Überall auf der Erde sprechen Glaubende das Glaubensbekenntnis. Doch geht ein Riss durch die Gemeinde: Kann das wirklich stimmen, was von der Jungfrauengeburt gesagt wird?
Der Unterschied zwischen den einen und den anderen ist, dass die einen Gott zutrauen, dass er es ermöglicht, dass diese Frau, Maria, ohne Zutun eines Mannes ein Kind empfängt – und die anderen? Sie glauben eher nicht, dass Gott das macht. Machen könnte er es vielleicht schon, rein theoretisch – aber er macht so etwas nicht, um seine Macht zu beweisen. Gott benötigt keinen Hokuspokus, heißt es. Und so sind wir es zufrieden.
Doch wenn wir ehrlich sind: Geht es wirklich nur um die Jungfrauengeburt und darum, dass Gott das Wunder wirken kann oder nicht wirken will? Das gesamte Glaubensbekenntnis wirft die Frage nach Gott selbst auf: Gibt es ihn überhaupt? Und wenn ja: Ist er Schöpfer? Ist er allmächtig? Ist Jesus sein eingeborener – das heißt sein mit ihm in einzigartiger Weise verbundener – Sohn? Ist dieser Jesus Christus wirklich unser Herr? Glauben wir an die Auferstehung Jesu? Glauben wir, dass er wiederkommen wird? Glauben wir, dass der Heilige Geist die Kirche regiert?
Wir sehen, dass – wenn wir ehrlich sind – die Frage nach der Jungfrauengeburt nur eine vorgeschobene Frage ist. Es kommt uns alles insgesamt eigenartig vor – das ganze Glaubensbekenntnis ist uns ein Rätsel. Uns? Einen Teil von denen, die das Bekenntnis mitsprechen, kommt alles eigenartig vor. Ein anderer Teil der traut Gott zu, dass er das alles eben tun konnte und auch gemacht hat und macht. Sie empfinden es nicht als Hokuspokus, mit dem Gott die Naturgesetze durchbricht. Denn was Naturgesetze sind, das haben wir Menschen uns aus Beobachtungen heraus erschlossen. Sollte Gott von unserem jeweiligen Weltbild abhängig sein?
Das Glaubensbekenntnis insgesamt ist eine Zusammenstellung von Aussagen, die wir im Neuen Testament finden. So finden wir im Neuen Testament auch die Aussage von der Jungfrauengeburt. Ich lese den Text aus dem Lukasevangelium dem 1. Kapitel:
Und im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott gesandt in eine Stadt in Galiläa, die heißt Nazareth, zu einer Jungfrau, die vertraut war einem Mann mit Namen Josef vom Hause David; und die Jungfrau hieß Maria. Und der Engel kam zu ihr hinein und sprach: Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir! Sie aber erschrak über die Rede und dachte: Welch ein Gruß ist das? Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria, du hast Gnade bei Gott gefunden. Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Jesus geben. Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben, und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben. Da sprach Maria zu dem Engel: Wie soll das zugehen, da ich doch von keinem Mann weiß? Der Engel antwortete und sprach zu ihr: Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden. … Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich. Maria aber sprach: Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast. Und der Engel schied von ihr.
Soweit der Text.
Wie hätte Maria angesichts dieser Botschaft reagieren können? So wie wir, wenn wir von Jungfrauengeburt reden, denn die Menschen damals waren ja auch nicht geistig beschränkt und in sexuellen Fragen nicht unerfahrener als wir heute. Aber sie reagiert anders, ganz anders. Sie glaubt, dass es Gott gibt, sie spürt, dass er mit ihr spricht, sie traut Gott zu, dass er das, was er ihr angekündigt hat, auch tun kann. So berichtet uns der Evangelist, der Arzt Lukas – der eben auch das alles Gott zutraut und darum auf diese Weise von Maria berichten kann.
