Der für den heutigen Sonntag vorgeschlagene Predigttext ist im 3. Kapitel des Johannesevangeliums zu finden:
Glaubt ihr nicht, wenn ich euch von irdischen Dingen sage, wie werdet ihr glauben, wenn ich euch von himmlischen Dingen sage? Und niemand ist gen Himmel aufgefahren außer dem, der vom Himmel herabgekommen ist, nämlich der Menschensohn. Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, auf dass alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben. Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde. Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er hat nicht geglaubt an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes. Das ist aber das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse. Wer Böses tut, der hasst das Licht und kommt nicht zu dem Licht, damit seine Werke nicht aufgedeckt werden. Wer aber die Wahrheit tut, der kommt zu dem Licht, damit offenbar wird, dass seine Werke in Gott getan sind.
Soweit der Predigttext.
Es gibt wunderschöne Texte. Die Befürchtung dessen, der predigt ist, den wunderschönen Text durch seine Auslegung zu zerstören. Dieser Text ist wunderschön. Aber das mit dem Zerstören ist so eine Sache: Denn wie die ersten Verse schon zeigen: Jesus wurde nicht geglaubt – und wer nicht glaubt, der nicht versteht. So ist auch dieser Text einer, den nur der als wunderschön ansehen kann, der glaubt, der sich mit Jesus Christus, mit Gottes Wort beschäftigt, es liest, darüber nachdenkt, es verinnerlicht. Und der Text ist wunderschön, weil er wahre, gute, wichtige Inhalte ausspricht. Er bereichert uns, er erhebt uns, er stärkt uns. Und so wollen wir gemeinsam über dieses und jenes nachdenken.
Das, was ich soeben gesagt habe, sind große Worte. Ist der Text wunderschön? Wir wollen ihn fühlen – um ihn als wunderschön anzusehen – wir wollen ihn begreifen. So wollen wir ihn ein wenig mit dem Verstand durchleuchten. Warum? Vielleicht gibt er noch mehr preis, wird noch schöner. Es ist wie mit Silbergeschirr: Es ist schön – aber es muss geputzt werden, vielleicht glänzt es dann noch schöner. Oder, um ein Beispiel aus einem anderen Bereich zu nehmen, den Luther genannt hat: Der Text ist ein Heilkraut. Wenn wir es reiben, dann entfaltet es seine wunderbaren Düfte stärker. Und so reiben wir den Text ein wenig – vielleicht gelingt es mir ja, ihn so zu reiben, dass ein heilender Duft von ihm ausgeht.
Gott ist nicht irgendwo, der unbewegte Beweger, der, der einmal alles in Gang gesetzt hat und sich dann zurückgezogen hat, wie kluge Philosophen der Antike und der Neuzeit sich Gott ausgedacht haben. Gott ausgedacht – das haben sich Philosophen, aber nicht Menschen, die von Gottes Liebe im Herzen angesteckt worden sind. Und so geht allem Denken das Hören voraus: Wir hören, dass Gott diese Welt so sehr geliebt hat, dass er sich selbst in seinem Sohn der Welt geschenkt hat.
Gott liebt diese Welt? Wir können es manchmal nicht verstehen, wenn wir all die Irrläufer, die Kriminellen, die Probleme, die Menschen sonst miteinander im Alltag haben, sehen. Wie kann Gott nur diese Welt lieben in ihrem täglichen, in ihrem Jahrtausenden Einerlei des Irrtums, der Gottesverachtung, Gottesleugnung, der falschen Gottesverehrung, des Menschenhasses, der Betrüger?
Wir können es nicht verstehen – wir können es nur an Jesus sehen: Gott liebt die Welt, die Menschen, uns. Wir hören es – und denken darüber nach. Manchmal ist es ja auch bei Liebenden so, sie fragen sich angesichts all der Möglichkeiten, all der Lieblosigkeiten in der Welt und der Einsamkeiten: Warum werde gerade ich geliebt?
