Der für den heutigen Sonntag vorgeschlagene Predigttext steht im 5. Kapitel des Johannesevangeliums:
Und der Vater, der mich gesandt hat, hat von mir Zeugnis gegeben. Ihr habt niemals seine Stimme gehört noch seine Gestalt gesehen und sein Wort habt ihr nicht in euch wohnen; denn ihr glaubt dem nicht, den er gesandt hat.
Ihr sucht in den Schriften, denn ihr meint, ihr habt das ewige Leben darin; und sie sind’s, die von mir zeugen; aber ihr wollt nicht zu mir kommen, dass ihr das Leben hättet.
Ich nehme nicht Ehre von Menschen an; aber ich kenne euch, dass ihr nicht Gottes Liebe in euch habt. Ich bin gekommen in meines Vaters Namen, und ihr nehmt mich nicht an. Wenn ein anderer kommen wird in seinem eigenen Namen, den werdet ihr annehmen. Wie könnt ihr glauben, die ihr Ehre voneinander annehmt, und die Ehre, die von dem alleinigen Gott ist, sucht ihr nicht? Meint nicht, dass ich euch vor dem Vater verklagen werde; der euch verklagt, ist Mose, auf den ihr hofft. Wenn ihr Mose glaubtet, so glaubtet ihr auch mir; denn er hat von mir geschrieben. Wenn ihr aber seinen Schriften nicht glaubt, wie werdet ihr meinen Worten glauben?
Soweit der Predigttext.
Wir Menschen sind oft unzufrieden mit Gott. Jede und jeder von uns kennt das: Wenn etwas nicht so läuft, wie wir es uns vorstellen, wenn uns Sorgen, Ärgernisse, Ängste plagen, Schmerzen, Lebensfragen – dann kann es ganz schnell sein, dass sich Ärger über Gott einschleicht – wenn wir denn überhaupt noch mit Gott rechnen. Doch wenn wir uns über ihn ärgern, sollten wir ihn immer neu suchen, denn so kommen wir ihm näher, ihm, so wie er ist.
In unserem Predigttext ist es anders: Gott ärgert sich in Jesus Christus über uns Menschen. Jede und jeder von uns hat vermutlich etwas im Leben, von dem er sich vorstellen kann: Das ärgert Gott. Das will er nicht, dass ich das tue oder denke. Das müssen wir abstellen, aber: In unserem Predigttext geht es tiefer. Jesus Christus ärgert sich über uns Menschen nicht, weil wir ihn suchen, das ist ja gut. Aber dass wir Gott suchen – und einen Gott zu finden hoffen, der unseren Vorstellungen entspricht, das ärgert ihn. Weil wir Menschen nur einen Gott suchen, der unseren Vorstellungen entspricht, das ärgert ihn, denn wenn wir nur einen Gott suchen, so wie wir ihn uns vorstellen, dann finden wir ihn nicht.
Mir ist es neulich so gegangen: Ich suchte in meinem Bücherregal ein Buch. Ich wusste: es muss darin stehen. Aber ich fand es nicht! Immer wieder suchten meine Augen die Reihen ab – es war einfach nicht da. Es war auch kein anderer da, den ich beschuldigen konnte, dass er das Buch genommen hat, um zu lesen, denn das Thema interessiert Menschen, die Zugang zu meinem Bücherregal haben, nicht. Und auf einmal: Da stand es! Genau da, wo ich es vermutet hatte. Warum hatte ich es nicht gefunden? Ich hatte mir ein anderes Aussehen vorgestellt. Es war nicht blau wie ich dachte, sondern rot blau. Ich suchte also etwas, von dem ich genau wusste, dass es da war – konnte es aber nicht finden, weil ich eine andere Vorstellung von dem hatte, was ich suchte.
Mir wurde das zu einem Beispiel, wie es uns mit Gott geht: Wir suchen Gott. Aber wir suchen nicht Gott wie er ist, sondern wir haben eine Vorstellung von Gott – und wenn Gott dieser Vorstellung nicht entspricht, dann finden wir ihn nicht, können ihn nicht finden. Erst dann, wenn wir bereit sind, unsere Vorstellung der Wirklichkeit anzupassen, erst dann können wir ihn finden. Was das Buch betrifft: Erst dann, wenn ich bereit bin umzudenken, nicht mehr ein blaues Buch suche, dann kann ich auch ein rot-blaues Buch finden.