Damit gibt dieser Text vor, wie wir mit diesem Thema umgehen können: Trauen wir Gott das zu? Wir können im Grunde nur antworten: Ich glaube, Herr – aber ich kann das nicht glauben… Aber damit greifen wir zu kurz.
Die Evangelien geben uns Hilfestellungen an die Hand, um Gottes großes Handeln sehen zu können. Eine dieser Hilfestellung ist eben die Aussage, dass Jesus von einer Jungfrau geboren wurde.
Stellen wir uns vor: Wir bekommen ein Fernglas in die Hand gedrückt, um aus der Ferne einen großartigen Berg näher betrachten zu können. Nun nehmen wir das Fernglas und statt den Berg zu betrachten, schauen wir uns das Fernglas an und überlegen: Wie funktioniert das eigentlich!? Das kann doch gar nicht funktionieren – mit Glas und Plastik den Berg näher betrachten können ist doch Blödsinn. Und wir drehen es hin und her. So geht es uns mit dem Bericht der Jungfrauengeburt. Statt mit dem Bekenntnis Gottes großes Handeln zu betrachten, bleiben wir beim Vordergründigen stehen und überlegen alle möglichen Möglichkeiten, die mit der Jungfrauengeburt zusammenhängen.
Und so erkennen schlaue Menschen, dass der Apostel Paulus auch nicht davon spricht, dass Jesus von einer Jungfrau geboren wurde. Er spricht nicht von ihr – aber spannend ist, dass er die Mutter erwähnt und nicht Joseph, den Vater. Warum nennt er nur die Frau? Warum erwähnt er überhaupt, dass Jesus von einer Frau geboren wurde – ist das nicht selbstverständlich? Wir klugen Menschen überlegen weiter: Was bedeutet das Wort Jungfrau im Hebräischen oder Griechischen eigentlich? Und so kommen wir zu dem Ergebnis, dass es eigentlich nicht Jungfrau bedeute, sondern junge Frau. Wie kommen wir dazu? Der Prophet Jesaja kündigt im Auftrag Gottes die Geburt eines Kindes von einer Frau an. Doch kündigt er die Geburt durch eine junge Frau oder durch eine Jungfrau an? Nun, dass eine junge Frau ein Kind bekommt, ist eigentlich nicht so erstaunlich und weltbewegend neu, dass der Prophet Jesaja das unbedingt hätte erwähnen müssen. Das Besondere ist also die Geburt durch eine Jungfrau – von daher halte ich es nicht für einen Übersetzungsfehler, wenn von Jungfrau gesprochen wird.
Andere kluge Menschen schauen, wo kommt denn die Jungfrauengeburt – mit einem Fremdwort genannt: Parthenogenese – denn sonst in der Natur vor? Nun, man entdeckte sie bei der Blattlaus und einer indischen Schlange. Menschen, die religionsgeschichtlich arbeiten, entdecken Berichte von ähnlichen Geburten: Sie entdecken, dass Buddha von einem göttlichen weißen Elefanten gezeugt wurde und Alexander von einer göttlichen Schlange. Es gibt jedoch in der Antike keine Jungfrauengeburten, sondern nur göttliche Zeugungen, von Babylon bis Ägypten, von Griechenland bis Rom. Immer ist eine männliche Gottheit im Spiel.
Nach diesem kleinen Ausflug in die Schlauheit der Menschen, schauen wir einmal: Was sagt eigentlich unser Text? In unserem Text ist die folgende Aussage auffällig: Es ist der Geist Gottes, der tätig ist. Ist der Geist Gottes ein Mann, der Maria schwängert wie der griechische Zeus seine Geliebten? Nein, das ist absurd. Ruach, das hebräische Wort für „Geist“ ist feminin. Aber wie ist das denn sonst gemeint? Der Geist Gottes begegnet uns zu Beginn der Bibel gleich in den ersten Versen der Schöpfungsgeschichte: Der Geist Gottes schwebte über den Wassern – und es folgt die Erschaffung der Welt. Der Geist Gottes ist die schöpferische Kraft Gottes. Gott erschafft durch seinen Geist das, was er erschaffen will – und so erschafft er auch Jesus Christus in der Maria. Das ist das Geheimnis des Textes von der Jungfrauengeburt, wie ihn Lukas uns überliefert.