Liebe hat keine Gründe. Liebe ist einfach da. Und im Ersten Brief des Johannes schreibt Johannes, dass Gott selbst die Liebe ist. Gott kann gar nicht anders, besser gesagt: Er will gar nicht anders, als diese Liebe leben, diese Liebe sein. Und das haben wir ja auch an Jesus selbst gesehen. An Jesus erkennen wir, wie Gott ist – in Jesus erkennen wir Gottes Herzen. Wir Menschen sind hartherzig, wir grenzen aus, wir sind erbost, sind oft ungerecht. Wir sehen an Jesus das Herz Gottes: Gott ist Mensch geworden – sein liebendes Herz ist Mensch geworden.
Natürlich müssen wir vorsichtig sein damit, denn Liebe kann auch gefährlich sein, kann geheuchelt, kann eine Falle sein: Wen liebe ich, von wem werde ich geliebt? Wem liefere ich mich mit meinen Gefühlen aus? Wem vertraue ich?
Und dieser Gefährlichkeit hat sich Gott ausgesetzt: Er wurde durch die Geliebten verraten, verleugnet, nihiliert, getötet. Das heißt aber nicht, dass seine Liebe erkaltet, sondern er wendet sich dennoch in seiner Liebe Menschen zu allen Zeiten, zu allen Orten zu. Wir Menschen weltweit sind, wenn wir seine Liebe ins Herz lassen, seinen Geist in uns lassen, Glaubende, wir sind sind Gemeinschaft. Glauben heißt, Gottes Liebe ins Herz lassen, das Herz von seiner Liebe bestimmt sein lassen.
Natürlich sind wir Menschen. Wir sind so sehr Menschen, dass das Herz immer wieder verdunkelt. Das Liebeslicht Gottes kann viele Bereiche nicht durchdringen. Wir lassen es nicht zu. Und so kommt er in Jesus Christus auf die Welt, stirbt am Kreuz, damit wir Erlösung bekommen. Warum stirbt er den grausamen Tod am Kreuz?
Eine Erklärung wird in unserem Text mit der alten MosesGeschichte gegeben. Das nennen wir: Typologie. Wir finden häufig in alttestamentlichen Texten längst vergangene Ereignisse, die auf kommende Ereignisse in Jesus hinweisen. Diese Texte verklammern den alttestamentlichen Text mit dem neutestamentlichen Text, sie verklammern die Geschichte des Volkes Israel mit den Völkern der Erde. Hier haben wir also den Hinweis auf eine alte MosesGeschichte.
In ihr geht es darum, dass das Volk Israel verwahrloste und Gott abgelehnt hat. Als Schlangen das Volk überfielen, mussten viele sterben und die Menschen liefen zu Moses und baten um Hilfe. Moses lief zu Gott und bat Gott um Hilfe. Gott sagte dem Moses: Richte einen Stab auf, an der Spitze setze das eiserne Abbild einer Schlange. Jeder, der diesen Stab mit der Schlange ansieht, wird gerettet werden. Das heißt:
Heilung vom Gift gibt es nur durch das Gift. Heilung von der tiefen Verwahrlosung des menschlichen Herzens gibt es nur dadurch, dass die Verwahrlosung sichtbar gemacht wird. In ihrer ganzen Brutalität vor Augen geführt wird. Und so wird die Verwahrlosung, die Brutalität von uns Menschen, das Gift in unseren Herzen und Hirnen daran erkennbar, dass Gott sich in Jesus Christus hat am Kreuz hinrichten lassen, am Kreuzesstab hat aufrichten lassen. Und jeder, der auf den Gekreuzigten schaut, wird von dem Gift befreit und bekommt das Leben.