Wo suchen wir Menschen Gott? Wir suchen ihn in der Bibel. Jesus sagt ja den Menschen: Ihr sucht in der Bibel – aber Gott wie er ist, den findet ihr nicht. Ihr erkennt Gott nicht, weil ihr einen anderen Gott sucht. Manche suchen einen mächtigen Gott, einen allmächtigen, der in politischen Fragen eingreift, der mich aus schlimmen Situationen ganz einfach herausziehen kann, der wie eine Medizin meine Schmerzen einfach nimmt – auch mich von psychischen oder körperlichen Schmerzen befreien kann. Und wenn Gott das nicht tut – ist er dann Gott? Kann dieser Mensch Jesus wirklich Gott sein? So mochten seine Zeitgenossen gefragt haben: Das geht doch nicht! Gott wird nicht Mensch. Gott ist allmächtig, er ist größer als die Welt, wenn er erscheint, dann gibt es Chaos, die Erde kommt ins Trudeln – und was ist mit diesem Jesus? Er ist staubig von den staubigen Straßen Galiläas, er redet wie wir, er schwitzt wie wir, er hat Hunger und Durst wie wir – das kann doch unmöglich Gott sein! Und weil sie sich eine Vorstellung von dem machen, was und wie Gott zu sein hat, erkennen wir Menschen Gott nicht. Dabei sagt die Bibel doch, wer er ist, wie er ist. Aber wir wollen diesen Gott nicht, weil er nicht unseren Vorstellungen entspricht. Wir ärgern uns über den lebendigen Gott und so lassen manche es dann ganz sein, in der Bibel nach Gott zu suchen, auf ihn zu hören, weil sie sagen: Dort finde ich ihn nicht. Und es gibt andere, die sagen: Ich mache den Buchstaben zu Gott. Die Bibel lässt nicht nur Gott hören, sie selbst ist Gott. Aber die Bibel ist nicht Gott. Sie lässt uns Gott hören. Wir sollen in ihr suchen, um ihn zu finden.
Jesus Christus lehrt uns, auch in der Natur können wir Gott finden. Die Schöpfung ist durchsichtig für Gott und Gottes Handeln. Ein kleines Samenkörnchen nimmt er als Beispiel. Es ist winzig, es wächst, es wird ein Baum – das, was ständig, Tag für Tag geschieht, lässt uns Menschen erkennen: Ja, Gott handelt! Auch die Schöpfung mit dem vielen Wunderbaren, dem Sternenhimmel nachts, der Regelmäßigkeit der Jahreszeiten – sie können uns etwas von Gott und über Gott lehren! Jesus lehrt uns, dass die Natur uns Gott sehen lässt – aber nicht Gott ist. Die Natur darf nicht vergöttert werden, darf nicht zu unserem Gott werden. Manche ärgern sich sehr über Gott, der nicht ihren Vorstellungen entspricht und sagen: Ich finde Gott in der Natur – denn hier finde ich das, was ich finden will. Aber die Natur ist nicht Gott, sie kann als Gleichnis für Gott dienen. Sie vermag es, uns Gott sehen zu lassen, seine Liebe, Fürsorge und Freundlichkeit. Wir suchen in ihr seine Spuren.
Manche Menschen ärgern sich über den wahren Gott und sehen in ihrem Haustier Gott. Es ist nicht widerspenstig, man spiegelt sich in den Augen des Tieres, es gehorcht – anders als Gott – zumindest manchmal, es ist mir nah, freut sich, wenn ich komme, ich kann mit ihm sprechen, habe Körperkontakt… – was will ich mehr? Wir suchen Gott, wir finden ihn in dem, was und wie wir uns Gott vorstellen. Aber das ist nicht Gott. Sie sind Geschenk Gottes.
Manche ärgern sich über Gott und meinen, Gott in mächtigen Menschen, in starken Parteien oder Gruppen wiederzufinden. In Menschen, die, wie Jesus sagt, von anderen Menschen geehrt werden. Und sie verlieren sich an diese Menschen, an diese Gruppen. Menschen werden unfrei, weil sie sich anderen Menschen hingeben, statt weiterhin den freien Gott in Freiheit zu suchen.
Jesus Christus lehrt uns nicht nur, dass Gott in der Bibel zu hören, in der Natur zu sehen ist, sondern auch in dem, was wir erleben, erfahren werden kann. Er heilt Menschen. Aber nicht die Heilung ist Gott, sondern in der Krankheit kann ein Mensch die Hand Gottes spüren. Nicht die Gesundheit ist göttlich, sondern in Schmerzen, in Todeserfahrungen, in Trostlosigkeiten können Gottes Liebe hineinreichen und uns stark machen. Aber das ist uns zu wenig. Wir ärgern uns über Gott, der uns so gemacht hat wie wir sind, der uns als Menschen gemacht hat, und eben Menschen sind. Und so kreisen die Gedanken vieler um die Gesundheit. Sie strampeln sich ab, sie essen dies nicht und nur jenes, Gedanken kreisen um Verdauung und körperlichen Unzulänglichkeiten, sie kreisen um Schönheit. All das ist wichtig – aber das ist nicht Gott. Nicht die Gesundheit – Hauptsache gesund – ist das Ziel aller Ziele. Die Suche nach der Gesundheit kann furchtbar krank machen, die Suche nach Entspannung kann furchtbare psychische Auswirkungen haben. Sondern Gott ist das Ziel – und so sagt Jesus Menschen, wenn er sie geheilt hat: Dein Glaube hat dir geholfen, geh im Frieden, im Schalom – in der Einheit im Frieden mit Gott.
