1. Thessalonicher 5: Gott durchglüht Lebensworte

Der für den heutigen Sonntag (24.8.2008) vorgeschlagene Predigttext steht im 1. Brief des Paulus an die Thessalonicher im 5. Kapitel. Wir finden hier 12 Gebote des Apostels:

Wir ermahnen euch aber, liebe Brüder:
(1) Weist die Unordentlichen zurecht,
(2) tröstet die Kleinmütigen,
(3) tragt die Schwachen,
(4) seid geduldig gegen jedermann.
(5) Seht zu, dass keiner dem andern Böses mit Bösem vergelte, sondern jagt allezeit dem Guten nach untereinander und gegen jedermann.
(6) Seid allezeit fröhlich,
(7) betet ohne Unterlass,
(8) seid dankbar in allen Dingen; denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus an euch.
(9) Den Geist dämpft nicht.
(10) Prophetische Rede verachtet nicht.
(11) Prüft aber alles und das Gute behaltet.
(12) Meidet das Böse in jeder Gestalt.

Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch und bewahre euren Geist samt Seele und Leib unversehrt, untadelig für die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus. Treu ist er, der euch ruft; er wird’s auch tun.

Soweit der Predigttext.

Wir haben hier 12 Lebensworte des Apostels vor uns liegen. Es sind Worte, die Ausdruck unserer Sehnsucht sind: Ach, wäre es doch so auf der Welt. Ach, könnten wir die Menschen trösten und aufrichten. Ach, würden wir und alle Menschen Frieden halten. Ach, könnten wir doch allezeit fröhlich sein, im Gebet leben und im heiligen Geist Gottes. Ach, wir prüfen ja alles – aber wählen wir dann auch das Gute? Ach, wir meiden das Böse – aber doch packt es uns.

Jedem einzelnen dieser Lebensworte stellen wir einen großen, traurigen, resignierten  Seufzer entgegen. Es wäre schön, wenn die Menschen und damit auch wir so handeln würden, aber das geht nicht.  Und weil es nicht geht und weil wir nicht ganz frustriert vom Text weggehen wollen, werden wir zornig gegen diese 12 Lebensworte des Paulus und fangen an, Haare in der Suppe zu suchen.

Und diese Lebensworte haben viele Dinge, über die wir ins Grübeln geraten können. Allezeit fröhlich sein? Ohne Unterlass beten? Dankbar sein in allen Dingen? Stellen wir uns das doch einmal vor? Da ist einer ständig fröhlich – Menschen würden ihn meiden, weil sie nicht sicher sind, ob der noch ganz klar im Kopf ist. Ohne Unterlass beten? Spötter denken dann sofort daran, dass man ja auch mal essen und schlafen muss – geschweige denn arbeiten. Menschen, die ohne Unterlass beten, sind wohl nicht ganz lebenstüchtig. Und dann noch: Dankbar sein in allen Dingen! Was gibt es nicht alles für Elend auf unserer Welt – und dann dankbar sein? Um noch ein Haar herauszupicken: andere zurechtweisen, trösten, tragen – was gehen mich die anderen an? Jeder muss selbst sehen, wie er klar kommt.

Nun, erst staunen wir und blicken voller Sehnsucht in diese Welt, die Paulus vorschwebt – und dann kommt der vermeintliche Realitätssinn zurück und sucht die Haare in der Suppe. Auf ein paar Haare möchte ich eingehen.

Ein Lebenswort des Apostels lautet: Betet ohne Unterlass. Das geht doch gar nicht! – Natürlich geht das, ohne Unterbrechung zu beten.