Wir verstehen nicht: Warum musste Jesus Christus diesen Weg des Leidens gehen? Und so gibt es viel Kritik an Gott: Musste er diesen brutalen Weg gehen? Wir Menschen schaudern, wir wollen diesen Weg nicht. Ich denke aber, dass Gott in seiner Liebe weiß, warum er diesen Weg gehen musste. Und wenn wir das so sehen, dann erkennen wir auch, wie abgrundtief giftig unser Herz ist und manchmal in Taten deutlich wird. Wir denken, wir könnten uns selbst erlösen, retten, wir heben unser gutes Herz hervor, die Fähigkeiten des Denkens. Wir könnten ja so gut sein, wenn wir wollten – manchmal wollen wir – und können dann doch nicht. Gleichzeitig erschrecken wir vor den bösen Taten, erschrecken vor dem Sterben, vor dem Tod. Das Gift unseres Herzens, das Gift, in dem wir als Menschheit leben, das tötet uns.
Gott aber eröffnet uns neue Horizonte, neue Wege, er sprengt die Grenzen, die den Menschen einengen. Er sprengt unserer Verkrampfung in Schuld, er findet uns in unserer Verlorenheit, wenn die Gedanken der Sinnlosigkeit und Depression uns verfinstern, dann sagt er uns: Ich bin der Sinn in deinem Leben und Sterben. Vertraue mir: Ich bin gekommen, dich zu befreien, zu erlösen.
Wir verstehen nicht: Wenn Gott liebt, wenn Gott Liebe ist, warum muss ich häufig leiden? Ja, wir verstehen nicht. Wenn wir Gott nicht verstehen, dann müssen wir auf den gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus schauen. Darum rät Luther sinngemäß, wenn wir Gott nicht verstehen, dann müssen wir uns zu Gottes Herzen flüchten, zu Jesus Christus krabbeln und uns in seine Gegenwart, seine Liebe hineinbergen.
Die Liebe Gottes hört mit unserem Sterben nicht auf. Wir gehen hinüber zu Gott. Auch das verstehen wir nicht. Wir verstehen weder das, was Leben ist, noch verstehen wir das, was Gott uns nach dem Sterben bereitet. Wir sehen aber eines: Wir müssen uns zu Gottes Herzen flüchten, zu Jesus Christus krabbeln und uns in seine Gegenwart, in seine Liebe hineinbergen.
Und wer in Jesus Christus hineingeborgen ist, der versucht auch immer stärker, sich heilen zu lassen, das Gift des Übels aus sich herausziehen zu lassen. Und das bedeutet, wie uns unser Predigttext am Schluss sagt:
Wer Böses tut, der hasst das Licht und kommt nicht zu dem Licht, damit seine Werke nicht aufgedeckt werden. Wer aber die Wahrheit tut, der kommt zu dem Licht, damit offenbar wird, dass seine Werke in Gott getan sind.
Und warum ist der Text nun wunderschön? Ich sehe in dem Text die Liebe ausgesprochen, die Liebe Gottes, die einen Ausweg weist aus der Vergiftung, die die Welt und somit auch uns befallen hat. Er ist das Gegenmittel des Giftes. Es gibt Rettung, es gibt Hilfe – wir müssen uns von dem Toxischen der Welt nicht erniedrigen, schrecken, beleidigen lassen. Gott lässt seine Schöpfung nicht allein, er lässt Dich und mich und uns nicht allein.
Wenn wir uns das sagen lassen, dann sind wir auf dem Weg, sie auch zu fühlen, die Liebe Gottes in Jesus Christus.
Bewundernswerter Gott,
du hast Menschen –
du, ich, wir, ihr –
zu so etwas Großem auserwählt:
deinen Willen zu tun,
Liebe, Licht, Salz der Erde zu sein.
Jesus Christus
treibt es auf die Spitze:
Wer euch sieht, sieht mich,
sagt er.
Unfassbar, unglaublich!
Oh, mein Gott,
kann das wirklich sein?
Manchmal neigen wir dazu,
Menschenverächter und Selbstverächter zu sein.
Gott, wie kann das sein:
Du verachtest uns nicht?
Du achtest uns?
Der Friede Gottes bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.