Manche haben traurige, schlimme Erlebnisse im Leben erfahren oder stecken mittendrin. Sie suchen nach Gott, der uns herausholt, der alles mit Macht und deutlich ändert. Aber Gott wirkt nicht so, wie wir es uns erhoffen, sehnlichst erhoffen und von Gott wünschen. Wir werden irre an Gott, wir verzagen, verzweifeln. Wir fühlen uns wie Jesus, der zu Gott schreit. Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Wir spüren Gott nicht – wie sehen den Gott nicht, den wir uns erhoffen – dabei ist uns Gott ganz, ganz nah. Er will uns stärken mit seiner Kraft, seinem Trost, er will uns Geborgenheit schenken – und so erfährt auch Jesus Christus Gott in seiner Verlassenheit, als er sich von Gott den Blick öffnen lässt: und sagt: Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist. Wir benötigen eine neue Perspektive, einen neuen Blick, der auch unsere Schmerzen, unsere Fragen neu sehen lässt. Wer mit dem Rücken zur Sonne steht, sieht nicht das Licht, nur seinen eigenen Schatten. Mensch, dreh Dich um!
So suchen wir Menschen Gott und suchen ihn – doch wir suchen einen Gott, der nach unseren Vorstellungen geformt ist. Und weil wir einen solchen Gott suchen, finden wir den wahren Gott nicht, sondern bleiben vielfach im Vordergründigen stecken, wir sehen nur die Schatten: die Bibel wird zum Gott, die Natur wird zum Gott, die Gesundheit wird zum Gott oder andere Menschen und Gruppen werden für uns zum Gott, mein schlimmes Erleben wird zur Gottlosigkeit. Und wir ärgern uns über Gott. Er ist nicht so wie wir ihn haben wollen. Und darum scheint er ganz weit weg – und ist uns doch so nah. Näher als wir selbst uns sind.
Um Gott zu finden, müssen wir unsere Vorstellung von Gott ändern lassen. Dazu benötigen wir den Glauben: Das Sichtbare in der Welt haben wir vor Augen, wir nehmen es mit allen Sinnen wahr. Das Unsichtbare, das nehmen wir nur mit dem Glauben wahr. Der Glaube schenkt uns eine neue Perspektive, einen neuen Blick. Der Glaube schenkt einen neuen Blick – denn manchmal, wenn wir meinen, Gott gefunden zu haben, bleiben wir bei dem stehen, was wir gefunden haben – und denken: Ich habe Gott! Gott ist nicht zu „haben“ – er ist der Freie, der Lebendige, der uns in Jesus Christus ganz nah kommt.
Spuren Gottes in der Welt nehmen wir wahr, in der Bibel, in der Schöpfung, in unserem körperlichen und psychischen Erleben – aber sie mit Gott zu verbinden, ist dem Glauben vorbehalten. Wir finden Gott in der Bibel in seinem hilfreichen und weiterführenden Wort. Und der Glaube ist so eine Art Brille, ein Teleskop, ein Mikroskop, durch das wir den lebendigen Gott in der Bibel wahrnehmen können. Ohne dieses Hilfsmittel nehmen wir nur Worte wahr: alte Worte. Ohne dieses Hilfsmittel Glauben nehmen wir die Bibel vielleicht als großes literarisches Werk wahr, als geschichtliches Wunderwerk. Aber nur im Glauben nehmen wir wahr, dass Gott in ihr spricht und durch sie spricht und wirkt. Wir nehmen Jesus von Nazareth als Mensch wahr. Er war ein guter Mensch, er hat uns Menschen gezeigt, wie wichtig es ist, aufeinander zu achten. Ohne Glauben bleibt Jesus nur Mensch. Mensch der Vergangenheit, gestorben, tot. Im Glauben wird er der Lebendige, der, der mit Gott Vater und Gott Geist eine Einheit bildet, der uns durchdringen, stärken, beauftragen möchte.
Wie kommen wir zu diesem Glauben, den Jesus Christus einfordert? Wie können wir nach Gott suchen, dem Gott, wie er ist?
Wir haben in der vorletzten Woche das Pfingstfest gefeiert.
Die Bitte, dass Gott uns den heiligen Geist, seinen Geist, geben möge, der uns den richtigen Blick des Glaubens schenkt, möge uns zu einem Herzensgebet werden, zu einem Gebet, das uns ganz, ganz wichtig wird.
Komm Heiliger Geist, Geist Gottes,
fülle mein Herz,
erleuchte meinen Verstand,
bestimme meine Gefühle,
damit ich Dich, Gott in Jesus Christus, immer vor Augen habe.
Jetzt und in Ewigkeit. Amen.