den Tod reißt. Und so geht es unzähligen Christinnen und Christen auf der Erde bis heute. Wer weiß um ihren Tod? Namenlos sterben sie in den Gefängnissen, den Lagern, auf der Straße durch so genannte Helden, die im Namen ihrer Götter feige morden oder misshandeln. Indem Christen ihren Glauben nicht verleugnen, preisen sie Gott mit ihrem Sterben wie Petrus es gemacht hat. Das heißt nicht, dass sie sterben wollen – aber Gott ist größer als ihr Tod. Und das gilt alles auch für uns. Gott ist größer als unsere Angst vor dem Sterben und dem Tod. Natürlich kann auch das Sterben der Christen schwer sein, sehr schwer. Wie Petrus möchte man nicht dahin geführt werden. Und es gibt auch Christen, denen Gott in ihrer Not ganz verdunkelte, die ihn nicht mehr sehen, sondern nur ihre Qual, die sie erleiden mussten und müssen. Aber wir können stellvertretend für sie vor Gott treten, sie im Gebet begleiten – auch heute können wir das für die zahlreichen Christen, denen das Leben und Sterben furchtbar schwer gemacht wird. Wir können auch unser eigenes Sterben schon jetzt, auch wenn wir munter leben, in Gottes Hand bergen. Und auch dabei gilt der Auftrag: Folge mir nach. Jetzt. Bis zu deinem Sterben. Im Tod erwartet Gott uns auch dann, wenn wir daran zweifeln oder wenn wir zerbrechen sollten. Uns erwartet Gott in Jesus Christus – uns, die er seit der Taufe immer wieder fragt: Liebst du mich? Der uns auch heute fragt: Liebst du mich? Wie werde ich antworten? Es geht nicht nur um ein „Ja“ oder „Nein“, sondern: die Antwort gibt das gelebte Leben. Folge mir nach!

Amen.