Paulus war schon schlauer als so mancher seiner Kritiker. Wenn wir uns selbst beobachten, entdecken wir, was auch Hirnforscher entdeckt haben: Der Mensch denkt viele Dinge gleichzeitig – ohne dass er es selbst überhaupt bemerkt. Denken wir an die berühmten „Freudschen Versprecher“. Da sagt einer irgendwas – und auf einmal kommt ein Wort aus dem Mund, das vollkommen aus dem Zusammenhang gerissen ist. Wie kommt das? Das kommt daher, dass das Gehirn nicht nur das denkt, was gerade gesagt wird, sondern auch auf anderen Ebenen arbeitet. Und auf einmal kommt dann aus einer dieser vielen Gehirnwindungen dieses unerwartete Wort an die Oberfläche und drängelt sich nach draußen – auch wenn es uns gerade jetzt überhaupt nicht passt. Was bedeutet das für unser Lebenswort: Betet ohne Unterlass? Das Gehirn kann beten, ohne dass wir es selbst bemerken. Denken Sie auch an den berühmten Ohrwurm: Man singt irgendeinen Schlager, auch dann wenn man was anderes denkt und tut. Und so ist es auch mit dem Gebet: Es ist ein Gesang der Seele, ohne dass wir es direkt bemerken – und das kann geübt werden!

So geht es auch mit den anderen Lebensworten: Fröhlichkeit, Dankbarkeit. Es gibt Menschen, an denen wir spüren, dass sie trotz schlimmer Erfahrungen und trotz böser Erlebnisse im Grunde ihres Herzens fröhliche, dankbare Menschen sind. Und weil sie es sind, kommen sie häufig auch schneller über die schlimmen Zeiten hinweg. Denn in ihnen singt die Seele fröhlich und dankbar – auch wenn das Dunkle die Augen eine Weile finster macht. Wie kann man lernen, ohne Unterbrechung zu beten, dankbar zu sein? Indem wir Gott immer mehr in unser Leben einbeziehen, ihn im Alltag bei guten Dingen, die uns begegnen, danken, bei schwierigen Dingen ihn bitten, bei traurigen ihm klagen. Gott einbeziehen, statt ziellos zu schimpfen und zu lamentieren – das ist das Geheimnis der Lebensworte.  

Die Lebensworte des Paulus sind Weisheiten und Wahrheiten, in denen nur ein oberflächlicher Mensch Haare in der Suppe sucht. Und darum auch das Wichtigste übersieht: Haben Sie den Grundtenor dieses Textes bemerkt? Paulus differenziert nicht. Er sagt nicht: Seid in vielen Dingen fröhlich, tragt einige Schwache, ermahnt einige Unordentliche – nein, er geht aufs Ganze: es geht um alle Menschen, es geht um allezeit, es geht um nichts weniger als um das ganze Leben! Ist das pure Übertreibung?

In der Antike, also in der Zeit, in der Paulus gelebt hat, gab es Hymnen. In diesen Hymnen wurden einzelne Götter besungen. Der jeweilige besungene Gott oder die Göttin wurde als beste, schönste, größte besungen. Und das finden wir auch hier: Es ist eine Art Hymnus, ein Lebens-Lied, Paulus kann gar nicht anders als das Leben der Glaubenden in Form dieses Hymnus zu singen. „Seid allezeit fröhlich, betet ohne Unterlass, seid Dankbar in allem! Unordentliche ermahnt, Trauernde tröstet, Schwachen helft tragen. Prüft alles, meidet das Böse in jeder Gestalt!“ Christen haben die große Chance, die wunderbare Möglichkeit, ein ganz anderes, ein neues, ein hymnisches Leben führen zu dürfen – nicht, weil sie so stark sind oder weil sie so wunderbare Menschen sind. Das alles hat einen viel schöneren Grund. Diesen Grund nennt uns Paulus am Schluss der Lebensworte:

Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch und bewahre euren Geist samt Seele und Leib unversehrt, untadelig für die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus. Treu ist er, der euch ruft; er wird’s auch tun.