Ist das jedoch wirklich hilfreich, um unseren Verstand befriedigen zu können, um Gottes Handeln verstehen zu können? Nein. Das ist aber auch egal, denn es kommt auf etwas ganz anderes an.
Wenn in einer Frau ein Kind heranwächst, dann sagen wir: Sie ist guter Hoffnung. Menschen, die diese Texte von den wunderbaren Taten Gottes lesen, sie in ihrem Herzen bewahren, die sind guter Hoffnung. In ihnen wächst etwas Neues heran. Der Heilige Geist, Gottes Schöpferkraft, erschafft in ihnen ein neues Herz, einen neuen Sinn, einen neuen Geist. Sie sehen Gott am Wirken auch da, wo wir Menschen eigentlich blind sind. Sie sehen Gott am Wirken da, wo andere resignieren. Sie sehen Gott am Wirken da, wo andere aus Verzweiflung spotten. Sie werden neugeborene Menschen, indem sie lieben, wo andere hassen, indem sie anderen helfen, wo sich andere abwenden, indem sie vergeben, indem sie wachen Auges schauen: Was muss ich tun, damit es dieser Welt besser geht?
Wer glaubt, löst sich von der Frage, was ist nun historisch wahr, was ist unwahr. Die Konzentration auf das, was historisch wirklich geschehen ist, lenkt nur vom Wesentlichen ab. Solange ich darüber nachdenke, darüber diskutiere: Ist Jesus wirklich von einer Jungfrau geboren worden, solange bin ich davon abgelenkt, die Welt mit den liebenden Augen Gottes zu sehen, so lange bin ich abgelenkt von der Hoffnung, davon, die Welt im Lichte Gottes neu zu durchdringen. Gott lässt sich ganz auf den Menschen ein – und der Mensch in Maria und denen, die Jesus Christus folgen, ganz auf Gott. Weder das Sein Gottes, noch das Wesen des Menschen wird jemals wieder so sein wie vor diesem Zeiten wendenden Ereignis.
Wir nehmen also nun das oben genannte Fernglas und sehen durch dieses hindurch in die wunderbare Welt Gottes und auf die Kraft Gottes. Statt das Fernglas von allen Seiten zu betrachten und gar nicht mitzubekommen, dass es nur ein Hilfsmittel ist, besser sehen zu können, sehen wir auf Gottes verändernde Macht, die unser eigenes Planen und unsere eigenen Vorstellungen übertrifft.
Und das gilt für das gesamte rätselhafte Glaubensbekenntnis. Es will uns die Größe der Welt Gottes zeigen, es will uns deutlich machen, was es hinter unserer sichtbaren Welt alles noch gibt: eben Gottes Wirken. Wer kann da noch vor Angst vergehen, wenn Gott der Schöpfer es mit seiner Welt gut meint? Wer kann da noch resignieren, wenn Gott seinen liebenden Sohn in die Welt sendet, damit aus boshaften Menschen liebende Menschen werden? Wer kann da noch glauben, dass die Menschen in all den Ungerechtigkeiten allein sind, wenn gesagt wird, dass von der Erschaffung der Welt bis zum Ende der Welt Gottes regierende Hand wirksam ist? Das Glaubensbekenntnis und mit ihm die Jungfrauengeburt hilft uns, nicht im Vordergründigen, im entsetzlichen Weltgeschehen stehen zu bleiben, sondern das herrliche Wirken Gottes zu sehen. Und das bestimmt unseren Glauben: Nicht unser kleines zeitbedingtes und begrenztes Vorstellungsvermögen – Gott bestimmt unseren Glauben.