Gott selbst ist in uns am Werk. Der Gott des Friedens – unser Gott des Friedens – der Gott, der uns vollkommenen Frieden geben will. Er will nicht, dass wir hin und her gerissen werden, damit wir in uns zerreißen. Er will nicht, dass wir das kurze Leben, das wir führen dürfen, sinnlos verplempern und herumirren. Dieser Gott des Friedens heilige euch. Was heißt „heiligen“ – heiligen heißt: Der Gott des Friedens mache euch göttlich, durchglühe, durchliebe euch durch und durch, damit ihr in Gott leben könnt und aus Gott heraus. Damit ihr ein neuer Mensch werden könnt, ein Mensch, der für andere da ist, in dessen Gehirnwindungen, in dessen Seele dieser unerkannte göttliche Gesang vibriert. Dieser Gott ist es, der die Seinen erhält. Nicht wir selbst sind es, die traurig auf uns schauen müssen, weil es mit uns nun doch nicht so gut klappt. Auf Gott müssen wir schauen, der in uns wirkt, auch dann, wenn wir versagt haben – oder meinen, versagt zu haben. Ganz sicher und bestimmt sagt Paulus: „Gott ist treu, er wird es auch tun!“ Das christliche Leben will wie ein Hymnus sein. Es will ein Lied auf die Liebe Gottes sein. Nicht, dass wir nur dann und wann ein Lied zum Lob und zur Ehre Gottes singen, sondern das Leben selbst will dieser Lobgesang sein – auch dann, wenn wir so manches Mal verfinstern. Christliches Leben will so ein Lied sein. Wenn es das nicht ist, dann denken, fühlen wir: Mir fehlt was! Ich fühle mich wie ein Auto ohne Motor. Lasst nicht nach, dem Lob Gottes, der Dankbarkeit in allen Dingen nachzugehen – nachzulaufen – denn sonst bleiben wir immer nur irgendwie leer.

Gilt das alles auch in Not? Ja! Gerade Paulus zählt uns die Lebensworte auf, der ja selbst Verfolgungen, Folterungen ertragen musste. Er selbst, der Enttäuschungen erlitten hat und sich bitterböse darüber beklagte. Er kann das sagen – weil er ganz auf Gottes Tun blickt. Er ist kein Träumer, der abgeschieden in einer heilen Welt lebt. Er weiß: Gott handelt an den Seinen – er bringt unsere Seele zum Singen, wenn wir sie ihm hinhalten. Und das auch dann, wenn wir es selbst gar nicht so merken, weil gerade andere Gehirnwindungen zum Klingen gebracht werden: die der Trauer, des Ärgers, der Müdigkeit, der Albernheit, des Schmerzes.

Haben Sie einmal an einem See oder an einem Meer in der Nacht den Mondschein auf dem Wasser gesehen? Es glitzert und strahlt – und rechts und links davon nur Dunkelheit, tiefste schwarze Dunkelheit. Und inmitten dieser Dunkelheit der helle Lichtstrahl. Und dann in diesem Lichtstrahl auf den Mond zu zu schwimmen, das wäre doch etwas Wunderschönes. Und das beschreibt uns Paulus: Die Welt ist dunkel, die Menschen um uns herum haben alle große und größere Probleme. Und getragen vom Lichtstrahl Gottes den Menschen helfen, statt im Finsteren zu grübeln, durch den Lichtstrahl Gottes im Inneren fröhlich und dankbar zu sein, zu trösten, ermahnen, tragen zu helfen. Was kann es schöneres geben?

Und wenn wieder der kleine Kritiker – auch in uns – kommt und Haare in der Suppe sucht – lass ihn suchen. Es gibt etwas, das größer und wichtiger ist als nach Haaren in der Suppe zu suchen: im Licht Gottes fröhlich und dankbar zu leben, ohne Unterlass beten zu lernen, im Geist Gottes das Leben zu führen.

Das schenke uns Gott:

Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch und bewahre euren Geist samt Seele und Leib unversehrt, untadelig für die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus. Treu ist er, der euch ruft; er wird’s auch tun.

Amen.